Mozart über die Sänger im »Idomeneo«

[123] Aus Mozarts Briefen an den Vater;

München, am 8., 15., 22. November, 1., 27. und 28. Dezember 1780 sowie 3. Januar 1781


... Ich habe zwar nicht die Ehre, den Helden del Prato zu kennen; doch der Beschreibung nach ist noch fast Ceccarelli besser; – denn mitten in einer Aria ist öfters schon sein Odem hin – und – NB: er war noch nie auf keinem Theater – und Raaff ist ein Statue. – Nun stellen Sie sich einmal die Scene im ersten Akt vor. – Nun aber etwas Gutes. Madme Dorothea Wendling ist mit ihrer Scene Arcicontentissima – Sie hat sie 3mal nach einander hören wollen ...


*


– Nun gibt es noch eine Veränderung, an welcher Raaff schuld ist – er hat aber recht; – und hätte er nicht – so müßte man doch seinen grauen Haaren etwas zu gefallen tun. – Er war gestern bey mir – ich habe ihm seine erste Aria vorgeritten und er war damit sehr zufrieden; – Nun – der Mann ist alt; in einer Aria wie selbe im zweyten Akt fuor del mar hò un mare in seno etc. kann er sich dermalen nicht mehr zeigen – also, weil er im dritten Akt ohnedieß keine Aria hat, wünschte er sich (weil seine im ersten Akt vermög dem Ausdruck der Worte nicht cantabile genug seyn kann) nach seiner letzten Rede: O Creta fortunata! ôme felice! anstatt dem Quartetto eine hübsche Aria zu singen und auf diese Art fällt auch hier ein unnötiges Stück weg – und der dritte Akt wird nun weit bessern Effekt machen. – ...

... Meinem Molto amato Castrato del Prato muß ich aber die ganze Opera lehren. Er ist nicht imstande, einen Eingang in eine Aria zu machen, der etwas heißt; und eine ungleiche Stimme! – Er ist nur auf ein Jahr engagiert und sobald das aus ist, welches künftigen September geschehen wird, so nimmt Graf Seeau einen [123] andern. Da könnte Ceccarelli sein Glück versuchen. serieusement – ...


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... Wenn der Kastrat kommt, muß ich mit ihm singen, denn er muß seine ganze Rolle wie ein Kind lernen. Er hat um keinen Kreuzer Methode.

... Gestern vormittag war wieder Mr Raaff bey mir, um die aria im zweyten zu hören. – Der Mann ist so in seine Arie verliebt, als es nur immer ein junger feuriger Mann in seyne Schöne seyn kann. Denn nachts, ehe er einschläft, und morgens, da er erwacht, singt er sie; er hat (ich wußte es von einer sichern Hand), und nun weiß ich es von ihm selbst, zu Herrn v. Vierreck (Obrist Stallmeister) und Herrn v. Castel – gesagt; Ich war sonst immer gewohnt, mir in die Rollen zu helfen, sowohl in die Rezitativ als Arien – da ist aber alles geblieben, wie es war, ich wüßte keine Note, die mir nicht anständig wäre etc. Enfin – er ist zufrieden wie ein König ...


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... Wegen der 2 Szenen, die abgekürzt werden sollen, ist es nicht mein Vorschlag, sondern nur mein Consentement – und warum ich sogleich nämlicher Meinung war, ist, weil Raaff und del Prato das Recitativ ganz ohne Geist und Feuer, so ganz monoton herabsingen – und die elendesten Acteurs, die jemals die Bühne trug, sind – ...

... Hören Sie, der Raaff ist der beste, ehrlichste Mann von der Welt – aber auf den alten Schlendrian versessen – daß man Blut dabey schwitzen möchte; – folglich sehr schwer für ihn zu schreiben. – sehr leicht auch, wenn Sie wollen, wenn man so alle Tag Arien machen will. – Wie par exemple die erste Aria Vedromi intorno etc. wenn Sie sie hören werden, sie ist gut, sie ist schön – aber wenn ich sie für Zoncha [124] geschrieben hätte, so würde sie noch besser auf den Text gemacht seyn. – Er liebt die geschnittenen Nudeln zu sehr – und sieht nicht auf die Expression. – Mit dem Quartett habe ich itzt eine Not mit ihm gehabt. – Das Quartett, wie öfter ich es mir auf dem Theater fürstelle, wie mehr Effekt macht es mir – und hat auch allen, die es noch so am Clavier gehört haben, gefallen. – Der einzige Raaff meint es wird nicht Effekt machen. Er sagte es mir allein. – Non c'è da spianar la voce – es ist zu eng – als wenn man in einem quartetto nicht viel mehr reden als singen sollte – dergleichen Sachen versteht er gar nicht. – Ich sagte nur: Liebster Freund! – wenn ich nur eine Note wüßte, die in diesem Quartetto zu ändern wäre, so würde ich es sogleich tun. – Allein – ich bin noch mit keiner Sache in dieser Oper so zufrieden gewesen wie mit diesem Quartett; und hören Sie es nur einmal zusamm, dann werden Sie gewiß anders reden. – Ich habe mir bey Ihren 2 Arien alle Mühe gegeben, Sie recht zu bedienen – werde es auch bey der dritten tun – und hoffe es zustande zu bringen – aber was Terzetten und Quartetten anbelangt, muß man dem Compositeur seinen freyen Willen lassen. – Darauf gab er sich zufrieden. – Neulich war er ganz unwillig über das Wort in seiner letzten Aria: – rinvigorir – und ringiovenir – besonders vienmi à rinvigorir – fünf i – es ist wahr, beym Schluß einer Aria ist es sehr unangenehm ...


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... Vorgestern haben wir eine Recitativprobe bey der Wendling gemacht – und das Quartett zusammen probirt – wir haben es 6mal repetirt – itzt geht es endlich. – Der Stein des Anstoßes war der del Prato, – der Bub kann doch gar nichts. – Seine Stimme wäre nicht so übel, wenn er sie nicht in den Hals und in die Gurgel nehmete – übrigens hat er aber keine [125] Intonation – keine Methode – keine Empfindung – sondern singt – wie etwa der beste unter den Buben, die sich hören lassen, um in dem Kapellhause aufgenommen zu werden – Raaff hat sich mit Vergnügen betrogen gefunden – und zweifelt nun auch nicht an dem Effekt. – Nun bin ich wegen des Raaffs letzter Aria in einer Verlegenheit, woraus Sie mir helfen müssen. – das rinvigorir und ringiovenir ist dem Raaff unverdaulich – und wegen diesen 2 Wörtern ist ihm schon die ganze Aria verhaßt. – Es ist wahr, das Mostrami und vienmi ist auch nicht gut – aber das Schlechteste sind schon die zwey Endwörter. Wo ich bey dem ersten rinvigorir um den Triller auf dem i zu vermeiden, ihn auf dem o machen müßte. – Nun hat Raaff, ich glaub, im Natal di giove, welches freylich sehr wenig bekannt ist, eine zu dieser Lage passende Aria gefunden. – Ich glaube, sie ist die Licenzaria45 davon und diese Aria soll ich ihm schreiben – man kennt sie nicht, sagt er, und wir sagen nichts. – Er weiß halt, daß es dem Herrn Abate46 nicht zuzumuten ist, diese Aria zum drittenmale zu ändern – und wie sie ist – will er sie doch nicht singen. – Nun bitte ich um eine schleunige Antwort ...


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... Bin recht froh, daß ich die Aria für den Raaff bekomm – denn er hat absolument seine gegebene Aria wollen hineinsetzen lassen – ich hätte es (NB mit einem Raaff) nicht anders richten können, als daß Varesco seine Aria gedruckt gewesen wäre und Raaffs seine aber wäre gesungen worden ...

Quelle:
Mozart. Zusammengestellt und erläutert von Dr. Roland Tenschert. Leipzig, Amsterdam [1931], S. 123-126.
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