6.

Die Zauberflöte.

[5] Große Oper in zwei Acten.


Meine Leser werden sich noch erinnern, welche Art von Verhältniß sich wie in Folge einer stillschweigenden Uebereinkunft zwischen Mozart und einigen seiner intimen Freunde gebildet hatte. Von Seiten der Freunde stets erneuerte Bitten um Dienstleistungen oder Geld; von Seiten Mozart's stets das Willfahren dieser Bitten, so oft sie auch an ihn gelangten. Ein besonderer Vertrag, der aber von beiden Theilen mit unverbrüchlicher Treue eingehalten wurde, und von welchem die Composition der Zauberflöte den schlagendsten Beweis liefert. Schikaneder hatte zu Mozart gesagt: »Schreiben Sie für mein Theater eine Oper, ganz im Geschmacke des heutigen Wiener Publicums; Sie können dem Kenner und Ihrem Ruhme immer auch das Ihrige geben, aber sorgen Sie vorzüglich auch für die niedrigen Menschen aller Stände. Ich will Ihnen den Text besorgen, will Decorationen schaffen u.s.w., Alles, wie man's jetzt haben will.« – »Ich will's übernehmen,« hatte Mozart geantwortet. Diese merkwürdige Unterredung wird uns eine Basis für die Prüfung des Werkes liefern, welches sie veranlaßte.

[5] Durch Eingehen eines solchen Vertrags mußte Mozart, als Mann von Wort, im Interesse Schikaneder's in bedeutendem Umfange Das thun, was er immer nur mit Sparsamkeit und immer mit Widerwillen gethan hatte, wenn es sich blos um seine Interessen handelte. Aus Liebe für Schikaneder ließ sich der aristokratischste der Componisten herab, dem Geschmacke niedriger Menschen aller Stände zu schmeicheln, »die langen Ohren zu kitzeln«, also Etwas zu thun, was er sogar früher seinem Vater versagt hatte. Muth, sprach er zu sich selbst, machen wir die Sache auf anständige Weise ab! Und sogleich bläst er in eine schlechte Flöte, um die Bewegung eines halben Dutzends Statisten zu regeln, die auf vier Füßen gehen, ein für den Menschen sehr wenig natürlicher Gang, selbst wenn er Statist ist; er läßt bei den Tönen eines Glockenspiels Mohren tanzen, denen es gar nicht um's Tanzen zu thun ist; er läßt einen Vogel-Menschen und sein Weibchen ein großes Duett auf die Sylbe pa, pa, pa, pa, pa, pa, und immer pa singen. Das ist aber noch Nichts. Der Verfasser des Don Giovanni unterwirft seine Arbeit der Controle, den Zusätzen, dem Veto Schikaneder's, weil derselbe sonst die Partitur verunreinigt, weil er Stücke von seiner Erfindung hineingeflickt hätte. Mozart thut alles dieses, und Wien strömt in Masse herbei, ganz Deutschland ruftbravo, es regnet Lobeserhebungen und Bestellungen auf den mehr als gefälligen Musiker, und die Welt erinnert sich mit Bewunderung des außerordentlichen Kindes, dessen Namen es beinahe vergessen hatte, seitdem dasselbe ein noch viel außerordentlicherer Mann geworden war. Zum ersten Male umgibt eine ungeheure Popularität diesen berühmten Namen. So verdankte also Mozart den einzigen nationalen und fast zu gleicher Zeit europäischen Triumph, der ihm in seiner dramatischen Laufbahn zu [6] Theil wurde, der Verläugnung seiner Grundsätze als Künstler, der Aufopferung seines lebhaftesten Widerwillens zu Gunsten eines Elenden, der ihm seinen Antheil am Nutzen stahl, wie in der Biographie erzählt worden ist.

Mozart war der Erste, wie man uns sagt, der sich über die am meisten mit Beifall aufgenommenen Stücke seiner Oper lustig machte; er lachte mit seinen Vertrauten sich fast zu Tode. Unsere gegenwärtigen Opernmacher begnügen sich, wie ich voraussetze, mit einem leichten Schmunzeln, wenn sie daran denken, was ihnen zuweilen am meisten Ruf und Geld einträgt.

Das Haupt der Unternehmung hatte seinem Kameraden gnädigst erlaubt, daß er auch den Kennern das Ihrige geben dürfe, wenn es ihm beliebe. Man wird gern glauben, daß Mozart diese Erlaubniß benützt hat. Je mehr er sich von Scham und Schuld ergriffen fühlte, unter der Leitung Schikaneder's zu arbeiten, um so mehr mußte er suchen, in den Theilen des Werkes, welche man ihm zu überlassen für gut gefunden hatte, sich mit sich selbst auszusöhnen. Die Entschädigung fiel mehr als verhältnißmäßig gegenüber dem Opfer aus, und doch verdarb sie die Geschichte nicht. Große musikalische Schönheiten ersten Ranges gingen zu Gunsten der Decorationen und Maschinen, der kleinen Couplets und der großen Bravour-Arien hin; der Vogel-Mensch und die menschlichen Vierfüßler erwirkten Gnade für Sarastro und seine Mündel; der Chor der tanzenden Neger für die Chöre der Priester; die Pan's Flöte und das Glöckchen für die Ouverture, und so wußte unser Heros es zu verhindern, daß sein zukünftiger Ruhm nicht unter einem zu bedeutenden Zuwachs seines Rufes in der Gegenwart Noth leide. Wir müssen auf diese Weise in der Oper zwei gänzlich von einander verschiedene Partieen erkennen, deren Trennung schon durch den Text angezeigt, [7] sich noch mehr im Styl der Composition ausspricht. Die eine, welche so zu sagen zu Mozart's Lebzeiten und lange Zeit nach seinem Tode im Dunkeln geblieben ist, umfaßt die Rolle des Sarastro, des Tamino und der Pamina; die Chöre und Märsche der Isis-Priester; beinahe alle Ensemblestücke, die Finales (namentlich das Letztere) und die Ouverture. Im anderen Theile finden sich die Elemente des ursprünglichen Beifalls des Werkes: die Königin der Nacht mit ihren Bravour-Arien; Papageno und Papagena; Monostatos und seine Mohren; ferner deren Vettern, die musikliebenden Löwen und Affen, welche herbeikommen, um das Flöten-Solo zu hören; mit einem Worte, alle die des Gehirns Schikaneder's würdigen Gebilde, welche auf leichte und selbst heute noch angenehme Melodieen gepfropft waren, und die in ihrer Jugend es noch mehr sein mußten. Diese waren es hauptsächlich, welche allgemein in Deutschland in den Städten und auf dem Lande, im Salon und in der Kneipe Glück machten. Bald vergaßen auch selbst die Pariser Musikfreunde Gluck und Piccini, und sangen, so gut sie konnten: la vie est un voyage, tâchons de l'embellir, was sich mit erstaunenswürdiger Treue im deutschen Texte mit: ein Mädchen oder Weibchen wünscht Papageno sich etc. übersetzen läßt.

Ein so lange anhaltender europäischer Ruf konnte in keinem Falle einer Musik ohne Werth zu Theil werden. Man darf also als sicher annehmen, daß die populären Stücke der Zauberflöte von einer großen Ueberlegenheit des Talentes zeugten. Sie beweisen, daß Mozart in einer Gattung, welche damals Jedermann practicirte, Besseres als die Anderen leistete; oder wie Montesquieu von Voltaire sagte, daß er mehr von dem Geiste besaß, den Jedermann hat. Es ist dieß ein Verdienst, nach dem im Allgemeinen gestrebt wird, das aber nichtsdestoweniger relativ und [8] seiner Natur nach bedingt ist, und welches aufhört, in den Künsten gewürdigt zu werden, sobald der Geist des Künstlers nicht so wie der anderer Leute ist. Aus diesem Grunde hört man die Lieblings-Melodieen, welche in Deutschland vor dreißig Jahren ertönten, heut' zu Tage nur noch wie ein Echo der Vergangenheit.

Auf den ersten Anblick erscheint das Libretto der Zauberflöte als das Product eines erkrankten Gehirns, eines Gehirns, das wohl nie ganz gesund war. Ein vorübergehendes Delirium eines Menschen hätte wohl vielleicht auch so etwas Excentrisches, aber nie so etwas Flaches hervorgebracht. Man denke sich eine Fabel, die wie ein untergeordneter Traum zusammengestellt ist, ohne Andeutung weder des Ortes, noch des Zeitraums, in welchem die Handlung vorgeht; Personen ohne Charakter und ohne Nationalität; Scenen, die nur durch ihre Veränderungen auf der Bühne unter sich ein Band bilden; Wunder, die nur das Auge sieht, welche keine Wurzeln, weder in einem bestehenden, noch in einem erloschenen Glauben haben; alles dieß vermag der Phantasie eines Menschen nichts zu bieten. Hiezu füge man noch den gänzlichen Mangel in der Poesie der Form: einen Dialog von der empörendsten Trivialität, Verse, welche den Devisen der Zuckerbäcker entlehnt zu sein scheinen, gemeine und abgeschmackte Possen; Späße, in denen nicht ein Funken von Fröhlichkeit sich vorfindet, und man hat einen Begriff von Schikaneder's Werke.

Man wird indessen weniger erstaunen über den Grad individuellen Wahnsinns, welchen dieses Werk voraussetzen läßt, wenn man in Betracht zieht, daß Schikaneder nicht der Schöpfer, sondern nur der Fortsetzer war; daß er nach dem Gesetze einer bestehenden Gattung arbeitete, einer Gattung, deren zahlreiche Productionen aus lauter analogen Elementen bestehen, und welche [9] sich alle durch dieselbe stupide Unvernunft bemerklich machen, und alle in demselben niedrigen Style geschrieben sind; eine Gattung, welche keinen Namen hat, und welche man in Ermanglung eines andern Beiwortes die Wienerische zu nennen genöthigt ist. Darstellungen dieser Art, welche dazu bestimmt sind, Kinder jeden Alters und Leute aus allen Classen zu unterhalten, wie sich Schikaneder ganz richtig ausdrückte, können die Musik nie entbehren. Die Zuschauer selbst, welche nur sehen können, würden am Ende von dieser langen Schaustellung realer und phantastischer Gegenstände ermüdet werden, welche man doch nicht auf künstlerische Weise auf dem Theater nachahmen kann. Um selbst die Volksclasse zu verhindern, daß sie gähne, so hätte man zu dem dramatischen Interesse, und namentlich zu der Lustigkeit, seine Zuflucht nehmen müssen, welche man auf dem Theater der hölzernen Marionetten findet; weil aber Schikaneder und Compagnie weit unter dem Polichinell standen, sowohl in einer wie in anderer Beziehung, so mußten sie zur Musik und zum Tanze ihre Zuflucht nehmen, um Etwas an die Schwelle der Handlung, des Interesses, der Lustigkeit, des Geistes und des gesunden Menschenverstandes zu setzen. Gewöhnlich, wenn nicht sogar immer, war die Musik des Textes werth. Da waren Gassenhauer, Walzer, Ländler u.s.w., da und dort vermischt mit einigen flüchtigen Unformen von Compositionen, nach Art der Duetts und Ensemblestücke.

Das war es gerade, was Schikaneder von Mozart wollte, und es unterliegt keinem Zweifel, daß unter den Händen eines andern deutschen Componisten, ich meine damit Die, welche einen solchen Auftrag angenommen hätten, die Zauberflöte den Werken ähnlich geworden wäre, von denen die Rede war. Der Antheil, welchen Schikaneder zum Voraus der persönlichen [10] Zufriedenstellung unseres Heros zugestand, war augenscheinlich eine unangenehme, aber gezwungene Concession, ohne welche Mozart, so gut er auch sonst war, Nein gesagt hätte. Warum wandte er sich also nicht an einen Andern? Aus dem Grunde zuerst, weil Mozart, obgleich in Wien schlecht verstanden, doch bereits einen großen Ruf daselbst genoß; und dann, weil allem Anscheine nach kein Anderer sich in Geschäften so willfährig gezeigt hätte.

Insofern das Libretto keine ernsthafte Analyse verdient, haben wir geglaubt, mit der Andeutung uns begnügen zu können, was der Autor wollte, statt uns mit dem zu behelligen, was er gemacht hat. Die Rolle des Vogelfängers, welche Schikaneder sich selbst vorbehalten hatte, enthielt eine Allegorie, deren Sinn ganz auf ihn selbst anwendbar war. Der Vogelfänger mußte mit Geschicklichkeit seinen Vogelleim und seine Schlingen zu legen verstehen; denn wenn er keine Vögel fing, so mußte der Elende vor Hunger sterben, wenn er nicht im Gefängnisse leben wollte. Das unter solchen Auspicien aus der Phantasie eines halbnärrischen Histrionen hervorgegangene Gedicht der Zauberflöte mußte ganz natürlich als literarisches Werk noch mehrere Grade unter Così fan tutte stehen, sowohl nach Erfindung als hinsichtlich des Styls.

Als literarisches Werk ohne allen Zweifel; aber als Opern-Sujet, war die Zauberflöte nicht Etwas mehr werth, als Così fan tutte, wenn man von der Partitur aus schließen will? Das deutsche Stück hatte wenigstens das Wunder zur Grundlage, das dem Componisten anmuthige Scenen lieferte. Ich bewundere diese Scenen so sehr wie Jemand, doch bin ich deßhalb nichtsdestoweniger überzeugt, daß wenn Mozart, statt mit Schikaneder, mit einem etwas mehr wissenschaftlich gebildeten Manne zu thun gehabt hätte, die Wunder in dem Sujet, oder jedes [11] andere Wunder bei Weitem mehr Effect hervorgebracht haben würden.

Wesen außerhalb der Wirklichkeit können nur innerhalb der Grenzen des moralisch Möglichen ein poetisches Leben haben. Sie können uns nur unter zwei Bedingungen interessiren: durch den Unterschied, welcher zwischen ihnen und uns eine unveränderliche und tiefe Scheidungslinie zieht, und durch die Beziehungen, welche sie mit dem menschlichen Geschlechte verbinden und bis auf einen gewissen Grad assimiliren. Gerade wie es uns nicht möglich ist, geistig begabte Geschöpfe anders als unter menschlicher Gestalt vorzustellen, ebenso unmöglich ist es für uns, ihnen eine Art von intellectueller Thätigkeit beizumessen, welche den Gesetzen unseres Verstandes zuwiderlaufen, und die nicht mit den Triebfedern zusammenhängen, aus welchen unsere Leidenschaften entspringen. Der Künstler, sei er Dichter, Maler oder Musiker, erreicht hier die ideale Wahrheit nur durch die Verbindung der beiden Bedingungen, von denen ich gesprochen habe. Stets muß die Natur der übernatürlichen Wesen, wenn sie dazu berufen werden, eine Rolle in irgend einem Kunstwerke zu übernehmen, eines der Elemente reproduciren, welche sich in dem menschlichen Charakter vorfinden; ich meine damit, daß man darin vor Allem das erkennen muß, was die Gattung, welchem das phantastische Individuum angehören soll, an collectiven oder allgemein unterscheidbaren Eigenschaften besitzt. Wenn das Sujet es erlaubt oder selbst erfordert, so muß man selbst einige individuelle Züge dabei anbringen. In dem Freischütz z.B. hat und konnte Samiel, der schwarze Jäger, keinen anderen Charakter haben, als den, welchen man höllischen Geistern zuschreibt, in Robert der Teufel dagegen wird das Princip der Bösartigkeit, welches Bertram als böser Geist besitzt, durch die Vaterliebe bekämpft und neutralisirt, die [12] süßeste und rührendste aller menschlichen Zuneigungen. Die persönlichen Gefühle bringen ihn auf diese Weise in scharfe Opposition mit dem Corpsgeist, wodurch er ein Teufel zum Auslachen und ein höchst sonderbarer Vater wird, obschon er sehr interessant und zuweilen sehr dramatisch, namentlich in dem bewunderungswürdigen Terzette im fünften Acte, wird. Dem sei wie ihm wolle, so erfüllt Bertram wenigstens die wesentlichen Bedingungen jeder dramatischen Person, sei sie Mensch oder Dämon. Man weiß, woher er stammt (eine Hauptsache, wenn man mit Geistern zu thun hat), wer er ist, und was er will.

In der Zauberflöte fehlt Alles, bis auf die Grundbedingung. Die scheinbar realen oder menschlichen Personen werden mit denen vermischt, welche einen übernatürlichen Keim in sich tragen können. Die einen haben zu wenig Körper, um wirkliche Menschen zu sein; die anderen erscheinen zu materiell, um auf den Rang von Geistern Anspruch machen zu können. Es sind unbestimmte, bastardartige Automaten-Creaturen, ohne collective und individuelle Physiognomie, die ebenso außerhalb dem Realen als dem Idealen stehen. So fällt die Königin der Nacht, diese Juno eines unbekannten Olymps aus den Wolken; sie trägt einen mit Sternen besäeten Rock; in ihrem Geräthe-Magazin hat sie Flöten und Zauberglöckchen; sie besitzt aber auch Dolche für ihre Rache, und eine heirathsfähige Tochter, welche sie zuerst einem Prinzen bestimmt und hernach mit einem schwarzen Sklaven verheirathen will. Von ihren drei Gesellschaftsdamen könnte man vermöge ihres Benehmens in der Introduction und ihres Geschreis im Quintett des zweiten Actes allerdings voraussetzen, daß sie die Ehre haben, dem weiblichen Geschlechte anzugehören; aber sie tödten Ungeheuer und machen sich durch das Verschwindloch davon; auch haben diese drei Frauen nur eine Stimme und eine [13] Geberde zusammen; ihre Rolle ist gleich Null; ihre Sprache die der Wiener Grisetten. Ob Feen oder einfache Sterbliche, so schienen sie für den Musiker von keinem großen Belang zu sein, und doch haben sie in der Introduction und im Quartett des ersten Actes einen bedeutenden Antheil.

Sarastro, der ohne Zweifel zu einer Zeit lebte, in welcher das Gesetz gegen die Anhäufung von Stellen noch nicht existirte, vereinigt in seiner Person die Functionen des Königs und Priesters, Moral-Philosophen und Wunderthäters; in seiner Eigenschaft als König läßt er sich von Löwen ziehen; in seiner Eigenschaft als Priester verheirathet er junge Mädchen, welche er ihren Aeltern raubt, und die er als Adepten in Reserve behält; in seiner Eigenschaft als Wunderthäter befiehlt er dem Sturme zu brausen und der Sonne zu scheinen, und augenscheinlich läßt er in seiner Eigenschaft als Moral-Philosoph seinen Sklaven die Bastonade geben. Von diesen so wohl unter einander gemischten Eigenschaften hat ihm die Musik nur eine, die unvertilgbarste von Allen erhalten: seine Eigenschaft als Priester nämlich.

Was die drei Genien betrifft (drei Knaben), so ging der ästhetische Zweck Schikaneder's, als er sie schuf, dahin, sie an einem Seile durch die Luft schweben zu lassen. Wer sind aber diese Genien? Diener des Siegels Salomo's oder der Wunderlampe Aladdin's? Schickt sie uns der Orient? Sind sie Bürger des Feenreichs oder Glieder der Familie der Elementargeister? Nichts von allem Dem. Es sind unbestimmte Wesen ohne Namen, welche man kommen und gehen sieht, wie eine Mallepost, die zwischen den Staaten der Königin der Nacht und dem Sonnenreiche Sarastro's eingerichtet ist, und welche beiden kriegführenden Mächten zu Diensten stehen. Die Genien zeigen sich nie zu gleicher Zeit mit den Damen. Weil aber die Erscheinung der [14] Genien sich an weniger triviale Situationen knüpft, als die der Damen, und weil der Text ihres Gesanges weit weniger unedle Prosa enthält, so konnte sie der Componist mit Formen begleiten, denen weit weniger Materie anhängt. Er konnte es in einigen Scenen, aber nicht immer. Und das ist das Wunder Schikaneder's!

Als beinahe natürliche oder menschliche Personen bleiben noch Tamino und Pamina. Tamino, der fadeste aller Opernliebhaber, der dummste unter allen Prinzen, der feigste aller ersten Tenore, der beim Anblicke einer Schlange in Ohnmacht fällt, der mit einer Flöte den furchtbaren Magier Sarastro bekämpft, weil man ihm das Bildniß einer Frau gezeigt hat, und der zum Feinde übergeht, weil dieser ihm das Original versprochen hat. Pamina ist etwas besser. Was soll man aber von einem Mädchen von hoher Abkunft, einer sentimentalen Prima-Donna denken, welche erotische Duetts mit dem Buffo Papageno, einer schlechten Variante des Wiener Casperl, singt; welche einschläft, um einem Mohren Gelegenheit zu geben, sie im Mondschein zu küssen, und welche sich endlich ohne Weiteres tödten will, weil ein junger Mann, den sie kaum einmal gesehen hat, in einem Augenblicke nicht mit ihr sprechen will, in welchem ihm Stillschweigen auferlegt worden war! Und das sind die Helden des Dramas.

Man denke sich in die Lage eines Musikers, welchen der Dichter auf diese Weise in den unbegrenzten Raum hinausstößt, und dort schweben läßt, ohne daß er je den Fuß auf die Erde setzen, noch sich zu den Wolken aufschwingen kann!

Wenn man an ein stets genaues Verhältniß der Musik zum Libretto einer Oper glaubte, wie die, welche zwischen dem Erfolge und seiner unmittelbaren Ursache besteht, so müßte man suchen, um jeden Preis in dem Plunder Schikaneder's einen Gedanken zu entdecken; einen Gedanken, der zwar tief verborgen, dagegen [15] aber von sehr hohem Werthe wäre, so daß er im Keime die ganze Partitur Mozart's enthalten könnte. Man findet immer, wenn man recht sucht. So fand man also, daß der Gedanke des Dichters: die Apotheose des Freimaurerordens; symbolisch: der Kampf der Weisheit gegen die Thorheit, der Tugend gegen das Laster, des Lichtes gegen die Finsterniß, gewesen sei. Es ist möglich, daß Schikaneder dieser Gedanke vorgeschwebt ist; er wäre seiner würdig; nur wäre es schwer zu errathen, welchen Werth er für den Musiker gehabt hätte. Vor Allem findet sich der Contrast des Lichtes und der Finsterniß, musikalisch gesprochen, in der Zauberflöte nicht vor. Diejenigen, welche die Finsterniß darin hätten personificiren sollen, die Königin der Nacht, ihre drei Damen und Monostatos, wie ich mir denke, haben nichts Schwarzes an sich, als ihre Kleider und ihre Haut; ihr Gesang erinnert durchaus nicht an die Finsterniß, und konnte es auch nicht. Wenn man eine Dummheit durch die andere ausgleichen wollte, so war es noch das Beste, die Personen statt figürlich gerade so zu nehmen, wie sie sind, in ihnen die Helden einer schlechten Fabel und nicht allegorische Wesen zu sehen, die stets kalt in der Poesie, in der Musik unmöglich sind. Und was sollten, ich bitte, Sarastro mit seinem Tempel der Weisheit, den Priestern und Mysterien vorstellen? Eine Art von modernem Clubb, eine essende, trinkende, singende Brüderschaft, welche Taschenspielerkünste trieb, wenn sie gar nichts Schlimmeres that. Eine schöne Weisheit in der That!

Sehen wir, ob es nicht ein Mittel gibt, einen andern Sinn in diesem Werke zu entdecken; eine andere Ursache, welche die Wunder der Partitur geschaffen hat; mit einem Worte, einen Gedanken, den man zulassen könnte, ohne sich auszusetzen, Schikaneder zu verleumden.

[16] Mozart hatte nur noch einige Monate zu leben, als er es übernahm, die Zauberflöte zu componiren. Seine Kräfte hatten schon so sehr abgenommen, daß ihn während des Schreibens häufige Ohnmachten anwandelten. Und doch arbeitete er unausgesetzt an dieser Oper, die ihn trotzdem, was einen Andern angewidert hätte, sehr zu interessiren scheint. Während dem findet sich der verhängnißvolle Bote, der Besteller des Requiems ein. Für wen war diese geheimnißvolle Bestellung? Und die furchtbare Stimme, die so häufig zu dem prädestinirten Manne sprach, erwiederte: für dich selbst! Von da an bemeisterte sich der Gedanke an Gift, welches er erhalten zu haben glaubte, seiner immer mehr, und beschleunigte sein Ende.

Bereits schon sehr schwach und mit einem Fuße im Grabe, konnte Mozart nicht mehr wie ehemals von dem Sturme sinnlicher Neigung sich beherrschen lassen. Er war nicht mehr der Mozart des Don Giovanni. Dagegen ist es nicht selten, daß bei jungen Kranken Empfindungen der Liebe sich steigern, indem sie reiner werden; daß sie einen höhern Grad von Spiritualismus und Poesie erreichen, je mehr die physische Erschöpfung zunimmt. Wenn diese Abnahme hinreichend weit vorgeschritten ist, so daß dem Individuum, welches sie zu erdulden hat, wenig Hoffnung bleibt, so flüchtet sich die Liebe, welcher es an Kraft zu manchen irdischen Anwendungsarten derselben fehlt, gern in das Gebiet der Erinnerung; sie nimmt die Färbung des magischen Prisma an, durch das wir die Vergangenheit sehen; sie durchläuft nach und nach alle elegischen Saiten derMoll-Töne der Seele; und wenn die unabänderliche Ordnung der psychologischen Modulation endlich eine Harmonie in Dur zurückgeführt hat, so strömt die Liebe zu ihrer Quelle zurück. Sie erweckt geheimnißvolle Bilder; sie gibt sich in dem unauslöschlichen Vorgefühle kund; sie wird [17] Religion und religiöse Poesie: der Cultus und der Wunsch nach dem unbekannten Schönen.

Es wird, wie ich glaube, keinen unter meinen musikalischen Lesern geben, der nicht fühlen wird, bis auf welchen Grad der Charakter der schönsten Scenen in der Zauberflöte mit den moralischen Erscheinungen übereinstimmt, deren Ursprung und Folgen ich in Erinnerung gebracht habe. Derartige Analogieen hätten sich aber in einer Theatermusik nicht kundgeben können, wenn das Libretto nicht Veranlassung, oder wenigstens da und dort einen Vorwand dazu geliefert hätte, welches ich nun in Kürze in dieser letztern Beziehung prüfen werde.

In diesem Gemengsel von unzusammenhängenden Scenen, welche der Dichter, um die Augen zu beschäftigen, zusammen erdacht hatte, hatten sich wie aus Versehen einige Gemeinplätze des Gefühls, einige jener lyrischen Gedanken eingeschlichen, welche in ihrer Abstraction oder ihrer Allgemeinheit selbst stets hinreichen, der Vocalmusik die Färbung und den Ausdruck zu verleihen, die ihr am günstigsten sind. Mit diesen Gemeinplätzen vermag ein Mann von Genie immer schöne, wahre, ausdrucksvolle und selbst erhabene Gesänge hervorzubringen; für die großen Effecte dagegen, welche ausschließlich der Theatermusik angehören, reichen aber die lyrischen Momente allein nicht aus, wenn sie nicht durch den Gang des Dramas herbeigeführt und motivirt sind, und vermöge der Charaktere und Situationen auf einen gewissen Grad von Energie getrieben werden. Darin liegt der Grund, warum Musiker zweiten Ranges mit vortrefflichen Vorwürfen sehr dramatische Partituren hervorzubringen vermochten, während dieß Mozart nicht gelang, oder, um mich besser auszudrücken, ohne daß er mit einem an Situationen und Charakteren leeren Libretto daran gedacht hätte.

[18] Welcher Art waren also die lyrischen Gemeinplätze, welche da und dort in die beiden Acte der Oper eingestreut sich vorfanden? Wenn wir genau untersuchen, so können wir uns versichern, daß beinahe alle sich auf religiöse und elegische Empfindungen gründen. Es sprechen sich darin Klage und Träumerei, ein Bedauern der Vergangenheit und ein mystisches Streben aus. Ein reiner Zufall in diesem Werke der Thorheit! Wir geben dieß zu; sammeln wir aber diese zerstreuten Gedanken, so werden wir zu unserer großen Bewunderung sie um eine Art symbolischen Brennpuncts sich sammeln sehen, welcher Zug für Zug das Bild Dessen uns zurückwerfen wird, welcher sich darin erkennen mußte. Selbst der Text, so flach er auch ist, scheint beinahe immer eine Anspielung auf den moralischen Zustand des Componisten zu sein:


Dieß Bildniß ist bezaubernd schön.


(Tenor-Arie).


Einer der süßesten Zufluchtsorte einer kranken Einbildungskraft ist die Erinnerung an die Tage der Jugend, zu welcher dieser Text unsern Heros zurückführte, jener Tage, in welchem das noch jungfräuliche Herz ein Bild verfolgte, dessen Typus die Augen nie gesehen haben und von welchem allein die Phantasie in einigen jener begeisterten Augenblicke des Hellsehens geträumt hatte.


Zum Ziele führt Dich diese Bahn.


(Finale des ersten Actes).


Mozart stand am Ende seiner Laufbahn; er sah den Zielpunct vor sich; das Grab, auf wenige Schritte in der Gegenwart; in der Zukunft einen unsterblichen Ruhm.


Ja ich fühl's, es ist verschwunden.


(Arie der Pamina).


Ja ich fühl es, daß Alles mit mir aus ist! Ist dieß nicht [19] das traurige Thema, aus welchem damals alle Gedanken des Musikers flossen und in welchem sie alle zusammenliefen?

An anderen Stellen fanden die religiösen Gedanken und Gefühle zu ihrem Ergusse Texte mit einem wahrhaft christlichen Anstriche, über die man in einem Libretto dieser Art mit Recht staunt.

Sarastro ruft den Schutz der Götter für die an, welche in Todesgefahr schweben; dann fährt er fort:


Doch sollten sie zu Grabe gehen,

So lohnt der Tugend kühnen Lauf:

Nehmt sie in euren Wohnsitz auf!

(Anrufung an Isis und Osiris).


Wie Tamino vor die geheimnißvollen Pforten geführt wird, welche sich nur einmal für den Eingeweihten öffnen, so hören wir:


Wenn er des Todes Schrecken überwinden kann,

Schwingt er sich aus der Erde himmelan.

(Finale des zweiten Actes).


Die Macht der Harmonie, welche die Zauberflöte repräsentirt, führt die Aspiranten durch die Gänge der Finsterniß, in welche sie sich wagten:


Wir wandeln durch des Tones Macht,

Froh durch des Todes düstre Nacht.

(Finale des zweiten Actes).


Bei'm Anfange eben dieses Finale's kündigen die Genien den Anbruch eines neuen Tages und das Glück der Eingeweihten an:


Dann ist die Erd' ein Himmelreich

Und Sterbliche den Göttern gleich.


Hier nun zeigte sich Mozart, doppelt inspirirt durch an und für sich ganz musikalische Intentionen und durch die erstaunenswürdige [20] Verwandtschaft mit dem gegenwärtigen Zustand seiner Seele ganz als sich selbst. Das ist es, was heut' zu Tage im höchsten Grade anspricht, und nebst einigen anderen Stücken, welche analoge Texte begünstigten, mit unsterblichem Glanze in der Partitur strahlt. Das Komische und das Tragische des Sujets, d.h. die Handlung, das Drama selbst, wurde mehr oder weniger etwas in den Hintergrund gestellt, und wir sehen heut' zu Tage die schwachen Theile des Werkes darin. Man dürfte also wohl mit Wahrheit sagen, daß diese Oper die wenigst dramatische unter den Opern Mozart's ist, weil ihre hervorragendsten Scenen beinahe alle sich an moralische Situationen knüpfen, welche wohl episodisch in dem Drama zum Vorscheine kommen dürfen, aber nie deren ganzes Wesen ausmachen sollten. Das Drama verlangt Handlung und handelnde Leidenschaft. Welcher Art ist aber der Styl der größten Scenen der Zauberflöte? Der des Oratorium's und zuweilen selbst der des hohen Kirchenstyls, in der ganzen Größe und Strenge seiner alten Formen.

Hier finden wir endlich den Gedanken, der das Gedicht befruchtet, und eine so wundervolle Ernte, dem unfruchtbarsten und scheinbar am wenigsten culturfähigen Boden abgezwungen hat. Dieser, im Princip für Jedermann außer für Mozart verborgene Gedanke war augenscheinlich die Einweihung, zwar nicht in die Geheimnisse der Isis oder in die des Freimaurerordens, sondern in die Geheimnisse, welche jeder sterbende Christ hinter den halbgeöffneten Pforten des Grabes erblickt; Sarastro und seine Priester sind wahre Priester in der Partitur, und das Zauberinstrument, die Flöte, ist sie nicht selbst das Symbol der unausgesprochenen und intuitiven Offenbarung der Musik von Gegenständen jenseits des Grabes, von Offenbarungen, deren Gewicht Mozart sicher besser fühlen mußte, als jeder Andere?

[21] Suchen wir auf den Wegen der musikalischen Kritik das zu bestätigen, was wir in dieser Art von Vorrede auszustellen versucht haben.

Don Juan und die Zauberflöte sind die einzigen Opern des Verfassers, welche eine wirkliche Introduktion haben. Die der letzten Oper ist ein Meisterwerk von Anmuth und Zierlichkeit. Bei'm Aufrollen des Vorhangs hört man ein Allegro agitato aus Moll. Man sieht Tamino von der Schlange verfolgt. Die Angst dauert nur einen Augenblick, und der Musiker hat einen Beweis von seinem Geschmacke abgelegt, indem er ein lächerliches Schauspiel abkürzte, welches auf Würde Anspruch macht. Es erscheinen die drei Damen, um das Ungeheuer zu tödten, Victoria zu singen und sich herumzustreiten, welche von ihnen den ohnmächtigen jungen Mann bewachen dürfe. Ein sehr armseliger Stoff; ein fader Text, um den sich Mozart nicht viel kümmerte, und aus welchem er ein köstliches aber gelehrtes Geplauder, classisch nach den Formen des Styls, romantisch und leicht phantastisch hinsichtlich seiner Färbung gemacht hat. Es ist dieß ein Gezänke um ein Spielzeug zwischen kleinen Mädchen, welche sich auf eine hartnäckige und gefallsüchtig schelmische Weise herumstreiten. Dieses Geplauder, welches diese Damen, halb unter sich streitend, halb bei Seite laut werden lassen, verlangte den verwickelten Styl, die Nachahmung und Antworten des Satzes, und der Componist war nicht der Mann, es daran fehlen zu lassen. Was aber vornehmlich den Terzetten der drei Damen und der Königin ein ideales Colorit voll Zauber verleiht, ist die Rolle, welche der Contralt dabei spielt. Gewöhnlich hört man diese Stimme am Wenigsten aus dem Accorde in Stücken zu mehreren Stimmen heraus; weil sie aber hier die tiefste ist, so hat man ihr den charakteristischen Gang einer Fundamentalstimme [22] gegeben, zuweilen sogar mit Unterdrückung des Baßes im Orchester und anderer Instrumente der männlichen Stimmlage, welche ihn gewöhnlich verstärken. Der Effect dieses weiblichen Basses, mit gelehrter und männlicher Kühnheit geführt, ist ganz zauberhaft. Wenn der Contralt von schönem Klange ist, so fühlt man durch ihn das Feenhafte des Sujets.

Die Numer 4. ist eine der lieblichsten und bewunderungswürdigsten Tenor-Arien, die es gibt. Anfangs nichts Entschiedenes, keine Figuren und fast keine Begleitung; ein unbestimmter Rhythmus. Kaum hat das Orchester die Tonart angegeben, Es-dur, als die Stimme eine lange Ausrufung hören läßt: Dieß Bildniß ist bezaubernd schön! Eines jener Ach! welche ein ganzes Geschick in sich schließt, um in dem Jargon unserer modernen Romantiker zu sprechen. Einige bald gelöste Zweifel, über die Art des Gefühls, welches er empfindet, kreuzen die wachsende Gemüthsbewegung Tamino's; melodische Sätze wechseln mit declamirten Sätzen, dazu kommen einige instrumentale Antworten; die Tonart scheint zu schwanken, wie wenn sie nur abwartete, bis die Sache entschieden wäre, um dann einen entschiedeneren Gang anzunehmen. Wenn aber endlich von Frage zu Frage über seinen Zustand der junge Mann zu der für ihn und für Mozart wichtigsten gelangt: Wenn das Original dieses Bildes hier wäre, was würde ich thun, dann entwickelt sich das menschliche Ich in seinen geheimsten Tiefen; man sieht es in der Arbeit der Antwort (Tacte 23. bis 42). Wurde je mit dieser psychologischen Wahrheit, mit diesem göttlichen Zauber jene Anwandlung von wollüstiger Schwäche, in Begleitung jenes Zitterns und Bebens, welche eine jungfräuliche Organisation bei ihrem ersten Versuche, die Liebe zu errathen, empfindet, wiedergegeben? fühlt man nicht die Pulsation der zartesten Fasern des[23] Herzens in dem Accompagnement, und trifft sich Etwas glücklicher als die allgemeine Pause, welche den 43. Tact ausfüllt? Tamino ist endlich im Reinen; die immer ausdrucksvoller werdenden Augen des Bildes haben ihm das Räthsel gelös't, aber der Athem vergeht ihm, wenn er es erfährt. Daher, wenn sie da wäre? – O, wenn sie jetzt käme, Tamino weiß, was er dann zu thun hätte. Er würde sie an sein Herz drücken und sie wäre ewig sein. Bravissimo! Das führt die Liebe an's Ziel und die musikalische Progression ist zu Ende, welche bewunderungswürdig den lyrischen Moment schließt, und dem Componisten erlaubt, es ebenso zu machen. Nach der Pause herrscht kein Zweifel, gibt es keine declamatorischen und fragenden Sätze mehr. Es wird hell in der Seele des Sängers; ein unermeßliches Sehnen nach dem Besitze erfaßt sie; die Melodie fließt in Strömen dahin. Es gibt Nichts dieser Arie Aehnliches, selbst in Mozart's Repertoire.

Wenn wir der Ordnung der Numern folgen, welche den Genuß der Kenner ausmachen, so kommen wir an das Quintett (Nr. 5), welches in Prag auf dem Billard angefangen und beendigt wurde. Der poetische Stoff ist hier wieder sehr gering. Man legt Papageno ein Schloß an den Mund; die drei Damen übergeben Tamino eine Flöte, und dem Vogelfänger ein tragbares Glockenspiel; sie zeigen ihnen die Reiseroute an, welche nach der Residenz Sarastro's führen soll, und wünschen ihnen schließlich glückliche Reise. Dieser Text war nicht viel unbequemer als die impensata novità des Sextett's in Don Giovanni! er ließ dem Musiker hinreichenden Spielraum, der aus diesem Grunde ihm sein eigenthümliches Siegel aufdrücken konnte. Das Quintett Hm! hm! – ist sehr originell, und von jener anmuthig, romantisch-phantastischen Originalität, welche beinahe allen Scenen dieser Gattung in unserer Oper eigen ist. Seine [24] leichten, gefälligen, fast populären Melodieen fließen so natürlich in einander, daß man sogleich die Gedanken der ersten Intention darin erkennt; die Figuren des Accompagnements sind voll Anmuth; und die Modulation, obgleich unabänderlich in den Grenzen des Modegeschmacks gehalten, wird frappant. Einige syllabische Sätze des Allegro, die angenehmsten nach meiner Ansicht, haben den Gang und die pikante Ungezwungenheit eines Instrumental-Scherzo: Silber – glöck – chen – Zauber – flöten u.s.w. Alles ist zauberhaft und wundervoll in dem Andante, welches dieses köstliche Quintett schließt. Der Hauch der unsichtbaren Regionen dringt zu uns durch die Töne des Clarinett's und Fagott's in geheimnißvollen Dreiklängen, welche sich in der harmonischen Distanz, aber nichtsdestoweniger auf eine ungewöhnliche und frappante Weise folgen, in Betracht der Mischung der Sexten-Accorden mit den vollkommenen Accorden, und des Majore mit dem Minore. Dieses Ritornell, ein Vorspiel des Vocalgesangs und identisch mit demselben, zeigt uns im Voraus die luftigen Führer, welche Tamino und Papageno in's Land der Mysterien führen. Drei Knäbchen etc.

In dem ersten Acte bis zum Finale einschließlich, sehen wir Mozart und Schikaneder abwechselnd regieren und abdanken, wie es die beiden Könige von Sparta thaten. Nach dem Quintett Nr. 6. kommen das Terzett Nr. 7. und das Duett Nr. 8., auf welche das Haupt der Unternehmung ein ausschließliches und unangreifbares Vorrecht hatte. Das Terzett fängt mit einem Anschein von Ernst an, und endigt bei dem Zusammentreffen Papageno's mit Monostatos, die sich gegenseitig für den Teufel halten, mit Ausrufungen des Schreckens. Es hat das Verdienst sehr kurz zu sein, und darin übervortheilte Mozart gewöhnlich seinen Cameraden. Was das Duett anbelangt, so ist dasselbe [25] mit der besten Tinte Schikaneder's, und mit einer eigens dazu geschnittenen Feder geschrieben, um das Jahrhundert und die Nachwelt zu belehren: daß Männer, welche Liebe zu fühlen fähig sind, stets ein gutes Herz haben; daß es dann die erste Pflicht der Frauen sei, diese süßen Triebe zu theilen; daß Mann und Frau, Frau und Mann an die Gottheit angrenzen.


Mann und Weib

Und Weib und Mann

Grenzen an die Gottheit an.


Man wird einsehen, daß ein Text, in welchem eine so erhabene Moral in dem Glanze einer so erhabenen Poesie strahlte, ein Duett, das zugleich erotisch und diktaktisch ist, zwischen der Heldin und dem Komiker des Stückes, nicht der Discretion des Musikers überlassen bleiben konnte. Man mußte dem armen Unwissenden zu Hilfe kommen; man mußte, sagt uns Herr v. Nissen, seine Arbeit ihn fünfmal umändern lassen, und fast für ihn arbeiten. Nach einer ziemlich allgemein verbreiteten Sage soll Schikaneder selbst das Motiv zu dem Duett geliefert haben, wie er auch das Motiv zum Vogelfänger erfunden haben soll. Wenn die Sache wahr wäre, so könnte man höchstens glauben, daß ein blindes Schwein auch zuweilen eine Eichel findet, denn das Duett ist gerade das, was es sein soll. Pamina, eine der edlen Rollen in der Partitur, und Papageno, eine niedrig komische Rolle, vermischen ihre Stimmen, um die Liebe zu preisen. Die Liebe ist das große Princip der Gleichheit; sie erhebt den Menschen des Volkes, und läßt die Großen von den Höhen ihrer gesellschaftlichen Stellung herabsteigen. Die Entfernungen nähern sich moralisch und darum hat die Musik eine richtige Mitte aufzufinden, in welcher ein Mädchen von hoher [26] Geburt und hoher und musikalischer Würde, und der plebejische Komiker sich vereinigen konnten; die Eine ohne aus der Rolle zu fallen, der Andere ohne den Adel eines ersten lyrischen Sängers für sich in Anspruch zu nehmen, welchen feine Papageno-Natur ihm in keinem Falle je zu erreichen erlaubt hätte. Von diesem Gesichtspuncte, vorausgesetzt, daß er richtig durchgeführt wurde, mußte eine für Jedermann zugängliche und Jedem angenehm tönende Composition entstehen, die zwar äußerst populär, aber nicht gemein und niedrig werden durfte, wie z.B. das Duett zwischen Papageno und Papagena, welches zwei homogene Wesen sind. Dieser Aufgabe entspricht auch das Duett: Bei Männern, welche Liebe fühlen. Nie entzückte eine einfachere Melodie ihre Zuhörer. Sie gefällt noch immer, trotzdem daß man sie so oft an öffentlichen Orten sowohl, wie im häuslichen Kreise zu hören bekommen hat; denn es gibt keine Familienmutter oder Großmutter in ganz Deutschland, welche sich nicht erinnern wird, zuerst mit ihre Gatten, während der Flitterwochen, und später mit den Freunden des Hauses, die mit einer erträglichen Tenorstimme begabt waren: Bei Männern, welche Liebe fühlen, fehlt auch ein gutes Herze nicht, gesungen zu haben.

Mögen meine Leser das Interesse theilen, mit dem ich mich bei diesem Stücke aufgehalten habe! Gibt es aber auch etwas Merkwürdigeres als einen Musiker von Talent, eingefleischtem Wissen und feurigem Geiste, der eine Arbeit fünfmal neu anfangen muß, sich wie ein einfältiger Schüler Abänderungen gefallen läßt, welche der geringste Notenschmierer für eine Beleidigung gehalten hätte, der den musikalischen Gedanken Schikaneder's annimmt, statt ihm die Partitur an den Kopf zu werfen, und aus welchem Grunde? Um diesen schamlosen Taugenichts [27] nicht vor den Kopf zu stoßen, der seine Langmuth auf so unglaubliche Proben stellte!

Das Finale Nr. 9. fängt mit der Erscheinung der drei Genien an. Ich sage Erscheinung, denn es ist wohl eine in der Musik; aber ebenso ruhig und friedlich, als wie die in Don Giovanni schrecklich war. Eine sanfte Feierlichkeit und zu gleicher Zeit ein Lächeln ewiger Glückseligkeit, durchdringen diese durchsichtigen Accorde, die zu gleicher Zeit aus dem geheimnißvollen Tempel und aus den lieblichsten Träumereien der arabischen Märchenwelt zu dringen scheinen. Unwillkürlich nimmt die Phantasie ihren Flug in jene Zauberreiche, in jene fernen und unbekannten Länder, in welchen nichts untergeht, nichts sich verändert; in welchem die Gestirne weder Auf-noch Niedergang kennen; in welchen der Körper sich von leuchtendem Nektar nährt, und die Seele aus einer unversiegbaren Quelle von Poesie ihren Durst stillt. Zum Ziele führt Dich diese Bahn. Die wunderbare Färbung in dieser durchsichtigen Harmonie entspringt zum Theil aus der Anwendung eines Mittels, welches Mozart bereits mit so vielem Glück in den phantastischen Scenen in Don Juan versucht hat, und welches in der fortgesetzten Verlängerung einer Note besteht. Man nehme aus dieser tonischen Masse das gehaltene G der Flöten, Clarinette und hohen Posaunen weg, und die Piece wird völlig unkenntlich werden, obgleich Melodie und Harmonie durchaus dieselben bleiben. Versuchen wir uns über die analoge Macht dieses Verfahrens Rechnung abzulegen, dessen Verbindung oder wenigstens glücklichste Anwendungen unter zwei conträren Gesichtspuncten Mozart angehören.

Der Charakter einer Vision mag sein wie er will, lieblich oder schrecklich, himmlisch oder höllisch, so ist die Phantasie stets geneigt, die Bewohner der andern Welt unter einer Art von Unbeweglichkeit [28] sich vorzustellen, welche beweis't, daß sie nicht unser organisches Leben führen; oder wenn die Phantasie ihnen irgend eine Geberde zuweis't, so wird diese verhängnißvolle Geberde stets irgend einen Beschluß des Schicksals ausdrücken. Im Allgemeinen glauben wir, daß die Bewegungen nicht wie die unseren von einem Acte der Willkür abhangen, sondern von einer Laune der Elemente, welchen der Geist körperliche Substanz verliehen hat, um dem Gesichtsorgan sich darstellen zu können. Die Erscheinung wird in einer Wolke oder bläulichen Flamme schwimmen, welche ihm als bewegliche Rahmen dienen, während die Züge des Geistes stets einen unbeweglichen Ausdruck und jenen stieren Blick beibehalten werden, in welchem kein Schlagen des Herzens sich verräth, jenen langen Blick, welcher die lebende Creatur blendet, kettet, desorganisirt und welcher dieselbe entweder vor Entzücken oder vor Schrecken vernichten würde, wenn er zu lange auf ihr haften bliebe. Das ist der Sinn der lang gehaltenen Note. Weil aber andererseits die Musik den Vortheil hat, die Dinge auf eine objective und subjective Weise zugleich darstellen zu können, d.h. zugleich das Object und die Eindrücke dessen, welcher sie betrachtet, zu malen, so muß die gedehnte Note eine Harmonie durchlaufen, die den Fluctuationen der psychologischen Bewegung folgt, welche die Anwesenheit des übernatürlichen Wesens hervorbringt. Wenn die Erscheinung schrecklicher Natur ist, wie im Don Juan und im Freischütz1, so ist die Bewegung fieberisch, an Wahnsinn streifend, von Symptomen begleitet, welche die Extreme berühren: fieberische Aufregung und kalter Schweiß, schlagartige Unbeweglichkeit und convulsivisches Zittern. Dann hat die Modulation [29] einen analogen Gang, voll Unruhe und Abschweifung; die gehaltene Note wird dann unter sehr verschiedenartigen Andeutungen, den entserntesten und wenigst vorhergesehenen, zum Vorschein kommen. Wenn dagegen die Vision glückseliger Art ist, so muß die Harmonie jene verborgene und köstliche Ruhe zurückwerfen, in welche der äußere Mensch im Zustande der Begeisterung vertieft zu sein scheint; und in solchem Falle muß die gedehnte Note auf ihre nächste harmonische Bedeutung beschränkt bleiben. So sehen wir in dem Larghetto, welches uns beschäftigt, sie nur als Quinte des tonischen Accords und als Grundton des Dominanten-Accords, mit und ohne die Septime. Wie einfach und doch welch' magischer Effekt!

Nachdem Terzett der Genien findet man noch mehrere bemerkenswerthe Einzelnheiten in dem Finale des ersten Actes: ein schönes obligates Recitativ, und schöne Antworten des unsichtbaren Chors auf Tamino's Fragen; einen sehr schönen zweistimmigen Kanon, einen mit vieler Kunst und Lieblichkeit auf einer gegebenen Instrumentalfigur construirten Dialog: Nun stolzer Jüngling etc. und den letzten Chor Presto, eine Art von Hurrah! Sarastro zu Ehren, damit der Vorhang munter und glänzend fallen kann. Nichtsdestoweniger kann man dieses Finale das schwächste, das aus Mozart's Feder geflossen ist, nennen. Der Grund liegt darin, weil in dem Libretto das Finale durchaus keinem Finale gleichsieht. Statt eines dramatischen Aneinanderreihens der Scenen, einer lebhaften compacten und progressiven Handlung, haben wir hier nichts als kleine Tableaux, jedes in seinem besondern Rahmen und durch Veränderung der Decoration von einander getrennt. Ueberdieß sind diese kleinen Tableaux im höchsten Grade elend, anti-dramatisch und anti-lyrisch. Tamino bläs't die Flöte und die Thiere hören mit zu; dann halten sich [30] der Vogelfänger und die Prinzessin, welche nichts Eiligeres zu thun haben sollten, als zu fliehen, noch auf, um in Terzen die Vortheile hervorzuheben, welche ein paar flinke Beine gewähren: Schnelle Füße etc.; dann die Mohren, welche bei den Tönen des Glockenspiels tanzen; ferner Sarastro, der von der Jagd zurückkehrt und Monostatos die Bastonade zu ertheilen befiehlt, während man seine Weisheit, die er eben durch diese Bastonade so glänzend an den Tag legt, besingt. Ich frage, wie soll man mit all' diesem ein Finale machen, wie man sie in Don Juan und Così fan tutte findet?

Der zweite Act fängt mit einem Priestermarsche an, welchem Mozart seinem Idomeneo entlehnt hat, einem vergrabenen Schatze, aus welchem er sich erlaubte, hie und da einige Goldstücke herauszunehmen, um sie in Circulation zu setzen. Wenn diese Selbstplagiate einer andern Entschuldigung bedurften, so würden wir sagen, daß der Componist, wenn er auf seine eigenen Gedanken zurückkam, es nie unterließ, sie dem Wesen nach zu bereichern, und der Form nach zu vervollkommnen. Wenn man die beiden Märsche vergleicht, so wird man finden, wie weit der in der Zauberflöte sein Muster überragt, sowohl in Hinsicht der Anlage, als im Reichthume der Instrumentation, und durch die Majestät seines erhaben priesterlichen Charakters. Die erste Version ist eine Skizze, die andere ein von Meisterhand vollendetes Gemälde.

Auf den Marsch der Priester folgt eine Anrufung, gerade wie auch in Idomeneo; dießmal müssen wir aber statt ein neues Anlehen darin zu finden, einen sehr bemerkenswerthen Gegensatz hervorheben. So sehr die Anrufung Neptun's an die Bilder des heidnischen Cultus erinnerte, so sehr die Arbeit des Orchesters geschmückt und der Styl blumenreich war, ebensosehr [31] nähert sich das Gebet zu Isis und Osiris, in seiner erhabenen Einfachheit dem Choralgesange, während der zahlreiche Periodensatz und der melodische Fluß, den man so gern in einer Opern-Arie findet, darin bewahrt ist. Die Harmonie ist es, namentlich die des Chors, mitten und am Schlusse dieses göttlichen Gesanges, welche ihm den stark ausgesprochenen Beigeschmack von Kirchenmusik verleiht. Das Accompagnement ist der melodischen Anlage nur in breiten und vollzähligen Accorden, und im großartigsten Effekt angehängt. Man hört keine Violinen, keine Flöten; aber Violen, ein Violoncell, Fagotte und Posaunen, in ernster und mächtiger Harmonie, durch welche die Stimme des Oberpriesters, gleich einer großen Wolke von Weihrauch allein gen Himmel steigt. Sie ertönt (d.h. sie sollte immer ertönen) gleich jenen mächtigen Stimmen, welche mit der Gewalt der Orgel rivalisiren, die Gewölbe der alten Kathedrale erschüttern, und so tiefen Nachhall in den Seelen der Gläubigen finden. Die musikalische Rolle Sarastro's erhält sich unabänderlich auf dieser Höhe.

Wir übergehen das Duett Nr. 12. und das Quintett Nr. 13., welche auf Worte componirt wurden, die gewissermaßen uncomponirbar sind, um ein Wort über Nr. 14. zu sagen. Es ist dieß die Ariette des Mohren, welcher der eingeschlafenen Pamina einen Kuß geben will, eine Ariette, welche ohne Widerrede ganz in Schikaneder's Domaine gehört. Die Melodie derselben ist unbedeutend und gewöhnlich, doch verstand es der Musiker, sie mit Hilfe der Instrumentation ziemlich originell zu machen. Die Violinen, welche in der doppelten hohen Octave mit der Stimme gehen, die Passagen der ersten Flöte, welche irgend eine Schaustellung, das Zeigen eines gezähmten Bären z.B., anzukündigen scheinen, die Menge der Gänge in Sechszehnteln, welche das Orchester unisono ausführt, das ganze Accompagnement [32] von einer so ganz ungewöhnlichen Form, gibt dem Stücke einen Charakter von wilder Rohheit und plumper Fröhlichkeit, welche vollkommen mit den brutalen Absichten und dem schwarzen Gesichte des Monostatos harmoniren.

Von hier an drängen sich die großen Schönheiten im zweiten Acte und füllen ihn bis an's Ende aus, mit Ausnahme einiger leichten Unterbrechungen, welche sowohl durch buntscheckige und unter sich unvereinbare Gemengsel der Scenen, die sich mit dem Erhabenen und Gemeinen im Drama vermischen, als durch die Grundbedingung im Contract, den der Musiker mit dem Direktor eingegangen hatte, veranlaßt wurden. Die Königin der Nacht, deren Partie Mozart den außerordentlichen Mitteln seiner Schwägerin, Hofer, angepaßt, hatte sich bereits im ersten Acte durch eine verzweiflungsvolle Bravour-Arie angekündigt. Aber die zweite Arie: Der Hölle Rache, an die wir jetzt kommen, ist noch etwas ganz Anderes. Sie erlaubt der Sängerin keinen Mittelweg, wenn sie dieses furchtbare Stück singen will, wie es geschrieben steht. Entweder steigt sie zu den Sternen auf, wenn ihr hohes F rein genug ist, sie dahin zu tragen; oder, wenn sie es nicht erreichen kann, so bleibt ihr nichts übrig, als die Schande und die Schmach ihres Sturzes in dem Verschwindloche zu verbergen, welches der Dichter in Voraussicht eines so traurigen Falles ausdrücklich für sie geöffnet hat. Das Transponiren bietet ein leichtes und allgemein verbreitetes Mittel, um nicht diese Gefahr zu laufen, und dem Werke das einzige Stück kräftiger und dauernder Leidenschaft zu erhalten, welches sich darin findet. Es gibt nichts schöneres als den declamatorischen Theil dieser Arie und den recitirenden Satz, der sie schließt. Für uns hat sie aber den großen Nachtheil, daß sie zu sehr mit Gängen in Staccato [33] überladen ist, welche man heut' zu Tage nicht mehr liebt, und zwar aus guten Gründen. Es gäbe aber ein leichtes Mittel der Abhilfe, wenn man die punctirten Achtel in verbundene Sechszehntel auf der nämlichen melodischen Figur verwandelte, wodurch man herrliche Rouladen erhielte.

Unmittelbar nach diesem wüthenden Rachegeschrei gibt uns Schikaneder, als großer Moralist, der er war, ein Gegengift gegen die blutdürstenden Worte, welche die Königin der Nacht so eben herausgedonnert hat; einen Text voll Menschenliebe, einen Fetzen von Predigt, welcher die Rache verdammt und den Menschen anempfiehlt, sich als Brüder zu lieben. Die Stimme, welche Isis und Osiris angerufen hatte, rief auch ihre göttlichen Lehren in Erinnerung. In diesen heiligen Hallen kennt man die Rache nicht. Larghetto, E-dur. Sarastro strebt leidenschaftlich nach dem Glücke der Menschheit, wie die Königin der Nacht nach der Rache; er läßt also die Zuhörer das empfinden, was ihm der Dichter nur als moralischen Gemeinplatz in den Mund legt. Daher schreibt sich der tiefe Zauber und die unzerstörbare Macht dieser Arie, welche die liebevollste Sanftmuth, die eindringlichste Salbung athmet, und welche, würdig vorgetragen, viel sicherer Thränen entlockt, als viele Stücke, in welchen die Mittel der Kunst auf's Aeußerste getrieben sind, um großen Pathos hervorzubringen. Mozart hat aber hier nur ganz einfache Mittel angewendet; ein Gesang von 24 Tacten, welcher streng in seiner Tonart, ohne irgend eine Modulation bleibt; nüchtern ausgewählte Orchester-Figuren; als Ausschmückung einen nachahmenden Gang, motu contrario, und die Wiederholung einer Vocal-Periode durch die Flöte, während die Stimme in tiefen Tönen herabsteigt, welche vorher eben dieser Periode als Baß gedient haben; das sind die Elemente einer Composition, deren [34] Macht ich für unzerstörbar erklärt habe. In welchen Proben hat dieselbe nicht schon Stich gehalten?

Seit so vielen Jahrzehnten haben alle mit tiefer Stimme begabten Sänger diese Arie wiedergekäuet, überall wo es ein Orchester, ein Clavier oder eine Guitarre gab, und selbst auch ohne diese. Dabei vergesse man nicht, daß beinahe alle sie carikirten, und zwar sowohl aus Mangel an Schule, als auch weil es den Baßtimmen, wenn sie auch den nothwendigen Umfang haben, um den Sarastro und andere Partieen dieser Art zu singen, sehr häufig in der tiefen Quinte vom D bis zum A an Schönheit oder Kraft gebricht, und sie meistens zu den Kategorien gehören, welche im Deutschen mit dem familiären Ausdruck: Bierbaß und Strohbaß bezeichnet werden; und so geschieht es manchmal, daß das Orchester, die mangelnden Töne der Stimme ergänzen muß.

Nr 17. Terzett. Die Flöte und die Zauberglöckchen, welche ohne Zweifel als verdächtige Waare an Sarastro's Douane confiscirt worden waren, werden von den Genien ihren Eigenthümern wieder zugestellt, wobei sie ihnen eine Collation und Erfrischung zukommen lassen. Für die ermüdeten Reisenden ist diese Situation ganz schön; dagegen ist sie es weit weniger für den Componisten. Als Haushofmeister und Kellner konnten die Genien, mit so prosaischen Funktionen beauftragt, nicht mehr den Charakter zeigen, welcher sie bei ihrem ersten Auftreten auszeichnet. In diesem Terzett nahm Mozart in Ermanglung eines Bessern zur musikalischen Malerei seine Zuflucht. Er erinnerte sich, daß die Genien Flügel hätten und er läßt diese Flügel im Orchester, in kleinen wiederholten Stößen, die so lebhaft und munter sich bewegen, hören, daß man den launenhaften Flug einer Fliege schwirren und summen zu hören meint. Diese Form der [35] Begleitung setzt sich während der Pausen der Stimmen bis an's Ende fort, und ist von bezaubernder Anmuth.

Pamina war im ersten Acte so mißhandelt worden, wohlverstanden durch den Verfasser der Worte, daß Mozart mit Begierde eine Gelegenheit ergreifen mußte, das dieser interessanten Person angethane Unrecht zu rächen. Der Text der Nr. 18. gab ihm hiezu eine sehr günstige Veranlassung. Es ist einer der glücklichsten Zufälle im Libretto, in welchem das Gute immer nur zufällig ist. Pamina beschließt, einer Existenz ein Ende zu machen, welche die Liebe kaum erst in's Leben gerufen hat; nach ihrer Ansicht bleibt ihr keine Zufluchtsstätte übrig, als das Grab. Dramatisch genommen hat dieses junge Mädchen ohne Zweifel sehr großes Unrecht, für Nichts und wieder Nichts so sehr zu verzweifeln; wer aber unter uns hat in seiner Jugend nicht schon oft, und mit der Aufrichtigkeit einer Schrecken erregenden Ueberzeugung zu sich selbst gesagt: »Ja, Alles ist aus, Alles ist verloren, auf ewig verloren, und ach! das Leben ist so lang. Was soll ich damit machen?« Und aus welchem Grunde haben wir dieses klägliche Selbstgespräch an uns gerichtet? Wegen einer getäuschten Hoffnung oder vielleicht um einer noch geringern Ursache willen. In diesem Falle befindet sich eben das junge Mädchen, und aus diesem Grunde bewegt sich natürlicher Weise ihre Arie in den klagendsten und melancholischsten elegischen Corden. Ja, ich fühl's, es ist verschwunden: Andante, G-moll6/8. Diese Arie oder Cavatine ist von einem Ausdrucke, die der Musiker aus dem tiefsten Innern seiner Seele hervorgeholt hat, aus welchem Grunde sie auch immer zur Seele der Zuhörer dringen wird, so lange Lieben und Dulden das Loos der Menschheit sein wird. Vermöge des Schlusses der Vocalstimme und der Einfachheit seines Accompagnements nähert sich das Stück ein [36] wenig dem Charakter der Romanze. Die Instrumental-Melodie läßt sich nur von Zeit zu Zeit darin hören, und gleichsam nur wie ein flüchtiges Echo der Stimme. Man täusche sich aber deßhalb nicht; diese scheinbare Einfachheit verbirgt harmonische Schätze. Man sehe wie die herbsten Dissonanzen sich mit den sanftesten Accorden in den Tacten 5. und 6. vermählen, wo der große Septimen-Accord so köstlich mit dem vermehrten Sexten-Accorde abwechselt. An anderer Stelle zeigt sich die herbe Harmonie der kleinen None in zwei verschiedenen Tönen, mit allen ihren Intervallen und einem bewunderungswürdigen Effekt. Es findet sich aber namentlich eine Stelle vor, ein harmonischer Trugschluß, mit welchem wir Nichts in seiner Art vergleichen können. Es ist dieß eine vollkommene Cadenz, welche sich im Gesange vorfindet, Tact 33., welche der Componist aber vermieden hat, indem er den Grundbaß um eine Quinte statt um eine Quarte steigen läßt. Mußte man nicht Mozart sein, um die Modulation zu unterbrechen und sie auf diese Weise auf die Tonica zurückführen, auf welcher der Gesang in Thränen sich auflös't! Und welchen Schwung des Genius zeigt noch das Ritornell am Ende, dieser chromatische Baß, welcher mit so vieler Anmuth, unter den schluchzenden Synkopen der Flöte und Violine dahinfließt. Die Schönheit des Styls und die Tiefe des Ausdrucks konnten in einer Piece von diesem Charakter nicht weiter getrieben werden.

Der Text der Nr. 19., ein Priester-Chor, obgleich sehr alltäglich auf Sonne und Wonne gereimt, folgte sehr gut auf eine elegische Ergießung. Er fängt wie Nr. 11. mit Isis und Osiris an, ohne deßhalb aber eine Anrufung oder ein Gebet zu sein. Die Eingeweihten, welche den guten Eigenschaften des Novizen (Tamino) Vertrauen schenken, wünschen sich Glück, bald einen Bruder mehr zu zählen. Bald fühlt der edle Jüngling [37] neues Leben, Worte, welche dem Musiker die Grundlage und ästhetische Färbung des Stückes geliefert haben. Das neue Leben, welches Tamino versprochen ist, läßt sich in dem Gesange der Eingeweihten, welche es bereits angetreten haben, fühlen und begreifen. Die erhabene Heiterkeit, die geheimnißvolle Ruhe, der himmlische Wohlklang, die strahlende Größe, welche dieses Musikstück auszeichnen, würden einen glauben lassen, den Chor seliger Geister zu hören, welche in den Wolken singen, wenn man nicht die Blechinstrumente und eine fast Palästrina'sche Harmonie zu hören bekäme, welche den Flug der Phantasie auf die Umschließung des Tempels beschränken. Die Eingeweihten sehen die Gottheit noch nicht anders, als durch die Bilder des Cultus und die Hülle der priesterlichen Formen. Sie haben deßhalb auch nur einen Wunsch, welcher sich mit der höchsten Erhabenheit des Ausdrucks in dem Worte bald concentrirt. Bald, bald, bald wird er unsrer würdig sein, ein Satz, dessen musikalischer Sinn sich sehr gut durch ein malerisches Bild übersetzen läßt. Man sieht den Gerechten, welcher, ermüdet von seiner irdischen Laufbahn, die Hände und Augen gen Himmel erhebt und sich in der Freude seines Herzens sagt: Bald! Dieser Chor ist dreistimmig; die Harmonie ist ganz einfach alla capella; die Trompeten und Posaunen ertönen im Unisono mit den Vocalstimmen; nur am Ende findet sich eine Orchesterphrase, eine unvergeßliche Phrase mit vier Noten. Sie ist schön bis zur Anbetung, salbungsreich bis zu Thränen, erhaben, göttlich!

Man findet ziemlich allgemein, daß unter allen En semble-Stücken der Oper bei der Aufführung das Terzett Nr. 20. Soll ich Dich, Theurer, nicht mehr sehen, den meisten Effect macht. Ich werde nicht Nein sagen, aber ich werde den Grund, warum, angeben. Dieses Terzett umfaßt außergewöhnlicherweise [38] eine wirklich dramatische Situation. Die Stunde der Prüfung ist gekommen; die Liebenden sollen sich trennen; unter ihr Lebewohl mischt sich die Angst vor Gefahren. Pamina gibt sich ganz ihren Beängstigungen hin; Tamino setzt ihr eine Resignation entgegen, welche mehr in seiner Willenskraft, als in seinem Herzen ihren Grund hat; Sarastro, dessen imponirende Festigkeit durch ein väterliches Wohlwollen gemäßigt ist, benachrichtigt die jungen Leute, daß die Zeit drängt, und ermahnt sie zum Muthe. Dieß ist sicher ein vortrefflicher Vorwurf für ein Terzett. Ein an und für sich ganz lyrischer Gedanke, individuelle Gefühle im Contrast, Progression und die für das Ohr angenehmste Verbindung der verschiedenen Stimmlagen des Sopran's, Tenor's und Basses. Andere Musiker hätten vielleicht dem Stücke eine tragische und leidenschaftliche Färbung gegeben; Mozart hat dieß nicht gethan. Das wäre so viel gewesen, als die Situation zu mißkennen und den Charakter der Pamina zu entstellen, welche im ganzen zweiten Acte sich als der wahre Typus der jungen, blassen, melancholischen, nervösen, hysterischen und ultrareizbarsten Mädchen der heutigen Romane zeigt. Außerdem handelte es sich ja nicht um eine Trennung auf ewig, welche mit Gewalt mitten unter einem Haufen von Comparsen mit sauertöpfischen Gesichtern bewerkstelligt wird. Es handelt sich um eine Trennung von einigen Stunden; die Gefahr, welche nur in der Perspective erschrecklich scheint, ist Nichts, als ein Phantom, welches vor einem festen Entschlusse verschwinden wird. Eine zu dunkele Färbung hätte demnach ein Gemälde verfälscht, welches natürlicherweise die sanftesten Tinten verlangte. Wir hören Seufzer der Liebe, zärtliche Klagen, melancholische Vorgefühle, aber nie den Schrei einer grundlosen Verzweiflung. Das Orchester bewegt sich in Arpeggien; und auf dieser bewegten aber gleichförmigen [39] Grundlage zeichnen sich die entzückenden Vocalmelodieen auf bewunderungswürdige Weise ab. Man hört Anfangs einen Dialog zwischen der Frau, welche die Gefahr übertreibt, und den beiden Männern, welche sie ermuthigen und trösten. Bald verändert sich aber die Combination. Tamino, der zukünftige Weise, fängt an mit seiner Braut in Terzen zu weinen: Wie bitter sind der Trennung Leiden! Es bleibt also nur noch der Greis übrig, um Vernunft zu predigen oder zu singen. Das Ensemble der drei Stimmen wird zum kanonischen Contrapunkt, welcher mit fließenden melodischen Sätzen wechselt. Dann kommt jene schöne Progression, in welcher der Baß im tiefen B anfangend: Die Stunde schlägt in aufeinander folgenden halben Tönen in das D hinaufsteigt, während jeder modulatorische Schritt immer ausdrucksvollere Antworten in den obern Stimmen hervorruft. Die erstickenden Worte des letzten Lebewohls werden warm und mit klopfendem Herzen mitgefühlt, da, wo einige Tacte vor dem Schlusse der Componist den Sopran und Tenor mit einer so großen contrapunctischen Meisterschaft in einander verflochten hat, in a truly masterly manner, wie Burney sagen würde. Welch' ein Terzett!

Der zweite Act steht höher als der erste, selbst in den Scenen trivialer und populärer Lustigkeit, welche mit dem Erscheinen des Vogelfängers verknüpft sind. So hat die Arie: Ein Mädchen oder Weibchen Nichts von ihrer melodischen Frische verloren, und das Glockenspiel, welches die Verse mit Variationen begleitet, übt auch auf das Parterre und die Gallerieen dieselbe magische Gewalt, welche es an anderem Orte auf Monostatos und seine Ohren geübt hatte. Ueberdieß ist die Melodie dieser Verse ein vortreffliches Thema mit Variationen.

Die beiden Verfasser der Zauberflöte scheinen alle ihre Kräfte [40] gesammelt zu haben, um in dem letzten Finale einen Hauptcoup auszuführen und sich, jeder in seiner Art, selbst zu übertreffen. Man könnte zugleich auch glauben, daß Beide, Jeder zu seinem Vortheile, ihre ganze Gewandtheit aufgeboten hatten, um den Contract zu umgehen, welcher ihre gegenseitigen Interessen garantirte. Mir gehört das Finale, sagte Schikaneder. Pamina, die, weil sie der Schuh etwas drückt, wahnsinnig geworden ist; der Vogelfänger, der sich zur Unterhaltung des Publicums hängen will, und der sich aber sogleich wieder losmacht, sobald er sein mit Federn bedecktes Weibchen sieht, deren Entbehrung ihm den Spleen verursacht hatte; hernach die Geheimnisse der Isis in voller Thätigkeit, das seltene und herrliche Schauspiel der Prüfungen im Feuer und im Wasser; die Königin der Nacht, die mit ihrer schwarzen Bande kommt, und mit dieser in den Schlund des Tartarus geschleudert wird; endlich der Triumph der Weisen, die Moral des Stückes, d.h. eine ungeheure Sonne aus in Oel getränktem Papiere, welche den ganzen Hintergrund des Theaters einnimmt. Alles dieß war so schön, so blendend und die Anhäufung der Wunder war der Art, daß Mozart die Hand an die Stirne legen mußte, um zu sehen, ob auch für ihn noch ein kleines Plätzchen übrig blieb. Glücklicherweise mußte man dem Maschinisten Zeit lassen, die eben genannten Wunder vorzubereiten. Daraus entstanden einige Scenen der Erwartung, welche ausgefüllt werden mußten, und die der Musiker benützte. Es fand sich allerdings in den einzelnen Theilen dieses Finales nicht mehr Zusammenhang, als wir in dem des ersten Finales entdeckt haben; ein Ganzes daraus zu machen, wäre daher ebenso unmöglich gewesen; dagegen hatten aber einige dieser vereinzelten Bilder trotz des Textes einen hohen lyrischen Werth. Das war wieder einer jener glücklichen Zufälle.

[41] Die Genien eröffnen dieses Finale, wie das andere, durch einen Gesang, der vom Himmel zu kommen scheint; hierauf steigen sie zur Erde nieder, und schließen sich in wohlwollendem Gespräche und als begleitende Stimmen der großen Scene der Pamina an. Diese Scene, aus welcher der Dichter etwas Aermlich-Tragisches zu machen verstanden hatte, faßte Mozart als großer Dichter auf. Den Dolch, den man ihm vorhielt, warf er, weil er nicht der Melpomene's war, weit von sich. Er wußte, daß die sanfte, melancholische Pamina unfähig sei, eine so verzweiflungsvolle Handlung wie den Selbstmord zu begehen. Sie hält den Dolch, um sich eine Haltung zu geben, und spricht davon, sich tödten zu wollen, wie viele meiner Leser, die sich sehr wohl befinden, einst auch davon gesprochen haben. Wir müssen übrigens anerkennen, daß Pamina sehr unglücklich ist; sie singt, um einen Stein zu erweichen; deßhalb glaube man aber doch ja nicht, daß sie wahnsinnig sei, wie es dieser Lügner von Schikaneder behauptet. Nein, Pamina ist in den Zustand getreten, welchen ihre Cavatine ausspricht, sie hat dessen äußerste Grenze erreicht. Ihre Seele, von Zweifeln erdrückt, läßt keine Melodie, ihre Augen keine Thränen mehr fließen. Auf den elegischen Ausdruck sind herbe Beklemmungen, peinliche Seufzer gefolgt; ihr Gesang ist unbestimmt, untergeordnet, eigenthümlich; ein physischer Schmerz durchdringt den Busen dieses jungen Mädchens. Zu was braucht sie einen Dolch? Sie wird von selbst und zwar an gebrochenem Herzen sterben. Ha! des Jammers Maß ist voll. Die Rolle der Genien in diesem bewunderungswürdigen Andante entspricht vollkommen der, welche der Chor in der griechischen Tragödie ausfüllte. Sie sprechen mit der handelnden Person, bedauern ihre Schmerzen, ermahnen und berathen sie; sie sprechen aber nie zu gleicher Zeit mit ihr.

[42] In dem Augenblicke, in welchem Pamina den Dolch erhebt, um sich damit zu durchbohren, kündigt der Chor ihr an, daß sie Tamino wiederfinden wird, der sie noch immer liebe. Dramatische und musikalische Entwickelung, Uebergang von der höchsten Trauer zur höchsten Freude. Man hört deßhalb ein Allegro im 3/4-Tacte, wie man es noch heut' zu Tage machen würde. Aber dieses Allegro gleicht einer Cabalette nur sehr wenig. Mozart erlaubte der Verzweiflung der handelnden Personen keinen tragischen Gang; ebenso wenig wollte er aber auch, daß sich ihr Glück in einer Tanzmusik ausspreche. Daher findet man wenig Lebhaftigkeit im Rhythmus, wenig Bewegung im Orchester, wenig Modulation, eine ziemlich ruhige Melodie. Der erhabene Sinn dieser Musik verbirgt sich so zu sagen unter den Noten. Es ist die glaubende Liebe, statt der leidenschaftlichen Liebe, welche sich in Don Juan so energisch ausspricht; eine Liebe, welche statt als Endzweck nach Genuß strebt, sich zum Sternengewölbe aufschwingt und in der Unendlichkeit ausruht; eine Liebe, wie sie gewisse Dichter verstehen, und welche die drei Geister noch besser verstehen und fühlen mußten, deren Stimmen sich dem Gesange Pamina's anschließen, um dieselbe zu preisen. Der erhabene Schwung, welchen der Schluß dieser großen Scene herbeiführt, erhebt den Zuhörer mit der handelnden Person in den Himmel.

Die Einweihung beginnt. Wir sehen vor uns die noch geschlossenen Pforten des zu den Prüfungen bestimmten Ortes, und stoßen auf die vielleicht außerordentlichste Seite, welche sich in den frappantesten Werken Mozart's vorfindet. Dieses Wunder von Composition muß mit der ganzen Aufmerksamkeit geprüft werden, welche es verdient. Wir geben zuerst den Text:


Der, welcher wandert diese Straße voll Beschwerden,

Wird rein durch Feuer, Wasser, Luft und Erden.

[43] Wenn er des Todes Schrecken überwinden kann,

Schwingt er sich aus der Erde himmelan.

Erleuchtet, wird er dann im Stande sein,

Sich den Mysterien der Isis ganz zu weih'n.


Die Art von Allegorie, welche diese sechszeilige Strophe in sich schließt, ist so klar, daß sie aufhört, eine solche zu sein. Der mit Schwierigkeiten besäete Weg ist das Leben; die Belohnung, welche denen versprochen ist, die muthig auf demselben gewandelt sind, ist die Offenbarung aller Mysterien, deren Schlüssel das Grab ist. Lauter ganz christliche Lehren und Versprechungen.

Mozart, sowie Tamino, befanden sich am Ende ihrer Laufbahn. Die furchtbaren Pforten, durch welche man nur einmal geht, sollten sich bald hinter ihnen schließen. Dabei bemerke man, daß die Personen, welche dazu bestimmt waren, diesen Text zu singen, völlig problematischer Natur waren. In dem Libretto werden sie kurzweg: zwei geharnischte Männer genannt. Sie erscheinen mit herabgelassenem Visir und flammenden Schwertern, eine Benennung und Attribute, welche der Phantasie ein ziemlich weites Feld lassen. Glaubt man nicht darin die Darstellung des Schattens jenes andern Phantoms zu sehen, welches bereits sich naht, um Mozart seine letzte Stunde anzukündigen und seine letzte Arbeit bei ihm zu bestellen!

Wenn man in Betracht zieht, daß die Bearbeitung des Stückes, die Composition eines solchen Textes durchaus ohne Beispiel in den Annalen des lyrischen Dramas ist, und daß dieselbe in der Theatermusik gänzlich fremd zu sein scheint, so kommt man nur schwer dazu, nicht anzunehmen, daß Mozart bei Weitem mehr an den allegorischen Sinn der Worte, als an den directen Sinn derselben gedacht hat; d.h. bei Weitem mehr an sich, als an seine Oper.

[44] Weil alle religiösen Mysterien das gemein haben, sowohl unter sich, als mit den meisten menschlichen Institutionen, daß die Zeit ihnen ihre feierlichste Weihe verleiht, so scheint Mozart vor Allem dahin getrachtet zu haben, in seinen Zuhörern das Gefühl eines hohen Alterthums zu erwecken. Er ging bis in die ersten Zeitalter der Musik zurück, um eine Gesangesform zu finden, die dieser Absicht entsprach, aber statt den Gesangstyl jener entfernten Epoche nachzuahmen, hielt er es für viel sicherer, eine bereits fertige Melodie, eine alte Choral-Melodie zu wählen: Christ, unser Herr zum Jordan kam, welche Wolf Heinz, einem Componisten des sechszehnten Jahrhunderts, zugeschrieben wird, der sie wahrscheinlich selbst in den ursprünglichen Gesängen der katholischen Kirche gefunden hatte. Welch' ein Choral. Großer Gott! Ein höchst trauriges Leichenpsalmodiren, ganz gothisch, ganz vermodernd, aller Angewöhnung eines modernen Ohres zuwiderlaufend. Und um diesen Charakter von Alterthümlichkeit und Ungefälligkeit noch zu erhöhen, ließ der Componist den Choral durch den Tenor und Baß von Anfang bis zu Ende in Octaven singen. Es durfte sich zwischen Melodie und Begleitung kein Anachronismus einschleichen. Das Stück mußte eine Form der Composition vorstellen, wie man sie vom fünfzehnten Jahrhundert an kannte, einen Choralgesang in fugirtem Contrapunct. Weil es sich aber darum handelte, dem canto fermo keine anderen Gesangstimmen, sondern die Kräfte eines vollständigen Orchesters entgegenzusetzen, und weil weder das 15. noch das 16. Jahrhundert irgend ein Muster von Instrumentalstimmen bot, welches der Nachahmung würdig gewesen wäre, so entlehnte Mozart den Gedanken zu seinem Accompagnement bei dem wahren Gründer dieses Styls, bei Sebastian Bach, wie uns der Abt Stadler sagt, ebenso wie er die Melodie dem Wolf Heinz entlehnt hatte. Aus diesen verschiedenen [45] Entlehnungen entstand hinsichtlich des Effects eine Sache, an welche weder Heinz, noch Bach, noch sonst Jemand je gedacht hat: eine äußerst romantische und phantastische Composition; originell, eben weil sie von einem anderen Zeitalter der Musik entlehnt worden war; neu, weil Nichts älter schien, als sie; theatralisch und täuschend im höchsten Grade, in Betracht der Situation, weil sie reine Kirchenmusik ist; ein Abgrund der harmonischen Wissenschaft der Alten, ein Meisterstück moderner Instrumentation, und im Ganzen genommen, ein poetisches Wunderwerk, welches die Phantasie einen ungeheuern Weg durchbrechen läßt. Hat man je trauriger Psalmodiren gehört, als diese beiden Stimmen, welche durch die schaurigen Stimmen der Posaunen verstärkt und durch den ganzen Chor der Blasinstrumente getragen werden? Das geheimnißvolle Paar singt für sich, während Fugenthemas, ihrerseits ebenfalls unabhängig, wie die Räder einer Uhr eingreifen, welche geht und immerfort geht, auf deren Zifferblatt aber man weder Zahlen noch Zeiger sieht. Der Schrecken schleicht sich langsam in das Saitenquartett ein; er verbreitet und pflanzt sich fort, theilt sich jeder Stimme mit, ergießt sich von einem Instrument in das andere. Er entwindet sich aus dem Orchester wie eine Todtenklage, welche die Echos der Nachahmung in dumpfem Wimmern, in erstickten Seufzern in die Unendlichkeit tragen. Das durch diese fremdartige mit dem Tode ringende Musik in den Augen der Seele erweckte Schauspiel vermischt sich nach und nach mit dem auf der Scene, bis sie eine Art intellectueller Phantasmagorie hervorbringt. Die schwarzen Männer nehmen eine Aehnlichkeit mit jenen Gestalten an, welche man auf den Gräbern alter Ritter liegen sieht. Sie haben sich von ihrem Marmorbette erhoben um eine alte Litanei anzustimmen; ihre Schwerter brennen wie Wachskerzen. Mit ihnen hat sich der Geist ihrer Zeit erhoben [46] und schwebt über dem Auditorium; ein unbeschreibliches Gefühl dessen, was war, lange, sehr lange Zeit vor uns war, durchdringt die Seele, und doch fühlen wir, trotz dieser Art von magnetischer Vision oder von retrogradem Hellsehen, welche die Poesie des Worts noch irgend eine andere Poesie auch nur von Weitem zu erreichen vermag, jenen unüberschreitbaren Zwischenraum, welcher uns von jedem erloschenen Leben der Vergangenheit trennt, in welche die Musik uns neu eintreten läßt. Wir fühlen die ganze Tiefe des Lichts, in welche sie sich vertieft hat.

Dieser Art war die furchtbare Bezauberung, welche eine fixe Idee damals auf Mozart übte, daß er selbst auf dem Theater in einer Schikaneder'schen Oper und aus Veranlassung von was weiß ich für abgeschmackten Mysterien, plötzlich den Gesang der Hingeschiedenen mit einer Stimme anstimmte, welche man bis jetzt noch nicht an ihm gehört hatte, und die aus den Grabesgewölben einer Kirche hervorzukommen schien.

Bis jetzt hat das magische Instrument Tamino's, die Flöte, durchaus keinen Einfluß auf die Handlung des Dramas geübt, und sie war von keiner großen Beihilfe für den Componisten gewesen. Sie hatte nur in der Menagerie Sarastro's gedient. Gegen den Schluß des Endes aber gibt diese Flöte, obgleich auf indirekte Weise, Gelegenheit zu einem schönen lyrischen Moment. Pamina, welche Erlaubniß erhalten hat, mit ihrem Geliebten die Gefahren und den Ruhm der Einweihung zu theilen, findet ihn in dem Augenblicke auf, in welchem die verhängnißvollen Pforten sich öffnen sollen. Sie erzählt ihm in sehr guten declamatorischen und harmonischen Ausdrücken, daß ihr Vater seligen Angedenkens diese Flöte aus dem Stamme einer tausendjährigen Eiche in einer Sabbathnacht beim Leuchten der Blitze gemacht habe. Dieser melodische Talisman soll die von nun an unzertrennlichen Liebenden, [47] gegen Schrecken und Tod, welche sie auf ihrem Wege finden dürften, beschützen. Sobald Pamina bei den beiden letzten Versen ihres lyrischen Monologs angekommen ist: Wir wandern durch des Tones Macht etc. fallen Pamina und die beiden geharnischten Männer zugleich mit ihr in den Text ein, wodurch ein Quartett entsteht. Das Problem, welches Mozart in dieser Situation erblickt zu haben scheint, bestand wohl darin, zu untersuchen, unter welchem neuen Gesichtspunkte die große Frage des Todes sich darstellen lasse, wenn die Ergebenheit und der Glaube an eine tugendhafte Liebe (durch Pamina personificirt) und die erhabenen Offenbarungen der Harmonie (durch Tamino, den Besitzer der Zauberflöte, personificirt) sich auf die Versprechungen der Religion stützen. Da er die Macht seiner Kunst zu feiern hatte, so entwickelte er allen Zauber derselben in einem Raume von vierundzwanzig Tacten. Ich werde meine Tinte nicht verschwenden, um dieses erhabene Quartett zu commentiren, zu loben, zu bewundern und zu preisen. Man sehe es selbst durch; denn eine Musik dieser Art bezaubert die Augen fast eben so sehr, als sie das Ohr entzückt.

Eine Sache ist zu bemerken, welche, wie es scheint, beweist, wie sehr Mozart die directen und positiven Intentionen des Libretto verachtete. Der Choral mit der Fuge und das Quartett, welches darauf folgte, sollten Nichts als die Vorrede und der Prospectus der Mysterien der Isis bilden. Der Dichter hat diese Scenen, gleich vorräthigen Steinen, für die schaulustige Menge vertheilt. Während daher Schikaneder beschäftigt ist, seine Mysterien vorzubereiten, vollendet der Componist die seinigen in der Partitur. Bereits hat uns die Musik Alles gesagt, ehe wir noch Etwas gesehen haben; bereits hat die Macht der Harmonie dem Zuhörer Alles geoffenbart, ehe noch Tamino das magische [48] Instrument an den Mund gesetzt hat. Sobald die Mysterien sichtbar werden, ziehen sie sich aus der Musik zurück, welche plötzlich zu einer vollständigen Unbedeutendheit herabsinkt, wie um dem Pfeifen des Maschinisten zu gehorchen, und sich auf den gleichen Standpunct eines elenden und kindischen Schauspiels zu setzen. Man sieht die Prüfung im Feuer und im Wasser hinter einem eisernen Gitter; Leinwand, welche umgedreht wird; roth und gelb angestrichene Flammen, welche steigen und fallen; und dabei ruht der Maestro aus. Man hört ein mageres Flötensolo, das selbst Schülern heut' zu Tage zu gering wäre; einen zweistimmigen Vocalgesang in süßlichen Terzen; hierauf eine geräuschvolle Fanfare, welche den Triumph der Eingeweihten verkündigt und den Componisten erschreckt aus seinem Schlafe erweckt. Das ist Alles.

Nun heißt es Platz gemacht für den Vogelfänger, welcher große Eile hat; denn er muß sich zuerst hängen, dann Bekanntschaft mit seiner Frau machen, und schließlich der Gewogenheit der Logen und des Parterre's sich empfehlen. Um alles dieß zu einem guten Ende zu führen, ist eine Arie im Sechsachtel-Tact und ein Duett auf die Sylbe Pa, die Anfangsbuchstaben seines werthen Namens, da. Die Arie gefällt uns besser als Alles, was Papageno zuvor gesungen hat. Sie ist noch heut' zu Tage recht hübsch. Glückliche Motive, geistreiche Intentionen, und ein Accompagnement mit pikanter Sauce, welches Mozart ohne allen Zweifel von Rossini gestohlen worden ist. Das Duett ist eine Art von Kinderei, welchem ein drolliger Text, vereint mit dem komischen Zuschnitte des Rhythmus, eine ziemlich originelle Munterkeit verleihen.

Die Königin der Nacht nähert sich mit Monostatos und ihren drei Damen dem Tempel. Eine düstereMoll-Tonart, ein instrumentales Thema, welches dumpf brummt, wie das Geräusch, [49] das einem Sturme vorangeht, zeigen irgend eine Katastrophe an. Ein schönes Ensemble der Stimmen, welches diesem unterirdischen Gähren entspricht. Der Schwur der Rache wird in den Vocalstimmen in langen und majestätischen Accorden geleistet, aber stets unter den drohenden und vortrefflich gehaltenen Orchesterfiguren. Plötzlich trifft ein Blitzstrahl, eine musikalische Explosion aus einem herzzerreißenden Accorde, die Königin und ihr Gefolge, welche im Unisono über ihre Niederlage aufschreien und verschwinden. Das Licht folgt auf die Finsterniß, eine göttliche Harmonie auf den Schrei der Verzweiflung. Der Chor der Eingeweihten, der dießmal aus allen vier Stimmen zusammengesetzt ist, begrüßt den neuen Bruder in einer Sprache, in der sich das palingenesische Resultat der Einweihung, das glänzende Leben der Ruhe, der Milde, der erhabenen und reinen Betrachtung ausspricht, welches der junge Erbe Sarastro's so eben erworben hat. Dieser Schluß-Chor umfaßt den verborgenen Sinn der Oper und spielt selbst durch seinen Text darauf an. Tamino-Mozart sieht den Zielpunct seiner wunderbaren Laufbahn. Die Beschwerden des Weges sind groß gewesen; unzählbar und fast über die Kräfte eines Sterblichen gehend, waren die Arbeiten, welche seine Beständigkeit bewährt haben. Diese Beschwerden hat er überwunden; aus diesen Prüfungen ist er auf eine Art hervorgegangen, welche ihm den Beifall Dessen erwarben, der ihn unter die Menschheit geschickt hatte. Ruhm dem unerschrockenen Bekehrungsboten, Ruhe dem ermüdeten Wanderer. Dank! Dank! rufen ihm bereits von allen Seiten die Eingeweihten der Musik zu. Dank! wiederholen heut' zu Tage alle Echo's der civilisirten Welt, und Dank! wird ihm noch die entfernteste Nachkommenschaft sagen, indem sie sich der begeisterten Hymne der Isispriester anschließt.


Die Ouverture zur Zauberflöte.

[50] Die Zauberflöte trägt in dem autographischen Kataloge das Datum vom 17. Juni 1791. Die Ouverture wurde aber erst gegen Ende Septembers, d.h. nach der Clemenza di Tito componirt; aber der chronologische Grund ist es nicht hauptsächlich, welcher uns veranlaßt hat, sie in unseren Analysen zu trennen. Weit wichtigere Rücksichten verlangten einen besonderen Artikel für das Werk, das wir zu prüfen im Begriffe stehen.

Vor Allem ist es gar nicht nöthig, daß man die Ouverture zur Zauberflöte als integrirenden Theil des Dramas betrachtet, das sie eröffnet. Sie kann nicht einmal als solcher betrachtet werden, aus Gründen, die ich anführen werde. Ein Musiker, welchem es mit seiner Arbeit Ernst ist, sucht immer leicht erkennbare Rapporte zwischen den Hauptgedanken des Libretto und der introducirenden Shymphonie aufzustellen. Er bemüht sich, die Zuhörer auf den Inhalt des Stückes vorzubereiten, sie zum Voraus durch eine Reihenfolge von rein musikalischen Eindrücken mit der Sphäre des Gefühls oder der Gefühle, die vorherrschen, vertraut zu machen; das ist der Zweck der dramatischen Ouverture. Er ist derselbe für Alle. Obgleich die Mittel der Ausführung natürlicher Weise einer unendlichen Manchfaltigkeit, sowohl in der Idee als in der Form, fähig sind, so können sie doch auf einen einzigen Unterschied zurückgeführt werden. Entweder faßt man das Opern-Sujet im Ganzen oder in seinen Einzelnheiten auf. Im erstern Falle beschränkt sich die Instrumentalmusik darauf, den Hauptcharakter des Dramas wiederzugeben, oder sie ahmt das Drama in ihrer Weise, ideal, mit voller Freiheit, ohne Rücksicht auf den Gang der Handlung, ohne Etwas von dem Körper des [51] Werkes zu entlehnen, nach. Ein Instrumentist von Wissen und Genie wird selbst zu deutlich ausgesprochene Aehnlichkeiten mit den Formen des Vocalgesanges vermeiden, er wird sein analoges Gebäude auf unabhängige Gedanken aufführen, auf Themas, deren Entwickelungen und Modificationen, Verbindungen oder Kämpfe des Dramas verallgemeinern und die charakteristischen Typen der Personen und Situation ohne Beimischung der Zufälligkeiten und Individualitäten zeigen werden. Nach unserer Ansicht ist diese Form der Ouverture, welche man die dramatisch-thematische nennen könnte, die ausgezeichnetste, aber auch die schwierigste von Allen. Es gibt Wenige außer Mozart, die sich darin ausgezeichnet haben. Uebrigens besitzen wir andere Werke, von einer weniger strengen Einheit und einer weniger strengen Arbeit, als die Mozart'schen Ouverturen, welche aber ebenso der abstracten Allgemeinheit des Dramas entsprechen, und die gleichfalls Meisterwerke sind. Wir brauchen nur an die Ouverturen Cherubini's zu erinnern, die schönsten vielleicht, welche unser Jahrhundert hervorgebracht hat, an die von Beethoven, an einige von Mehul, von Winter, von Spontini, von Spohr, an die einiger anderen, weniger berühmten oder jüngeren Meister. Was die dramatischen Symphonieen der zweiten Kategorie betrifft, die nämlich, welche das Libretto in seinen scenischen Einzelnheiten umfassen und verfolgen, so ist dieser Gebrauch ziemlich modern. Man macht sie aus Auszügen der Partitur, aus Motiven der Oper, welche man gewöhnlich aus den hervorragendsten Stellen des Stückes auswählt, und sodann das Ganze mit einigen Nebengedanken zusammenflicht. Diesen gebührt, wie ich meine, ohne Zweifel der Beiname Programm-Ouverture. Das Andante der Ouverture zu Don Juan, das übrigens Nichts als die Introduction der Symphonie ist, gehört in diese Classe, ebenso das Andante der[52] Ouverture zu Così fan tutte. Das schönste, vollständigste und auf die gewandteste Weise ausgeführte dramatische Programm ist die Ouverture zum Freischütz.

Es gibt Opern, die keine eigentliche Ouverture, sondern nur eine kurze instrumentale Introduction haben, die mit der ersten Scene verbunden ist. Robert der Teufel gibt dafür einen Beleg. Ouverturen dieser Art im Kleinen lassen sich auch zuweilen mit vielem Erfolge in den Zwischenacten anwenden, wie z.B. in Joseph und im Wasserträger.

Wenn man recht nachsucht, so findet man noch eine vierte Art, eine Oper zu eröffnen. Man macht nämlich gar keine Ouverture. In Moses hat Rossini diese Form gewählt, die unbestreitbar die expeditivste, wenn auch nicht die schwierigste und beste ist.

Alle dramatischen Symphonieen, ich verstehe darunter die guten, haben folglich das unter sich gemein, daß sie, aus den Inspirationen des Sujets hervorgegangen, als integrirende Theile der Oper betrachtet werden müssen, für welche die Verfasser sie geschrieben haben. Es fragt sich nun, in welcher der vier oben aufgezählten Classen man die Ouverture zur Zauberflöte einzureihen habe; welcher Art ihre allgemeinen oder speciellen Beziehungen zu dem Libretto seien. Sie hat deren keine, und zwar zuerst aus dem Grunde, weil Nichts sich nie auf Nichts beziehen kann. Wenn man aber auch annähme, daß Schikaneder's Stück irgend Etwas bedeutet hätte, so würde die Ouverture, so wie sie ist, in keinem Falle weder den Gedanken noch die Einzelnheiten reproducirt haben. Sie ist eine Fuge, und eine Fuge ist immer zu unbestimmt in ihrem analogen Ausdrucke, als daß sie sich auf eine klare und positive Weise unter den Sinn irgend eines Dramas beugen ließe. O unberechenbare Macht des Zufalls! Werfen [53] wir uns vor Dir zu Füßen und beten Dich an. Als Mozart von Prag nach Hause kam, und sich gedrängt sah, eine Oper zu beendigen, welche nur noch auf die Ouverture wartete, um aufgeführt zu werden, überlegte er, wie er diese Ouverture zu machen habe. Er findet, daß keine der für Werke dieser Art bestehenden und gebräuchlichen musikalischen Formen für ein Stück passen würde, das keine poetische Form besitzt. In der Verzweiflung wählt er eine veraltete und seit langer Zeit deßhalb verlassene Form, weil dieselbe ein unübersteigliches Hinderniß der Theatermusik entgegensetzte. Er wendet sein ganzes unermeßliches Genie und seine contrapunctische Gelehrsamkeit an, um diese veraltete und widerstrebende Form zu verjüngen, und siehe da, aus diesem Nothbehelfe entsteht das außerordentlichste und glänzendste aller Meisterwerke, und das geschieht gerade aus dem Grunde, weil das Gedicht der Zauberflöte weder Kopf noch Fuß hat. Der Leser wird nicht daran zweifeln, wenn er folgende Stelle liest, welche ich dem musikalischen Lexikon von Koch, dem Artikel »Ouverture« entnehme:

»Im Allgemeinen bedeutet dieses Wort jedes instrumentale Stück von einiger Ausdehnung, welches zur Ouverture oder Introduction einer Oper, einer Cantate, eines Ballets u.s.w. dient. Im engern Sinne bedeutet es eine besondere Gattung von Symphonie, die französischen Ursprunges ist, und die namentlich Lulli die charakteristische Form verdankt, welche sie auszeichnet. Die Art von Ouverturen fangen mit einem nicht zu langen Grave4/4 an, von majestätischem, feierlichem und belebtem Charakter, worauf eine Fuge folgt, deren Tempo rasch, und deren Rhythmus dem Ermessen des Componisten anheimgestellt ist. Gewöhnlich ist es eine freie Fuge, welche in ihren Unterbrechungen von mehreren Nebengedanken durchzogen wird, welche alle nicht unmittelbar aus[54] dem Thema und dem Gegen-Subjecte entspringen2, und welche die Orchester-Stimmen häufig in der Weise von Solo's vorführen.«

Diese Beschreibung enthält Wort für Wort den technischen Plan unserer Ouverture. Koch setzt noch hinzu:

»Während der letzten 25 Jahre des siebenzehnten Jahrhunderts wurde diese Gattung von Compositionen in Deutschland eingeführt, wo sie Teleman mit vielem Fleiße und Sorgfalt ausbildete. Hasse, Graun und andere Componisten, welche um die Mitte des letzten Jahrhunderts berühmt waren3, wandten ebenfalls diese Form in ihren Opern an. Gegen das Jahr 1760 fing man an, sie mehr und mehr zu verlassen, so daß heute (1802) man die nach diesem Muster ausgeführten Werke unter die veralteten Compositionen rechnen kann. Unter den Modernen hat Mozart in seiner Ouverture zur Zauberflöte diese Form aus der ungerechten Verachtung vollständig errettet, in welche sie gefallen zu sein schien.«

Diese scheinbare Verachtung war aber nicht so ungerecht, weil aus dieser unzählbaren Menge von Introductionen nicht ein Muster vorhanden ist, welches würdig gewesen wäre, der Nachwelt die Erinnerung an diese Gattung zu bewahren. Kannte das musikalische Publicum Deutschlands im Jahre 1791 viele Ouverturen von Lulli? Kannte es die von Teleman besser, eines viel neuern Musikers, und der nach Gerber's Behauptung deren mehr als 600 gemacht hat; sprach man selbst von den Ouverturen Händel's? Ich glaube es nicht. Warum sollte also Mozart, [55] der kühnste und fruchtbarste unter den Neueren, er, der die wahre Gattung der dramatischen Symphonie auf den höchsten Grad von Vollkommenheit gebracht hat, warum sollte er, sage ich, rückwärts schreitend, auf eine Erfindung Lulli's, eine gothische Form zurückgekommen sein, welche das Drama abstößt, wenn er nicht erkannt hätte, daß das Libretto Schikaneder's, d.h. das Nichts, seinerseits die Mittel eines allgemeinen Ausdrucks zurückstoße, durch welche allein das Orchester die Natur des Schauspiels zum Voraus anzeigen kann und darf. Mozart hätte allerdings eine Programm-Ouverture machen können; aber dieses Mittel hätte er sicher verachtet, wenn er es gefunden oder gekannt hätte. Die Unverträglichkeit dieser Weise mit dem Geiste seiner instrumentalen Werke erscheint zu klar.

Ein Mitarbeiter der musikalischen Zeitung in Leipzig hat nichtsdestoweniger zwischen der Ouverture und der Oper Zauberflöte jenen directen Rapport entdecken wollen, der mir immer entgangen ist. Er sagte: »daß Mozart, als er eine Fuge componirte, all' Das, was vom Tempel sei, gedacht habe, und daß hernach das Thema auf das Geplauder des Vogelfängers anspiele.« Trotz aller Achtung, welche ich diesem Schrifsteller schulde, muß ich doch bemerken, daß hierin ein augenscheinlicher Widerspruch liegt. Wenn die Fuge an den Tempel erinnern soll, wie konnte dann das Sujet, das Wesen eben dieser Fuge, zugleich an das Geplauder eines schlechten Buffo, wie Papageno einer ist, erinnern? Die Wahrheit ist, daß Nichts weniger der Kirchenmusik gleicht, als unsere Ouverture, so sehr sie auch Fuge ist. Sie bezieht sich eben so wenig auf den Vogelfänger, dessen dramatische Wichtigkeit ungefähr dieselbe ist, wie die der musikliebenden Löwen und Affen in der Oper. Welche unbegreifliche Zerstreuung hätte den Componisten Tamino und Pamina, die Helden des Dramas, [56] vergessen lassen, sie, deren Abenteuer und Liebe das Sujet ausmachen, wenn überhaupt von einem Sujet hier die Rede sein kann. Springt nicht in der Ouverture der Nozze der listige Figaro vor dem Zuhörer herum und höhnt denselben? Findet man nicht den Verführer so vieler Schönen, den Mörder des Commandeurs, der uns durch seine galanten Heldenthaten bezaubert und durch sein klägliches Ende vor Schrecken starr macht, in der Ouverture zu Don Juan? Sehen wir nicht die flatterhaften Liebenden in der Ouverture zu Così fan tutte herumschwiren? Und endlich in der zu Titus, was hören wir Anderes in unsere Ohren donnern, als die großen Waffenthaten des römischen Feldherrn? Das Princip, welches verlangt, den Sinn der Ouverture auf den Helden des Stückes oder auf die Haupthandlung des Dramas zu beziehen, ist so natürlich, so vernünftig, daß man nicht erräth, warum Mozart, welcher es bis dahin immer beobachtet hatte, in der Zauberflöte sich davon entfernt haben sollte. Er entfernte sich aber nicht davon, weil er schon zum Voraus auf jede positive Analogie Verzicht geleistet hatte. Ich sage positiv, denn wenn man eine suchen wollte, die nicht aus einer willkürlichen Auslegung hervorginge, welche der musikalische Sinn eines jeden Hörers Lügen straft, so würde man wohl eine finden, die aber so unbestimmt und von einer so ausgedehnten Allgemeinheit wäre, daß das Eigenthumsrecht des Stückes an die Ouverture dadurch nicht besser hergestellt wäre. Das Wunder macht die Basis der Oper aus; sie bildet aber auch den Charakter der Symphonie, und das ist die einzige Beziehung, die zwischen ihnen besteht. Sie ist sehr weit, wir wiederholen es, so weit, daß die Ouverture zur Zauberflöte jeder andern Oper ebenfalls dienen könnte, die sich auf ein rosenfarbenes Wunder gründet.

Ich glaube nicht genug Aufmerksamkeit und Raum dem [57] Beweise dieser auffallenden Thatsache zugestehen zu können, daß, wenn nur ein Schatten von gesundem Menschenverstande in Schikaneder's Stücke läge, das erstaunungswürdigste Meisterwerk Mozart's gar nicht existirte, und einer der authentischsten Titel seiner irdischen Mission verloren wäre.

Groß in allen Dingen, im Contrapuncte, wie in der Melodie, mußte Mozart natürlich der stricten Fuge die vorziehen, welche man die freie nennt, und welche, die Vermischung der beiden entgegengesetzten Style zulassend, ein unbegrenztes Feld der Universalität seines Genius eröffnete. Seine schönste Arbeit in dieser Gatttung war das Finale der Symphonie ausC-dur gewesen. Viele Liebhaber finden, daß alle Fugen sich gleichen. Das wird aber sicher Niemand von dem Finale der Symphonie noch von unserer Ouverture behaupten; denn diese beiden Werke haben nicht mehr Aehnlichkeit unter sich, als mit den Tausenden von Fugen, die ihnen vorangegangen oder gefolgt sind, und man könnte sie nur in soweit mit einander vergleichen, um deren absoluten Contrast um so mehr hervorzuheben. Das Finale der C-dur-Symphonie beruht auf vier rivalisirenden Themas, deren Combination unwiderstehlich und vor Allem das Bild eines riesenhaften Kampfes hervorrufen. Der strenge Geschmack, die originelle Herbe des Contrapunctes läßt sich darin in vielen Stellen finden, und die harmonische Gährung, welche aus dem Zusammenstoß dieser feindlichen Elemente entsteht, und die dem Ohre des Kenners so sehr zusagt, ist für die Mehrzahl der Dilettanten nur ein Mißklang ohne Sinn, wie ich mich persönlich zu überzeugen genugsam Gelegenheit fand. Es liegt kein leichter Ohrenkitzel darin. Das Werk scheint sich eben so sehr an die kritische Intelligenz als an die Phantasie Dessen, der es hört, zu wenden; und wenn es wenige Compositionen gibt, welche Einen durch ihre Größe und [58] ihre Kraft bis auf diesen Grad ergreifen, so gibt es vielleicht keine, welche zu ihrem richtigen Verständnisse eine ausgebildetere musikalische Einsicht verlangt.

Wenn man das Gegentheil von dem annimmt, was soeben gesagt worden ist, so wird man eine ganz genaue Idee von der Ouverture haben. Diese hat nur ein Thema, und eben in der Entwickelung dieses einzigen Themas erscheint das Wissen des Componisten noch viel bewunderungswürdiger, wenn es möglich ist, als es in den ungeheuersten Bewegungen des Finales gewesen war. Zwischen dem Thema und dem Gegen-Subject besteht nicht ein Schein von Kampf, ja nicht einmal ein Schatten von Opposition. Alles ist rein und klar. Alles ist himmlisch in der Harmonie dieser Fuge, Alles strahlt im melodischsten Glanze, Alles darin ist Genuß, Wohlklang, Entzücken, unaussprechlicher Zauber, sowohl für den gelehrten Musiker, als für die gewöhnlichen Liebhaber, mit einem Worte für sämmtliche musikalische Ohren. Mozart wollte, daß die Einleitung in das Stück die Aufmerksamkeit mit einer zugleich feierlichen und mystischen Autorität, und mit dem eclatantesten Wohlklange anbefehlen solle, wie wenn das langsame Tempo Einem sagte: Bereitet Euch vor, Etwas zu vernehmen, was Ihr noch nie gehört habt, und was Euch Niemand wieder zu hören geben wird.

Es wäre ein Irrthum, wenn Einer glauben wollte, daß der in seiner Art einzige Wohlklang und der magische Zauber, welche aus dem Allegro eine für Jedermann entzückende Musik machen, blos daher rühren, weil die Bedingungen des fugirten Styls darin gemildert worden sind; mit anderen Worten, weil das Werk keine stricte und regelmäßige Fuge ist. Das Werk ist so gelehrt, als irgend eines aus einem Kopfe hervorging, der von Nichts als von dem doppelten Contrapunct und dem Kanon wissen wollte. [59] Mozart hat dem Hauptgesetze der Gattung noch die Einheit des Gedankens hinzugefügt. Obgleich diese Fuge frei ist, so ist sie doch beinahe ohne Unterbrechung; sie wurde allein mit dem Subject gemacht; das Subject verläßt Einen nicht einen Augenblick. In der Fuge hört man es als Dux und Comes; in dem melodischen Theile der Ouverture begleitet es die Gesangsätze, welche nach Art der Solo's erscheinen, und ihr Bild ist es wieder, das mehr oder weniger in Bruchstücken die Tutti des Orchesters reproduciren. Ohne das Subject wäre keine der geringsten Einzelnheiten des Werkes denkbar! Dieses Thema ist ein wahrer Zauberer, es besitzt die Gabe, sich bis in das Unendliche zu verwandeln. Es nimmt alle Formen an; es sprüht in Funken, es löst sich in rosenfarb-schimmernde Tropfen auf, rundet sich ab, zerstreut sich in Perlenregen, strahlt in Diamanten, und fließt über die grüne Fläche der Felder in emaillirtem Blumenteppiche hin; oder steigt es als leichter Dunst in die oberen Regionen. Wie verschiedenartig auch der Glanz dieser phantastischen Schöpfungen ist, welche sich durch dasselbe hindurchziehen, so ist es ihm doch nicht gegeben, sich ganz seiner originellen Form zu entkleiden. Mag es als Irrlicht oder als donnerndes Meteor erscheinen, so erkennen wir, die hellsehenden Zuschauer, es immer wieder. Wenn sein Bild nur wenig oder gar nicht verkleidet ist (das heißt, so lange die Composition Fuge bleibt), so regenerirt es sich immer von selbst wieder, wirft sich zurück und verbindet sich in's Unendliche; es schleicht sich überall in Begleitung einer andern untergeordneten Form (das Gegen-Subject) ein, welche wie der Gevatter oder um ehrerbietiger zu sprechen, wie der Famulus des Magiers, ebenso gewandt sich verwandelt, wie er. Auf einmal jagt es aber in einer Menge kleiner Parcellen aus einander. Eine bezaubernde, glänzende Erscheinung tritt an seine Stelle. Wahrhaftig, das ist [60] es nicht mehr! Es ist noch immer; man betrachte es nur genau und man wird die Trümmer seiner ursprünglichen Form, nach allen Richtungen geworfen, im Raume erzittern und gleichsam einen Lichtkreis um die Erscheinung ziehen sehen, in welche es einen Theil seiner Substanz verwandelt hat. (Die Solo's accompagnirt durch die Bruchstücke der Fuge.)

Mit einem Male ist Alles verschwunden. Eine ernste und feierliche Aufforderung dreimal in denselben Ausdrücken wiederholt, ein peremtorischer Wille, vor welchem die Macht des Nekromanten sich beugen muß, hat den Zauber zerstreut. Das magische Schauspiel ist zu Ende? Nein, sondern nur der erste Act. Unser Kobold von Thema muß das Princip der Progression des Interesses kennen; wie soll es aber bereits dargestellte Wunder noch steigern? Wir werden sehen. Das Allegro beginnt wieder und das Subject kommt zurück, dießmal aber unter einer ganz andern Physiognomie, in B-moll verkleidet. Das Gegen-Subject nimmt ebenfalls eine neue Form und einen neuen Gang an; hier beginnt der Mittelsatz und wir dringen in das Heiligthum des Zaubers ein, welchen man mit dem matten und sanften Feuer eines Mondregenbogens beleuchtet glauben möchte. Woher kommen alle diese Syrenenstimmen, die auf unbekannte Worte singen? An welchem Firmamente glänzen jene Sterne, die sich in melodischen und mystischen Constellationen in der Flöte und im Fagott gruppiren, welche in den Saiten-Instrumenten munkeln und in den Oboen wie ein langer Lichtschweif hervortreten. Die Wonne eines unauslöschlichen, übernatürlichen Genusses dringt in die Seele und liebkost sie von allen Seiten. Bald beleuchtet der hellste Tag die Scene. Das Thema sammelt sich in einen Brennpuncte, und das Gegen-Subject, das seine Strahlen nach allen Weltgegenden auswirft, läßt ein Feuerwerk losbrechen, dessen Petarden, Raketen, [61] Granaten, römische Lichter nach und nach losgehen, in die Höhe steigen, krachen, prasseln, blenden, erlöschen und im Herabfallen Einen mit einem Funkenregen übergießen, so daß man nicht mehr weiß, wohin man sich wenden soll. Die Varianten der Themas fliegen überall hin, vermischt mit den Piecen dieses magischen Feuerwerks, oder wenn man lieber will, dieses glänzenden Nordlichtes. Einige Fragmente der ersten Hälfte der Ouverture erscheinen hierauf wieder, jedoch mit Veränderungen, wohlverstanden, denn so wenig es in der Natur des Subjectes liegt, sich je ganz verbergen zu können, so daß man es nicht mehr aufzufinden vermag, eben so wenig vermag es einen Augenblick sich ganz gleich zu bleiben. Der Schlußsatz in melodischem Style und mit einemcrescendo anfangend ist von einem grandiosen und originellen Effect voll Wiederhall und Majestät. Es kommt Etwas herbei, Etwas, was Anfangs klein ist, was aber mehr und mehr anschwillt, und bald zu einem enormen Volumen gelangt, und über die Zuhörer seine riesigen Flügel schwingt, welche gleich dem Orkane brausen. Mitten in dem heftigsten Sturme ertönt die Erinnerung an das Thema gegen den Schluß durch das lärmende Unisono des ganzen Orchesters.

Auf diese Weise wurde die Ouverture zur Zauberflöte die Krone aller Ouverturen, nunc et in secula.

Sprechen wir nun von der psychologischen Bedeutung des Werks; sie läßt sich aber kaum auf positive Weise in dieser Beziehung commentiren. Der Gedanke der anderen Ouverturen Mozart's erklärt sich immer auf untrügliche Weise durch den Inhalt des Gedichtes. Hier haben wir aber wesentlich reine Musik, eine Musik, die sich in ihrer Entwickelung und ihren Effecten durch keine vorher bestimmte Bedingung begrenzt sieht. Der Commentar eines solchen Werkes wird immer richtig sein, wenn [62] Jeder beim Hören sich das ausmalt, was er Bezauberndes dabei gefühlt und Köstliches geträumt hat. Vielleicht werden die individuellen Glossen in dieser Beziehung bei den Menschen nicht so sehr von einander abweichen, bei welchen der poetische Instinct am sichtbarsten durch eine lebhafte harmonische Tendenz sich kundgibt. Vielleicht fände man, daß unsere Ouverture eine analoge Wurzel in den Träumen der Kindheit habe, welche sich dem Alter der Reife nähert, wenn die Vernunft noch nicht ganz die Schale durchbrochen hat, die Leidenschaft noch schläft, bereits aber am Erwachen ist, und die Phantasie mit ihrer Vorliebe für das Wunderbare beinahe ohne Controle vorherrscht. Jedes Alter hat, wie man weiß, seine charakteristischen Träume, welche sich in den anderen Lebensaltern nicht zeigen. Wer von uns wäre so unglücklich, ganz die Erinnerung an die Träume verloren zu haben, welche er im Alter von 9 und 12 Jahren hatte; wer sollte alle diese lieblichen Bilder, die ihn damals umschwebten, ganz aus der Erinnerung verloren haben? Aber Niemand wird auch die bitteren Täuschungen vergessen haben, welche auf das Erwachen folgten, und die Thränen, welche das Kissen des Kindes benetzt haben, das aus seinen entzückenden Träumen gerissen wurde!

Hier wirft sich eine Frage von höchstem Interesse auf. Wie konnte eine Fuge, und zwar der gelehrtesten eine, sich mit dem Charakter hinreißender Bezauberung verschmelzen, die man darin findet? Darauf wissen wir keine Antwort. Wir können zwar wohl sagen, daß der Fund des Subjects einer jener Glücksfälle des Genius war, die aber so selten sind, daß sie vielleicht selbst dem Genie nicht zweimal aufstoßen. Im Grunde hätte ein Dorf-Organist eben so wohl wie Mozart die vier Tacte des Themas auffinden können. Was hätte er aber damit gemacht? Eines jener contrapunctischen Skelette mit zwei oder drei Beinen, wie[63] Beethoven sie im Scherze in den Bemerkungen nannte, die er auf den Falz seiner Studien schrieb. Die Perle würde sich für den Hahn in ein Hirsenkorn verwandelt haben. Ich gehe noch weiter und frage, ob unter allen alten und modernen Contrapunctisten sich Einer fände, der hinsichtlich dieser Perle nicht ein Hahn gewesen wäre? Bach hätte eine Bach'sche Fuge, Händel eine Händel'sche Fuge daraus gemacht, woraus sehr schöne und sehr gelehrte Werke daraus entstanden wären, welche die Kenner höchlich bewundert, an denen aber die Profanen wenig Geschmack gefunden hätten, die aber stets Fugen in den Ohren der ganzen Welt geblieben wären. Der einzige Steinschneider, der fähig war, die Perle auf eine Weise herzurichten, daß Jedermann, d.h. alle Ohren ihren unschätzbaren Werth erkennen konnten, nannte sich Mozart. Er war es auch, der sie erfand.

Es darf nicht übersehen werden, daß der materielle Effect viel zur Popularität dieses Wunderwerkes beitrug. Wenn auch die Instrumentation unserer Tage einige Fortschritte hinsichtlich der Symphonieen und Ouverturen vor Mozart gemacht hat, so wurden diese Fortschritte in jeder Beziehung von der Ouverture der Zauberflöte überholt. Zuerst hat Mozart sämmtliche Instrumente darin vereinigt, welche zu Ende des letzten Jahrhunderts in dem Orchester verwendet werden konnten; er hat die Zahl der Stimmen auf mehr als zwanzig gebracht, etwas, was er nie zuvor in irgend einer seiner Instrumental-Compositionen gethan hat. Eine noch wichtigere Ausnahme ist die, daß die Blasinstrumente ebenso beschäftigt sind, wie das Quartett, wenn sie nicht gar noch mehr zu arbeiten haben. Endlich hat Mozart in keinem seiner anderen Werke weder die tonischen Farben mit so vieler Annehmlichkeit und Verführung verbunden, noch die Rollen der Symphonie auf eine den speciellen Talenten der Handelnden mehr [64] anpassende Weise vertheilt. Von den Violinen und Flöten an, bis zu den Pauken, sind alle beständig auf die vortheilhafteste Weise verwendet. Und darin liegt, wie wir sagten, der ganze Fortschritt des jetzigen instrumentalen Systems: ein blendender Wohlklang, eine tiefberechnete Kenntniß des materiellen Effects und das Verleihen einer Wichtigkeit für die jüngeren Orchester-Instrumente, die Blasinstrumente nämlich, welche mehr als ein Jahrhundert lang den Saiteninstrumenten untergeordnet gewesen waren. Man studire die Gänge und Combinationen unserer Ouverture und man wird finden, daß sie als Muster gedient haben für die reichst instrumentirten Compositionen Beethoven's und anderer weit neuerer Meister.

Dieser Art war die letzte weltliche Arbeit Mozart's4, die letzte und wunderbarst vollkommene hinsichtlich des Styls. Seit Jahren schon erbleichte die Lebensflamme auf der Stirne des jungen Mannes und erlosch in seinem Busen. Die productive Kraft des Künstlers war ebenfalls in der Abnahme, obgleich viel langsamer und beinahe unmerklich. Aber diese erlöschende Flamme scheint auf einmal einen neuen Glanz um sich zu werfen; diese geschwächte Kraft überströmt auf einmal mit einer Entwickelung von Pracht und Phantasie, an welche selbst Mozart seine Bewunderer noch nicht gewöhnt hatte; der Schwan hat den Abschiedsgesang angestimmt; der Sterbende spricht seine novissima verba aus, wie sich die Alten ausdrückten, erhabene Worte, in [65] welchen der Geist Mozart's, zur Hälfte aus seiner Hülle befreit, uns erscheint, als wenn er bereits sich zu verklären anfinge, und welche Jeder in dem Requiem und in der Ouverture zur Zauberflöte hört, die dessen glänzendes und unsterbliches Vorspiel war. Das Bild des Paradieses verbindet sich mit den Bildern auf dem Todtenbette!

Außer dieser biographischen Bedeutung des Schwanengesanges hat die Königin der Fugen noch eine andere, welche ihr eine ewig denkwürdige Stelle in den Annalen der Kunst anweist.

So wie Mozart das poetische Leben unter allen seinen Phasen in der größten seiner Oper zusammengefaßt hatte, so hatte er auch die Gesammtheit seiner Natur hinsichtlich der Mittel des musikalischen Ausdrucks, der gleichsam die äußere Manifestation der Natur war, darin gesammelt. Don Giovanni bezeugte im Großen die irdische Mission unseres Heros in den Augen der ganzen Welt; eine summarischere und speciellere Rechnungsablage vor den Leuten der Kunst mußte auch die Allgemeinheit des Mozart'schen Styls in technischen und historischen Beziehungen zusammenfassen. Wie lauteten die Verhaltungs-Vorschriften des prädestinirten Musikers? Die Ernte der Jahrhunderte zu sammeln, und sie in der Gegenwart, der Vergangenheit und Zukunft der Musik zu vereinigen. Getreu diesem Befehle und am Ende seiner Laufbahn angekommen, scheint Mozart für die Musiker in Noten einen Bericht von etlichen und zwanzig Seiten abgefaßt zu haben: über die Weise, in welcher er die Instructionen der Vorsehung erfüllt hatte. Wir finden darin die klarste Melodie, den idealsten Sinn, die einschmeichelndsten Resultate des materiellen Wohlklanges, die glänzendste Instrumentation, neue und ewig moderne Effecte, im Verein mit der strengen antimelodischen und antiausdrucksvollen Form der [66] alten Fuge. Noch mehr, alles dieß wurde streng aus dieser Form hergeleitet; ohne diese wäre Alles Nichts gewesen. Auf diesen etlichen und zwanzig Seiten wurde das Grundgesetz jedes Kunstwerkes: Einheit und Manchfaltig keit mit einer so absoluten Macht von Zusammendrängung und Ausströmung in Strahlen beobachtet, daß sich keine zwei Combinationen darin finden, deren Aehnlichkeit bis zur Identität ginge, und nicht eine, in welcher man nicht denselben schöpferischen Gedanken zurückstrahlen sähe.

Ich schließe meinen Artikel mit der Angabe einer ohne Zweifel ziemlich seltsamen Thatsache. Jedermann weiß, daß die Nachahmung sich an Meisterwerke macht, gerade wie die Würmer an die Früchte, um sie, so weit es ihnen möglich ist, zu verderben. Wenn ein Schriftsteller oder Künstler großen Erfolg in der Welt erlangt, so sieht man sogleich eine Legion von Plünderern auf dieselben Gedanken und Formen dieses Künstlers und Schriftstellers sich werfen, an denen sie das Jägerrecht üben, um sie zum Ekel zu verkauen und wieder zu kauen. Das dauert so etwa fünf, zehn und mehr Jahre. Kein Geist ist originell, kein Talent schön genug, welchen diese Gedankendiebe nicht am Ende reellen Eintrag in der Vorliebe des Publicums thun. Man hat uns auf diese Weise Byron und Walter Scott, Beethoven und Rossini, den Letztern namentlich verdorben. Mozart mußte mehr wie irgend ein Anderer den Unternehmungen dieser Gladiatoren ausgesetzt sein; aber seine Waffenrüstung, welche bis einschließlich der Ferse in die Wasser des Styx getaucht war, erlaubten ihm, sich besser zu vertheidigen. Es gibt keine Werke, seien sie alt oder neu, der Kirchen-, Kammer- und Theater-Musik angehörig, welche Mozart so gleichen, wie alle unsere italienischen Opern Rossini, und eine so große Anzahl unserer Symphonieen, [67] Terzetts, Quartetts, Quintetts für Violine und Piano Beethoven gleichen. Wenn es also den Nachahmern bis jetzt nicht gelungen ist, Mozart zu nahe zu treten, so ist es sicher nicht ihr Fehler. Alle seine classischen Productionen waren und sind noch heut' zu Tage eine unerschöpfliche Quelle des Plagiats. Nun komme ich aber an die sonderbare Bemerkung, zu welcher ich gelangen wollte. Ein einziges Meisterwerk Mozart's, ein einziges, das gewiß nicht das geringste in der Meinung der Kenner, noch dasjenige ist, welches dem musikalischen Publicum Europa's am Wenigsten zusagte, blieb von allen Versuchungen der Nachahmung verschont; es flößte selbst dem Geiste der Nachahmung Furcht ein, dem verwegensten und unverschämtesten aller Geister. Die Ouverture zur Zauberflöte, denn von dieser spreche ich, erhält sich seit einem halben Jahrhunderte in gleicher und wachsender Gunst, überall da, wo es ein halb Dutzend Liebhaber und ein vollständiges Orchester gibt; mit ihr werden sehr häufig die ausgewähltesten Concerte, die großen musikalischen Feierlichkeiten eröffnet, sie wurde auf alle mögliche Weise ar rangirt; sogar für die menschlichen Stimmen mit unterlegtem komischem Texte, was freilich ein Spaß sehr schlechter Art ist; sogar für Spieluhren hat man sich derselben als eines Lieblingsstückes bemächtigt. Wenn das nicht ein Erfolg genannt werden kann, so müßte ich mich sehr täuschen. Trotzdem daß dieser Erfolg nun über fünfzig Jahre dauert, so hat doch noch Niemand versucht, dieses Werk nachzuahmen: Niemand wagte es noch, Mozart's alte Form der theatralischen Ouverture zu reproduciren. Ich erinnere mich noch einer Zeit, in welcher meine musikalischen Kenntnisse noch nicht weit über die Behandlung der Violine hinausgingen, daß dieser Umstand mir bereits auffiel. Ich fragte einen Mann von gediegenem musikalischem Wissen, warum man keine Ouverturen [68] dieser Art mehr schreibe, die mir so unendlich gefiel. Er schien meine Frage zu überdenken und erwiderte sodann: weil man Mozart sein müßte, um dieß zu unternehmen. Die Antwort erschien mir damals kurz und sehr wenig zufrieden stellend. Seitdem bin ich so weit vorgeschritten, um anzuerkennen, daß es unmöglich war, eine bessere zu geben.

Quelle:
Alexander Ulibischeff: Mozart's Leben und Werke. Stuttgart 2[1859], S. 5-69.
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