Dreizehntes Kapitel.

Tod der Mutter. Rückkehr nach Deutschland.

Juli 1778 – Januar 1779.

[57] Ein trauriges Ereigniß trug dazu bei, Mozarts Ekel und Widerwillen, den er in Paris verspürte, zu vermehren. Seine Mutter, die er aufs Zärtlichste liebte, und deren Abgott er war, starb im Laufe des Monat Juli. Sie hatte längere Zeit gekränkelt. Die Wohnung, die sie mit ihrem Sohn bezogen hatte, war schlecht, sie fühlte sich überdies sehr einsam und verlassen, da Wolfgang in Geschäften häufig abwesend war. Als sie im Mai von einer längeren Unpäßlichkeit sich erholt hatte, hatte sie im Sinne, eine bessere Wohnung zu suchen, allein sie erkrankte bald darauf von Neuem und nach einem vierzehntägigen Krankenlager erlag sie ihren Leiden am 3. Juli 1778. Wolfgang, welcher seinen Vater schonen wollte, auf den die ganz ungeahnte Schreckensbotschaft wie ein Donnerschlag gefallen wäre, theilte die Nachricht zuerst dem Abbate Bullinger, dem bewährten Hausfreunde, mit, und suchte in einem andern Briefe seinen Vater selbst [57] durch Schilderung ihres Krankheitzustandes darauf vorzubereiten Erst einige Tage später schrieb er ihm den wahren Thatbestand. Diese Briefe und des Vaters Erwiederungen darauf zeigen, welch inniges Band der aufrichtigsten Liebe diese Familie umschlang. Nicht ohne Rührung wird man ihren Inhalt durchlesen.


Brief Wolfgang Mozarts an Herrn Abbate Bullinger.


Paris ce 3. Juillet 1778.


Allerbester Freund! (für Sie ganz allein.)


Trauern Sie mit mir, mein Freund! – Dieß war der traurigste Tag in meinem Leben – das schreibe ich um zwei Uhr Nachts – ich muß es Ihnen doch sagen, meine Mutter, meine liebste Mutter ist nicht mehr! – Gott hat sie zu sich berufen -– er wollte sie haben, das sah ich klar – mithin habe ich mich in den Willen Gottes gegeben. – Er hat sie mir gegeben, er konnte sie mir auch nehmen. Stellen Sie sich nur alle meine Unruhe, Angst und Sorgen vor, die ich diese vierzehn Tage ausgestanden habe. – Sie starb, ohne daß sie Etwas von sich wußte – löschte aus wie ein Licht. Sie hat drei Tage vorher gebeichtet, wurde abgespeis't und empfing die heilige Oehlung. – Die letzten drei Tage aber phantasirte sie beständig, und heute um 5 Uhr 21 Minuten Abends griff sie in Zügen, verlor also gleich dabei alle Empfindung und Sinne – ich drückte ihr die Hand, redete sie an – sie sah mich aber nicht, hörte mich nicht, und empfand Nichts – so lag sie, bis sie verschied, nämlich in 5 Stunden, um 10 Uhr 21 Minuten Abends – es war Niemand dabei, als ich, ein guter Freund von uns, den mein Vater kennt, Hr. Haine und die Wärterin. – Die ganze Krankheit kann ich [58] Ihnen heute unmöglich schreiben – ich bin der Meinung, daß sie hat sterben müssen – Gott hat es so haben wollen. Ich bitte Sie unterdessen um Nichts, als um das Freundschaftsstück, daß Sie meinen armen Vater ganz sachte zu dieser traurigen Nachricht zubereiten – ich habe ihm mit der nämlichen Post geschrieben – aber nur, daß sie schwer krank ist – warte dann nur auf eine Antwort, damit ich mich darnach richten kann. Gott gebe ihm Stärke und Muth! – Mein Freund! – Ich bin nicht jetzt, sondern sehr lange her getröstet! – ich habe aus besonderer Gnade Gottes Alles mit Standhaftigkeit und Gelassenheit übertragen. Wie es so gefährlich wurde, so bat ich Gott nur um zwei Dinge, nämlich um eine glückliche Sterbesstunde für meine Mutter und dann für mich um Stärke und Muth – und der gütige Gott hat mich erhört und mir die zwei Gnaden im größten Maaße verliehen. Ich bitte Sie also, bester Freund, erhalten Sie mir meinen Vater, sprechen Sie ihm Muth zu, daß er es sich nicht gar zu schwer und hart nimmt, wenn er das Aergste erst hören wird. Meine Schwester empfehle ich Ihnen auch von ganzem Herzen – gehen Sie doch gleich hinaus zu ihnen, ich bitte Sie – sagen Sie ihnen noch nicht, daß sie todt ist, sondern bereiten Sie sie nur so dazu vor – thun Sie, was Sie wollen, – wenden Sie Alles an – machen Sie nur, daß ich ruhig sein kann – und daß ich nicht etwa ein anderes Unglück zu erwarten habe. – Erhalten Sie mir meinen lieben Vater, und meine liebe Schwester. Geben Sie mir gleich Antwort, ich bitte Sie – Adieu, ich bin

Dero

gehorsamster, dankbarster Diener

Wolfgang Amadé Mozart.


Aus Fürsorge:

Rue du gros chenet, vis-à-vis celle du croissant

à l'hôtel des quatre fils aimont.


[59] Der Sohn an den Vater.


Paris, den 3. Juli 1778.


Ich habe Ihnen eine sehr unangenehme und traurige Nachricht zu geben, die auch Ursache ist, daß ich auf Ihren letzten Brief, vom 11ten Juni datirt, nicht eher habe antworten können. Meine liebe Mutter ist sehr krank – sie hat sich, wie sie es gewohnt war, Ader gelassen, und es war auch sehr nothwendig, und war ihr auch darauf ganz gut. Doch einige Tage darnach klagte sie über Frost und auch gleich Hitze, – bekam den Durchlauf, Kopfwehe, wir brauchten anfangs unsere Hausmittel, antispasmodisch Pulver; wir hätten auch gern das schwarze gebraucht, es mangelte uns aber, und wir konnten es hier nicht bekommen, es ist auch unter dem Namen pulvis epilepticus nicht bekannt. – Weil es aber immer ärger wurde, sie hart reden konnte, das Gehör verlor, so daß man schreien mußte, – so schickte der Baron Grimm seinen Doktor her. – Sie ist sehr schwach, hat noch Hitze und phantasirt, – man giebt mir Hoffnung; ich habe aber nicht viel – ich bin nun schon lange Tag und Nacht zwischen Furcht und Hoffnung – ich habe mich aber ganz in den Willen Gottes gegeben – und hoffe, Sie und meine liebe Schwester werden es auch thun. Was ist denn sonst für ein Mittel, um ruhig zu sein? – ruhiger, sage ich, denn ganz kann man es nicht sein. – Ich bin getröstet, es mag ausfallen, wie es will, – weil ich weiß, daß es Gott, der Alles (wenn es uns noch so quer vorkömmt) zu unserm Besten anordnet, so haben will; denn ich glaube, und dieses lasse ich mir nicht ausreden, daß kein Doctor, kein Mensch, kein Unglück, kein Zufall einem Menschen das Leben weder geben noch nehmen kann, sondern Gott allein – das[60] sind nur die Instrumente, deren er sich meistentheils bedient – und auch nicht allezeit. – Wir sehen ja, daß Leute umsinken, umfallen und todt sind. Ich sage deßwegen nicht, daß meine Mutter sterben wird und sterben muß, daß alle Hoffnung verloren sei – sie kann frisch und gesund werden, aber nur wenn Gott will.

– Ich mache mir, nachdem ich aus allen meinen Kräften um die Gesundheit und das Leben meiner lieben Mutter zu meinem Gott gebetet habe, gern solche Gedanken und Tröstungen, weil ich mich hernach mehr beherzt, ruhiger und getroster finde, – denn Sie werden sich leicht vorstellen, daß ich dieß brauche! – Nun etwas Anderes. Verlassen wir diese traurigen Gedanken, hoffen wir, aber nicht zu viel, haben wir unser Vertrauen auf Gott, und trösten wir uns mit diesem Gedanken, daß Alles gut geht, wenn es nach dem Willen des Allmächtigen geht, indem er am besten weiß, was uns Allen sowohl zu unserm zeitlichen als ewigen Glück und Heil ersprieslich und nutzbar ist. –

Daß ich hier nicht gern bin, werden Sie schon längst gemerkt haben: ich habe so viele Ursachen, die aber, weil ich jetzt schon einmal da bin, zu Nichts nützen. –

Mit der Opera ist es dermalen so. Man findet sehr schwer ein gutes Poëme; die alten, welche die besten sind, sind nicht auf den modernen Stil eingerichtet, und die neuen sind alle nichts werth; denn die Poesie, welches das Einzige war, worauf die Franzosen haben stolz sein können, wird jetzt alle Tage schlechter, und die Poesie ist eben das Einzige hier, was gut sein muß, weil sie die Musik nicht verstehen. – Es sind nun zwei Opern, die ich schreiben könnte, ein en deux actes, die andere en trois actes. Die en deux actes ist Alexandre et Roxane – der Poet aber, der sie schreibt, ist noch in der Campagne. Die en trois actes ist Demosont (von Metastasio), übersetzt und mit[61] Chören und Tänzen vermischt, und überhaupt für das französische, Theater arrangirt, von dieser habe ich auch noch nichts sehen können. – – – Wegen Versailles war es nie mein Gedanke; ich habe auch den Rath des Baron Grimm und anderer guten Freunde darüber gehört, sie dachten Alle wie ich. Es ist wenig Geld, man muß sechs Monate in einem Orte verschmachten, wo nichts sonst zu verdienen ist, und sein Talent vergraben. Denn wer in königlichen Diensten ist, der ist zu Paris vergessen, und dann Organist! – Ein guter Dienst wäre mir sehr lieb, aber nicht anders als Kapellmeister und gut bezahlt.

Nun leben Sie recht wohl, haben Sie Sorge auf Ihre Gesundheit, verlassen Sie sich auf Gott, da müssen Sie ja Trost finden. Meine liebe Mutter ist in den Händen des Allmächtigen, will er sie uns noch schenken, so werden wir ihm für diese Gnade danken; will er sie aber zu sich nehmen, so nützet all' unser Aengsten, Sorgen, Verzweifeln nichts, – geben wir uns lieber standhaft in seinen göttlichen Willen, mit gänzlicher Ueberzeugung, daß es zu unserm Nutzen sein wird, weil er nichts ohne Ursache thut.


Des Vaters Antwort.


Salzburg, den 13. Juli 1778.


Mein liebes Weib und mein lieber Sohn!


Um Deinen Namenstag, mein liebes Weib, nicht zu verfehlen, schreibe ich unter heutigem Datum, wo der Brief noch sicher einige Tage vorher eintreffen muß. Ich wünsche Dir Millionen Glück, solchen abermals erlebt zu haben, und bitte den allmächtigen [62] Gott, daß er Dich diesen Tag noch viele Jahre gesund und, so viel es auf diesem Welt-Theater möglich, auch vergnügt möge erleben lassen. Ich bin vollkommen überzeugt, daß Dir zu Deinem wahren Vergnügen Dein Mann und Deine Tochter mangelt. Gott wird nach seinem unerforschlichen Rathschlusse und heiligster Vorsehung Alles zu unserm Besten anwenden. Hättest Du wohl vor einem Jahre geglaubt, daß Du Deinen kommenden Namenstag in Paris hinbringen würdest? – – So unglaublich es damals Manchem geschienen hätte (obwohl uns eben nicht) – eben so möglich ist es, daß wir mit der Hülfe Gottes eher, als wir es vermuthen, wieder Alle beisammen sind; denn dieses allein ist, was mir am Herzen liegt, – von Euch getrennt zu sein – von Euch entfernt, und so weit entfernt zu leben; sonst sind wir, Gott sei gelobt, gesund! Wir Beide küssen Dich und den Wolfgang Millionen Mal, und bitten Euch hauptsächlich für die Erhaltung Eurer Gesundheit besorgt zu sein. –

Dieses Vorherstehende schrieb ich gestern, den 12ten d.M. Heute Vormittag den 12ten, das ist diesen Augenblick vor 10 Uhr, erhalte ich Dein betrübtes Schreiben vom 3ten Juli. Du kannst Dir leicht vorstellen, wie uns Beiden um das Herz ist. Wir weinten zusammen, daß wir kaum den Brief lesen konnten, – und Deine Schwester! – großer, barmherziger Gott! Dein allerheiligster Wille geschehe! Mein lieber Sohn! bei aller meiner immer möglichen Ergebung in den göttlichen Willen wirst Du es doch ganz menschlich und natürlich finden, daß ich durch Thränen fast gehindert werde, zu schreiben. Was kann ich endlich für einen Schluß machen? – Keinen andern, als: jetzt, da ich dieses schreibe, wird sie vermuthlich todt – oder sonst muß sie besser sein, denn Du schreibst den 3ten, und heute ist schon der 13te. Du schreibst, sie befand sich auf das Aderlassen [63] gut; allein einige Tage hernach klagte sie über Frost und Hitze. Euer letzter Brief war vom 12ten Juni, und da schrieb sie – gestern habe ich mir Ader gelassen: das war also den 11ten Juni, und warum denn an einem Samstage – an einem Fasttage? – – – Sie wird wohl Fleisch gespeis't haben. Sie hat mit dem Aderlassen zu lange gewartet. Ich habe es ja erinnert, weil ich sie kenne, daß sie Alles von Heute auf Morgen verschiebt, absonderlich an einem fremden Orte, wo sie sich erst um einen Chirurgen erkundigen muß. Nun ist einmal die Sache so – und nicht mehr zu ändern. – Da ich mein vollkommenes Vertrauen in Deine kindliche Liebe setzte, daß Du alle menschenmögliche Sorgfalt für Deine gewiß gute Mutter getragen hast, und, wenn Gott sie uns noch schenket, immer tragen wirst; für Deine gute Mutter, deren Augapfel Du warst, und die Dich ganz außerordentlich geliebt hat, – die völlig stolz auf Dich war, und die (ich weiß mehr als Du) gänzlich in Dir gelebt hat. Sollte nun aber alles unser Hoffen vergebens sein! Sollten wir sie verloren haben! – Großer Gott! So hast Du Freunde nöthig, redliche Freunde! sonst kommst Du um Deine Sachen, Begräbniß-Unkosten u.s.w. mein Gott! manche Dir ganz unbekannte Unkosten, wo man einen Fremden betrügt – übernimmt – hintergeht – in unnöthige Kosten bringt und aussaugt, wenn man nicht redliche Freunde hat: Du kannst es nicht verstehen. Sollte nun dieses Unglück vorgefallen sein, so bitte Hrn. Baron von Grimm, daß Du Deiner Mutter Sachen alle zu ihm in Verwahrung bringen darfst, damit Du nicht auf gar so viel Sachen Achtung zu geben nothwendig hast: oder versperre Alles recht gut, denn wenn Du oft ganze Tage nicht zu Hause bist, kann man ins Zimmer brechen und Dich ausrauben. Gott gebe, daß alle diese meine Vorsorge unnöthig ist: an dieser [64] aber erkennst Du Deinen Vater. Mein liebes Weib! mein lieber Sohn! Da sie einige Tage nach dem Aderlaß unpäßlich geworden, so muß sie sich seit dem 16ten oder 17ten Juni krank befinden. Ihr habt doch zu lange gewartet, – sie hat geglaubt, es wird durch Ruhe im Bette, durch Diät, durch eigene Mittel besser werden; ich weiß, wie es geht, man hofft und schiebt von Heute auf Morgen: allein, mein lieber Wolfgang, das Laxiren bei Hitze erfordert augenblicklich einen Medicum, um zu wissen, ob man die Hitze benehmen oder noch lassen muß, da die abkühlenden Mittel noch mehr Laxiren machen, und stillt man den Durchlauf zur unrechten Zeit, so geht die Materia peccans in einen Brand. – Gott, Dir sei Alles überlassen!

Ich wünsche Dir Glück, daß Du mit Deiner Symphonie im Concert spirituel so glücklich durchgekommen. Ich stelle mir Deine Angst vor. – Dein Entschluß, wenn es nicht gut gegangen wäre, ins Orchester zu laufen, war wohl nur ein erhitzter Gedanke. Behüte Gott! diese und alle derlei Einfälle mußt Du Dir ausschlagen; sie sind unüberlegt, ein solcher Schritt würde Dir das Leben kosten, und das setzt doch kein vernünftiger Mensch auf eine Symphonie. Ein dergleichen Affront – und zwar öffentlicher Affront, würde und müßte nicht nur ein Franzose, sondern jeder Andere, der auf Ehre hält, mit dem Degen in der Faust rächen. – –

Ich schrieb ihr meinen Glückwunsch am Anfange des Briefes, – und die Nannerl wollte mit ihrem Glückwunsche denselben schließen. Allein sie kann (wie Du Dir's leicht vorstellen kannst) keinen Buchstaben schreiben, die Sache kommt eben jetzt, da sie schreiben sollte, – jeder Buchstabe, den sie hinschreiben soll, treibt ihr einen Thränenguß in die Augen. Vertrete Du, ihr lieber [65] Bruder, ihre Stelle – wenn Du, wie wir hoffen und wünschen, noch vertreten kannst.

Doch nein! Du kannst es nicht mehr. – Sie ist dahin! Du bemühest Dich zu sehr, mich zu trösten, das thut man nicht gar so eifrig, wenn man nicht durch den Verlust aller menschlichen Hoffnung, oder durch den Fall selbst dazu ganz natürlich angetrieben wird. – – – Dieses schreibe ich um halb 4 Uhr Nachmittags. Ich weiß nun, daß meine liebe Frau im Himmel ist. Ich schreibe es mit weinenden Augen, aber mit gänzlicher Ergebung in den göttlichen Willen!

Hr. Bullinger fand uns, wie alle die Uebrigen uns antrafen, in der betrübtesten Situation; ich gab ihm, ohne ein Wort zu sagen, Deinen Brief zu lesen, und er verstellte sich trefflich, und fragte mich, was ich davon hielte. Ich antwortete ihm, daß ich fest glaube, mein liebes Weib sei schon todt. Er sagte, daß er in der That fast eben dieses vermuthe, und dann sprach er mir Trost ein, und sagte mir als ein wahrer Freund alles dasjenige, was ich mir bereits schon selbst gesagt hatte. Ich gab mir Mühe, mich aufzuräumen, mich bei der Ergebung in den allerheiligsten göttlichen Willen zu erhalten. Wir endigten unser Polzschießen, Alles ging betrübt weg, Hr. Bullinger blieb bei mir, und fragte mich dann unbemerkt, was ich davon hielte, ob bei diesen beschriebenen Krankheitsumständen noch Hoffnung wäre. Ich antwortete ihm, daß ich glaubte, sie wäre nicht nur jetzt todt, sondern den Tag, da Dein Brief geschrieben worden, schon gestorben, daß ich mich in den Willen Gottes ergeben und denken müsse, daß ich zwei Kinder habe, die mich hoffentlich so lieben werden, als wie ich einzig für sie lebe: daß ich es so gewiß glaube, daß ich sogar Erinnerungen und Besorgnisse wegen der Folge etc. an Dich geschrieben habe. Auf dieses sagte er [66] mir: ja sie ist todt! und in diesem Augenblicke fiel mir der Schleier vom Gesicht, den mir dieser schnelle Zufall vor die Augen hielt, der meine Voraussehung verhinderte, da ich sonst geschwind auf die Vermuthung verfallen wäre, Du würdest dem Hrn. Bullinger unter der Hand das Wahre geschrieben haben, so bald ich Deinen Brief las. Dein Brief hatte mich aber wirklich dumm gemacht – ich war im ersten Augenblicke zu sehr niedergeschlagen, um etwas nachdenken zu können. Jetzt weiß ich nichts zu schreiben! Wegen meiner kannst Du ruhig sein, ich werde als ein Mann handeln. Denke nach, was Du für eine zärtlich liebende Mutter hattest – jetzt wirst Du ihre Sorgen erst einsehen – so wie Du bei reifen Jahren nach meinem Tode mich immer mehr lieben wirst. – Liebst Du mich – wie ich gar nicht zweifle – so trage Sorge für Deine Gesundheit, – an Deinem Leben hängt mein Leben – und der künftige Unterhalt Deiner ehrlich Dich von Herzen liebenden Schwester. Daß es unbegreiflich empfindlich ist, wenn der Tod eine gute glückliche Ehe zerreißt, das muß man erfahren, um es zu wissen. – Schreib' mir Alles umständlich, vielleicht hat man ihr zu wenig Blut gelassen? – Das Gewisseste ist, daß sie sich zu viel auf sich selbst getrauet, und den Doctor zu spät gerufen, unterdessen hat der Brand in intestinis überhand genommen. Sorge für Deine Gesundheit! mache uns nicht Alle unglücklich! Die Nannerl weiß noch nichts von Bullingers Briefe, ich habe sie aber schon so vorbereitet, daß sie glaubt, daß ihre beste Mutter tod ist. Schreibe mir bald – und Alles – wann sie begraben worden – wohin? – Großer Gott! das Grab meines lieben Weibes muß ich in Paris suchen!

[Leopold Mozart.]


[67] Der Sohn an den Vater.


Paris ce 9. Juillet 1778.


Monsieur mon très cher Père!


Ich hoffe, Sie werden bereit sein, eine der traurigsten und schmerzhaftesten Nachrichten mit Standhaftigkeit anzuhören. – Sie werden durch mein letztes Schreiben vom 3ten in die Lage gesetzt worden sein, nichts Gutes hören zu dürfen. – Den nämlichen Tag, den 3ten, ist meine Mutter Abends um 10 Uhr 21 Minuten in Gott selig entschlafen; – als ich Ihnen aber schrieb, war sie schon im Genusse der himmlischen Freuden – Alles war schon vorbei – ich schrieb Ihnen in der Nacht – ich hoffe, Sie und meine liebe Schwester werden mir diesen kleinen und sehr nothwendigen Betrug verzeihen – denn nachdem ich nach meinem Schmerze und Traurigkeit auf die Ihrige schloß, so konnte ich es unmöglich über's Herz bringen, Sie sogleich mit dieser schrecklichen Nachricht zu überraschen. – Nun hoffe ich aber, werden Sie sich Beide gefaßt gemacht haben, das Schlimmste zu hören, und, nach allen natürlichen und gar wohl zu billigenden Schmerzen und Weinen, endlich sich in den Willen Gottes zu geben, und seine unerforschliche, unergründliche und allerweiseste Vorsehung anzubeten. – Sie werden sich leicht vorstellen können, was ich ausgestanden – was ich für Muth und Standhaftigkeit nothwendig hatte, um Alles so nach und nach immer ärger, immer schlimmer, mit Gelassenheit zu übertragen – und doch, der gütige Gott hat mir diese Gnade verliehen – ich habe Schmerzen genug empfunden, habe genug geweint – was nützte es aber? – Ich mußte mich also trösten. Machen Sie es auch so, mein lieber Vater und liebe [68] Schwester! – Weinen Sie, weinen Sie sich recht aus – trösten Sie sich aber endlich – bedenken Sie, daß es der allmächtige Gott also hat haben wollen – und was wollen wir wider ihn machen? – Wir wollen lieber beten, und ihm danken, daß es so gut abgelaufen ist – denn sie ist sehr glücklich gestorben; – in jenen betrübten Umständen habe ich mich mit drei Sachen getröstet, nämlich durch meine gänzliche, vertrauungsvolle Ergebung in den Willen Gottes – dann durch die Gegenwart ihres so leichten und schönen Todes, indem ich mir vorstellte, wie sie nun in einem Augenblicke so glücklich wird – wie viel glücklicher sie nun ist, als wir – so, daß ich mir gewünscht hätte, in diesem Augenblicke mit ihr zu reifen – aus diesem Wunsche und aus dieser Begierde entwickelte sich endlich mein dritter Trost, nämlich, daß sie nicht auf ewig für uns verloren ist – daß wir sie wiedersehen werden – vergnügter und glücklicher beisammen sein werden, als auf dieser Welt. Nur die Zeit ist uns unbekannt – das macht mir aber gar nicht bang – wann Gott will, dann will ich auch. – Nun, der göttliche, allerheiligste Wille ist vollbracht – beten wir also ein andächtiges Vater unser für ihre Seele – und schreiten wir zu andern Sachen: es hat Alles seine Zeit. – Ich schreibe dieses im Hause der Madame d'Epinay und des Mons. Bar, de Grimm, wo ich nun logire, ein hübsches Zimmerl mit einer sehr angenehmen Aussicht habe, – und, wie es nur immer mein Zustand zuläßt, vergnügt bin. – Eine große Hülfe zu meiner möglichen Zufriedenheit wird sein, wenn ich hören werde, daß mein lieber Vater und meine liebe Schwester sich mit Gelassenheit und Standhaftigkeit gänzlich in den Willen des Herrn geben, – sich ihm von ganzem Herzen vertrauen, in der festen Ueberzeugung, daß er Alles zu unserm Besten anordnet. – Allerliebster Vater! – schonen Sie sich! – Liebste [69] Schwester! – schone Dich, – Du hast noch nichts von dem guten Herzen Deines Bruders genossen – weil er es noch nicht im Stande war. – Meine liebsten Beide! – habt Sorge auf Eure Gesundheit – denket, daß Ihr einen Sohn habt – einen Bruder – der alle seine Kräfte anwendet, um Euch glück lich zu machen – wohl wissend, daß Ihr ihm auch einstens seinen Wunsch und sein Vergnügen – welches ihm gewiß Ehre macht, nicht versagen, und auch Alles anwenden werdet, um ihn glücklich zu sehen. – O dann wollen wir so ruhig, so ehrlich, so vergnügt (wie es immer auf dieser Welt möglich ist) leben – und endlich, wem Gott will, dort wieder zusammen kommen, wofür wir bestimmt und erschaffen sind. –

Wegen des Ballets des Noverre habe ich ja niemals etwas anders geschrieben, als daß er vielleicht ein neues Ballet machen wird – er hat gerade ein halbes Ballet gebraucht, und dazu machte ich die Musik, – das ist, sechs Stücke werden von Andern darin sein, die bestehen aus lauter miserabeln französischen Arien; die Symphonie und Contretänze, überhaupt zwölf Stücke werde ich dazu gemacht haben. – Dieses Ballet ist schon vier Mal mit größtem Beifalle gegeben worden. – Ich will aber jetzt absolument nichts machen, wenn ich nicht voraus weiß, was ich dafür bekomme, denn dieß war nur ein Freundschaftsstück für Noverre. – Mit Piccini habe ich im Concert spirituel gesprochen. Er ist ganz höflich mit mir, und ich mit ihm, wenn wir so ungefähr zusammen kommen; übrigens mache ich keine Bekanntschaft weder mit ihm, noch andern Componisten – ich verstehe meine Sache – und sie auch – und das ist genug. – Wenn ich eine Opera zu machen be komme, so werde ich genug Verdruß bekommen – das würde ich aber nicht viel achten, denn ich bin es schon gewohnt, wenn nur die verfluchte französische Sprache nicht so hundsföttisch [70] zur Musik wäre! – Das ist was Elendes – die deutsche ist noch göttlich dagegen, – und dann erst die Sänger und Sängerinnen – man sollte sie gar nicht so nennen – denn sie singen nicht, sondern sie schreien – heulen – und zwar aus vollem Halse, aus der Nase und Gurgel. –

Nun ist es Zeit, daß ich zum Schlusse trachte. Wenn Sie mir schreiben, so glaube ich, wird es besser sein, wenn Sie setzen: Chez Mr. le Baron de Grimm, chaussée d'Antin près le Boulevard. – Mr. Grimm wird Ihnen nächstens selbst schreiben. Er und die Madame d'Epinay lassen sich Ihnen Beiden empfehlen und von Herzen condoliren – hoffen aber, Sie werden sich in einer Sache, die nicht zu ändern ist, zu fassen wissen. Trösten Sie sich und beten Sie brav, dieß ist das einzige Mittel, was uns übrig bleibt. – Ich wollte Sie wohl gebeten haben, eine heil. Messe in Maria Plain und zu Loretto lesen zu lassen – ich habe es hier auch gethan. –

[Wolfgang Mozart.]


Bei dieser betrübten Veranlassung gab ihm Grimm neue rührende Beweise einer Freundschaft, die sein Andenken eben so ehrt, als seine Verbindungen mit den Philosophen. Er veranlaßte den jungen Mann, seine Miethwohnung, Straße du Gros-Chenet, zu verlassen, in sein Hotel zu ziehen, schrieb nach Salzburg und übernahm die Besorgung aller der Details, welche die Umstände mit sich brachten. Eine der ausgezeichnetsten Frauen damaliger Zeit, Madame d'Epinay, schloß sich ihrem alten Anbeter Grimm an, um den Verlassenen zu trösten. Nun bekämpfte auch Leopold Mozart den Wunsch nicht länger, den sein Sohn aussprach, Frankreich verlassen zu dürfen. Der verständige Greis willigte aber dennoch nicht eher ein, bis es seinen unaufhörlichen[71] Bemühungen gelungen war, ihm eine Stellung in Salzburg zu verschaffen. Die Sache ging folgendermaßen zu. Der Erzbischof hatte vor Kurzem zwei Musiker aus seiner Capelle verloren, Lolli und Adelgasser, von denen der Erstere Componist, der Zweite Organist war, beides Leute von Verdienst, deren Abgang schwer zu ersetzen war. In solchen Fällen mußte sich der geistliche Hirte unwillkührlich seines verlorenen Schafes, des junge Thoren erinnern, der die Unbesonnenheit begangen hatte, seinen Dienst zu verlassen und auf ein nährendes Einkommen, auf eine gute, lebenslängliche Stelle mit 12 Gulden 30 Kreuzer zu verzichten. Dieß hieß gewiß ihn nach Verdienst bezahlen; übrigens spielte er nicht übel auf dem Claviere und der Orgel; er verstand es, ein Orchester zu leiten, mit der Violine in der Hand; der Erzbischof mußte sich auch eingestehen, daß es ihm nicht ganz an Talent für die Composition gebreche, und daß er im Nothfalle für Kirche, Kammer und Theater zu schreiben vermöge; mit einem Worte, daß er von Allem ein wenig verstehe. – Es fragte sich nur, auf welche Art man dem verwegenen Schafe der Gemeinde, das seinem Hirten getrotzt hatte, dem undankbaren Unterthanen, der dem besten und freigebigsten aller Herren davon gelaufen war, volle Verzeihung zukommen lassen könne. Die Nothwendigkeit brachte endlich die Sache in Ordnung. Zuerst wurden Leopold Mozart durch den Intendanten der Capelle einige indirecte Eröffnungen gemacht. Unser alter Diplomat sah sich hier auf seinem Boden; er errieth beim ersten Worte, was man wollte, spielte fein und gewann die Partie. Er antwortete dem Erzbischofe durch eine Bittschrift, die er an ihn richtete, und in der er unter Anderem sagte: »daß er sich nach so vielen vorwurfsfreien Dienstjahren zu Gnaden empfehle.« Die Ausdrücke waren bewunderungswürdig gewählt und klangen so zweideutig als möglich. Hof und [72] Stadt geriethen in Angst; man glaubte, Leopold Mozart gehe damit um, sich zurückzuziehen, und wenn er fehlte, so sah man die erzbischöfliche Capelle in ihren Grundpfeilern wanken. Ueberdieß war er der einzige Clavierlehrer, den es in Salzburg gab; die Beweise lagen vor, daß seine Unterrichtsmethode nicht schlecht war; die Töchter des Intendanten zählte er unter seine Schülerinnen, und der würdige Mann verlangte nicht mehr als einen Ducaten für zwölf Stunden! Ein Lehrer, den man von Wien hätte kommen lassen, hätte wenigstens vier Ducaten verlangt. Die Umstände waren, wie man sieht, dringend; man mußte nothwendigerweise förmliche Vorschläge machen. Der Alte, der über den Erfolg seines Planes in's Fäustchen lachte, hatte bereits sein Ultimatum vorgesehen. Er gab den Unterhändlern zu verstehen, daß sein Sohn ein unsinniges Geld in Paris verdiene, wo der arme Junge sich für Le Gros und Noverre, ohne einen Kreuzer zu erhalten, fast zu todt arbeitete. Kurz, man trug ihm die 500 Gulden an, welche Lolli gehabt hatte, und für seinen Sohn Adelgasser's Stelle mit eben demselben Gehalte. Das war es, was er gewollt hatte. Der Vertrag wurde auf diese Basis mit der weitern Clausel abgeschlossen, die einem der Contrahenten, Wolfgang Mozart, das Recht einräumte, alle zwei Jahre nach Italien zu gehen, wohin ihm der Erzbischof jedesmal eigenhändig geschriebene Empfehlungsschreiben mitzugeben versprach. Mit welcher Zufriedenheit kündigte der Vater dem Sohne ein Resultat an, das alle seine Hoffnungen übertraf und das Maximum seiner Wünsche erreichte! Wie berechnete der gute Vater Gulden für Gulden die Summe, welche das Wohl seiner glücklichen und fast reichen Familie begründen würde! Tausend Gulden jährlich sei, ohne die Nebenaccidenzen und den Verkauf seiner Violinschule, deren Absatz ungefähr fünfzig Gulden im Jahre betrug, eine schöne Summe. [73] Ferner verdiente Madmoiselle Nannerl mit ihrem Musikunterrichte zehn Gulden monatlich, mit denen sie die anständigste Garderobe in Salzburg bestreiten konnte. Der Bruder durfte auch im Genusse der Verdienste bleiben, die er sich etwa nebenher zu machen im Stande wäre. Der alte Mann meinte nämlich: »Wenn man nicht so genau auf's Geld sehen muß, so darf man sich schon auch etwas erlauben.« So war im Allgemeinen das Loos der eingeborenen Musiker in Deutschland beschaffen, daß eine aus drei Individuen bestehende Familie, von der das Eine ein vollendeter Meister in der Musik und Verfasser eines Unterrichtswerkes, das in ganz Deutschland für classisch galt, das andere eine ausgezeichnete Pianistin war und das dritte den Namen Wolfgang Amadeus Mozart trug, daß eine solche Familie, sage ich, sich glücklich schätzte, eine Stellung erlangt zu haben, welche ihr eine Einnahme von zwei- bis dreitausend Gulden in Aussicht stellte!

Folgende Briefe des Vaters zeigen, mit welcher diplomatischen Klugheit Leopold Mozart bei dieser Sache zu Werke ging:


Der Vater an den Sohn.


Salzburg, den 27. Aug. 1778.


Ich habe Dir schon geschrieben, daß man Dich wieder hier zu sehen wünscht, und man ging so lange um mich herum, ohne daß ich mich herausließ, bis endlich nach dem Tode des Lolli ich der Gräfin sagen mußte, daß ich dem Erzbischof eine Bittschrift eingereicht, in welcher ich aber nichts anders sagte, als daß ich mich nach meinen so viele Jahre unklagbar geleisteten [74] Diensten zu Gnaden empfehle. Nun fiel endlich die Rede auf Dich – und ich sagte Alles aus der Brust heraus, was nothwendig war, und so, wie ich es dem Grafen Stahremberg gesagt hatte. Endlich fragte sie mich, ob Du denn nicht kommen würdest, wenn mir der Erzbischof den Lolli'schen Gehalt und Dir den Adlgasser'schen geben würde, welches, da ich es schon vorher berechnet hatte, zusammen jährlich 1000 fl. beträgt; so konnte ich nichts anders thun, als antworten, daß ich keinen Zweifel hätte, daß Du dieses, wenn es geschehen würde, mir zu Liebe annehmen würdest, indem sie noch beisetzte, daß nicht der geringste Zweifel wäre, daß Dich der Erzbischof alle zwei Jahre nach Italien reisen ließe, indem er selbst immer behauptet, daß man von Zeit zu Zeit wieder Etwas hören muß, und daß er Dich mit guten Recommandations-Briefen versehen würde. Würde dieses geschehen, so könnte ich sicher Rechnung machen, daß wir alle Monate 115 fl. wenigstens, und wie es jetzt ist, mehr als 120 fl. monatlich gewisse Einkünfte hätten. Ohne was ich durch den Verkauf meiner Violinschule einnehme, welches jährlich, gering gerechnet, 50 fl. beträgt, und ohne was Deine Schwester für sich verdient, die jetzt monatlich 10 fl. gewiß einnimmt, und sich damit kleidet, indem sie die zwei kleinen Fräulein von der Gräfin unterweiset, und zwar täglich, ich aber die größern Zwei. Hierzu ist nun nicht gerechnet, was Du etwa für Dich besonders verdienen könntest. Denn obwohl hier auf Nichts Rechnung zu machen ist, so weißt Du doch, daß Du von Zeit zu Zeit Etwas eingenommen, und auf diese Art ständen wir besser, als an jedem andern Orte, wo es um's Doppelte theurer ist, und wenn man auf's Geld nicht so genau schauen darf, so kann man sich schon Unterhaltungen verschaffen. Allein der Hauptpunct ist, daß ich mir auf die Sache keine Rechnung [75] mache, weil ich weiß, wie schwer dem Fürsten ein solcher Entschluß ankommen würde. Daß es der Gräfin ihr ganzer Ernst, und Wunsch ist, darfst Du gar nicht zweifeln, und daß der alte Arco, der Graf Stahremberg und der Bischof von Königsgrätz dieses mit guter Art durchzubringen wünschen, hat seine Richtigkeit. – Es hat aber seine Ursachen, wie es bei allen Sachen geht, und wie ich Dir's tausend Mal sage, die Gräfin fürchtet, und auch der alte Arco, daß auch ich fortgehe. Sie haben Niemand zur Unterweisung auf dem Claviere; ich habe den Ruhm, daß ich gut unterweise, und die Proben sind da. Sie wissen nicht, welchen, und wann sie sodann Jemand bekommen: und sollte Einer von Wien kommen, wird er wohl um 4 fl. oder einen Ducaten zwölf Lectionen geben, da man andern Ortes zwei und drei Ducaten bezahlt? – – Dieß setzt sie Alle in Verlegenheit. Allein, wie ich schon gesagt habe, ich mache keine Rechnung darauf, weil ich den Erzbischof kenne: obwohl es gewiß ist, daß er Dich im Herzen zu haben wünschte; so kann er doch zu keinem Entschlusse kommen, besonders, wenn er geben soll. – Man muß sich in Ruf bringen. Wann ist Gluck – wann ist Piccini – wann sind alle die Leute hervor gekommen? – Gluck wird 60 Jahre auf dem Halse haben, und es sind erst 26 oder 27 Jahre, daß man angefangen hat, von ihm zu reden, und Du willst, daß jetzt das französische Publicum, oder auch nur die Directeurs der Spectakel von Deiner Compositions-Wis senschaft schon sollen überzeugt sein, da sie in ihrem Leben noch Nichts gehört hatten, und Dich nur von Deiner Kindheit an als einen vortrefflichen Clavierspieler und besonderes Genie kennen. Du mußt also unterdessen Dir Mühe geben, durchzudringen, um Dich als Componist in allen Gattungen zeigen zu können, – und da muß man die Gelegenheiten dazu aufsuchen und unermüdet Freunde [76] suchen, solche anspornen, und ihnen keine Ruhe lassen, solche, wenn sie einschlafen, wieder aufmuntern, und nicht das, was sie sagen, schon für gethan glauben; ich würde längst an Mr. de Noverre selbst geschrieben haben, wenn ich seinen Titel und Adresse wüßte. Unterdessen werden ich und Deine Freunde wegen München sorgen.

[Leopold Mozart.]


Der Vater an den Sohn.


Salzburg, den 31. Aug. 1778.


– Du bist nicht gern in Paris, und ich finde, daß Du eben nicht gar Unrecht hast. Bis jetzt war mein Herz und Gemüth für Dich beängstigt, und ich mußte trotz einem Minister eine sehr kitzliche Rolle spielen, da ich bei aller meiner Herzensangst mich lustig anstellen mußte, um Jedermann glauben zu machen, als wärst Du in den besten Umständen und hättest Geld im Ueberflusse, ob ich gleich das Gegentheil weiß. Ich verzweifelte fast, so, wie ich wollte, durchzudringen, weil, wie Du weißt, nach dem Schritte, den wir gethan, von dem Hochmuthe des Fürsten wenig zu hoffen, und ihm Deine schnelle Abdankung zu sehr auf's Herz gefallen war. Allein durch mein tapferes Aushalten habe ich nicht nur allein durchgedrungen, der Erzbischof hat nicht nur Alles accordirt, für mich und für Dich, Du hast 500 fl.; sondern hat sich noch entschuldigt, daß er Dich jetzt unmöglich zum Kapellmeister machen könnte, Du solltest aber, wenn es mir zu mühsam wäre, oder wenn ich außer Stande wäre, in meine Stelle einrücken; er hätte immer Dir eine bessere Besoldung zugedacht etc. mit einem Worte, zu meinem Erstaunen, die höflichste Entschuldigung. [77] Noch mehr! Dem Paris hat er 5 fl. Addition gegeben, damit er die mehresten Dienste verrichten muß, und Du wirst als Concertmeister wie vorhero decretirt werden. Wir bekommen also vom Zahlamte, wie ich Dir schon geschrieben, jährlich auf 1000 fl. Nun kommt es darauf an, ob Du glaubst, daß ich noch einen Kopf habe, und ob Du glaubst daß ich Dein Bestes besorge, – und ob Du mich todt oder beim Leben erhalten willst. Ich habe Alles ausgedacht. Der Erzbischof hat sich erklärt, daß er, wenn Du eine Oper schreiben willst, Dich, wo es immer ist, hinreisen lasse; er sagte zur Entschuldigung der voriges Jahr uns versagten Reise, daß er es nicht leiden könne, wenn man so ins Betteln herum reise. Nun bist Du in Salzburg im Mittelpuncte zwischen München, Wien und Italien. Du kannst leichter in München eine Oper zu schreiben bekommen, als in Dienst kommen; denn deutsche Opern-Componisten, wo sind sie? Und wie viel? – Nach des Churfürsten Tode ist Alles dienstlos, und da entsteht ein neuer Krieg. Der Herzog von Zweibrücken ist kein großer Liebhaber der Musik. Nun will ich aber nicht, daß Du eher von Paris abreisest, bis ich nicht das Decret unterschrieben in Händen habe, weil der Fürst heute früh nach Laufen ist. Die Mselle. Weber sticht dem Fürsten und Allen ganz erstaunlich in die Augen; sie werden sie absolut hören wollen, da sollen sie bei uns wohnen. Mir scheint, ihr Vater hat keinen Kopf; ich werde die Sache besser für sie einleiten, wem sie mir folgen wollen. Du mußt hier recht das Wort reden, denn zum Castraten will er auch eine andere Sängerin, um eine Opera aufzuführen. –

Man hat mir immer hier zu Ohren geredet, warum wir zwei einzigen Personen in einem so großen Quartiere bleiben, wo wir so viel zahlen müssen. Allein ich habe immer gedacht, entweder [78] ich gehe weg, oder Du kommst, und dann muß es besser gehen; wir haben einen Stall im Hause, da kann ich ein Pferd halten. Will ich eine kleine Chaise oder Würstl kaufen, so gäb' ich den großen Wagen weg. Mein nächster Brief wird Dir sagen, daß Du abreisen sollst. –

[Leopold Mozart.]


Der Vater an den Sohn.


Salzburg, den 3. September 1778.


Da der Churfürstl. ganze Hof den 15ten September in München erwartet wird, so kannst Du bei Deiner Durchreise Deine Freunde den Grafen Seau und vielleicht den Churfürsten selbst sprechen. – Du kannst sagen, daß Dich Dein Vater in Salzburg zurück zu sehen gewünscht, da Dir der Fürst einen Gehalt von (da lügt man 1-300 fl. dazu) 7-800 fl. als Concertmeister ausgeworfen; daß Du aus kindlichem Respect gegen Deinen Vater solches angenommen, obwohl er gewünscht hätte, Dich in Churfürstl. Diensten zu sehen, NB. aber mehr nicht! Dann kannst Du wünschen, eine Oper in München zu schreiben; – und dieses Letzte muß und kann man von hier aus immer betreiben, und das wird und muß gehen, weil zur deutschen Opern-Composition die Meister mangeln. Schweizer und Holzbauer werden nicht alle Jahre schreiben, und sollte der Michl eine schreiben, so wird er bald ausgemichelt haben. Sollte es Leute geben, die durch Zweifel und solche Possen es zu hindern trachteten, so hast Du Professori zu Freunden, die für Dich stehen: und dieser Hof führt [79] auch unterm Jahre zu Zeiten Etwas auf. – Kurz, Du bist hier in der Nähe: unsere Einkünfte sind so, wie ich Dir's geschrieben habe, – durch Deine hiesige Lebensart wirst Du an Deinem Studiren und Speculiren nicht gehindert; Du darfst nicht Violine spielen bei Hofe, sondern hast beim Clavier alle Gewalt der Direction, so wie mir die ganze Musikalle des Fürsten Musikalien, und die Inspection des Kapellhauses jetzt ist übergeben worden.

Noch eine Sache mußt Du nicht außer Acht lassen. Du mußt die Namen und Adressen der besten Musikhändler, die Etwas kaufen, um graviren zu lassen, mit Dir nehmen, sonderheitlich desjenigen, der Dir Deine Clavier-Sonaten abgekauft hat, damit Du mit ihm correspondiren kannst. Auf diese Art wird es eben so viel sein, als wenn Du in Paris wärest; man kann mit ihnen handeln, sodann die Composition einem Kaufmann oder Freunde einschicken, der es dem Musik-Verleger gegen baare Bezahlung ausliefert, und so kannst Du alle Jahre 15 oder 20 Louisd'or von Paris beziehen und Deinen Namen aller Orten theils mehr bekannt machen, theils in der gemachten Bekanntschaft erhalten. – Frage den Baron von Grimm, ob ich nicht Recht habe.

Kaum hatte Mozart die gute Nachricht seiner Anstellung in Salzburg erhalten, als er sich auch sogleich anschickte, Paris zu verlassen. Ehe er dies thut, wollen wir aber noch einen Ueberblick auf die Werke werfen, die er während seines letzten Aufenthalts in Frankreich componirte. Es sind folgende:


Sechs Sonaten für das Clavier mit Violinbegleitung.

Zwei Quatuors für die Flöte.

[80] Ein Concert für die Harfe.

Die Sinfonie Concertante für Flöte, Oboe, Waldhorn und Fagott.

Die große Sinfonie in D., die sogenannte Sinfonie Parisienne.

Eine zweite, verloren gegangene, Sinfonie für Le Gros, deren er in einem Briefe vom 11. Sept. 1778 Erwähnung thut.

Die Chöre zu Holzbauers Miserere.

Die Hälfte eines Ballets, zwölf Musiknumern umfassend, welche er auf Noverres Bitte aus Gefälligkeit componirt hatte.


Diese, und noch einige andere Stücke von geringerer Wichtigkeit wurden innerhalb sechs Monaten geschrieben und trugen dem Componisten, mit Ausnahme der sechs Sonaten, für welche ihm der Musikalienhändler fünfzehn Louisd'or gab, fast nichts ein.

Mozart reiste am 26. September 1778 von Paris ab. Er hatte aber keine zu große Eile, des Glückes seiner neuen Stellung theilhaftig zu werden, denn er blieb drei Monate unterwegs, ehe er am väterlichen Herde eintraf, obschon der Vater ihn sehnlichst erwartete.

Mozart nahm den Weg über Nancy nach Straßburg. Statt mit der Diligence zu fahren, die ihn in fünf Tagen nach Straßburg gebracht hätte, machte er den Weg in einem Wagen, der zwölf Tage dazu brauchte. Doch wurde er dieser langsamen Beförderung überdrüssig, so daß er schon am achten Tage in Nancy ausstieg, und sich daselbst so lange aufhielt, bis er eine Gelegenheit finden konnte, auf die wohlfeilste Weise nach [81] Straßburg befördert zu werden, das er auch erst gegen die Mitte Octobers erreichte.

In Straßburg gab er eine musikalische Soirée und ein großes Concert, von welchen beiden ihm nach Abzug der Unkosten sechs Louisd'or übrig blieben. »Hier geht es pauvre zu,« schreibt er, »doch werde ich ganz allein (damit ich keine Unkosten habe) etlichen guten Freunden, Liebhabern und Kennern zu Gefallen per subscription ein Concert geben; denn wenn ich Musique dabei hätte, so würde es uns mit der Illumination über drei Louisd'or kosten, und wer weiß, ob wir so viel zusammenbringen.« Und in seinem nächsten Briefe (26. October) berichtet er darüber, daß er in diesem ›kleinen Modell von einem Concert‹ ganze drei Louisd'or eingenommen habe. »Das Meiste bestand aber in den Bravo und Bravissimo, die mir von allen Seiten zuflogen. Daß Alles zufrieden war, brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Da habe ich gleich abreisen wollen, aber man hat mir gerathen, ich soll noch bleiben bis andern Samstag und ein großes Concert im Theater geben; – da hatte ich die nämliche Einnahme zum Erstaunen und Verdruß und Schande aller Straßburger. Der Directeur Mr. Villeneuve schimpfte über die Einwohner dieser wirklich abscheulichen Stadt, daß es eine Art hatte. Ich habe freilich ein wenig mehr gemacht; allein die Unkosten der Musik (die sehr schlecht ist, sich aber gut bezahlen läßt), die Illumination, Wache, Buchdruckerei, die Menge Leute bei den Eingängen u.s.w. machten eine große Summe aus. Doch muß ich Ihnen sagen, daß mir die Ohren von dem Applaudiren und Händeklatschen so wehe gethan, als wenn das ganze Theater voll gewesen wäre. Alles, was darin war, hat öffentlich und laut über die eigenen Stadtbrüder geschmälet; und ich habe Allen gesagt, daß, wenn ich mir mit gesunder Vernunft hätte vorstellen [82] können, daß so wenig Leute kommen würden, ich das Concert sehr gern gratis gegeben hätte, nur um das Vergnügen zu haben, das Theater voll zu sehen. Und in der That, mir wäre es lieber gewesen; denn bei meiner Ehre, es ist nichts Traurigeres, als eine große T Tafel von achtzig Couverts, und nur drei Personen zum Essen, – und dann war es so kalt! Ich habe mich aber schon gewärmt, und um den Herrn Straßburgern zu zeigen, daß mir gar nichts daran liegt, so habe ich für meine Unterhaltung recht viel gespielt, habe um ein Concert mehr gespielt, als ich versprochen habe, und zuletzt lange aus dem Kopfe. Das ist nun vorbei, wenigstens habe ich mir Ehre und Ruhm gemacht.«

Von Straßburg aus begab sich Mozart nach Mannheim, wo er zur nicht geringen Ueberraschung seiner Freunde am 6ten November eintraf. Freilich fand er nicht mehr alle seine früheren Freunde dort, auch nicht mehr die Weber'sche Familie. Denn es hatten hier inzwischen große Veränderungen stattgefunden, indem Churfürst Karl Theodor, welcher nach dem Tode Maximilians Churfürst von Bayern und der Pfalz geworden war, nach München übersiedelte, wohin ihm später sein ganzes Opernpersonal folgen mußte, so daß auch Aloysia Weber mit ihrem Vater sich bei Mo zarts Ankunft in Mannheim schon in München befand. So sehr es ihn drängen mochte, seine geliebte Schülerin in München aufzusuchen, so fesselten ihn doch noch seine übrigen Freunde auf einige Zeit in Mannheim.

Mannheim, welches durch die Uebersiedelung des Churfürsten nach München so viel verloren hatte, suchte sich doch wenigstens ein Theater zu erhalten, und es gelang auch den Bemühungen des Freiherrn Heribert von Dalberg, vom Churfürsten eine Unterstützung zur Ermöglichung dieser Idee zu erhalten, ja in kurzer Zeit das Mannheimer Theater durch Heranziehung [83] vortrefflicher Schauspieler, namentlich Ifflands, auf eine ehrenvolle Höhe zu bringen. Als Mozart auf der Heimreise nach Mannheim kam, fand er eine Schauspielertruppe unter der Leitung eines gewissen Seiler daselbst, die außer dem Schauspiele auch für Operetten und Singspiele die nöthigen Kräfte hatte. Bald nach seiner Ankunft wurde ihm der Antrag gemacht, ein Duodrama für diese Gesellschaft zu schreiben, d.h. ein Drama, in welchem die Musik einen großen Theil des Dialogs begleitet, also ein Melodrama im jetzigen Sinne des Wortes. Zwei Werke dieser Gattung, Medea und Ariadne, von Benda hatten auf ihn den lebhaftesten Eindruck gemacht. Er schreibt hierüber an seinen Vater:


Mannheim, den 12. November 1780.


Ich bin hier den 6ten glücklich angelangt, und habe alle meine guten Freunde auf eine angenehme Art überrascht. – Ich kann hier vielleicht 40 Louisd'or gewinnen! – freilich muß ich sechs Wochen hier bleiben, oder längstens zwei Monate. Die Seiler'sche Truppe ist hier, die Ihnen schon par Renommée bekannt sein wird, – Hr. von Dalberg ist Director davon – dieser läßt mich nicht fort, bis ich ihm nicht ein Duodrama componirt habe; und in der That habe ich mich gar nicht lange besonnen, denn diese Art Drama zu schreiben habe ich mir immer gewünscht. Ich weiß nicht, habe ich Ihnen, wie ich das erste Mal hier war, Etwas von dieser Art Stücke geschrieben? – Ich habe damals ein solches Stück zwei Mal mit dem größten Vergnügen aufführen gesehen! – In der That – mich hat noch niemals Etwas so sürprenirt! – denn ich bildete mir immer ein, so was[84] würde keinen Effect machen. – Sie wissen wohl, daß da nicht gesungen, sondern declamirt wird, – und die Musik wie ein obligates Recitativ ist – bisweilen wird auch unter der Musik gesprochen, welches alsdann die herrliche Wirkung thut. – Was ich gesehen, war Medea, von Benda, – er hat noch eine gemacht, Ariadne auf Naros, beide wahrhaft vortrefflich. Sie wissen, daß Benda unter den lutherischen Kapellmeistern immer mein Liebling war; ich liebe diese zwei Werke so, daß ich sie bei mir führe. Nun stellen Sie sich meine Freude vor, daß ich das, was ich mir gewünscht, zu machen habe. – Wissen Sie, was meine Meinung wäre? – Man solle die meisten Recitative auf solche Art in der Opera tractiren – und nur bisweilen, wenn die Wörter gut in der Musik auszudrücken sind, das Recitativ singen. – Man errichtet hier auch eine Academie des amateurs, wie in Paris, wo Hr. Fränzl das Violin dirigirt, und da schreibe ich gerade an einem Concert für Clavier und Violine.

Und an einer andern Stelle schreibt er:

»Was die Monodrama und Duodrama betrifft, so ist eine Stimme zum Singen gar nicht nothwendig, indem keine Note dabei gesungen wird, – es wird nur geredet, – mit einem Worte, es ist ein Recitativ mit Instrumenten, – nur daß der Acteur seine Worte spricht und nicht singt. Wenn Sie es nur einmal am Klaviere hören werden, so wird es Ihnen schon gefallen, – hören Sie sie aber einmal in der Execution, so werden Sie ganz hingerissen, da stehe ich Ihnen gut dafür. – Allein einen guten Acteur oder gute Actrice erfordern sie.« Und vor Allem einen guten Compositeur, hätte er hinzusetzen sollen; denn sicher gibt es nichts Elenderes, als unsere gewöhnliche Melodra men-Musik, ich meine damit jene abgerissenen, bunt durcheinander gewürfelten und [85] heterogenen Musiksätze, zu denen die Handlung während der Pausen den Commentar liefert, dessen sie so sehr bedürfen. Der Fehler liegt aber nicht in der Gattung, wie die Erfinder derselben J.J. Rousseau und G. Benda zur Genüge bewiesen haben. Die Mithilfe der Instrumentalmusik bringt häufig selbst in der Tragödie ganz bewunderungswürdige Effecte hervor, was zur Genüge bei mehreren bekannt ist, in welchen sie angewendet wird. Was aber den Gedanken betrifft, das melodramatische Verfahren an die Stelle des Recitativs in der Oper treten zu lassen, so scheint es nicht, daß Mozart je darauf zurückgekommen wäre, oder Nutzen daraus zu ziehen versucht hätte. Der gesprochene Dialog, mit Begleitung des Orchesters, wäre allerdings dem widrigen Stoffe noch vorzuziehen, den der Uebergang von einer so erhabenen Poesie, wie sie eine gute Musik ist, zu der nackten Prosa des Sprechenden bildet. Es ist dieß eine der unerträglichsten Gewohnheiten, ein Ueberrest wahrhafter Barbarei, wenn man in der Oper noch spricht, weil dadurch jede Täuschung geraubt wird. Ich gebe zu, daß die mit den Worten verbundene Instrumentalharmonie, das Herbe dieses, jede poetische Wahrheit zerstörenden, und die Nerven des Zuhörers angreifenden, Gegensatzes etwas mildern würde; was aber ganz gewiß mehr als diese Zusammensetzung werth ist, sind jene obligaten Recitative, wie Gluck und Mozart sie zu machen verstanden und die mit der ganzen Macht der Musik, die Macht der wahrhaftigsten, kräftigsten und leidenschaftlichsten Declamation verbinden, die man möglicher Weise hören kann, und zwar einer Declamation, die mit dem Orchester ein völlig homogenes Ganzes bildet. Es handelt sich hier nur um die musikalische Tragödie, denn in der komischen Oper wäre weder das melodramatische Verfahren, noch die instrumentirte Declamation anwendbar, und man muß, in Ermanglung von etwas Besserem, das man vielleicht einst [86] erfinden wird, sich mit dem einfachen Recitativ, mit dem monotonen Anschlagen des Claviers und den näselnden Accorden des Violoncells begnügen.

Das melodramatische Verfahren wurde übrigens in unseren Tagen mit großem Erfolge und Glücke für die Oper angewendet, wofür ich nur die Teufelsscene im Freischütz und eine köstliche Scene in der Schweizerfamilie anführen will.

Hindernisse, die wir nirgends aufgeklärt finden, traten der Ausführung der Arbeit, welche der Director des Theaters in Mannheim Mozart vorgeschlagen hatte, entgegen. Der Antrag stimmte aber so sehr mit den Wünschen Mozart's zusammen, und sein Eifer für eine jetzt unnöthig gewordene Arbeit war noch so groß, daß er den ganzen Act des Melodrama's für sich componirte, wie er sich ausdrückt. Der Titel des Stückes hieß Semiramis. Diese Composition muß, wie viele andere, verloren gegangen sein; wenigstens ist sie nicht in dem Hauptkataloge enthalten, in welchem die musikalischen Entwürfe und Fragmente verzeichnet stehen, die man unter Mozart's Nachlaß gefunden hat.9

Leopold Mozart war mit Wolfgangs langem Aufenthalt in Mannheim nicht zufrieden, er hatte kein Vertrauen aus seines Sohnes Aussichten, um Anstellung daselbst zu erhalten, und erklärte ihm rundweg: »Beim Empfang dieses wirst Du [87] abreisen!« Und da er voraussehen mußte, daß Wolfgang seinen Weg über München nehmen werde, wo er Aloysia Weber treffen würde, die ihn veranlassen könnte, Dienste in der Kapelle des Churfürsten zu nehmen, so schreibt er in einem Briefe vom 23. November darüber:

»Zwei Sachen sind es, die Dir den Kopf voll machen und Dich in aller vernünftiger Ueberlegung hindern. Die erste und Hauptursache ist die Liebe zur Mlle. Weber, der ich ganz und gar nicht entgegen bin; ich war's damals nicht, als ihr Vater arm war, warum sollte ich's nun jetzt sein, da sie Dein Glück und nicht Du ihr Glück machen kannst? Ich muß vermuthen, daß ihr Vater diese Liebe weiß, da es alle Mannheimer wissen, da es Herr Bullinger, der beim Grafen Lodron als Instructor ist, hier erzählte, da er mit den Mannheimer Musicis auf dem Postwagen von Ellwangen fuhr und diese von nichts Anderem mit ihm sprachen, als von Deiner Geschicklichkeit, Composition und Liebe mit Mlle. Weber

Er forderte ihn nun auf, unverzüglich nach Salzburg zurückzukehren, denn was die zweite Ursache, die ihm den Kopf voll macht, betrifft, nämlich die Antretung seines Dienstes in Salzburg, so werde dieß »die einzige sichere Gelegenheit sein, wiederum nach Italien zu kommen,« welches ihm, dem Vater, mehr im Kopfe stecke, als Alles das Uebrige. »Und diese Antretung,« fährt er fort, »ist unabänderlich nothwendig, wenn Du anders nicht den allverdammlichsten und boshaftesten Gedanken hast, Deinen für Dich so besorgten Vater in Schande und Spott zu setzen; Deinen Vater, der seinen Kindern alle Stunden seines Lebens geopfert, um Credit und Ehre zu bringen, da ich nicht im Stande bin, eine Schuld, die sich in Allem auf 1000 fl. beläuft, zu bezahlen, wenn Du nicht durch die hier richtige Einnahme Deines Gehalts [88] die Abzahlung erleichterst; wo ich dann sicher alle Jahr über 400 fl. abzahlen und noch dabei mit Euch beiden herrlich leben kann. – Ich will, wenn Gott will, noch ein Paar Jahre leben, meine Schulden zahlen – und dann magst Du, wenn Du Lust hast, mit dem Kopf an die Mauer laufen; – doch nein! Du hast ein zu gutes Herz! Du hast keine Bosheit, Du bist nur flüchtig, – es wird schon kommen!«

Wolfgang mußte fort! Am 9. Dezember reiste er von Mannheim ab. Doch ging es nicht schnurstracks nach Salzburg. Er reiste mit dem Herrn Reichsprälaten von Kaysersheim, der ihn dem Namen nach kannte und ihn einlud, sein Reisegefährte zu werden. Am 13. Dezember kam er in Kaysersheim an, wo ihn der Herr Prälat auf's gastlichste bewirthete und ihn über eine Woche im Hause behielt, da er selbst beabsichtigte, nach München zu reisen, und ihn Wolfgang dann wieder begleiten sollte.

Am 25. Dezember kamen beide in München an. Hier traf er seine alten Mannheimer Freunde wieder – Cannabich, Raaff, Ramm, Ritter, und vor Allem die Familie Weber, welche ihn sehr freundlich aufnahm und ihm ein Zimmer einräumte. Die erste Huldigung, die er der Aloysia mitbrachte, die jetzt als erste Sängerin glänzte, war eine große Bravour-Arie mit obligater Oboe- und Fagott-Begleitung – den Text dazu lieferten das Recitativ und die Arie, mit welcher Alceste in Gluck's italienischer Oper zuerst auftritt, so daß er dadurch mit Gluck sowohl, als mit Schweizer, der auch eine Alceste geschrieben hatte, die gerade in München aufgeführt wurde, in die Schranken trat, und auch in der That eine meisterhafte Composition lieferte.

Leider sollte diese Huldigung zugleich auch zur Abschiedsfeier [89] werden; denn so freundlich auch der Empfang von Seiten des Vaters Weber war, so fand er doch sogleich, daß er Aloysias Liebe nicht mehr in dem Grade besaß, wie Ihre Zuneigung in Mannheim ihn hatte erwarten lassen. War es der Stolz, jetzt die Primadonna in München zu sein, war es ein berechnender Eigennutz, die Besorgniß, Mozart's Zärtlichkeit zu einer ehelichen Verpflichtung steigern zu sehen, die Hoffnung, irgend einen reichen Fang zu thun, wie so manche andere Primadonna's, kurz, als er eintrat, »schien sie den, um welchen sie ehedem geweint hatte, nicht mehr zu kennen.«

Es scheint auch, daß die kleine Gestalt unseres Heros, seine Magerkeit, seine lange Nase und vielleicht auch sein rothes Kleid mit schwarzen Knöpfen, das er, nach der damals in Paris üblichen Mode, wegen der Trauer um seine Mutter trug, einen durchaus ungünstigen Eindruck auf die junge Person machten, die ebensowohl vergeßlich, als auch unterdessen eine bessere Beobachterin geworden sein konnte. Blick und Gruß zeigten Mozart deutlich an, daß er förmlich verabschiedet sei. Er faßte sich aber schnell, machte Aloysia weder Vorwürfe, noch erinnerte er sie an ihre Schwüre, sondern eilte, ohne ein Wort zu sprechen, an das Clavier, und sang mit klarer, vernehmlicher Stimme der treulosen Sängerin in's Ohr: »Ich laß das Mädel gern, das mich nicht will«10.

[90] Man wird fragen, woher wir diese Geschichte wissen. Wir haben sie von einem Augenzeugen, und zwar von einem, den die Entwickelung näher als irgend Jemanden anging. Aloysia hatte eine Schwester, deren Name schon ein Unterpfand war, daß sie wenig moralische Aehnlichkeit mit der Sängerin hatte. Constanze fang gar nicht oder nicht viel, aber sie spielte Clavier. Mozart hatte ihr einige Lectionen gegeben; die Schülerin hatte Mitleiden mit dem Lehrer, und es ist eine bekannte Sache, daß vom Mitleiden zur Liebe nur ein Schritt ist. In Mozart's Wunsche lag es, sich mit der Familie Weber zu verbinden, und da es fünf Töchter in derselben gab, so war seiner Wahl immer noch ein großer Spielraum gelassen. Wenn ihm auch Aloysia entging, so konnte sie durch Constanze ersetzt werden; und so war es auch, denn einige Jahre nachher wurde Constanze Mozart's Frau.

Später schrieb er seinem Vater noch von Wien aus, als Aloysia schon die Gattin des Schauspielers Lange war: »Bei der Langin war ich ein Narr, das ist wahr; aber was ist man nicht, wenn man verliebt ist? Ich liebte sie aber in der That und fühle, daß sie mir noch nicht gleichgültig ist – ein Glück für mich, daß ihr Mann ein eifersüchtiger Narr ist und sie nirgends hinläßt, und ich sie also selten zu sehen bekomme.«

Nachdem Wolfgang am 7. Januar 1779 der Churfürstin die ihr gewidmeten Sonaten überreicht hatte, und auch der Aufführung von Schweizer's Alceste noch angewohnt hatte, erhielt er einen neuen Abberufungsbrief von seinem Vater, folgenden Inhalts:


[91] Salzburg, den 11. Januar 1779.


Aus meinem Briefe, den ich am 7ten an Mons. Becke abgelassen und nicht nur einen Einschluß an Herrn Gschwendner beigeschlossen, sondern auch Etwas an Dich beigeschrieben ist, wirst Du ersehen haben, daß ich will, daß Du mit Hrn. Gschwendner abzureisen Dich bemühen sollst, da ich ihn im Schreiben darum ersuche. Diese Gelegenheit will ich demnach, daß Du sie absolut ergreifst, und, da er früher als die Mme. Robinnig abreiset, alle Deine Sachen darnach einrichtest, wenn Du mich nicht auf's Empfindlichste beleidigen willst. Ich hoffe also, Du wirst nach Anweisung meines Briefes vom 7ten Deine Anstalten so gemacht haben, daß Dich Nichts aufhält, daß Du Deine Bagage (was Dir unnöthig ist) den 13ten dem Postwagen aufgeben und mit Hrn. Gschwendner abreisen kannst, denn er wird Dir diese Gefälligkeit gewiß nicht abschlagen. Nun hast Du mich verstanden. Das Präsent von der Churfürstin kann Dich nicht aufhalten; da die Sonaten den 7ten übergeben worden, so muß, wenn man es nur betreiben will, Alles in acht Tagen geschehen sein. Hier ist keine Ausrede, die Oper hast Du auch gesehen. Folglich habe ich Alles gethan, was Du wolltest. Ich erwarte Dich also mit Herrn Gschwendner unausbleiblich, und da ich und Deine Schwester Dich Millionen Mal küssen, bin ich Dein Dich liebender Vater. – –

Auf dieses Schreiben hin reiste er denn auch in einigen Tagen darauf in Herrn Gschwendner's Reisewagen ab, und kam in der Mitte Januars in Salzburg im elterlichen Hause glücklich und wohlbehalten an.

Quelle:
Alexander Ulibischeff: Mozart's Leben und Werke. Stuttgart 2[1859], S. 57-92.
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