Dritter Abschnitt.

Konzert-Arien.

[324] Obgleich Mozart sehr viele und große Konzert-Arien geschrieben hat, bekommt man sie in den Konzertsälen Deutschlands doch höchst selten zu hören. Man hat fast überall die Gewohnheit, Opern-Arien vorzutragen, die man gewöhnlich zum Ueberdruß gehört hat, und die, wenn sie nicht für bloße Coloratur bestimmt sind, ohne den dramatischen Hintergrund stets zu fragmentarisch erscheinen werden. Wie viel interessanter wäre es, wirkliche Konzert-Arien in das Programm aufzunehmen, und aus dem reichen Borne zu schöpfen, den namentlich Mozart uns erschlossen hat. Seine Konzert-Arien sind freilich auf eine Schule der Bravour berechnet, welche durchzumachen heutzutage wenige dramatische Sängerinnen den Muth, die Ausdauer und die Selbstverläugnung besitzen; auch gehören Stimmmittel dazu, die in unsrer, die Behandlung des Stimmorgans so sehr mißachtenden Zeit, und bei den schlimmen Einflüssen des modernen Kunstgeschmackes immer seltener werden. Mozart's Konzert-Arien erfordern ein Portamento di voce, welche unsere, sich an den Rollen schwieriger und anstrengender Opern heranbildenden Sängerinnen nie zu erwerben [325] im Stande sein werden. Aber gerade deßwegen sind sie dem Studium unserer jüngeren Generation von Sängerinnen auf's dringendste zu empfehlen, weil diese dadurch vom Irrwege abgelenkt und in die Laufbahn hineingeleitet werden, welche allein einer stimmbegabten Künstlerin vorschweben soll; und dazu könnte die Aufnahme dieser Mozart'schen Arien im Konzertsaale ein so großer Sporn für strebsame Sängerinnen werden.

Die meisten dieser Konzert-Arien sind durch ein großartiges Recitativ im breiten altitalienischen Style eingeleitet, das sich noch überdieß fast durchgehends durch eine declamatorische Energie und durch einen stets markigen modulatorischen Ausdruck auszeichnet, so daß es lyrisch ebenso großen Effekt macht, als es dramatisch thun würde. Die Arien selbst sind stets die Träger einer auf's Höchste gespannten lyrischen Empfindung, welche den tief poetischen, vom gewöhnlichen Librettotext sich so vortheilhaft unterscheidenden italienischen Worten entspricht, zu denen sie gesetzt sind. Hier greift Mozart in sein innerstes Herz und läßt demselben Melodien entströmen, welche höchst ergreifend sind. Von Rossinischer Koloratur ist noch keine Spur vorhanden, die Bravour besteht im Anschwellen und Tragen der Töne, im Ebenmaß des Metallklanges, in der Sicherheit der Intervallensprünge auf der gewaltigen Scala, die die Gefühlswelt der Sängerin zu gleicher Zeit mit der Stimme zu durchlaufen hat.

Die Mozart'schen Konzert-Arien sind in einer Partitursammlung bei Breitkopf erschienen, und theilweise auch im Klavier-Auszug. Eine interessante Sammlung von acht der schönsten Arien gab Macfarren bei Cramer in London heraus, und hat dadurch viel zur Verbreitung derselben in England beigetragen. In diese Sammlung sind die folgenden aufgenommen worden.

[326] Nr. 1. Aria: Resta, o cara, acerba morte mi separa da te! Für Mezzo Sopran, in A-dur mit dem Recitativanfang in Cis-moll und einer höchst charakteristischen Instrumentalbegleitung. In der Arie selbst wird die Modulation einigemal so kühn, als je Mozart es gewagt hat, namentlich bei den Worten: Quest' affanno, questo è terribile per me, wo er auf jedem Takttheile trügerisch modulirt. Besonders ergreifend ist die A-moll-Stelle bei Acerba morte und das Erheben aus derselben vermittelst des D-dur-Accords zur Tonart der Arie. Der Schluß der Arie in Allegro mit dem Rufe Vieni affretta la vendetta ist im großartigsten Style geschrieben. Componirt am 3. Nov. 1787 in Prag für Mad. Duscheck.

Nr. 2. Aria: Non temer, amato bene, in Es-dur, ist zwar als Rondo bezeichnet, hat aber nichts von dem leichten Charakter eines Rondo. Sie ist großartig angelegt, und wegen der ungewöhnlichen Modulation schwer rein zu singen (so z.B. bei den Worten: I'alma mia mancando va folgen in halben Noten Intervallen wie: Es, Des, Ces, B, A, As, G, Ges, Fes, As, Ces, Fes, Es, D). Diese Arie ist für eine Sopranstimme geschrieben.

Nr. 3. Aria: Ah non son io che parlo, für Sopran. Weicher in der Stimmung, als die vorhergehende, aber von großem Umfang bis in's hohe B.

Nr. 4. Rondo: Ah! Non sai quel pena mia, inG-dur für Sopran. Die Melodie klingt zuerst wie imBenedictus einer Mozart'schen Messe, sie fällt aber bald aus dieser Rolle und steigt in kühnen Zweiunddreißigsteln bis in's oberste D hinauf, bis sie wieder im Anfangssatze Athem holt, um im Schluß-Allegro ihre streng getragenen Läufe durchmachen zu können. Als eine vortreffliche Gesangs-Étude ist dieses Rondo ausgezeichnet.

[327] Nr. 5. Aria: Or che il cielo a me ti rende, eine mehr im Style der Opernmusik geschriebene Arie, die auch ohne Zweifel zur Einlage in eine Oper bestimmt war. Sie ist nicht so schwierig, wie die vorhergehende, und überhaupt sehr dankbar zu singen.

Nr. 6. Aria: Ah! T'invola agli occhi. Eingelegt in die Oper Andromeda. Sie geht aus A-moll, und besteht aus mehreren Abschnitten, die meist ohne Coloratur sind und sich viel auf halben Noten bewegen. Den Schluß bildet eine Cavatine in G-dur.

Nr. 7. Aria: Per pietà non ricercate, eingelegt in die Oper: Il curioso indiscreto. Ohne Recitativ, aber mit schöner Instrumentaleinleitung. Es ist dieß eine der rührendsten, tiefgefühltesten, und in der Melodie glücklichsten Arien des Meisters, erfordert aber wegen der vielen gehaltenen ganzen Noten eine kräftige Stimme.

Nr. 8. Aria: Mentre ti lascio o figlia, componirt am 23. März 1787 in Wien für Herrn Gottfried von Jacquin. Ein männlicher Charakter herrscht darin (Tonart Es-dur), der die Schmerzen des Abschieds zu überwinden strebt.

Endlich sei noch die schönste aller Abschieds-Arien erwähnt: Io ti lascio, addio, unübertroffen in ihrer Art – die rührendste Melodie und der kummervollste Ausdruck, der Trost sucht.

Quelle:
Alexander Ulibischeff: Mozart's Leben und Werke. Stuttgart 2[1859], S. 324-328.
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