Achtes Kapitel.

Wien.

Juli – September 1773.

[229] Nur wenige Monate blieb Leopold mit seinem Sohne in Salzburg. Er trieb ihn fort nach Wien. Salzburg bot den weithinausragenden Plänen, die er für Wolfgang hegte, keinen Wirkungskreis dar. Der neue Erzbischof nahm keine Notiz von seinem jugendlichen Concertmeister, als er mit Ruhm gekrönt aus Italien zurückkehrte. Zu einer Verbesserung seines so äußerst geringen Gehaltes war noch auf lange Zeit keine Aussicht vorhanden. Die Erinnerung an die gute Aufnahme, die Wolfgang schon zweimal am kaiserlichen Hofe zu Wien erhalten, erfüllten ihn mit Hoffnungen, die ihn zu einer Reise dorthin alsbald bewogen. Schon im Juli reis't Leopold mit seinem Sohne nach Wien, wo sie sich ungefähr zwei Monate aufhielten, ohne daß die Pläne, über deren Beschaffenheit wir übrigens ziemlich im Dunkeln bleiben, ihm glücken wollten. Aus seinen Briefen wenigstens ist nichts Sicheres abzunehmen, da diese diplomatischer als je gehalten sind. Man kann nur errathen, daß er, wie wir oben angedeutet haben, unzufrieden mit seiner Lage, in Wien eine Anstellung für sich oder für Wolfgang suchte, und weil er weder das Eine noch das Andere zu erreichen vermochte, in ziemlich gedrückter Stimmung wieder nach Hause kam. Wir sehen aber auch aus den beifolgenden Briefen, daß Wolfgang in diesen zwei Monaten fleißig componirte. Er schrieb nämlich sechs [230] Streichquartette, ob auf Bestellung, ob aus innerem Triebe, da damals diese Gattung von Kammermusik durch Haydns Vorgang in Wien beliebt zu weiden anfing, wissen wir nicht, »Wenn wir die zahlreichen Instrumental-Compositionen aus Mozart's Jugendzeit durchgehen, bemerkt Holmes, so erstaunen wir über die Anstrengungen, die es ihn kosten mußte, um seine Ideen zu bemeistern. Die Quartette und Symphonien aus dieser Periode zeigen viele schöne Gedanken, die noch nicht gehörig benützt und zur Geltung gebracht werden, die er aber in späteren Compositionen öfters wieder aufnahm und vollständiger entwickelte31. So wurde sein Geständniß in späteren Jahren ein vollkommenes Magazin von Melodien und Motiven, die lange seiner Phantasie vorgeschwebt hatten, und die er dann mit dem feinsten Geschmack und richtigsten Urtheil augenblicklich wieder zu verwenden verstand.« Was die sechs ersten Wienerquartette betrifft, so bewegen sie sich noch in der leichten, anmuthigen und heiteren Form der früheren Haydn'schen Werke dieser Gattung; ja selbst im Jahr 1781, in welchem er persönlich mit Haydn bekannt wurde, hatte er sein Vorbild noch nicht erreicht, wie er selbst offenherzig gegen ihn [231] gestand. Freilich hatte Mozart noch einen großen inneren Prozeß durchzumachen, ehe er ein G-dur oder D-moll Quartett schreiben konnte. Es sind daher alle diese früheren Quartette und Symphonien als Vorstudien zu betrachten, an denen sich nicht blos die technische Handhabung und Vervollkommnung des Künstlers knüpft, sondern an denen, wie man es bei Haydn und Mozart findet, die ganze allmählige Entwicklung der höheren absoluten Instrumentalmusik sich abspinnt, bis sie als neue Kunstform zu einem vollendeten Abschnitt der Kunstgeschichte wird, und so in neuen Abschnitten auf ihr weiter gebaut werden kann. Beethoven hatte nicht mehr denselben Entwicklungsgang durchzumachen, wie Haydn und Mozart, er konnte daher gleich in seinem Opus 1 ein Werk liefern, das nicht nur seinen Vorgängern in der Haltung des Trios ebenbürtig war, sondern auch schon den Keim eines noch höheren Instrumentalsatzes in sich trug.

Um nun unseren Lesern eine kleine Idee von dem Charakter der Mozart'schen Compositionen aus der Zeit, bis zu welcher unsere Erzählung gelangt ist, zu geben, theilen wir, mit Ausschluß seiner Kirchenmusik, welche später einer eingehenden Analyse unterworfen werden wird, ihnen einige Themas mit, die um so willkommener sein werden, da die Compositionen, denen sie entnommen sind, meist nur im Manuscript vorhanden sind32.


[232] 1) Symphonie, comp. 1765 zur Installation des Prinzen Erbstatthalters (vergl. pag. 82 dieses Bandes).


8. Kapitel. Wien Juli - September 1773

2) Symphonie, comp. 1767 zu Wien.


8. Kapitel. Wien Juli - September 1773

3) Symphonie, comp. 1768.


8. Kapitel. Wien Juli - September 1773

[233] Diese Symphonie ist von Mozart mit geringer Abänderung auch als Ouverture zur Oper ›La finte simplice‹ benützt worden (vergl. oben pag. 99).


4) Symphonie, comp. 1771 zu Salzburg.


8. Kapitel. Wien Juli - September 1773

5) Symphonie, comp. im Mai 1772 zu Salzburg.


8. Kapitel. Wien Juli - September 1773

[234] 6) Symphonie, comp. im Mai 1772 zu Salzburg.


8. Kapitel. Wien Juli - September 1773

7) Symphonie, comp. im August 1772 zu Salzburg.


8. Kapitel. Wien Juli - September 1773

8) Divertimento für Orchester, comp. im Juni 1772 zu Salzburg.


8. Kapitel. Wien Juli - September 1773

[235] 9) Quartett für 2 Oboen, Bratschen und Violoncell, eines von den 6 Wiener Quartetten, comp. 1773.


8. Kapitel. Wien Juli - September 1773

10) 3 Divertimenti für 2 Violinen und Baß, comp. 1772 zu Salzburg.


8. Kapitel. Wien Juli - September 1773

8. Kapitel. Wien Juli - September 1773

[236] 11) Clavier-Concerto, comp. im April 1767.


8. Kapitel. Wien Juli - September 1773

12) Clavier-Concerto, comp. im Juni 1767.


8. Kapitel. Wien Juli - September 1773

[237] 13) Clavier-Concerto, comp. im Juli 1767.


8. Kapitel. Wien Juli - September 1773

14) Clavier-Concerto, comp. im Juli 1767.


8. Kapitel. Wien Juli - September 1773

Wir fügen nun noch die Correspondenz über den kurzen Wieneraufenthalt bei:


Wien, den 12. August 1773.


Ihre Majestät die Kaiserin waren sehr gnädig mit uns; allein dieses ist auch Alles, und ich muß, es Dir mündlich zu erzählen, auf unsere Rückkunft ersparen, denn Alles läßt sich nicht schreiben, und Alles hat seine Hindernisse. Mit nächster Post wirst Du [238] hören, wann wir abreisen. Wenn wir nicht kommenden Montag abreisen, so kommen wir vor Anfang Septembers nicht zurück. Zwischen heute und Morgen werde ich es erfahren. N.N. hat wirklich Talent, so daß er nur mein Sohn sein sollte, oder wenigstens sollte er bei mir sein. Am Feste des heil. Cajetan haben uns die Herren Patres zum Speisen und zum Amt eingeladen, und weil die Orgel nichts war, ein Concert zu spielen, so hat Wolfgang von Herrn Trieber eine Violine und ein Concert entlehnt, und die Keckheit gehabt, ein Concert auf der Violine zu spielen. Bei den Jesuiten ist in der Octave des heil. Ignatius eine Messe von Wolfgang producirt worden, nämlich die Pater Dominicus-Messe: ich habe taktirt, und die Messe hat erstaunlich gefallen.

[Leopold Mozart.]


Wien, den 14. August 1773.


Wann wir kommen? – Noch nicht; denn Se. hochfürstl. Gnaden haben uns erlaubt, annoch hier zu verweilen. Schreibe mir jeden Posttag, was Du von dem Aufenthalt oder der Abreise Sr. hochfürstl. Gnaden hörst, damit ich mich darnach richten mag.

[Leopold Mozart.]


Nachschrift von Wolfgang A.M.


An seine Schwester.


Ich hoffe, meine Königin, Du wirst den höchsten Grad der Gesundheit genießen, und doch dann und wann, oder vielmehr zuweilen, oder besser bisweilen, oder noch besser qualche volta, wie der Wälsche spricht, von Deinen wichtigen und dringenden Gedanken (welche allezeit aus der schönsten und sichersten Vernunft herkommen, die Du nebst Deiner Schönheit besitzest, obwohl in so [239] zarten Jahren, Du, o Königin, auf solche Art besitzest, daß Du die Mannspersonen, ja sogar die Greise beschämst) mir etliche davon aufopfern. Lebe wohl.

Hier hast Du was Gescheites.

(Im Briefe des Vaters stand: Das ganze Haus von Martinez und Bono empfehlen sich. Dazu hatte A.W. geschrieben: »wenn es die Witterung erlaubte.« Es war just sehr veränderliche Witterung in Wien.)

Wien, den 21. August 1773.


Letzten Posttag habe ich nicht geschrieben, weil wir eine große Musik bei unsern Freunden Mesmers auf der Landstraße im Garten hatten. Mesmer spielt sehr gut die Harmonica der Miß Davis. Er ist der Einzige in Wien, der es gelernt hat, und er besitzt eine viel schönere Gläsermaschine, als Miß Davis hatte. Wolfgang hat auch schon darauf gespielt: wenn wir nur eine hätten! Die des Meßmer hat 50 Dukaten gekostet.

– – – – – – –

Wir hätten Euch gerne bei uns; aber wir sind nicht in den Umständen, große Kosten aufzuwenden. Hätten wir einige Aussicht oder Geldeinnahme gehabt, so hatte ich Dich kommen lassen. Allein es sind viele Sachen, die man nicht schreiben kann. Und überdieß muß man Alles verhindern, was einiges Aufsehen oder einigen Argwohn sowohl hier als NB. in Salzburg machen kann, und welches Gelegenheit gibt, Prügel unter die Füße zu werfen.

Wir wissen selbst nicht, wenn wir abreisen. Es kann geschehen gar bald, kann sich aber auch einige Zeit verziehen. Es [240] kömmt auf Umstände an, die ich nicht benennen kann. Auf Ende September sind wir ganz gewiß, wenn Gott will, zu Hause. Die Sache wird und muß sich ändern. Seid getrost und lebt's gesund! Gott wird helfen. Sollte der Erzbischof lange ausbleiben, so eilen wir nicht nach Hause.

[Leopold Mozart.]


Wien, den 25. August 1773.


Unser Beutel wird sehr leer; so wie mein Leib zunimmt und fetter wird, so wird der Beutel mager werden. Daß ich sichtbar fett werde, kannst Du sicher glauben.

[Leopold Mozart.]


Wien, den 11. September 1773.


Ich bin den Herren Salzburgern höchst verbunden, daß sie für meine Zurückkunft so sehr besorgt sind. Das macht, daß ich mit mehr Vergnügen in Salzburg eintreffen und dann gleich die ganze Nacht in der Beleuchtung oder erleuchteten Stadt spaziren gehen werde, damit die Lichter nicht umsonst brennen. Wenigstens werde ich das Schlüsselloch an der Hausthüre eher finden, weil am Eck, wie ich vermuthe, sich zum guten Glücke, der Austheilung nach, eine Laterne treffen wird. Ich werde, wenn Gott will, gegen Ende der künftigen Woche abreisen. Allein, da ich diesen Weg öfters gemacht, und zu Mariazell niemals gewesen, so könnte es geschehen, daß ich nach Mariazell und dann über St. Wolfgang nach Hause ginge, um den Wolfgang auf die[241] Wallfahrt seines heil. Namenspatrons zu führen, wo er niemals gewesen, und ihm den berühmten Geburtsort seiner Mutter, St. Gilgen, zu zeigen. Daß mein Geld, was ich bei mir hatte, nun alles beim T – – ist, kannst Du Dir leicht vorstellen, und bald wird die Nachricht eintreffen, daß ich bei einem hiesigen Bankier mir zwanzig Dukaten habe bezahlen lassen. Das hat aber nichts anders zu bedeuten, als daß ich Geld nöthig habe und keinen Doktor. Die Ursache, warum ich hier so lange verbleiben muß, werde ich aller Welt zu seiner Zeit erzählen, und Jedermann wird sie gegründet finden. Ich habe die nämliche Ursache Sr. Hochfürstl. Gnaden gemeldet, und diese Ursache ist es bis diese Stunde.

[Leopold Mozart.]


Wien, den 18. September 1773.


Schreibe an Herrn N.N. und mahne ihn auf seine Schuld an mich; eine Frau kann die Commission ihres Mannes schärfer ausdrücken. Wolfgang componirt an Etwas ganz eifrig.

[Leopold Mozart.]


Nachschrift von Wolfgang A.M.


An die Schwester.


Wien, den 15. September 1773.


Wir sind, Gott Lob und Dank, gesund. Dieß Mal haben wir uns die Zeit genommen, Dir zu schreiben, obwohl wir Geschäfte hätten. Wir hoffen, Du wirst auch gesund sein. Der Tod des Dr. Niderls hat uns sehr betrübt. Wir versichern Dich, wir haben schier geweint, geplärrt, gerehrt und trenzt. Unsere[242] Empfehlung an – alle gute Geister loben Gott den Herrn – und an alle gute Freunde und Freundinnen. Wir bleiben Dir hiermit mit Gnaden gewogen. Wien, aus unserer Residenz.

Wolfgang.


W.A. Mozart an Herrn v. Heffner.


Ich hoffe, wir werden Sie noch in Salzburg antreffen, wohlfeiler Freund. Ich hoffe, Sie werden gesund sein, und mir nicht sein Spinnefeind, sonst bin ich Ihnen Fliegenfeind, oder gar Wanzenfeind.


Also ich rathe Ihnen, bessere Verse zu machen. Sonst komm'

ich meiner Lebtag zu Salzburg nicht mehr in Dom;

denn ich bin gar capax zu gehen nach Constantinopel, die doch allen Leuten ist bekannt.

Hernach sehen Sie mich nicht mehr, und ich Sie auch nicht. Aber,

wenn die Pferde hungrig sind, gibt man ihnen einen Haber.

Leben Sie wohl. Ich bin zu aller Zeit,

Von nun an bis in Ewigkeit.


[W.A.M.]

Quelle:
Alexander Ulibischeff: Mozart's Leben und Werke. Stuttgart 2[1859], S. 229-243.
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