Neuntes Kapitel.

München und Salzburg.

1774– 1777.

[243] Von Ende September 1773 bis Anfang December 1774 lebte Wolfgang Mozart in Salzburg, und obgleich uns wenig über diese Zeit bekannt geworden ist, so ist es doch unzweifelhaft, daß er diese Mußezeit zu seinen Fortschritten in der Composition benützte. Denn wir finden im Winter 1774 unser reisendes Paar auf dem Wege nach München, beladen mit einem ganzen Packe neuer Werke, die zum Theil schon ganz vollendet, zum Theil erst angefangen waren, und unter welchen sich die Musik zu einer komischen Oper, da er von dem musikliebenden Churfürsten Maximilian III. den Auftrag dazu für den Carneval 1775 erhalten hatte, befand. Der Operntext hatte den Titel:La finta Giardiniera (die verstellte Gärtnerin), und war in diesem Jahre von Anfossi componirt worden. Der außerordentliche Beifall, den diese Oper in Rom erhielt, mußte Wolfgang zum größten Wetteifer anspornen, wir finden daher auch, daß er diese Oper viel reicher instrumentirte, daß er auf die Gesangsparthieen viel mehr Sorgfalt verwandte, daß er überhaupt viel selbstständiger darin aufzutreten versuchte, und die Folge davon war, daß er einen bedeutenden Schritt vorwärts machte, und dem Idomeneo immer näher rückte, den er ja auch für München zu componiren hatte, ein Auftrag, den er dem großen Erfolge der finta Giardiniera verdanken durfte.

[244] Die Aufführung sollte am 29. December stattfinden, wurde aber bis zum 13. Januar 1775 verschoben, damit die Oper um so besser einstudirt werden möchte, zumal, da sie im Satze viel schwieriger war, als die Opern der damaligen Zeit. Die Aufführung fand den glänzendsten Erfolg. Wir werden aus der beigegebenen Correspondenz ersehen, wie der Hof und das Publikum dem jungen Componisten zujubelten.

Zwei Zeugen aus Salzburg mochten mit sehr verschiedenen Empfindungen diesen Beifall angehört haben. Diese waren Wolfgangs Schwester, Marianne, die es nach München trieb, um ihres Bruders Oper zu hören, und der Erzbischof von Salzburg, der gerade auf Besuch beim Churfürsten war. Wie wird die erstere mitgejubelt haben bei den Ehrenbezeugungen, die ihrem Bruder widerfuhren, wie wird der letztere sich heimlich geärgert haben! Denn daß er die Complimente, die ihm der Hof zum Besitze eines solchen Concertmeisters machte, mit Achselzucken und Kopfschütteln entgegennahm, werden wir aus der Korrespondenz ersehen33.

La finta Giardiniera hat sich nicht auf dem Theater gehalten; sie ist ein längst vergessenes Werk, das selbst Musikliebhaber [245] haber kaum dem Namen nach kennen34. Für Musiker, welche der allmäligen Entwickelung des Mozart'schen Genius folgen wollen, dürfte jedoch das Studium derselben nicht ohne Interesse sein.

Einige Kritiker finden darin das Erwachen der Originalität des Componisten; sie entdecken in ihr die ersten Schlaglichter des strahlenden Gestirnes, das bald darauf im Idomeneo glänzend am dramatischen Himmel leuchten sollte. So viel scheint jedenfalls sicher zu sein, so weit ich zu beurtheilen vermag, und um die widersprechenden Ansichten darüber in Einklang zu bringen, daß La finta Giardiniera den Charakter des Ueberganges und des Unbestimmten trägt, der die Folge des Kampfes zwischen den ganz neuen Ideen, die in dem Kopfe des Componisten gährten, und der Gewohnheit war, die ihn gegen seinen Willen zu seinen früheren Irrthümern zurückführten. Vielleicht gelingt es dem Leser besser als mir, aus Nachstehendem sich ein richtiges Urtheil zu bilden.

»Diese Oper, welche ursprünglich für Kaiser Joseph II. (?) componirt war, reiht sich an die Werke, die unmittelbar der classischen Periode Mozart's vorausgehen. Sie steht weit über Mithridates und Sylla, und man findet darin eine Originalität und eine Regelmäßigkeit, die mehr als eine italienische Oper hinter sich zurücklassen. Mozart's Talent drückt sich darin mehr als in irgend einer seiner früheren Compositionen aus, und der Styl zeichnet sich durch eine ganz eigenthümliche Weichheit und seltene Zartheit aus.« An einer andern Stelle heißt es: »Als Mozart La finta Giardiniera schrieb, hatte er sich irgend eine [246] Hirten-Oper von Piccini oder Guglielmi zum Muster genommen. Es ist eine köstliche Romanze in C dur, mit obligater Flötenbegleitung darin, die in einigen Theilen Deutschlands ganz volksthümlich geworden ist.« Anderswo steht zu lesen: »In der Oper La finta Girdiniera scheint Mozart's musikalische Knospe aufzusprossen, die sich später im Idomeneo als frische Blume entfaltet;« und gleich darauf heißt es: »Im Jahre 1789 ist diese Oper zwar noch unter dem Titel: die verstellte Gärtnerin, zu Frankfurt aufgeführt worden, sie mißfiel aber durchaus. Das Stück ist gewissermaßen abgeschmackt und langweilig, und Mozart's Satz ist fast immer schwer und künstlich, indem er sich über die Fassungskraft gewöhnlicher Dilettanten hinweg zu schwingen scheint, so majestätisch und launig er in einzelnen Stellen, und so voll starker Harmonie auch das Ganze ist. Diese Musik ist mehr für den Kenner, der ihre Feinheiten zu entwickeln versteht, und weniger für den Dilettanten, der sich blos von seinen natürlichen Gefühlen leiten läßt, und bloß nach dem ersten unmittelbaren Eindruck entscheidet.« Das ist Alles, was man in der Sammlung des Herrn v. Nissen über diese Oper findet, und Herr v. Nissen, diese Anerkennung schulden wir ihm, hat zusammengetragen, was zusammenzutragen war. Es handelt sich nun weiter darum, zu erfahren, wie das Theater in München zur ersten Aufführung eines Werkes kam, das für den Kaiser Joseph II. componirt war; wie eine Musik, die sich durch eine ganz besondere Weichheit und ungemeine Zartheit auszeichnete, zugleich so schwerfällig und gelehrt sein konnte, daß sie selbst über die Fassungskraft der Dilettanten ging; in wie fern diese so schwer verständliche Musik an die Opern Piccini's und Guglielmi's erinnern kann, die nur zu leicht zu verstehen sind; aus welchem Grunde endlich der erste Eindruck, den sie auf[247] die Dilettanten in München im Jahre 1775 machte, so ganz verschieden von dem war, den sie auf die Dilettanten in Frankfurt im Jahr 1789 hervorbrachte, dieß Alles muß man Henn v. Nissen fragen. Er würde aber wohl die Antwort schuldig bleiben35.

Außer der finta Girdiniera kamen aber auch noch andere Werte Mozart's in München zur Aufführung; es werden darunter mehrere Messen und eine Litanei erwähnt, die in der churfürstlichen Hofcapelle aufgeführt wurden, auch componirte er eine Motette besonders für dieselben. Ohne Zweifel erregte er auch auch als Clavierspieler großes Interesse. Er hatte ein wahrscheinlich neu componirtes Clavierconcert mitgenommen, und seiner Schwester gab er den Auftrag, ihm von seinen Sonaten und Variationen mitzubringen.

Nach Beendigung des Carnevals kehrte Leopold Mozart mit Wolfgang und Marianne am 7. Mai nach Salzburg zurück. Die nun folgende Correspondenz berichtet die Einzelheiten über den Besuch in München.


Correspondenz.

[248] München, den 9. December 1774.


Wegen der Oper kann ich noch Nichts schreiben. Heute haben wir erst die Personen kennen gelernt, welche Alle mit uns sehr freundschaftlich waren, besonders Graf Seau. – – –

[Leopold Mozart.]


München, den 14. December 1774.


Wegen unserer Tochter, die herkommen möchte, um ihres Bruders Oper zu hören, habe ich noch keinen anständigen Ort gefunden: in diesem Punkte ist hier große Aufmerksamkeit nöthig. Suche mir in meiner Musik die zwei Litaneien de Venerabili und vom hochwürdigen Gute, die im Stundgebete gemacht werden. Eine von mir ex D: die neuere fängt an mit Violin und Baß staccato. Du kennst sie schon: die zweite Violine hat beim Agnus Dei lauter dreifache Noten. Dann des Wolfgangs Litanei, in welcher die Fuge Pignus futurae gloriae. Diese zwei Litaneien werden hier am Neujahrstage im Stundgebete gemacht werden. – – –

[Leopold Mozart.]


[249] München, den 16. December 1774.


Ich habe nun eine Wohnung für die Nannerl bei Frau von Durst. Diese ist 28 Jahre alt, sehr eingezogen und voller Belesenheit und Vernunft; sie leidet keinen Umgang von Schmirbern um sich, und ist sehr höflich und angenehm. Nannerl findet da einen Flügel zu eigenem Gebrauch; auf diesem muß sie fleißig die Sonaten von Paradies und Bach und das Concert von Lucchesi spielen. – –

[Leopold Mozart.]

München, den 21. December 1774.


Nannerl soll auch des Wolfgangs geschriebene Sonaten und Variationen mitbringen. Wolfgangs Concert haben wir mit uns. – – – –

[Leopold Mozart.]


München, den 28. December 1774.


Von Wolfgangs Oper ist die erste Probe gewesen. Sie hat so sehr gefallen, daß sie auf den 5. Januar verschoben wird, damit die Sänger sie besser lernen, und, wenn sie die Musik recht im Kopfe haben, sicherer agiren können, auf daß die Oper nicht verdorben werde. Die bestimmt gewesene Aufführung am morgenden Tage wäre übereilt gewesen. Da die Composition erstaunlich gefällt, so kömmt es nur auf die Produktion im Theater an, die, wie ich hoffe, gut gehen soll, weil die Schauspieler uns nicht abgeneigt [250] sind. Daß die Herren Hofleute mit Euch höflich sind, glaube ich gerne: das ist ihre Politik, und sie argwöhnen allerhand Sachen. Die Nannerl muß mir einen Creditbrief mitbringen, denn wenn man gleich ein Negal erhält, so wird es oft verschoben, daß man es nicht abwarten kann, ja manchmal erst nachgeschickt; und ich will mich auf Nichts verlassen, denn hier ist Alles langsam und oft verwirrt. – – –

[Leopold Mozart.]


Nachschrift von Wolfgang A.M.


Meine liebste Schwester! Ich bitte Dich, vergiß nicht vor Deiner Abreise, Dein Versprechen zu halten, d.i. den bewußten Besuch abzustatten – denn ich habe meine Ursachen. Ich bitte Dich, dort meine Empfehlung auszurichten – aber auf das Nachdrücklichste – und Zärtlichste – und oh – ich darf mich ja nicht so bekümmern, ich kenne ja meine Schwester, die Zärtlichkeit ist ihr ja eigen. Ich weiß gewiß, daß sie ihr Mögliches thun wird, um mir ein Vergnügen zu erweisen, und aus Interesse – ein wenig boshaft! – Wir wollen uns in München darüber zanken. Lebe wohl!


München, den 30. December 1774.


Am Donnerstage wird die Oper aufgeführt. Nun mußt Du wissen, daß der Maestro Tozi, der heuer die Opera seria schreibt, vor'm Jahre um eben diese Zeit eine Opera buffa geschrieben, und sich so bemüht hat, solche gut zu schreiben, um die Opera seria, die vor'm Jahre der Maestro Sales schrieb, niederzuschlagen, daß des Sales Opera wirklich nicht mehr recht gefallen [251] wollen. Nun ereignet sich der Zufall, daß Wolfgangs Oper eben vor der Oper des Tozi gemacht wird; und da sie die erste Probe hörten, sagten Alle: nun wäre Tozi mit gleicher Münze bezahlt, indem Wolfgangs Oper die seinige niederschlage. Dergleichen Sachen sind mir nicht lieb, und suche dergleichen Reden zu stillen, protestire ohne Ende; allein das ganze Orchester und Alle, die die Probe gehört haben, sagen, daß sie noch keine schönere Musik gehört haben, wo alle Arien schön sind. Basta. Gott wird Alles gut machen.

[Leopold Mozart.]


Nachschrift von Wolfgang A.M.


Ich bitte meine Empfehlung an die Roxelane, und sie wird heute Abend mit dem Sultan den Thee nehmen. An die Jungfrau Mizerl bitte alles Erdenkliche, sie soll an meiner Liebe nicht verzweifeln: sie ist mir beständig in ihrem reizenden Negligée vor Augen. Ich habe viele hübsche Madel hier gesehen, aber eine solche Schönheit habe ich nicht gefunden. Meine Schwester soll nicht vergessen, die Variationen über den Menuett von Eckart, und meine Variationen über den Menuett von Fischer mitzunehmen. Gestern war ich in der Comödie: sie haben es recht gut gemacht. Meine Empfehlung an alle gute Freunde und Freundinnen. Ich hoffe, Du wirst – Lebe wohl! – Ich hoffe Dich bald in München zu sehen. Der Mama küsse ich die Hände, und damit hat es heute ein Ende. Halte Dich recht warm auf der Reise, ich bitte Dich, sonst kannst Du Deine vierzehn Tage zu Hause sitzen und hinter dem Ofen schwitzen. Wer wird Dich dann beschützen? Ich will mich nicht erhitzen. Jetzt fängt es an zu blitzen. Ich bin wie allezeit etc.


[252] München, den 5. Januar 1775.


Gestern kam die Nannerl. – Sperre gut die Zimmer, damit Nichts gestohlen wird. Wenn man ausgeht, kann leicht Etwas geschehen. Die Oper wird erst am 13. gegeben. – – –

[Leopold Mozart.]


München, den 11. Januar 1775.


Bis dato scheint es, daß der Wolfgang alle Hoffnung hat, die große Oper auf's Jahr hier zu schreiben.

[Leopold Mozart.]


Nachschrift von Wolfgang A.M.


Wir befinden uns Alle, Gott Lob, recht wohl. Ich kann unmöglich viel schreiben, denn ich muß den Augenblick in die Probe. Morgen ist die Hauptprobe; den 13. geht meine Oper in Scena. Die Mama darf sich nicht sorgen, es wird Alles gut gehen. Daß die Mama einen Verdacht auf den Graf Seau geworfen, thut mir sehr wehe, denn er ist gewiß ein lieber, höflicher Herr, und hat mehr Lebensart, als Viele seines Gleichen in Salzburg. Herr von Mölk (aus Salzburg) hat sich hier so verwundert und verkreuzigt über die Opera seria, wie er sie hörte, daß wir uns schämten, indem Jedermann klar daraus sah, daß er sein Lebtag nichts als Salzburg und Inspruck gesehen hat. Addio. Ich küsse der Mama die Hände.


[253] München, den 14. Januar 1775.


Gott Lob! Meine Oper ist gestern in Scena gegangen, und so gut ausgefallen, daß ich der Mama den Lärmen unmöglich beschreiben kann. Erstens war das ganze Theater so gestrotzt voll, daß viele Leute wieder zurück haben gehen müssen. Nach einer Arie war jederzeit ein erschreckliches Getös mit Klatschen, und Viva Maestro-Schreien. Ihro Durchlaucht die Großfürstin und die Verwittwete (welche mir vis-à-vis waren) sagten mir auch Bravo. Wie die Oper aus war, so ist unter der Zeit, wo man still ist bis das Ballet anfängt, nichts als geklatscht und Bravo geschrieen worden, bald aufgehört, wieder angefangen, und so fort. Nachdem bin ich mit meinem Papa in ein gewisses Zimmer gegangen, wo der Churfürst und der ganze Hof durch muß, und habe Ihren Durchlauchten, dem Churfürsten, der Churfürstin und den Hoheiten die Hände geküßt, welche Alle sehr gnädig waren. Heute in aller Frühe schickten Se. Fürstl. Gnaden, der Bischof von Chiemsee her, und ließ mir gratuliren, daß die Oper bei Allen so unvergleichlich ausgefallen wäre. Wegen unserer Rückreise wird es so bald nicht werden, und die Mama soll es auch nicht wünschen, denn die Mama weiß, wie wohl das Schnaufen thut. – – – Wir werden noch früh genug zum [hier war ausgestrichen] kommen. Eine rechte und nothwendige Ursache ist, weil am Freitage die Oper abermals gegeben wird, und ich sehr nothwendig bei der Produktion bin – – sonst würde man sie nicht mehr kennen – – – denn es ist gar kurios hier. [Grüße] An Bimberl 1000 Bußerln.

[Wolfgang Mozart.]


[254] München, den 18. Januar 1775.


Daß die Oper einen allgemeinen Beifall hatte, wirst Du schon aus vielen Berichten wissen. Stelle Dir vor, wie verlegen Se. Hochfürstl. Gnaden, unser Erzbischof und Herr sein mußte, von aller Churfürstl. Herrschaft und dem ganzen Adel die Lobeserbungen der Oper anzuhören, und die feierlichsten Glückwünsche, die sie ihm Alle machten, anzunehmen. Er war so verlegen, daß er mit Nichts als mit einem Kopfneigen und Achsel in die Höhe ziehen, antworten konnte. Noch haben wir nicht mit ihm gesprochen, denn er ist noch mit Complimenten der Noblesse umgeben. DieOpera buffa Wolfgangs wird er nicht hören können, weil er in wenigen Tagen abreis't, und sie in einer Woche nicht gesehen wird. Lebe wohl, habe Geduld, und sperre die Zimmer gut zu.

[Leopold Mozart.]


Nachschrift von Wolfgang A.M.


Meine liebe Schwester, was kann ich denn dafür, daß es jetzt just 71/4 Uhr geschlagen hat? – – Mein Papa hat auch keine Schuld – – das Mehre wird die Mama von meiner Schwester erfahren. Jetzt ist es aber nicht gut fahren, weil sich der Erzbischof nicht lange hier aufhält – – man will gar sagen, er bleibe so lange, bis er wieder wegreis't – – mir ist nur leid, daß er die erste Redoute nicht sieht. Der Mama lasse ich die Hände küssen. Lebe wohl; ich werde Dich gleich abholen. Dein getreuer

Franz Nasenblut.

Mailand, den 5. Mai 175636.


[255] München, den 21. Januar 1775.


Daß die Herren Salzburger so viel Gewäsche machen, und glauben, daß der Wolfgang in Churfürstl. Dienste getreten, kömmt von unsern Feinden, und von denen, denen ihr Gewissen sagt, daß er es zu thun Ursache hätte. Du weißt wohl, wir sind an diese Kinderpossen gewöhnt; mich machen dergleichen Plaudereien weder kalt noch warm, und das kannst Du Jedermann sagen. – Schreibe Alles, was Du hörst; so haben wir Etwas zu lachen, denn wir kennen die Narren.

[Leopold Mozart.]


München, den 15. Februar 1775.


Am Sonntage ist eine kleine Messe von Wolfgang in der Hofkapelle gemacht worden, und ich habe taktirt. Am Sonntage wird wieder eine gemacht. – Heute gehen wir nicht in die Redoute; wir müssen ausruhen: es ist die erste, die wir auslassen. Du mußt doch auch auf eine Redoute nicht versäumen. – – –

[Leopold Mozart.]


München, Ascher-Mittwoch 1775.


Gott Lob! der Carneval ist vorbei; aber unser Beutel hat ein großes Loch bekommen. Die Historie von Tozi, der die Oper Orfeo componirt hat, in welcher seine Frau jetzt die Euridice [256] macht, und der Gräfin Seefeld, gebornen Gräfin Sedlizky darfst Du Jedermann erzählen. – Am 7. treffen wir bei Dir ein.

[Leopold Mozart.]


Mozart trat in sein zwanzigstes Jahr. Europa, welches mit einer Art von Betäubung den Gang des Wunders beobachtet hatte, das den Genius vor der Vernunft in dem Kopfe des kleinen Zauberers sich hatte entfalten und das Wissen wie von selbst in dem knabenhaften Contrapunctisten entstehen gesehen, der über ein gegebenes Thema improvisirte und gleich darauf wieder auf dem Stocke seines Vaters herumritt; dasselbe Europa sah jetzt den jungen Mann mit Glanz die dramatische Laufbahn betreten, die herrlichsten Gaben auf die Altäre der Kunst niederlegen, mit seinen Schöpfungen alle Zweige der Musik bereichern, und in jedem derselben den berühmtesten Meistern seiner Zeit den Ruhm streitig machen. Es sah ihn und fragte sich, wohin dieses Vorgreifen der verschiedenen Lebensalter, diese außerordentliche Kindheit, dieser mit den Früchten des Herbstes geschmückte Frühling, diese die ganze Ordnung der Natur überstürzende Hast führen solle, als wenn die Zeit selbst etwas zu versäumen fürchtete. Noch einige Schritte und Mozart war an der Gränze des Möglichen angekommen. Wenn er die Aufgabe des gereiften Mannes bereits gelöst oder vielmehr schon voraus sich weggenommen hatte, was blieb ihm dann noch als solcher übrig? Sollte er dann wohl stehen bleiben, oder war zu befürchten, daß sein Stern eben so frühzeitig und rasch untergehen würde, als seine Fortschritte reißend gewesen waren? In jeder Kunst, welche noch nicht den Culminationspunkt erreicht hat, erscheint uns nur das, was wir [257] kennen, möglich, und Mozart hatte das Bekannte in jeder Hinsicht ausgebeutet. In den Augen seiner Zeitgenossen mußte demnach der bessere Theil seiner Ernte eingebracht erscheinen. Aber er hatte die Felder, welche der Zukunft der Musik vorbehalten waren, noch nicht einmal auszubeuten begonnen. Die Werke der ersten Jugend Mozart's fanden nur deßhalb so vielen Beifall bei seinen Zeitgenossen, weil sie in jeder Gattung und mit einem seltenen Talent die Lieblingsvorbilder des Jahrhunderts reproducirten – Schülerstudien, welche von den vollendeten Mustern ganz verdrängt werden mußten, die, unter allen Künsten, die Musik allein noch nicht besaß, und mit denen sie Mozart endlich beschenken sollte. Was die erstaunliche Hast anbelangte, mit der unser Heros der Erfüllung seiner Bestimmung entgegen ging, so verstehen wir jetzt diese grausame Eile nur zu gut. Acht Jahrhunderte hatten auf den Mann gewartet und der Mann sollte nur kurze Zeit verweilen. Ach, warum folgte er nicht dem Blumen bestreuten Wege, den ihm seine ersten Triumphe ebneten! Er wäre reich, bewundert, geehrt, wohlgenährt, ohne Zweifel Capellmeister an einem kaiserlichen oder königlichen Hofe, Ritter mehrerer Orden und was weiß ich Alles noch geworden. Statt seinen Werken zu erliegen, hätte er sie wahrscheinlich überlebt und uns die Mühe erspart, uns an seiner Geschichte, nach zwanzig anderen Biographen, auch noch zu versuchen.

Als Beleg, welche Meinung um diese Zeit die competentesten Richter von den Werken des jungen Componisten hatten, und wie weit er entfernt war, seine Verdienste zu übertreiben, mag hier ein Brief, den er an den Pater Martini richtete, und die Antwort desselben darauf, folgen.


Correspondenz.

[258] Salzburg, den 7. September 1776.


Die Hochachtung und Ehrerbietung, die ich gegen einen so würdigen Mann hege, veranlaßt mich, Ihnen ungelegen zu sein und Ihnen ein schwaches Stück meiner Composition zu Ihrer Prüfung zu übersenden. Ich schrieb voriges Jahr zum Carneval eine komische Oper, La finta Giardiniera, zu München. Wenige Tage vor meiner Abreise verlangte der Churfürst, eine contrapunctisch ausgearbeitete Musik meiner Composition zu hören. Ich war daher gezwungen, diese Motette in Eile zu schreiben, und noch eine Abschrift von der Partitur an Se. Durchlaucht zu verfertigen und die Stimmen ausschreiben zu lassen, damit das Stück am nächsten Sonntage während der großen Messe als Offertorium aufgeführt werden könnte. Liebster, theuerster Herr Pater! ich bitte Sie inniglich, mir frei und ohne Rückhalt Ihre Meinung darüber zu sagen. Wir leben ja in dieser Welt, um immer weiter zu kommen, und besonders auch dadurch, daß Einer den Andern durch seine Ansichten aufklärt, wie überhaupt, so in den Wissenschaften und schönen Künsten immer mehr zu lernen. Wie oft wünsche ich, Ihnen näher zu sein, um mit Ihnen zu reden und Ihnen meine Ansichten mitzutheilen! Ich lebe in einem Lande, wo die Musik jetzt sehr wenig Glück macht. Aber ungeachtet derer, die uns verlassen haben, besitzen wir doch noch brave Künstler, und besonders gründliche, wissenschaftliche und geschmackvolle Componisten. Was das Theater betrifft, so ist es in Rücksicht der Sänger schlecht bestellt. Wir haben keine Castraten und werden sie auch so leicht nicht haben, da sie gut bezahlt sein wollen, und die Freigebigkeit unser Fehler nicht ist. Ich beschäftige mich [259] indessen, für die Kammer und Kirche zu schreiben. Hier sind noch andere zwei Contrapunctisten, nämlich die Herren Michael Haydn und Cajetan Adlgasser. Mein Vater ist Capellmeister an der Metropolitan-Kirche. So ist mir Gelegenheit verschafft, für diese zu schreiben, so viel ich will. Da übrigens mein Vater diesem Hofe bereits 36 Jahre dient, und weiß, daß der Erzbischof nicht gern alte Leute sehen kann, noch mag, so bekümmert er sich wenig um Musik- Aufführungen, und hat sich auf die Literatur dieser Kunst, als sein Lieblings-Studium, verlegt. Unsere Kirchenmusik ist von der in Italien sehr verschieden, um so mehr, da eine Messe mit Kyrie, Gloria, Credo, der Epistel-Sonate, dem Offertorium oder Motetto,Sanctus und Agnus Dei, auch an den größten Festen, wenn der Fürst selbst die Messe lies't, nicht länger als höchstens drei Viertelstunden dauern darf. Da braucht man für diese Art Composition ein besonderes Studium, und doch muß es eine Messe mit allen Instrumenten sein, auch mit Kriegstrompeten! So? Ja, theuerster Herr Pater. O wie wohl würde es mir thun, Ihnen recht viel zu erzählen! Ich empfehle mich ergebenst allen philharmonischen Mitgliedern, bitte Sie immer herzlicher um Ihre Gewogenheit, und höre nicht auf, mich zu betrüben, so weit von jenem Manne entfernt zu sein, den ich in der Welt am meisten liebe, hochschätze und verehre, und gegen den ich unveränderlich bin etc.

W.A. Mozart.


An dieser ungekünstelten Sprache würde man die aufrichtige Bescheidenheit auch dann nicht verkennen, selbst wenn man nicht wüßte, daß der Verfasser des Briefes sich stets gegen den ersten Grundsatz, welchen Erziehung und Gesellschaft vorschreiben, aufgelehnt [260] hätte, und der sich auf das bekannte Sprichwort zurückführen läßt: nur Narren und Kinder sagen stets die Wahrheit. Mozart war kein Narr, aber in vielen Beziehungen blieb er immer Kind. Er gestand dem Pater Martini, daß er derzeit seiner Rathschläge und seines Beifalles bedürfe mit derselben Naivetät, die er in der Folge zeigte, als er es nicht verbarg, daß er sich über jedes Urtheil der Mitwelt erhaben glaubte. Es sind aber in diesem Briefe noch zwei Dinge zu bemerken; zuerst die Gleichgültigkeit, welche an Verachtung gränzte, mit der der Erzbischof von Salzburg den alten Mozart behandelte; sodann die, in der That sonderbaren Bedingungen, welche dieser Prälat den Musikern auferlegte, welche den Dienst in seiner Metropolitan-Kirche versahen. Wir werden später nähere Bekanntschaft mit diesem Kirchenfürsten machen, der eben so die Kirchenmusik verstand, wie er die Künstler zu würdigen wußte. Für jetzt begnüge ich mich, eines der Hindernisse anzudeuten, welche den Aufflug unseres Heros in der Gattung der heiligen Compositionen hemmten, für welche sich sein hoher Beruf erst am Ende seiner Laufbahn völlig herausstellte.

Hier folgt nun die Antwort des Pater Martini.


Correspondenz.

Bologna, den 18. December 1776.


Mit Ihrem angenehmen Schreiben habe ich zugleich die Motette erhalten. Mit Vergnügen habe ich sie von Anfange bis zu Ende durchgegangen, und ich sage Ihnen mit aller Aufrichtigkeit, daß sie mir gar sehr gefällt, indem ich darin Alles finde, was die [261] moderne Musik erheischt: gute Harmonie, reife Modulation, angemessene Bewegung der Violinen, natürlichen Fluß der Stimme und gute Durchführung. Ich freue mich besonders, daß, seit ich das Vergnügen hatte, Sie zu Bologna auf dem Claviere zu hören, Sie so große Fortschritte in der Composition gemacht haben. Fahren Sie unablässig fort, sich zu üben; denn die Natur der Musik fordert Uebung und großes Studium, so lange man lebt. Ihr etc.

Giambattista Martini.


Wenn dieser Brief eine andere Unterschrift trüge, so würde er nicht viel heißen; sein Inhalt erschiene sogar sehr trocken im Vergleiche mit der offenen und herzlichen Zuschrift Mozart's. Allein wir dürfen vor Allem nicht übersehen, daß der Pater Martini damals 70 Jahre zählte; daß antiquarische und contrapunctische Studien ihn sein ganzes Leben hindurch in Anspruch genommen hatten, was Alles zusammen nicht dazu beitrug, ihn wortreich und leicht empfänglich für Begeisterung zu machen. Namentlich dürfen wir aber nicht vergessen, in welchem Ansehen dieser Gelehrte stand; mit welcher unterwürfigen Ehrerbietung die Männer der Kunst sich an ihn wandten. Große Meister, wie Jomelli zum Beispiel, wandten sich auf dem Gipfel ihres Ruhmes an ihn, um sich seinen Rath zu erbitten; eine Beifall spendende Linie von seiner Hand galt so viel als das pomphafteste akademische Diplom; er war mit einem Worte, wie wir bereits gesagt haben, das musikalische Orakel seiner Zeit. Pater Martini war sich dessen bewußt, und es war aus diesem Grunde jedes seiner Worte überlegt und wohl abgewogen. Was er sagte, wurde nie in dem Sinne von den in der Welt üblichen complimentirenden Redensarten genommen. Pater Martini lobte und tadelte nie; er sprach Urtheile aus und wußte wohl, daß die [262] Sprache der Gesetze klar, concis, lakonisch, frei von allen Hyperbeln und allen Sprachwendungen sein muß. Aus diesem Gesichtspunkte betrachtet, erscheint der Brief erst als das, was er war, als ein Certificat, und zwar als das schmeichelhafteste, ruhmvollste Certificat, das irgend ein Musiker als Beleg seiner Kenntnisse vorzulegen im Stande war. – Der Pater Martini erklärt die Motette tadellos, was schon an und für sich aus dem Munde eines solchen Mannes unendlich mehr sagen will, als alle positiven Lobsprüche, die er derselben hätte ertheilen können; denn man brachte ihm die Arbeiten nicht darum, daß er ihre Schönheiten auseinandersetze, sondern daß er auf die Fehler in denselben aufmerksam machen möchte. Er lehrte die Geheimnisse des Contrapunktes, und nicht die Art, wie man sich Genie verschaffen könne. Es fragt sich nun, was der Gelehrte in Bologna damit sagen wollte, daß er in Mozart's Arbeit Alles finde, was moderne Musik erheische. Verstand er darunter den damals allgemeinen Styl, die Art und Weise der Männer des Tages oder Augenblickes, die musikalischen Modewendungen? Sicher, nein. Für Theoretiker und Gelehrte hat dieses Wort einen viel ausgedehntern Begriff; es bezeichnet die Summe der Fortschritte der vergangenen und gegenwärtigen Zeit, die Totalität des Weges, den die Kunst zurückgelegt hat, den Punkt, über welchen hinaus man noch nichts bemerkt. Auf diese Art muß ein in dieser Weise abgefaßtes und mit Martini unterzeichnetes Attest gewürdigt werden37.

[263] Doch zuerst zu unserem Heros nach Salzburg. Kaum war Wolfgang von München zurückgekehrt, als er auch sogleich in Anspruch genommen wurde. Der Erzbischof erwartete einen erlauchten Gast, den Erzherzog Maximilian, Kurfürsten von Köln, zu dessen festlichem Empfange Mozart eine dramatische Serenade, Il Re pastore (der Hirtenkönig) componiren sollte. Obgleich diese Arbeit sehr übereilt werden mußte, so erhielt sie doch glänzenden Beifall, und ein neuerer Kritiker setzte sie weit über Alles, was der Componist bis dahin geschrieben hatte38.

Quelle:
Alexander Ulibischeff: Mozart's Leben und Werke. Stuttgart 2[1859], S. 243-264.
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