3.

[165] Le Nozze di Figaro.

Opera buffa in vier Acten.


So lange Mozart's zweite Lehrzeit dauerte, eine Lehrzeit, die über das hinausging, was ihn seine Meister und seine Vorbilder gelehrt hatten, so lange der Geist der Nachahmung gegen den schöpferischen Geist einen täglich ungleicher werdenden Kampf bestand, hatte Mozart nur für die Musik günstige Opern-Sujets zu componiren. Idomeneo und die Entführung waren jedes in seiner Art vortreffliche Stoffe. Sobald aber der Lehrling, der bereits durch diese beiden Werke die Reform in der Kunst begonnen hatte, sich in den Haydn gewidmeten Streich-Quartetts zum Meister erklärt hatte, schien das Schicksal ihm das Unmögliche, oder etwas, was wenigstens der Unmöglichkeit gleichzukommen schien, zuzuweisen. Er sollte die Hochzeit des Figaro componiren.

Diejenigen, welche in Beaumarchais' Stück gelacht hatten und Mozart beauftragten, es in Musik zu setzen, glaubten sicher, daß die Oper sie eben so sehr, wenn nicht gar noch mehr als die Komödie, unterhalten werde. Sie bedachten nicht, daß alles Das, was das Verdienst und den Werth der Hochzeit des Figaro ausmacht, nothwendiger Weise bei der in Musik gesetzten Hochzeit [166] desselben Individuums verschwinden müsse, nämlich: der Geist, der Etyl und der Dialog des französischen Autors. Es blieb nichts als die Handlung oder die Fabel und die Charaktere. Die Fabel ist eine Verschwörung intriganter Diener gegen einen lockern Herrn, ein Gewebe von List und Kniffen, eine dürftige und prosaische Grundlage, welche selbst in der Komödie nur um der gegen die Gesellschaft der damaligen Zeit gerichteten Diatriben willen durchgehen konnte. Die Charaktere sind alle auf die Spitze getrieben und aus Selbstsucht gegründet. Die hervorragendsten derselben zeigen uns nichts, als ein fortwährendes Gespötte über sich und über Andere, oder kalte, berechnete Unsittlichkeit. Man nehme ihnen die glücklichen Einfälle, die Epigramme, die Ungezogenheiten nach gutem Ton, und sie hören auf, selbst in der Komödie spaßhaft zu sein. Was hatte aber alles dieß mit der Musik gemein?

Die Theorie des musikalischen Drama's hatte zu Ende des letzten Jahrhunderts noch geringe Fortschritte gemacht. Es war dieß die Epoche des großartigen Schaffens, die immer der erhabenen, Kunstbeurtheilung vorausgeht, wie die Ursache der Wirkung; die Epoche der Gluck, Mozart und Cima rosa. Man sah noch nicht recht ein, warum das komische Element, welchem sich die Oper am besten fügt, dasjenige ist, welches sich mehr an die Einbildungskraft als an die Reflexion wendet, das Populär-Komische, das Buffonartige und Groteske, lächerlich phantastisch Übertriebene, weit mehr als das mit einer gewissen Feinheit der Beobachtung behandelte Lächerliche. Osmin, Leporello, Geronimo, Bucephalo, der Kaimakan in der Italienerin in Algier, der Dummkopf von Ehemann im Türken in Italien, der poeta miserabile im Corradino, der Baron Montefiascone u.s.w.u.s. w, das sind Gestalten, wie sie der Compositeur braucht, um vortreffliche Musik zu machen, und wie sie das musikalische Publicum zu seiner [167] Unterhaltung liebt. Alle diese blassen und flachen Caricaturen im Libretto, alle diese poetischen Skizzen, welchen das geistige Leben versagt ist, weiden wunderbar belebte Gestalten, wenn ihnen die Musik das rein sinnliche Leben verliehen hat, das ihnen zukömmt.

Von diesem Gesichtspuncte aus wird man vergebens in der Hochzeit des Figaro die Elemente einer Buffo-Oper suchen, man wird sie nirgends darin finden. Auf welche unter den handelnden Personen wird der Musiker die vis comica übertragen, welche wird der Basso parlante, der musikalische Spaßmacher sein, um das Publicum zu jenem unwiderstehlichen Lachen hinzureißen, welches den Genuß der Musikfreunde und der Götter ausmacht? Figaro gewiß nicht. Der geistreichste Mensch im Stücke, der wiedergeliebte Liebhaber Susannen's gibt keine Veranlassung, auf seine Kosten zu lachen, was schon gar nicht sein dürfte, Bartolo und Basilio, die beide sich vortrefflich in Gesellschaft des Barbiers von Sevilla und Lindoro's ausnehmen, haben nach Rosinen's Vermählung Stellung und Charakter geändert17. Als Diener [168] eines vornehmen Herrn, als Kuppler und Liebesboten haben sie aufgehört, komische und lächerliche Figuren zu sein; sie sind nur noch unmoralisch und verächtlich. Der Richter Curtio und der Gärtner Antonio sind nur episodische Personen, deren Rollen sich beinahe aus Nichts reduciren; und was ihren Herrn, den Grafen Almaviva, anbelangt, so kann von diesem entfernt nicht die Rede sein, daß er zum Primo buffo verwendet würde. Findet man vielleicht im weiblichen Personale eine Gestalt, die sich zum komischen Element im Stücke herbeiließe? Eben so wenig. Die alte Marzeline, welche mit ihrem alten Liebhaber complottirt, um ihren eigenen Sohn zu veranlassen, sie zu heirathen, führt allerdings eine komische Erkennungsscene herbei, welche aber in der Oper ganz unproductiv ist. Es gibt keine Noten, welche das älterliche Verhältniß und die kindliche Ehrfurcht lächerlich machen können.

Sehen wir, ob der erotische und ausdrucksvolle Theil des Werkes dem Musiker mehr Hilfsmittel bietet, als der komische, der gar keine Ausbeute gewährte. Liebesverhältnisse sind im Stücke genug vorhanden, ja sogar zu viele. Figaro liebt Susanne und Susanne liebt Figaro, in Ermangelung eines andern Gegenstandes; eine Vorzimmerliebe, Der Graf liebt Susannen ebensalls, eine vorübergehnde Liebe, ein Spiel der verirrten Phantasie, welche aber [169] mit einer Mystifikation endigt. Barbara liebt Cherubino, eine verliebte Kinderei, weiter nichts. Die Gräfin liebt den Grafen. Das ist einmal Etwas. Eine junge Gattin, welche über verrathene Liebe weint, das kann sehr interessant und sehr rührend werden; das kann Stoff zu schönen Arien, zu schönen ehelichen Duetten geben. Ganz gewiß; aber wenn eben diese Gattin in ihrem tiefsten Kummer sich beiläßt, der Verkleidung eines Pagen anzuwohnen, wenn die Anmuth dieses Kindes, welches durchaus kein Kind mehr ist, und seine weiße Haut der schönen Trauernden zur heilsamen Zerstreuung dienen; und wenn man bei'm Kommen des Gemahles dieses unschuldige Kleinod bei sich einschließt, dann ändert sich die Gestalt der Dinge, und es ist zu wetten, daß wir nicht mehr mit der Frau Gräfin weinen können. Man sieht daraus, daß der Musiker sich fragen mußte, wo er unter allen diesen Amouren, Amouretten, Phantasieen, sentimentalen vorübergehenden Launen und Zerstreuungen, die Liebe an bringen solle.

Eine andere Leidenschaft, welche in das Gebiet der Musik einschlägt, ist die Eifersucht, mag man sie von spaßhafter oder von ernster Seite nehmen. Stets muß sie aber dessen ungeachtet in dieser gedoppelten Gestalt sich mit Kraft aussprechen und sich, wie jede wahre Leidenschaft, nur mit ihrem Gegenstande beschäftigen. Es kommen in dem Stücke zwei Eifersüchtige vor: Almaviva und Figaro. Der erstere wäre im Ernst ein Eifersüchtiger, wenn er es nicht zu gleicher Zeit auf seine Gemahlin und Susanne wäre, auf die er noch in keiner Hinsicht Ansprüche zu begründen vermag, Figaro wäre ein komischer Eifersüchtiger, wenn er nicht zu viele Philosophie besäße, als daß er um des alltäglichen Laufes der Dinge willen, von dem er sich bedroht sieht, außer sich gerathen wäre, und wenn er nicht zu vielen Geist hätte, um je den betrogenen Ehemännern auf dem Theater gleichen zu können. Aus [170] diesen Gründen war aus diesen beiden Eifersüchtigen nichts zu machen.

Dem Mangel eines Buffo füge man noch den einer Primadonna und eines ersten Tenors hinzu, die beide trotz der Menge von handelnden Personen nicht zu finden sind, von denen keine wirklich komisch, noch wirklich leidenschaftlich ist, und von welchen keine sich die Theilnahme des Zuschauers erwirbt. Die ersten lyrischen Gestalten fehlen alle! Ein unerhörter Fall in den Annalen der Oper, welcher beweist, wie wenig das Sujet nur den einfachsten Anforderungen des musikalischen Drama's, seinen Elementaranforderungen also entsprach. Offenbar konnte man aus dem Grafen Almaviva keinen ersten Tenor machen. Die steife Excellenz, der kleinmeisterliche gnädige Herr, der ausschweifende Gatte, der durchgefallene Liebhaber, der abgewiesene Diplomat eines Beaumarchais konnte nicht wie Belmonte und Ottavio singen. Schon seine Rolle ließ dieß nicht zu. Sie verlangt mehr einen recitirenden oder declamatorischen, als melodischen Gesang, und diese Partieen passen nicht für den Tenor, sondern für den Baß. Nachdem also Almaviva zu dieser Verwendung sich nicht eignete, so wäre nur noch Cherubino übrig, der etwa Ansprüche darauf machen könnte. Aber wenn Cherubino zur Zeit, als Figaro's Hochzeit vor sich ging, im Tenor oder Baß gesungen hätte, so wären die Dinge zwischen ihm und seiner schönen Pathin aller Wahrscheinlichkeit nach nicht stehen geblieben, wie sie der Dichter uns vorführt. Mozart zog es vor, lieber einen ersten Tenor zu entbehren, als abgeschmackt zu werden; die hohen männlichen Stimmlagen wurden Basilio und Curzio übertragen, welche vermöge des Rechtes der Nothwendigkeit davon Besitz nahmen. Außerdem würde selbst der Vocal-Accord, der Tonsatz zu vier Stimmen, in Folge des schlechten Spasses im Libretto unmöglich [171] oder wenigstens sehr schwierig geworden sein. Die Rolle der Primadonna scheint, genau genommen, weder der Gräfin noch Susannen zuzukommen. Die Lage Susannen's ist allerdings viel glänzender; sie ist von Anbetern und Prätendenten umgeben. Niemand dagegen seufzt für die Gräfin, außer der Page, der aber für Jedermann seufzt. Andererseits ist Susanne nur eine Soubrette, eine vollendete Kammerzofe, die es versteht, den Herrn an der Nase herumzuführen, die Gebieterin zu beschützen, sich Dank für Ohrfeigen zu erwerben, die sie ihrem Zukünftigen gewissermassen als Vorempfang der ehelichen Gunst gibt, mit der sie es eintretenden Falles nicht so genau nehmen wird; lauter sehr kostbare Eigenschaften für sie selbst, die Gräfin und vielleicht auch für einen philosophischen Gatten, wie Figaro, aber ohne allen Werth in einer gefühlvollen Arie. Rosine hat den Vortheil des gefühlvollen Wesens und der Würde für sich. Es scheint, daß der ungetreue Lindoro noch in einem Herzen herrscht, das ihm Niemand streitig macht, was allerdings ein weiterer Gewinn für die Musik, wenn auch nicht für den Gemahl ist. Wer sollte also Primadonna sein?

Man denke sich den Componisten im Kampfe mit einem Texte, welcher der Opernmusik keine Leidenschaft und keinen Muthwillen zuläßt, welcher keine erste Sängerin liefert und den Tenor unmöglich macht, einen Text, der weder der ernsten noch komischen Gattung angehört, der außerhalb der Geschichte, der Mythologie, der Romantik, des innern und poetischen Lebens, außerhalb Allem, was musikalisch und singbar ist, liegt. Kann ein solches Sujet etwas Anderes, als eine kalte Musik hervorrufen, wenn sie wahr sein soll, und die unrichtig werden muß, sobald sie aufhört, kalt zu sein? Selbst Mozart wäre diesem traurigen und unverzeihlichen Dilemma wenigstens zum größeren Theile nicht entgangen, [172] wenn nicht sein bereits für die letzten Zusätze reifes Talent, welche die Organisation der Oper erwartete, ihm einen neuen Weg angebahnt hätte, und zwar den einzig möglichen, auf welchem er aus einem auf den ersten Anblick nicht componirbaren Sujet etwas Wahres und Schönes machen könnte. Der Genius hatte die Reform des musikalischen Drama's begonnen, die Nothwendigkeit half sie vollenden.

Prüfen wir, was aus der Hochzeit des Figaro als Oper nach dem altitalienischen Zuschnitte geworden wäre. Ein italienischer Meister hätte eine endlose Reihe von Arien und Duetten, einige Ensemblestücke als Ruhepuncte angegeben; ein mageres Finale und das Recitativ hätten fast ganz eine sehr lange und sehr verwickelte Handlung verschlungen; es hätte zwei Drittheile der Partitur ausgefüllt. Die komische französische Oper, die es noch nicht über die Operette hinausgebracht hatte, würde sich besser mit der Hochzeit des Figaro vertragen haben. Ein sehr großer Theil des Dialogs konnte wörtlich in dieser Art von Drama beibehalten werden, in welchem sehr viel gesprochen und wenig gesungen wurde; eine einfache Arbeit der Übertragung. Das Übrige war nicht viel schwerer. Einige hier und dort in die Scenen eingestreute Arietten, ohne musikalischen Werth, und gerade aus diesem Grunde geeignet, dem Texte Relief zu geben, hätten erstens den neuen Titel des Werkes gerechtfertigt, aus dem eine neue Oper werden sollte, und würden zweitens Beaumarchais' glückliche Gedanken in Prosa, in gereimten Schlagworten, nach Art eines Vaudeville wieder gegeben haben. Auf diese Weise wäre dem Stücke seine Integrität und sein eigenthümlicher Werth, ohne Aufwand an Geist und Talent von Seiten des Bearbeiters und Musikers, erhalten worden.

Aber der Componist der Nozze di Figaro war nicht [173] der Mann, der in der offen eingestandenen Absicht und in dem sichern Vorhersehen, eine langweilige oder nur sogenannte Oper zu schreiben, die Feder ergriffen hätte. In diesem Falle konnte ihm weder das italienische noch das französische Verfahren zusagen; beide waren ihm nicht einmal geläufig, da er jetzt nur noch Meisterwerke zu schaffen im Stande war. Wie sollte er es also machen? – Nur Geduld, und man wird sogleich sehen, daß die Hindernisse in den Händen des Genius sich zu Hebeln gestalten. Mozart hatte fünf Komödien-Acte vor sich liegen, eine Bahn, deren Breite in umgekehrtem Verhältnisse zu dem lyrischen Materiale stand, fünf Acte von einer tödtlichen Kälte und einer erdrückenden Langenweile, wenn sie nach italienischer Weise zugeschnitten und angelegt worden wären, welche fast die ganze Handlung in das Recitativ verwies. Die Fabel hätte sich in jenem monotonen und mit den wahren Formen der Komödie ganz unverträglichen Gesange verloren; denn Figaro blieb doch stets eine Komödie mit oder ohne Musik. Wenn man Figaro in Recitative gekleidet hätte, so wäre dieß so viel gewesen, als ihn in ein Leichentuch zu hüllen, und das zu seiner Hochzeit geladene Publicum hätte bei seinem Begräbnisse gegähnt.

Einer solchen Aufgabe gegenüber mußte unser Heros sich in einer Überzeugung bestärken, zu welcher ihn unvermeidlich sowohl seine reifende Erfahrung als die Selbstkritik dessen, was er zuvor für das Theater componirt hatte, trieben. Er mußte mehr als je zur Erkenntnis gekommen sein, daß in dem musikalischen Drama die Musik die allein wichtige Sache und die allein wahre Sprache sei; daß der Musik eben so wohl jede scenische Handlung gehöre, durch welche man zu interessiren und zu rühren vermöge, als die Scenen der Gefühlsergießungen und die lyrischen Momente; daß das einst obligate Recitativ, jene Bastardsprache, welche in Betracht [174] der Unmöglichkeit, alle constituirenden Theile einer Oper musikalisch zu verbinden, nur durch eine Art von Übereinkunft zwischen dem Gesange und der Rede angenommen würde, nur unter dem Titel eines unvermeidlichen Übels, folglich unter einem geringern Übel als der gesprochene Dialog gesetzlich bestehe; daß endlich und durch dieses selbst das Recitativ, weit entfernt, dazu berufen zu sein, die Hauptsituationen auszufüllen, mochten sich diese fortbewegen oder ruhen, sie vielmehr nur herbeiführen und vorbereiten müsse; mit anderen Worten, daß es ihnen zur Erklärung und Programm zu dienen habe. Je kürzer dieses Programm ist, um so besser ist es. Vortrefflich, wo sollte man aber einen hinreichend intelligenten und genugsam gefügigen Poeta finden, der in diese Ansichten einging und ein Libretto nach einem Plane bearbeitete, wie noch gar keiner existirte. Wo ihn finden? Hier ist er ja schon in Person, die Blume der Operndichter, der große lyrische Dichter, der Mitverfasser des Nozze di Figaro, des Don Giovanni, des Axur, des Matrimonio segreto, mit einem Worte, der Abbate Lorenzo da Ponte, welchen der stets vorsorgliche und stets hilfreiche Zu fall ausersehen hatte, unter der Leitung unseres Heros zu arbeiten. Wir können ruhig sein; die Arbeit ist in guten Händen.

Mozart gebührt die Ehre, die ausgedehnteste Anwendung von den wahren Principien des musikalischen Drama's gemacht zu haben, nicht aber die Ehre, das gefunden zu haben, was nöthig war, um sie in der Praxis einzuführen. Die Italiener, welche Alles erfanden, indem sie den Deutschen die Sorge ließen, Alles zu vervollkommnen, hatten bereits in ihre Buffo-Opern das Finale, eine Reihenfolge von Scenen in Musik eingeführt, welche nach Melodie, Tonart und Tempo, je nach den Situationen verschieden waren, und sich am Ende eines Actes mit einander verbanden. [175] Diese Form war an und für sich die vollständigste Verwirklichung aller logischen und ästhetischen Bedingungen des gesungenen Drama's; aber von Logroscino an, welcher, wie die Historiker melden, sie erfand, bis auf Mozart, der ihr ihre heutige Ausdehnung gab, merkte man wohl an, wie wenig Geschmack man in Italien an den Ensemblestücken fand und namentlich aber auch, wie äußerst schwach die Compositeurs als Instrumentisten waren. Es nahm in der Partitur wenig Raum ein und erhöhte ihren Werth eben auch nicht sehr. Die Arien blieben immer die Hauptsache für den Maestro. Folglich konnten in einer Komödie, wie Figaro, in welcher Niemand weder wirklich leidenschaftlich, noch wirklich komisch ist, die Arien, oder der Erguß der individuellen Empfindungen nicht das ganze Interesse des Stückes in sich concentriren. Weil es sich nicht auf die Personen übertragen ließ, so mußte dieses Interesse, wir verstehen darunter das musikalische Interesse, sich hauptsächlich an die Handlung selbst knüpfen. Das war die Folgerung, zu welcher unser Heros gelangte, und welche ihm die Nothwendigkeit klarmachte, nicht allein sehr umfangreiche Finales für seine neue Oper zu schreiben, sondern auch alle Situationen im Libretto zu Duetten, Terzetten, Sextetten zu benützen, Märsche und Tänze einzustreuen, und auf diese Weise den Finale-Styl wohl auf die Hälfte der Partitur auszudehnen, welcher unter seiner Feder der lyrisch-dramatische Styl in seiner höchsten Vollkommenheit werden sollte. Halten wir an dem Culminationspuncte der Geschichte des gesungenen Drama's ein, um einen Blick rückwärts zu werfen.

Zu Anfang des siebenzehnten Jahrhunderts gründete sich die aufkeimende Oper ihre Existenz und ihre Gesetze auf den Zusammenhang des Recitativs. Die Sprache des gesungenen Drama's besaß damals das Verdienst, vollkommen homogen zu sein; weil sie[176] aber unglücklicher Weise durchaus falsch war, so brachte das fortwährende Recitativ auf den Zuhörer den Eindruck der unerträglichsten Langenweile her vor. Diese ursprüngliche Weise der Auffassung der Oper zeigt deutlich den rein literarischen Gesichtspunct an, unter welchem seine Gründer, lauter Gelehrte, Dichter und Schriftsteller, aber sehr schlechte Musiker, sie ansahen. Bald aber fing die Aria, dieses glückliche Ereigniß, welches die Akademiker in Florenz nicht vorausgesehen hatten, gleich einem Sterne der Hoffnung und des Trostes mitten durch diese Ohrenfinsterniß des ewigen Psalmodirens an zu erglänzen. Einige Sätze melodischen Gesanges von Cavalli und Cesti gestammelt, versüßen auf Momente die Trostlosigkeit eines Schauspieles, welches weder Fabel, noch Geschichte, noch Decorationen, noch Maschinen, noch Pferde mehr zu halten vermögen. Die Musica nuova kommt in Gunst, so oft sie sich vernichtet, und wieder zu alter Musik, das heißt zur Melodie und Harmonie wird. Von Tag zu Tag gewinnen die Arien dem Recitative den Boden ab; von nun an will man nur sie noch in der Oper hören; aber das Recitativ, welches dem Aufhören seines ununterbrochenen Fortganges in Folge der lyrischen Momente entgegensieht, verschanzt sich hinter die Handlungen als in eine uneinnehmbare Citadelle. Daraus entstand ein anderes Übel. Die Sprache des gesungenen Drama's wird eine gedoppelte und theilt sich in zwei wesentlich verschiedene Theile; die Sänger singen für das Publicum; aber sie recitiren und agiren nur noch für die vier Mauern. Die Oper wird zum Concert. Gluck erscheint, der sie wieder zum Schauspiele machen, die Einheit zurückführen will, indem er so viel wie möglich die scharfe Scheidungslinie zu verschwinden machen sucht, welche die Melodie vom Recitativ trennt. Gluck ist ein guter Sänger, [177] großer Declamator, ziemlich guter Instrumentist und mehr als alles dieß, ein Mann des Nachdenkens. Es glückt ihm. Sein Gesichtspunct geht aber noch von dem der Literatur aus, modificirt durch die Fortschritte, welche die dramatische Musik seit hundertundfünfzig Jahren gemacht hatte. Für ihn ist das Recitativ noch immer der Hauptvehikel der Handlung; es bleibt noch immer die Regel in der Oper und der Gesang eine Ausnahme, von der man allerdings so oft es unumgänglich nothwendig war, Gebrauch machte. Endlich erschien Mozart, der den Lehrsatz umkehrte, die Ausnahme zur Regel erhob und als praktisch angewendete Folgerung dieser neuen Lehre uns zuerst die Nozze di Figaro und dann den Don Giovanni gab. Auf diese Weise wurde nach zwei Jahrhunderten von Ungewißheiten und Irrthümern das lyrische Drama stufenweise auf den Standpunct des Musikers geführt, auf welchem alle relative Wahrheit und Vollkommenheit der Gattung sich befand, und dieß darum, weil man das antimusikalischste Buch ausgewählt hatte, das je geschrieben worden ist und vielleicht je geschrieben wird. Bewundern wir darin eine weitere Vorsorge des Zufalles.

Ausgezeichnete Sänger hätten jene Menge von Ensemblestücken während des Ganges der Handlung, welche Mozart in die Partitur einführte, mit scheelem Auge angesehen. Diese Musik verlangt, daß man zu spielen verstehe, und erlaubt sehr selten die Anwendung der Kehlfertigkeit; sie verlangt das Gegentheil von dem, was die Virtuosen können, und dafür das, was sie in der Regel nicht können. Wenn Mozart die Hochzeit des Figaro für die Sänger zu schreiben gehabt hätte, welche ihm den Beifall der Zeitgenossen für die Entführung verschafft hatten, ohne daß dadurch dein Werke der Nachwelt gegenüber zu großer Eintrag geschah; für Fischer, Adamberger und die Cavaglieri [178] oder andere Gesanges-Berühmtheiten von demselben Range, so würden die Stücke des Sängers an die Stelle der Stücke des Komponisten getreten sein; die Anforderungen der Kunst wären vor den tyrannischen Ansprüchen des Métiers verschwunden. Glücklicherweise für uns und sehr unglücklicherweise für den armen Maestro gefiel sich das Geschick darin, in der italienischen Truppe, welche Figaro singen sollte, so mittelmäßige Sänger zu vereinigen, als sich je welche zusammengefunden hatten, um ein Meisterwerk zu ruiniren: die Damen Storace, Laschi, Mandini, Russani und Gott lieb, und die Herren Benucci, Wandini, Occhely und Russani. Nicht ein Name, mit Ausnahme der Storace, welcher mit einiger Auszeichnung in musikalischen Handbüchern genannt wird, und eben so wenig findet sich in der ganzen Oper eine Arie, welche von einer glänzenden mechanischen Fertigkeit und von einem beträchtlichen Umfange einer Stimme zeugte. Es war dieß, wir wiederholen es, ein glückliches Unglück. Mozart machte es umgekehrt wie jener griechische Maler, welcher seine Venus mit Verzierungen umgab, weil er sie nicht schön zu machen im Stande war. Er machte seine Arien schön, weil er sie nicht zu verzieren nöthig hatte. Man wird sich noch erinnern, daß Figaro unter dem Lärmen der Beifallsbezeugungen fiel, welche la cosa rara gespendet wurden.

Mozart's Genius, sagten wir, scheint in seinem Wachsthume den historischen Fortschritt der ganzen musikalischen Kunst zusammenzufassen. Man gebe sich die Mühe, diese Bemerkung zu untersuchen. Im Idomeneo zeigt sich Mozart bereits als vollendeter Contrapunctist und Harmonist; die Entführung stellt ihn als Melodisten auf dieselbe Höhe; endlich beweisen die Haydn gewidmeten Quartetts, unter seinen Instrumental-Compositionen, und Figaro unter seinen Bühnenwerken, die [179] unauflösliche Verbindung des Genius und des Geschmackes; die innige Verschmelzung und das vollkommene Gleichgewicht aller Elemente der Kunst und das durch Anmuth stets gemäßigte und verschönerte Wissen, die immer durch Nachdenken geleitete productive Kraft, und, was man hauptsächlich nicht übersehen darf, das absichtliche oder instinctartige Ausschließen beinahe aller melodischen Formen, welche keine Dauer versprachen. Die Ouverture zu Figaro offenbarte auch in Mozart, was er bis dahin in keinem seiner früheren Meisterwerke mit solcher Evidenz hatte zeigen können, den größten unter allen Orchester-Componisten. Wenn er es nicht schon 1786 gewesen wäre, so wäre das Räthsel seiner dritten Oper nicht zu lösen. Nach dem Plane, den unser Heros entworfen hatte, machten die Ensemblestücke während der Handlung den beträchtlichsten und wichtigsten Theil der Arbeit aus. Die Fabel besteht aber aus einer Menge Zwischenfälle und Scenen, in denen es sich für die Darsteller weit mehr um das Spiel als um den Gesang handelte. Die recitirenden Sätze, mit einigen melodischen Sätzen untermischt, mußten in Situationen dieser Art vorherrschen. Sie führten die musikalische Sprache auf den vertraulichen, bürgerlichen oder häuslichen Conversationston, welcher der im Stücke vorherrschende ist; sie verschafften den Darstellern eine Freiheit in Bewegungen und Geberden, welche sich nicht mit dem melodischen Gesange in regelmäßigen Sätzen verträgt; sie brachten die Handlung mit Hilfe des Sprechens vorwärts, was nicht allein ein Vortheil, sondern eine Nothwendigkeit war; die Handlung im Figaro hatte keinen Augenblick zu verlieren, wenn man nicht den Effect der pikantesten Scenen zerstören und die Vorstellung bis zum folgenden Tage hinausziehen wollte. Mit einem Worte, alle Convenienzen des Drama's stießen den Gesang der Vocalstimmen zurück und verlangten die Declamation dafür. [180] Wenn man aber die Melodie bei den Stimmen nicht anbringen kann, so geht sie naturgemäß in's Orchester über. Das Orchester schließt dann mehr als bloße Begleitung in sich; es wird der Verwahrer der Hauptmelodie; es singt für die Sänger; in ihm hat der Ohrenschmaus, oder, besser gesagt, das musikalische Interesse seenen Sitz, das sich stets irgendwo in einem Stücke finden muß Hat der Meister in einem auf diese Weise angelegten Tonstücke den Beweis von seiner Meisterschaft geliefert. So hat man das berfriedigenste und vollständigste lyrisch-dramatische Schauspiel vor Augen, das man sich denken kann; eine Handlung, welche mit der Leichtigkeit und Natürlichkeit des gesprochenen Drama's sich vorwärts bewegt, und eine Musik, welche alle Bruchstücke des Dialogs in eine harmonische Einheit vereinigt, die dem Zuschauer alle offen ausgesprochenen, so wie die rückhaltigen Gedanken der handelnden Personen sagt, ihre Schliche und Lügen aufdeckt und ihm die Triebfedern des psychologischen Mechanismus zeigt, welcher sie bewegt und zum Sprechen veranlaßt. Denn dieses innige Verständniß des Drama's, dieses Verstehen, das weit über jeder intellectuellen Analyse steht, ist nichts Anderes, als der, lebhafte gefühlte musikalische Genuß; denn man versteht hier nur, wenn man genießt. Darin liegt eines der unerklärbarsten Geheimnisse der Musik. Nun ist leicht zu begreifen, welche Rolle der Instrumentation in einer lyrischen Komödie zukommen muß, in der Cherubino Niemand das sagt, was er denkt, wo Alle möglichst freies Spiel treiben und abwechselnd betrügen oder betrogen Man kann mit wenigen Worten die unglaublichen und unerschöpflichen Hilfsmittel schildern, welche Mozart in dieser Oper entwickelte, wenn man sagt, daß die ganze Masse von Geist, dessen Schleußen man dem Dialoge öffnen mußte, in vollen Ladungen in's Orchester geworfen wurde, so daß Beaumarchais, in [181] Noten übersetzt, unter dem Schleier dieser neuen Übertragung beinahe ganz unangetastet blieb.

Wenn man heut' zu Tage irgend eine Musik loben will, so vergißt man selten, ihr das Beiwort geistreich beizulegen. Es ist dieß ein Modeausdruck, den Journalisten, welche nicht Musiker sind, bei jeder Gelegenheit anbringen, weil sie dessen relativen Sinn nicht verstehen, welcher aus diesem Grunde völlig banal und unvermeidlich geworden ist. Vor Allem aber müssen wir diesen Herren sagen, daß es keine an und für sich geistreichen Gefühle, Empfindungen und Leidenschaften gibt. Dem Beiworte fehlt also der Sinn, wenn man von einer Fuge von Bach, einem Quartett oder einer Symphonie von Mozart, oder von irgend einer andern Production aus der reinen Musik spricht. Für einen Componisten besteht der Geist einzig und allein in einer gewissen Anwendung seiner Musik auf ein directes oder indirectes, wörtlich ausgesprochenes oder darin begriffenes Programm. Welcher Art ist aber diese Anwendung, und in welchem Falle kann man von der Musik sagen, daß sie geistreich sei? Reicht es hin, um so genannt zu werden, wenn sie getreu den ganzen Inhalt des Programms ausfüllt, und nicht mehr und nicht weniger? Nein; denn in diesem Falle ist sie nur wahr. Die Musik, in welcher Geist liegt, ist nach unserem Dafürhalten eine solche, die über das Programm hinausgeht, welche einen nicht durch den Text gelieferten Sinn ausspricht, und zwar auf eine Art, daß der Zuhörer ihn aufzufassen vermag. So liegt zum Beispiel sehr viel Geist in Osmin's Liede, in welchem die Noten Mehreres andeuten, was die Worte durchaus nicht aussprechen. Im Allgemeinen zeigt sich der Geist des Musikers in irgend einer Anspielung auf Etwas, was man bereits gesehen oder begriffen hat. Bald ist es ein Motiv, ein Satz, welche als Erinnerung wieder zum Vorscheine [182] kommen, und eine sinnige Bedeutung an der Stelle erhalten, an welcher man sie hörte, wie z.B. die Cavatine des Micheli: O Vorsicht leite meine Schritte! welche das Orchester in der Scene am Thore in Cherubini's Wasserträger spielt; bald ist es eine komische Verhöhnung der Wahrheit, welche aus dem formellen Gegensatze der Musik mit den Worten entspringt, wie der glänzende Schlußsatz in der Arie in der Weißen Frau: Ha! welche Lust Soldat zu sein! und in einer verstümmelten und lamentablen Melodie wieder vorgeführt wird, nachdem von gewissen Wechselfällen die Rede gewesen, welchen der Soldat in seiner Abwesenheit sich ausgesetzt sieht; oder auch anticipirt das Orchester den Augenblick der Gegenwart, und erweckt den Gedanken an eine drohendere Zukunft, mit der die Situation schwanger geht. Wer unter uns hätte bei'm Anhören des Abschiedes, den Maxi von Agathe nimmt, in dem bewunderungswürdigen Terzett im zweiten Acte von Weber's Freischütz in den aufsteigenden Gängen des Basses den wiederholten Ruf der Unterwelt nicht erkannt, welche uns in der Scene der höllischen Gespenstererscheinungen ihre ganze Pracht entfalten soll. Das sind einige jener Mittel, durch welche der Geist, ganz unabhängig von Wahrheit und Ausdruck, sich in der Musik entwickeln kann. Sie sind unzählbar, wie die dramatischen Texte und Programme und Alles, was an deren Stelle treten kann; allein beinahe immer hat der musikalische Geist etwas von der Allegorie, insofern er besonders mit dem Verstande vermittelst Bildern, und mittelbarer oder unmittelbarer Anspielungen verkehrt. Nichtsdestoweniger gibt es Fälle, in denen die einfache Wiederholung des musikalischen Satzes im laufe eines Stückes, und die Wiederholung eines Textes, der Anfangs nichts besonders Auffallendes hatte, ein vortreffliches Epigramm hervorbringt. Für dießmal entlehnen wir unser Beispiel [183] aus Figaro, um wieder auf den Gegenstand des vorstehenden Artikels zu kommen.

Almaviva belauscht in einem Verstecke die Unterredung zwischen Susannen und Basilio, welcher die Zofe beschuldigt, daß sie Wohlgefallen an dem Pagen finde, der sogar seine Augen bis zu ihrer Gebieterin zu erheben wage. Der Graf zeigt sich, und macht seinem Ärger Luft; das Terzett (Nr. 7.) beginnt. Basilio, ganz entzückt über das Unheil, das er angerichtet hat, spielt den Ängstlichen; weil aber die Musik nicht lügen kann, so singt der Verräther seine Entschuldigungen in ziemlich munterer Weise. Susanne, welche alle Ursache hat zu zittern, haucht ihre Todesangst in gebrochenen und halberstorbenen Tönen aus, welche gegen die Cadenz hin immer schwächer wer den; der Eifersüchtige fühlt sich erweicht. Der getreue Diener stellt sich, als wolle er die Aufwallung besänftigen, die ihn ergötzt, und gießt Öl in's Feuer, indem er zu seinem Herrn sagt: Ah del paggio quel che ho detto, era solo un mio sospetto; perfide Worte, die im bezeichnendsten Tone, mit dem Unisono des Orchesters gesungen, ihren Effect nicht verfehlen. Almaviva spricht die Verbannung des Pagen aus, und um die Sentenz zu begründen, erzählt er in einer Art Recitativ, wie er kürzlich den Pagen bei der Tochter des Gärtners unter einem Tische verborgen gefunden habe, und eben die Auseinandersetzung dieser Entdeckung führt eine andere herbei. Der Page war hier unsichtbar und gegenwärtig, ebenso bequem bei Susannen verborgen, wie er es bei Barbarina gewesen war, Cosa veggio! ruft der Graf aus; Ah crude stelle! seufzt Susanne. O meglio ancora! entschlüpft Don Basilio. Nach diesen auf einander folgenden Ausrufungen folgt ein Ensemble, in welchem die drei lyrischen Charaktere sich deutlich und scharf abzeichnen. Die Synkope des [184] Satzes: onestissima signora klingt in Almaviva's Munde wie verzerrte Wuth; Susanna ist einer zweiten Ohnmacht nahe; Basilio aber, dieser Teufel im schwarzen Leibrocke, dieser wahre Mephisto aus dem Vorzimmer, hat sich noch nie so behaglich gefühlt. Mit seiner hellklingenden Stimme stimmt er in der Höhe ein so pinselhaft kaustisches Thema an, während es zugleich eine so herzliche Zufriedenheit ausdrückt, daß der Schurke vor lauter Bosheit fast ein guter Mensch zu sein scheint. Cosi fan tutte le belle; non c'é alcuna novità. Dieß spricht Basilio bei Seite, worauf er sich an den Grafen wendet und ihm Wort für Wort, Note für Note, aber um eine Quinte höher, wie wenn er fürchtete, nicht recht verstanden zu werden, wiederholt: Ah del paggio quel che ho detto, era solo un mio sospetto. In der Lage, seinen Satz, wann und so oft es ihm gefällt, zu wiederholen, konnte der Musiker nichts Geistreicheres sich erdenken, als die Wiederanwendung dieses, und zwar in dem Augenblicke, in welchem das corpus delicti in einem Armstuhl gefunden, den sospetto in einen Überführten in den Augen des Eifersüchtigen verwandelt hat. Ist das nicht allerliebst!

Das Terzett, welches wir soeben analysirt haben, ist vielleicht die beste lyrische Situation in dem Stücke. Es ist in jeder Hinsicht bewunderungswürdig. Seine Themas, die sich aus das Ensemble der Stimmen und Orchesterfiguren gründen, stets durch die Modulation variirt und auf köstliche Weise zu rechter Zeit dem Ohre wieder vorgeführt werden; sein Dialog, welcher mit so unnachahmlicher Natürlichkeit und so tiefer Kenntniß des komischen Effects eingetheilt ist; die Contraste der Charaktere, welche sich darin aussprechen; die Einzelheiten seiner Instrumentation, welche die getrennten Stimmen vereinigen und unaufhörlich die [185] Einheit aufrecht erhalten; Alles macht dieses Musikstück, das an und für sich vortrefflich ist, eben so wahr als geistreich vermöge der Anwendung. Das ist die wirkliche Vollkommenheit der Gattung, oder ich müßte mich ganz täuschen. Dieses Terzett gibt uns eine allgemeine Idee von allen Ensembles in der Oper, und enthebt uns der Mühe, sie im Einzelnen zu prüfen. Es ist nicht eines vorhanden, in welchem nicht ein Verdienst und ähnliche Schönheiten sich mehr oder weniger vorfänden. Überall dieselbe Anmuth, dieselbe Natürlichkeit, dasselbe Wissen, derselbe Geist, dieselbe tiefe Berechnung im Gewande derselben Leichtigkeit. Dieser Artikel würde dadurch allein zum Buche anschwellen, wenn man sorgfältig nachsuchen wollte, was von all' diesen Eigenschaften in einer Partitur von mehr als 500 Seiten zu finden ist, und überdieß wäre ein solches Buch gar nicht zu machen. Ohne eine wunderbare Fruchtbarkeit, die der gleich käme, von welcher unser Heros die Probe ablegte, indem er die vier Acte des Figaro ausfüllte, ohne fast je zu ermüden und in Wiederholungen zu verfallen, könnte man hier die Formen der Analyse nicht so vermanchfaltigen, wie Mozart in den Ensemblestücken die Formen einer Musik vermanchfaltigt hat, deren dramatischer Charakter, mit Ausnahme einiger Nuancen, stets derselbe bleibt. Denn man wird bemerken, daß in dieser Handlung, trotz der vielen Intriguen und Zwischenfälle, doch für den Musiker eine große Einförmigkeit liegt. Ist denn nicht in der That Almaviva stets in Wuth und eifersüchtig, und macht nach allen Seiten derbe Ausfälle, die aber Niemanden treffen; Figaro immer mit einer dienstfertigen Lüge oder irgend einer List für seine Schützlinge zur Hand; Susanne immer auf der Hut, Ungeschicklichkeiten ihrer Gebieterin gut zu machen und den Verfolgungen eines Mannes zu entgehen, der ihr nicht gefällt; die Gräfin fortwährend in Unruhe, mißvergnügt und [186] gelangweilt über das, was vorgeht, gekränkt, ohne deßhalb in Zorn gerathen, und ganz irre, wer sie liebt oder nicht. Bei der heiligen Cäcilia! Jeder Andere als Mozart hätte über dem Versuche, den Figaro zu componiren, den Kopf verloren. Doch nein, ein Maestro nach altem Schlage hätte sich mit dem Recitativ und den Gemeinplätzen der italienischen Musik aus der Sache gezogen; ein Compositeur heutigen Tages hätte das Sujet zu allen Teufeln gewünscht; er hätte sich auf die Phantasiemusik geworfen, hätte Walzer, Cabaletten, Crescendos, Solfeggir-Übungen angebracht, ein System der Tonsetzkunst, das sich beinahe eben so wenig um die Worte kümmert, als das fugirte Madrigal im sechszehnten Jahrhundert. Mozart verstand es, den traurigen Rahmen, welchen man ihm übergeben hatte, von Anfang bis zu Ende musikalisch und dramatisch auszufüllen; und mit welch' unzerstörbarem Talent, mit welcher Ausdauer der Willenskraft, mit welcher Selbstverläugnung hat er dieß gethan! Wie viele Sorgfalt mißte er anwenden, um den Aufschwung seiner Begeisterung zu dämpfen, und um seine Musik bis auf den von dem Libretto angezeigten Temperaturgrad zu mäßigen; wie viele Anstrengung und Überlegung kostete es ihn, um seinen Zuhörern weniger zu gefallen!

Die Arien und Duette der Oper, welche im Allgemeinen ebenso schön und ebenso gut bearbeitet sind, als die Ensemblestücke, beschränken sich wie diese letzteren auf die Grenzen des gemischten und gemäßigten Ausdrucks, welche das Sujet selten zu überschreiten erlaubte. Einige derselben machen aber in dieser Hinsicht glückliche Ausnahmen, die sich in den Ensemblestücken weder finden, noch finden konnten. Der Grund ist folgender: die Verfasser der Oper hatten keine Macht über die Handlung der Komödie, die sie lassen mußten, wie sie war; dagegen konnten und mußten [187] sie die Charaktere in musikalischen Sinn modificiren; sie mußten, Beaumarchais' Personen eine Seele einhauchen, sie aus dem Zustande des personificirten Sarcasmus, den sie repräsentirten, in den Zustand menschlicher Individualität bringen, indem sie an die Stelle der Satyre nach altem Regime, die natürliche Sprache der Leidenschaften und Interessen eines Jeden setzten. Wo sollte aber diese unumgänglich nothwendige Umwandlung vorzugsweise bewerkstelligt werden und ihre Früchte tragen? War es in den Numern, durch welche die Ereignisse des Stückes sich entwickeln? Hier haben wir aber gesehen, daß die stets zur Täuschung und Lüge verurtheilten Personen nur vermittelst des Orchesters mit der Seele der Zuhörer in vertrauten Rapport traten. Anders verhält es sich mit den Arien. Hier hatten Da Ponte und Mozart freien Spielraum, außerhalb der Handlung Texte zu schaffen, in welchen die Personen unverschleiert in der ganzen Wahrheit ihres Ichs sich zeigten. Doch hatte dieser Spielraum auch seine Grenzen. Man konnte zwar hier die Charaktere bis auf einen gewissen Grad von Wärme fühlen, daß sie wahrhaft lyrisch geworden wären, weil die Grundzüge dieser Charaktere mit dem Gange des Stückes verwachsen waren, welchen man nicht abändern durfte.

Es ist bemerkenswerth, daß die beiden schönsten Arien Figaro's oder die, welche wenigstens der Mehrzahl der Dilettanten am besten gefallen, gerade Hors-d'oeuvres sind, Stücke, welche nicht eigentlich im Drama liegen, nämlich Figaro's: Non più andrai (Nr. 9.) und Cherubino's: Voi che sapete (Nr. 11.). Die erste zeigt das Bild des militärischen Lebens, von einem Menschen entworfen, der nie Waffen getragen hat; weßhalb es ein Gemeinplatz, ein Hors-d'oeuvre sein muß. Die zweite ist nichts als ein Lied, auf der Scene mit Begleitung der [188] Guitarre gesungen, eine Musik, welche für das gegeben wird, was sie ist, ein Hors-d'oeuvre wie das andere. Das erscheint sonderbar, während es ganz natürlich und folgerichtig ist. Man betrachte aber die Texte dieses Liedes und dieser kriegerischen Arie, die der Situation und den persönlichen Gefühlen dessen, der sie singt, völlig fremd sind, und man wird finden, daß in denselben mehr und besserer lyrischer Stoff zu finden ist, als in irgend einer der in Drama begründeten Arien; so glücklich war die Wahl dieses Dramas.

Sie war es in dem Grade, das die Hauptperson des Stückes in der Partitur beinahe auf Nichts sich beschränkt sah, Figaro ist Philosoph und Schöngeist, wie man sie vor der Revolution fand; zwei fatale Umstände, welchen alles Talent des Musikers nicht abhelfen konnte. Was sollte man aus einem Individuum machen, das in seinen schlimmsten Augenblicken als überlegener Mensch dem Geschicke entgegentritt, das sich selbst persiflirt, wenn es sich nicht über Andere lustig machen kann. Mozart läßt Figaro tanzen; er gibt ihm fast Rossini'sche Melodieen im 3/4 Tacte, aber ohne Charakter und ohne Reiz. Unser Mann tanzt immer, selbst während man ihm den Tact auf die Schultern klopft. Das ist etwas in der Welt, aber sehr wenig in der Oper. Die kriegerische Arie entsprach glücklicherweise der entlehnten Nationalität und der eiteln Philosophie des französisirten Spaniers und brachte ein Meisterwerk an die Stelle der obligaten Flachheiten, welche, in Ermanglung von etwas Besserem, die antimusikalische Natur der Person versinnlichen. Man begreift die allgemeine Gunst, welcher sich diese Arie so lange zu erfreuen hatte. Sie vereinigte Alles in sich, was Kenner entzückt und Alles, was nöthig wäre, um den musikalischen Sinn selbst der Abgestumpftesten zu erwecken, einen angenehmen und leichten Gesang, eine [189] nachahmende Declamation, die den Text völlig natürlich wiedergibt, eine Instrumentation voll Wohlklang, Leben und Bildern, mit einem Rhythmus, um hunderttausend Mann in gleichen Tritte zu erhalten und einem Ausdruck, um den letzten der Troßknechte zu elektrisiren. Mozart besaß den Geist und das Talent, das Bild des militärischen Lebens unter einem doppelten Gesichtspuncte darzustellen. Zuerst faßte er es von der komischen und satyrischen Seite auf, wie der Standpunkt der Komödie es erheischte. Man hört die Stimme des instruirenden Officiers: Collo dritto! Muso franco! Man sieht den Recruten vor sich, unbeweglich, kerzengerade, mit gespitztem Ohre. Die Accorde des Orchesters, welche mit ganz militärischem Aplomb die Pausen ausfüllen, die zwischen den Commandoworten gelassen sind, und welche jedesmal eine neue Tonart herbeiführen oder vorbereiten, zeigen einem die verschiedenen Evolutionen des Automaten. Er marschirt rechts und links; er rückt vor, er zieht sich zurück, er stößt seine Waffe auf den Boden, daß dieser erzittert; hierauf nimmt er wieder die Stellung einer egyptischen Statue an. An der Stelle ed in vece del Fandango, wird die Declamation weniger gebieterisch; eine Erinnerung an den väterlichen Herd stimmt den Rekruten weicher, aber diese Thräne ist bald abgewischt; die Modulation wendet sich plötzlich in der Tonica: una marcia per il fango und der Marsch fängt zugleich an. Während der Gesang in syllabischen Achteln fortfährt, die kleinen Einzelnheiten des Dienstes auszuführen, führt die vollständige Phalanx der Blasinstrumente die edeln Bilder des Ruhmes und Kampfes vorüber. Die kriegerischen Triolen der Trompete rufen den Recruten unwiderstehlich alla vittoria, alla gloria militar. Lebt wohl ihr Blumen und Bänder, lebt wohl ihr lieblichen Tänze, ihr Freude der Liebe lebt wohl! Der Recrut hat [190] den Ruf zum Ruhme gehört, der Recrut hat Alles vergessen. Das ist entschieden der Eindruck, welchen Du bei uns erwecken wolltest,maestro caro! Aus der Prosa hast Du Poesie ge macht; die Ironie wurde durch Dich zur Begeisterung! Ach wie viele Andere machen es gerade umgekehrt! In unserer Bewunderung für Mozart dürfen wir aber den Dichter nicht vergessen, welcher je bewunderungswürdig den Text dieser bewundernswerthen Arie reimte. Zum Beispiel:


Per montagne, per valloni,

Colla neve ed i solliono,

Ad concerta di tromboni,

Di bombardi, di canoni

Che le palle in tutti i tuoni

All' orrechio fan fishiar.


Verse dieser Art sind an und für sich Musik. Die Arbeit des Componisten ist halb gethan.

Almaviva ist nicht Franzose geblieben wie Figaro, nachdem er durch die Hand Mozart's gegangen war. Man erkennt ihn als einen echten und gerechten Spanier in der grandiosen Arie (Nr. 17.): Vedrò mentr'io sospiro, in welche sich mit so vieler Majestät die Schwächen eines verliebten, Rache erfüllten und eifersüchtigen Herzens hüllen. Das Stück gehört nicht zu denen, welche hinreißen, es greift in Nichts in den tragischen Styl ein, aber trotzdem rührt es tief. Es spricht abwechselnd eine Entrüstung aus, welche hervorbricht, und eine im Innern verschlossene Wuth, welche dumpf murrt; es ist ein Schmerz im Kampfe mit dem Stolze; eine weiche Stimmung, welcher man nicht erlaubt, sich durch Thränen Luft zu machen; es ist die Liebe (nicht die platonische) mit ihren herbsten Brandwunden und ihren ätzendsten Giften. Aber es bleibt Almaviva noch die Hoffnung; [191] seine Stimme donnert den Schlußsatz heraus; sie beschwört mit der ganzen Energie einer südlichen Leidenschaft den Augenblick herauf, in welchem er das zweifache Bedürfniß der Liebe und Rache befriedigen kann. Wir sagten es bereits, man kann nicht mehr Spanier sein als Almaviva, aber auch nicht wahrer, tiefer und dramatischer als Mozart.

Es ist bemerkt worden, daß die Gräfin und Susanne gleiche Ansprüche auf den Rang der Primadonna, oder um mich richtig auszudrücken, gleich unvollständige Rechte zu haben scheinen. Mozart schloß sehr richtig, daß bei zwei Frauenrollen, die sich an Interesse und dramatischer Wichtigkeit so gleich stehen, keine die andere fortwährend in der Gesangspartie überwiegen dürfe; daß man die Primadonna theilen müsse zwischen der Gebieterin und der Zofe; daß die geliebte, vorgezogene Susanne überall da vorherrschen müsse, wo die beiden Damen zusammen zu thun hatten, das heißt in den Scenen der Handlung und in den Ensemblenumern, wogegen die liebende Rosine in den Gefühlsnumern sich zu entschädigen habe. Ihr gehörten die großen Arien, die edlen Cantilenen. Das hieß mit viel Geist gegen die zahllosen Hindernisse eines Sujets kämpfen, dessen Geist sein Hauptfehler war.

Die Gräfin hat im zweiten Acte eine Cavatine, im dritten eine ausdrucksvolle Arie, und eine Prunk-Arie im vierten, welche auf Verlangen der Signora Storace eingelegt wurde. Diese letztere ist zu viel. Die Cavatine (Nr. 10.) Porgi amor; Es-dur, Larghetto, haucht einen köstlichen Duft von Zärtlichkeit und Melancholie aus. Man bedauert, daß diese entzückende Numer nicht mehr als vierzehn Tacte zählt, das Ritornell mit inbegriffen.

Dove sono i bei momenti (Nr. 19.) ist eine Arie im großen Styl und vom edelsten Ausdrucke. Die Poesie der [192] süßen Rückerinnerung an die Flitterwochen, nachdem sie lange den bittern Kelch des Ehestandes gekostet, belebt für einen Augenblick Rosinen's welkes Herz. Sie singt diese Erinnerungen in einer Tonart, eben so schimmernd als die Sonne an jenem Tage, an welchem ihr Lindoro, so rein und lieblich als der Gedanke an die Liebe in einem jungfräulichen Herzen, sein Wort verpfändet hatte. Ach! wenn dieser Mai des Lebens wiederkehren könnte, welcher nie zum zweiten Male erscheint; Ah se almen la mia constanza etc. Rosine gibt sich den schmeichlerischen Täuschungen ihres Geschlechtes hin; das Andante verändert sich in ein Allegro, und die wieder erwachende Hoffnung gibt ihr eines jener anbetungswürdigen Themas ein, denen Niemand widerstehen kann, außer die Ehemänner. Die anmuthigsten Gänge, in Sexten und Seiten von dem Hoboe und dem Fagotte geblasen, antworten auf die Wünsche der Gattin oder richten ermunternde Zurufe an sie; und wenn irgend ein ängstlicher Zweifel durch die Modulation zu laufen scheint, welcher in dem hohen A der Vocalstimme sich kundgibt, und in chromatischer Stufenreihe auf das G herabsteigt, so verwischt sich der traurige Gedanke sogleich wieder in der Freude des Sieges, den der Schlußsatz ankündigt. Dieser Sieg, arme Rosine, wird aber nie ein anderer als der der Kunst sein, welche dich so edel und schön und so würdig eines bessern Looses schuf.

Von den beiden Arien Susannen's, von welcher die eine declamatorisch gehalten und mit der Handlung verbunden, die andere melodisch und ein Ruhepunct ist, ziehen wir die erste bei weitem vor: Venite inginochiatevi. (Nr. 12.) Die Zofe ist mit der Toilette des Pagen beschäftigt, den man ankleidet, während die Gebieterin zu ihrer Unterhaltung zusieht und die [193] eben so interessante als malerische Gruppe betrachtet. Wenn man Nadeln zu stecken und einen Kopfputz aufzupassen hat, so fällt das Singen bei einer so ernsten Beschäftigung etwas schwer, deßhalb singt auch das Orchester für Susanne. Es war hier nicht der Ort für eine Vocalmelodie. Wie viele reizende Einzelnheiten, anmuthige Motive, geistreiche Worte und neckende Gefallsucht finden sich in diesem Dialoge der Violinen mit den Flöten und Consorten!

Der Page ist der einzige Charakter Beaumarchais', den aus Versehen ein Hauch von Poesie gestreift zu haben scheint. Man brauchte nur den über der Rolle liegenden sarkastischen Firniß wegzunehmen, der das ganze Stück deckt, und die Tonleiter der Ironie in die des Gefühles zu verwandeln (eine Umwandlung, die bei Cherubino leicht anging) und es verblieb ein rein musikalischer und im höchsten Grade lyrischer Typus. Es ist dieser nichts mehr und nichts weniger als Don Juan in der aufbrechenden Knospe, ja Don Juan selbst, den wir in diesem Dissoluto punito kommen sehen werden, zum unvermeidlichen Schlusse seiner Debuts in der Nozze di Figaro, mit einer Liste von 2065 Eroberungen in der Hand, das Cartel des Todes in Person annehmend, nachdem er ihn zum Nachtessen geladen, wie wenn der Tod ein schönes Weib wäre. Die Identität dieser beiden Personen scheint uns so klar zu sein, wie der Tag. Mit vierzehn Jahren, und mehr hat Cherubino sicher nicht, fängt er an, diese Macht der Bezauberung auszuüben, welcher in der Folge Niemand widerstehen soll. Bereits gefällt er allen Frauen und alle Frauen gefallen auch ihm, bis einschließlich der alten Marzelline. Sagt nicht Susanne in der eben erwähnten Arie von ihm: Se l'amano le femine, han certo il lor perché. Und spricht sich nicht die andere Seite Don Juan's eben so deutlich [194] in Cherubino aus? Mag sein Herr, der allergnädigste und sehr mächtige Graf Almaviva ihn fortjagen, tödten oder schlagen wollen, der Page spottet des Eifersüchtigen, sticht ihn überall aus, trotzt ihm kühn, und setzt überall den ächten Giovanni dem schlechten Abklatsch von sich selbst entgegen. Der Graf mag sich vorsehen, dem Pagen in den Weg zu kommen, wenn er wirklich einmal den großen Schnurrbart trägt, den ihm Figaro prophezeite. Er wird ihm den Hals brechen und ihm einen Erben geben, um das Unheil, so weit es möglich war, wieder gut zu machen. Selbst Beaumarchais hat theilweise vorausgesehen, was geschehen dürfte. Es ist also im Keime ganz da, jenes wunderbare Wesen, welches sich in einer nächsten Oper unter dem neuen Namen von Don Giovanni entfalten wird.

Ich will es der Beurtheilung des Lesers überlassen, ob Mozart darin glücklich war, diesen Haufen des reinsten Goldes unter dieser Beimischung und all' dem Flittergolde von Beaumarchais zu finden18, daß er Cherubino con amore behandelte, daß er eine gewisse Vorliebe des Vaters und Musikers für das liebenswürdige Kind hatte, dem jetzt schon alle weiblichen Herzen des Stückes gehörten. Man höre nur die Arie Nr. 6: Non so più cosa son, cosa faccio. Man höre diese Sätze des klopfenden Herzens, welche der Gesang des Basses gleichsam wie in einer wollüstigen Umarmung umflicht, diesen siebenten Rhythmus, diese unsichere und stets bewegte Instrumentation, das ganze erotische Delirium, welches noch zögernd in der Frau selbst die Frau zu suchen, sie von den Bäumen, den Bergen, den Quellen, von der ganzen Natur verlangt. Die ganze Natur trägt [195] in den Augen des Pagen den Unterrock. Einige Tacte Adagio, eine Art von Unmacht, unterbrechen einen Augenblick lang gegen das Ende dasAllegro agitato. Dieß bedarf keines Commentars. Der Page befindet sich mit Susannen allein.

In voi che sapete (Nr. 11.) drückt sich derselbe Gedanke, denn Cherubino hat nur einen, auf eine ganz andere Art aus. Hier befindet er sich der Gräfin gegenüber, der Frau, welche er allerdings am meisten liebt, die aber auch die Einzige ist, welche ihm imponirt. Vergessen wir jedoch seine vierzehn Jahre nicht, und daß er im Sopranschlüssel singt. Bei Rosinen schüchtern, weil seine Liste noch weiß ist von A bis Z, spricht er seine Wünsche in einer Romanze aus, und das Andante con moto war das einzige Tempo, welches zu dieser verschleierten, übrigens sonst ziemlich klaren Bitte paßte. O Du freundlicher Leser, der Du weißt, was die Liebe im vierzehnten Jahre heißen will, wem das Dasein noch ein reizendes Räthsel zu sein scheint, dessen Lösung der schmelzende Blick einer Frau bald zu lösen verspricht, wenn die Erwartung eines noch unbekannten himmlischen Glückes Herz und Phantasie in unbeschreiblicher Wonne bewegt, wenn Du alles dieß kennst, so wirst Du die Romanze des Pagen begriffen haben die durchaus keine Romanze ist. Sie führt Dich von Neuem an die Thore des Paradieses, das leider in dem Augenblicke verloren geht, in welchem man es betritt. Das ist der Irrthum, welchen die Unbeständigkeit begeht. Man wechselt oft, man wechselt immer wieder, weil man immer wieder glaubt, an das unrechte Thor gekommen zu sein. Das Lied, oder vielmehr die Cavatine, welche uns zu dieser moralischen Betrachtung Veranlassung gegeben hat, ist eines von den Dingen, welche gefühlt und nicht analysirt werden müssen. Amor selbst hat diese Melodie dem Componisten eingegeben; er selbst hat in jene Röhren geblasen, aus welchen [196] die ersten Seufzer des Jünglings entweichen, er ist es, welcher in der Mitte der Arie die Modulation so geordnet hat, daß jeder Tact auf eine neue Tonart fällt, und daß jede neue Tonart eine Steigerung der innern Bewegung und des Entzückens hervorbringt, Amor endlich ist es, welcher Alles angeordnet hat, von dem Pizzicato des Quartetts und den Figuren der Blasinstrumente an, bis zu dem üppigen Schmachten und der unwiderstehlichen Verführung des Vocalgesanges! Ein göttliches Stück, aber auch welche Lage! Man sehe die kleine Schlange, welche vorerst weder Gift noch Bösartigkeit hat, sich wollüstig in den Strahlen der Schönheit ringeln! Sie zeigt ihre gefleckte Haut und ihren goldenen Rücken den Töchtern Eva's, die sie verwundert betrachten. Sie ihrerseits wirft ihr lüstern glühendes Auge auf ihre künftige Beute. Die aufrichtige Schlange fragt sich, wie sie es anstellen müsse, um dieselbe eines Tages fassen zu können. Diese köstliche Rolle hätte beinahe das Libretto gerechtfertigt, wenn es möglich gewesen wäre, ihr mehr Raum in der Partitur zu gewähren. Unglücklicherweise hat aber Cherubino nur diese zwei Arien und ein kleines, durch die Situation bedingtes Duett (Nr. 14.), in welchem sich der Charakter verwischen muß.

Um der Hochzeit des Figaro den höchsten musikalischen Werth zu verleihen, den man einem Werke dieser Art geben konnte, zeigte sich Mozart, selbst bis auf die unbedeutendste Gesangapartie herab, freigebig, und zwar mehr als in irgend einer andern seiner Opern, Don Giovanni stets und wie ganz natürlich ausgenommen. Die Arien des Bartolo und Basilio, die man gewöhnlich bei der Aufführung wegläßt, sind nichts desto weniger zwei Stücke von geistreicher und tiefer Komik, welche den Geist ergötzt, ohne daß sie aber das Zwerchfell erschüttern. Sie konnten dieß auch nicht. Die eine (Nr. 4.), die Bartolo's, [197] welche nur Gedanken an Rache und ein Sinnen auf neue Schliche enthält, ist ein Meisterwerk. La vendetta, oh la vendetta! ruft der Ex-Vormund Rosinens aus, und seine Exclamation, welche das ganze Orchester, mit Pauken und Trompeten verstärkt, unterstützt, erscheint wie ein Signal zu einem Kampfe auf Leben und Tod. Aber nach diesem heroischen Debut kommt schleppend eine sonderbare Orchesterfigur, die falsch in den Rhythmus eingreift, und welche der Baß, motu contrario, auf die Entfernung einer punctirten halben Note nachahmt oder nachäfft. Was soll dieser hinkende Gang bedeuten? Er spielt auf den Kampfplatz und die Wahl der Waffen an. Einige Tacte weiter unten erklärt uns Bartolo selbst seinen Angriffsplan in geschwätzigen Triolen, und man glaubt eine Consultation mit einem Advocaten zu hören:


Se tutto il codice dovesso volgere,

Se tutto l'indice dovesse leggere,

Con un equivoco, con un sinonimo

Qualche garbiglio si troverà.


An einer andern Stelle macht diese Geschwätzigkeit einer überlegenden Sprache Platz, Sätzen, deren logischer und musikalischer Sin unausgeführt bleibt. Con astuzia... con arguzia, con giudizio, col criterio... si potrebbe; und das Orchester führt uns durch diese finsteren Entwürfe von Schlichen, welche ein fixer Gedanke, die Rache, beherrscht, während der Ton von der Violine und dem Horne ausgehalten wird. Es unterliegt keinem Zweifel, daß mit diesen Mitteln il birbo Figaro vinto sarà (der Schelm von Figaro besiegt werden wird).

Die Arie des Basilio (Nr. 26.), In quell' anni, ist ein Muster von Feigheit und Niederträchtigkeit. Der geheime Rath des Grafen Almaviva erklärt darin Bartolo sein System [198] praktischer Philosophie, in B-dur und in Form einer Lehrfabel. Nach seiner Ansicht besteht das wahre Lebensregime darin, sich vom Kopfe bis zu den Füßen wohl in eine Eselshaut zu wickeln. Von dieser Ägide beschirmt, trotzt er dem Sturme; der Blitz vermeidet das Lächerliche, auf einen Esel zu fallen. Ein wildes Thier, dessen Tatzen Basilio bereits verspürt, irgend ein kurzsichtiger Bär wahrscheinlich, entfernt sich wieder, getäuscht von seiner Maske, und weil er eine so schlechte Beute verachtete. Es versteht sich von selbst, daß wir sowohl die Donnerschläge des Gewitters, als das Brüllen des Thieres vernehmen. Lafontaine hätte uns alles dieß nicht angenehmer und malerischerer zählt. Endlich kommt die Moral der Fabel. Die Moral ist die: Col cujo d'asino fuggir si può. Man würde nie errathen, welchen Charakter Mozart diesem Wahlspruche der Feiglinge und Niederträchtigen gegeben hat. Er hat eine ganz militärische und triumphirende Musik dazu gemacht, welche die Violinen, Flöten und Hörner in verschiedenen Octaven verstärken, daß nichts daran fehle. Ist dieß nicht ein herrlicher musikalischer Scherz, ein wahrhafter Sarkasmus in Tönen, ein Witz ohne Worte, und noch mehr als alles dieß, eine gründliche Charakterzeichnung, Basilio ist ein Feigling aus System, nicht vermöge seines Temperaments, was eine Art von philosophischem Muthe ist. Er trägt sein Gewand der Schmach, die Eselshaut mit eben so vielem Stolze, als ein commandirender General seine Epauletts, oder mit dem, womit die Philosophen aus einer andern Schule sich mit dem Mantel des Zeno bedecken. Die Arien mit mehreren Tempo's sind in den Opern Mozart's sehr selten. Diese aber wurde in drei Theile getheilt: Andante, Tempo di Manuetto und Allegro assai, weil sie zugleich erzählend, beschreibend und didaktisch ist.

[199] Kommen wir nun an Barbarina und ihr unbedeutendes Liedchen aus F-moll (Nr. 24.), das übrigens sehr niedlich ist, und ganz zu dem Übergangsalter des kleinen Mädchens paßt welches bereits das Weh junger Personen fühlt, und nach dem in solchem Falle üblichen Heilmittel trachtet. Barbarina ist das weibliche Seitenstück zu Cherubino, mit dem Unterschiede jedoch, daß sie nur ein Pröbchen ihrer Gattung ist, während der Page der Typus der seinigen ist.

Zählen wir zusammen, so finden sich sieben Duette in den Nozze, und, sei es aus Absicht oder Zufall geschehen, so trifft es sich sonderbarer Weise, daß Susanne bei allen sieben mitwirkt. Crudel! Perche finora (Nr. 16.) ist das, welches man allgemein am meisten liebt. Es ist das einzige, in welchem sich Leidenschaft ausspricht, aber diese nur auf einer Seite. Sie zeigt sich schon in den ersten Sätzen Almaviva's, welche die Numer in A-moll eröffnen. Die Antwort Susannen's: Signor, la donna ognora tempo ha di dir si, scheint offenbar auf den wechselbeziehlichen Dur-Ton sich zu begründen; man bemerke aber, welche unsichere, doppelsinnige, künstliche Harmonie die beiden ersten Tacte dieses an und für sich sehr natürlichen Gesanges begleitet. Almaviva ist bewegt; bei Susannen ist dieß durchaus nicht der Fall; der Eine ist getäuscht, die Andere täuscht, und dieser Gegensatz macht sich von Anfang bis zu Ende des Duetts fühlbar. Verrai? non mancherai? ein aus gepreßter Brust kommender Satz, dessen Betonung auf ein vorübergehendes B fällt, welches Venus selbst, oder einer ihrer Söhne, gleichviel welcher, vor das A gesetzt zu haben scheint, wo es sich auflöst. Endlich schwindet der Zweifel; sie wird kommen; sie verspricht es; sie wiederholt es; das Dur der Tonica folgt auf das Moll, und die Vorzeichnung der drei Kreuze gießt einen Flammenstrom [200] in die Melodie des Grafen: Mi sento di contento pieno di gioja il cor. Und Susanne? Susanne ist kälter, spöttischer, als je. Scuzate mi se mento, sagt sie bei Seite für sich. Die Musik sagt es uns von Anfang an, sie, die sich nie zur Mitschuldigen der Lügen im Texte machen darf.

Dieses Duett, ein Meisterwerk von Gefühl und Anmuth, ist vielleicht nicht ohne einige Beziehung zu dem Andante des Là ci darem; doch hat es nicht diesen Reiz. Giovanni und Zerlina bewegt das gleiche Gefühl; sie sind Beide aufrichtig. Giovanni in seinen Begierden, Zerlina in der unwiderstehlichen Neigung, die sie zu ihrem Verführer hinzieht. Man könnte auch hier die Hauptmelodie nicht theilen, welche in den Nozze allein Almaviva zukommt; und es ist diese dramatische Nothwendigkeit schon an und für sich ein ungünstiger Umstand für ein Duett zwischen Sopran und Baß, die tiefe Stimme die hohe beherrschen lassen zu müssen. Là ci darem dagegen ist nicht allein die Melodie getheilt, sondern die schönsten und eindringlichsten Sätze kommen mit Recht Zerlinen zu. Wir meinen damit die Sätze, welche den Widerstand und den Kampf mit dem hinneigenden Herzen ausdrücken sollen. Dieser Art ist der Unterschied zwischen den beiden Duetten, und auf diese Art beurtheilte Mozart seine Musik.

Wir citiren das Duett zwischen Susannen und Marzelline (Nr. 5.) nur, um das Fehlen jenes Gegensatzes der Charaktere bemerklich zu machen, welche sich in diesem, wie in dem andern hätten finden sollen. Die junge, hübsche Soubrette, welche mehr persiflirt, als sich erzürnt, und die alte Duenna, die vor Gift und Galle ganz außer sich ist, hätten sich nicht in dieselbe Melodie theilen sollen. Es ist zu bedauern, daß zu Mozart's Zeiten die Stimme des Contr'alts unter den italienischen [201] Sängerinnen nicht ausgebildeter war19. Fünf Damen, den Pagen eingeschlossen, sind in der Oper beschäftigt und alle singen im Sopran. Der Componist verlor dadurch ein sehr kostbares Mittel, mehr Manchfaltigteit und einen größern Contrast zu entwickeln.

Seit Idomeneo hatte Mozart keinen Seinesgleichen mehr in der auf den dramatischen Gesang angewandten Instrumentalkunst. Seit Figaro sehen wir ihn auch den ersten Rang unter den Componisten der reinen Instrumentalmusik einnehmen. Welcher Meister aus dem letzten Jahrhundert, Haydn selbst nicht ausgenommen, hätte die Ouverture zu unserer Oper geschrieben; ja, welcher hätte nur den Fandango (Nr. 22.) am Schlüsse des dritten Actes componirt? Wir wissen nicht, ob die köstliche Melodie dieses Tanzes von Mozart ist, oder ob er sie spanischen Nationalliedern entlehnte. Die Art aber, wie er sie arrangirt hat, ist ganz Mozartisch. Der Gesang, welcher der Violine anvertraut ist, und da und dort durch das Fagott und die Flöte verstärkt wird, hat eine Art von Gegen-Subject zur Begleitung, das aus der Arie selbst gezogen ist und immer in vereinzelten Tönen von gleichem Werthe, aber in mehrfacher Anlage einherschreitet, wodurch zu gleicher Zeit gleichlaufende, laterale und contraire Gänge hervorgebracht werden. Daraus entsteht eine Progression in Sexten-Accorden, die den bezauberndsten Effect hervorbringen20. Diesem gelehrten Gange füge an noch eine einfache und gleichsam primitive Modulation hinzu. Von A-moll [202] gehen wir in den Moll-Ton der Quinte, von da in C-dur über und schließen mit der Tonica, die wir angefangen haben. Noch nie hat die Wissenschaft eine so populäre Form angenommen; noch nie hat sie sich einer frischeren und natürlicheren Nationalmelodie bemächtigt, nicht um sie zu verderben, sondern um sie zum Range eines Meisterwerkes zu erheben, und um sie ewig dem Gedächtnisse der Liebhaber einzuprägen.

Die Ouverture zu Figaro zeigt sich als die erste dem Datum und als die dritte der Schönheit nach unter den ruhmvollen dramatischen Werken, von denen ein einziges seinen Schöpfer unsterblich gemacht hätte, Musterwerke, welche in ihrer Art weder je übertroffen wurden, noch ihres Gleichen fanden, Werke, welchen selbst die Nachahmung nicht im Ernste sich gleichzustellen vermocht hat. Obgleich wir den Ouverturen zu Idomeneo und zur Entführung Gerechtigkeit widerfahren ließen, die sich bereits durch ein strictes Festhalten an den thematischen Gedanken und durch die Wahl eben dieser Gedanken empfehlen, so haben wir doch anerkannt, daß der Componist, damals noch, nur in der Modulation das Grundgesetz der Manchfaltigkeit suchte, ohne welches die musikalische Einheit in endlose Wiederholungen und in Monotonie ausarten würde. Eine spätere Erfahrung, die Haydn gewidmeten Quartetts, belehrte Mozart, daß die contrapunctische Combination der Ideen, so wie sie in der Fuge stattfindet, durchaus nicht unverträglich sei mit den allgemeinen Formen und denn Ausdrucke des melodischen Styls; und nachdem er einmal eine so schöne Anwendung von diesem anderen Mittel der Manchfaltigkeit in der Kammermusik gemacht hatte, so verhinderte ihn auch nichts mehr, dieses bei der großen Orchestermusik anzuwenden, und so wandte er es in der That auch in der Ouverture zu Figaro an.

[203] Nachdem die Oper fertig war, mußte sie gleichsam eine Ersparniß warmer Inspirationen in ihm zurücklassen, welche sehr gegen seinen Willen auf Kosten seiner Arbeit erübrigt worden waren. Dafür, wird man sagen, wurde all' dieser Überfluß an Begeisterung zum Besten der Ouverture verwendet. Woher mag Mozart ein Thema wie dieses genommen haben? Vielleicht hat es ihm irgend ein Morgenlüftchen durch das offene Fenster auf das Papier hereingeblasen? Sobald Mozart dieses glückliche Motiv auf seinem Tische gefunden, sprach er zu ihm: geh', laufe, unterhalte dich, thue, was dir beliebt, ich mische mich in nichts; und alsbald antworten die Oboen und Flöten mit freundschaftlicher Aufrichtigkeit auf den fröhlichen Zuruf der Quartetts, das Orchester erwacht voll Geist und Feuer, und Alles fließt gleich einer Quelle, Alles vereinigt sich in einen Strahl, Alles ordnet sich nach der ersten Intention, Alles geht von selbst. Seine Musik, in ihrem ganzen Reichthume und ihrer Unabhängigkeit, von Programm keine Spur, und doch mitten unter diesen Combinationen, welche man für unwillkürlich und unvorgesehen halten möchte, so natürlich und gelehrt sind sie, mitten unter diesen Spielen, die eben so sehr als Nothwendigkeit wie als Laune erscheinen, entdeckt die Einbildungskraft mit leichter Mühe den Rapport des Werkes mit einem Intriguenstücke, wie Figaro eines ist. List gegen List, Ausflüchte gegen Ausflüchte, Veränderung im Angriffsplane, Alternative, die von dem Erfolge oder dem Mißlingen im Gleichgewichte erhalten werden, endlicher Sieg der guten Sache; wir meinen damit die eheliche Angelegenheit, mit einem Worte, das ganze Stück findet sich in den contrapunctischen Scharmützel der Violinen und des Basses, und in den gewinnenden Melodieen, welche folgen. Doch still! der Schlußsatz beginnt, die Violinen, die in gedrängten Achteln zum allgemeinen Stelldichein des Orchesters[204] einen, reißen die Blasinstrumente, wie sie sie unterwegs treffen, mit sich fort; die Menge vergrößert sich auf jedem Schritte; sie nimmt immer mehr zu, man hört stärker und stärker toben: crescendo, cerscendo, cerscendo, dann folgt ein donnernder Jubel, dann hört man Tonfälle, die Schlag auf Schlag von allen Stimmen des Orchesters ausgehen, die übereinander herfallen, voll Eifer, sich in dem hastigen Fluge zu erreichen, sich streitend, wer am höchsten herabfallen und die lauttönendste Explosion verursachen wird. Welch' ein crescendo voll Begeisterung und Genie in dieser Composition! welcher Geist! welches Feuer! welche Pracht! welche Kühnheit! welche Anmuth! welche unglaubliche Vollkommenheit der Arbeit! Eine stets frische Schönheit! ein stets neuer Genuß! Es ist zu wenig gesagt, daß Meisterwerke dieser Art nie veralten, nein, sie haben die Eigenschaft, daß sie alte Musikfreunde, die selbst für das Neue abgestumpft sind, verjüngen, während sie ihnen doch nichts bieten, als was Jedermann seit sieben Jahrzehnten kennt. Ein zweifacher Sieg über die Zeit.

Unsere Bemerkungen über die Nozze di Figaro lassen sich in wenige Linien zusammenfassen. Dieses dramatische Werk, eines der vollkommensten Mozart's, und selbst nach Don Juan das vollkommenste, macht dessen ungeachtet einen geringeren Eindruck auf das Theaterpublicum, als die anderen Werke, und zwar aus dem sehr natürlichen Grunde, weil Figaro eine musikalische Komödie ist, welche sich nicht in eine wahre Buffo-Oper umformen lassen konnte, wie der Barbier von Sevilla zum Beispiel. Mag man auch Kenner sein, mögen Geist und Geschmack befriedigt, und mag das Ohr beständig entzückt werden; das aber, was man vor Allem von der dramatischen Musik verlangt, sind lebhafte Gefühlserregungen, das Herz muß bewegt, die Begeisterung erweckt werden, oder es muß sich jene Heiterkeit einstellen, welche die Stelle [205] der Leidenschaft vertritt. Aber in dem Libretto lag nichts von all' dem, und Mozart wollte die glänzenden Fehler vermeiden, die er so leicht hätte begehen können, und welche noch leichter zu verzeihen sind. Wäre das Werk weniger wahr, dagegen leidenschaftlicher ausgefallen, so hätte es das an Beifall gewonnen, was es an Achtung und wahrer Bewunderung der Kenner verloren hätte. Wir wollen aber nichts verbergen. Ist es menschenmöglich, im Laufe eines großen Werkes sich immer jedes Überdrusses zu erwehren, wenn der Genius überall den Zügel und fast nirgends eine Anspornung fühlt; bei dem die Anwendung der bewunderungswürdigsten Hilfsquellen der Musik nur gemischte Eindrücke hervorrufen und Resultate zu Stande bringen mußten, welche durch die unverbesserliche Kälte des Stückes, die Ausnahmen abgerechnet, welche wir angedeutet haben, erkalten mußten. Daß mitten unter dieser scenischen Aufregung, die so leer an Leidenschaft und für den Musiker nichts als eine Art von flacher Ruhe war, sein Feuer auf Momente nachließ, da die Leichtigkeit, mit der er arbeitete, an die Stelle der entmuthigten Inspiration trat, und sich bei einigen Stücken in oberflächlichen Gedanken, in Melodien ohne Farbe kundgab, das muß die Kritik zugeben; aber hätte sie den Muth oder selbst das Recht, Mozart einige schwache Noten zum Vorwurf zu machen, diese vereinzelten Flecken einer colossalen und von Schönheiten strahlenden Partitur hervorzuheben!

Wenn Figaro als musikalische Komödie auf die Sinne nicht denselben Effect hervorbringt, als wie die lyrischen Meisterwerke, welche wahre Opern sind, so ist er dagegen eines der Werke, welche um so mehr gewinnen, wenn sie gelesen und studirt werden. Die Partitur schließt eine Menge mit Gründen belegter Einzelnheiten, feiner und genialer Züge, zarter und schillernder [206] Nuancen in sich; und all' diese kostbare Vollendung verschwindet leicht in der Persvective des Theaters; gar Vieles entgeht dem Ohre und dem Geiste, wenn man zugleich Hörer und Zuschauer ist. Dem geübten Auge aber entgeht nichts. Das Hören ist ohne Zweifel weit angenehmer, als das Lesen; ja, aber das Lesen, nachdem man gehört hat, ist das Sicherste für Jeden, der es nützlich oder für angemessen findet, das Publicum in seine musikalischen Ansichten einzuweihen. Sehr gut; aber die, welche nicht lesen können? Für die halten wir es für das größte Unglück, wenn sie bei'm Anhören von Musik sich erinnern, daß sie schreiben können21.

Quelle:
Alexander Ulibischeff: Mozart's Leben und Werke. Stuttgart 2[1859], S. 165-207.
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