Anhang I.

Hauptinhalt

der Controverse über die Echtheit und den historischen Ursprung des Requiems.

[225] Man wußte allgemein, daß, als Mozart starb, sein letztes Werk, das Requiem, noch nicht vollendet war, und daß drei Numern, das Sanctus, das Benedictus und das Agnus Dei, eine Arbeit Süßmayer's seien, der durch sie die Partitur vervollständigte. Nichts desto weniger war der Umstand der Nichtvollendung einige dreißig Jahre später gewissermaßen in Vergessenheit gerathen, ohne daß sie jedoch zuvor je bestritten oder in Zweifel gezogen worden wäre, weil die verschiedenartigen Ausgaben des Requiems stets unter dem alleinigen Namen Mozart's erschienen waren, mit welchem man es in der Unterhaltung, in den Zeitschriften und in den Ankündigungen allein zu bezeichnen pflegte. Der längst vergessene Umstand wurde aber im Jahr 1825 in Nr. 11 der Cäcilia, einem neuen Journal für Musik, das Herr Gottfried Weber, ein berühmter Kritiker und Verfasser einer [226] Theorie der Tonsetzkunst gegründet hatte, und redigirte, wieder angeregt. Herr Weber ließ darin einen Brief von Süßmayer, den derselbe unter'm 8. September 1800 an die Herren Breitkopf und Härtel, Musikalienhändler in Leipzig, gerichtet hatte, und welchen diese im Laufe desselben Jahres veröffentlichten, abdrucken. Dieser Brief war folgenden Inhalts:

»Mozart's Composition ist so einzig, und ich getraue mir zu behaupten, für den größten Theil der lebenden Tonsetzer so unerreichbar, daß jeder Nachahmer, besonders mit untergeschobener Arbeit, noch schlimmer wegkommen würde, als jener Rabe, der sich mit Pfauenfedern schmückte. Daß die Endigung des Requiems, welches unsern Briefwechsel veranlaßte, mir anvertraut wurde, kam auf folgende Weise. Die Wittwe Mozart konnte wohl voraussehen, die hinterlassenen Werke ihres Mannes würden gesucht werden; der Tod überraschte ihn, während er an diesem Requiem arbeitete. Die Endigung dieses Werkes wurde also mehreren Meistern übertragen; einige davon konnten wegen Geschäften sich dieser Arbeit nicht unterziehen, andere aber wollten ihr Talent nicht mit dem Talent Mozart's compromittiren. Endlich kam dieses Geschäft an mich, weil man wußte, daß ich noch bei Lebzeiten Mozart's die schon in Musik gesetzten Stücke öfters mit ihm durchgespielt und gesungen, daß er sich mit mir über die Ausarbeitung dieses Werkes sehr oft besprochen, und mir den Gang und die Gründe seiner Instrumentirung mitgetheilt hatte. Ich kann nur wünschen, daß es mir geglückt sein möge, wenigstens so gearbeitet zu haben, daß Kenner noch hin und wieder einige Spuren seiner unvergeßlichen Lehren darin finden können. Zu dem Requiem sammt Kyrie – Dies irae – Domine Jesu Christe – hat Mozart die vier Singstimmen und den Grundbaß sammt der Bezifferung [227] ganz vollendet; zu der Instrumentirung aber nur hin und wieder das Motiv angezeigt. Im Dies irae42 war sein letzter Vers – qua resurget ex favilla (der zweite Vers des Lacrymosa) und seine Arbeit war die nämliche, wie in den ersten Stücken. Von dem Vers an – judicandibus homo reus est, ist das Dies irae, das Sanctus, Benedictus – und Agnus Dei ganz neu von mir verfertigt; nur habe ich mir erlaubt, um dem Werke mehr Einförmigkeit (er will sagen, mehr Einheit) zu geben, die Fuge des Kyrie bei dem Verse – cum sanctis etc. zu wiederholen.«

In Betracht, daß dieses Document der ganzen Controverse zur Grundlage gedient hat, mit der wir uns hier beschäftigen, und Süßmayer's Worte das einzige historische, auf genaue Kenntniß der Verhältnisse begründete Zeugniß in dem musikalischen Theile der Frage bilden, nämlich den, welcher die Echtheit und die Vollendung des Requiems betrifft, so müssen wir uns gründlich darüber aussprechen, was von dem Inhalte des Briefes zu halten ist. Süßmayer, der 1791 kaum fünf und zwanzig Jahre zählte, war, wie allgemein anerkannt ist, Mozart's liebster Schüler, schon seit mehreren Jahren sein vertrauter Freund, der Eingeweihte in alle seine musikalischen Gedanken, sein Copist, sein Gehilfe, sein Mitarbeiter selbst und beinahe ein Mitglied seiner Familie. Er [228] begleitete Mozart auf seiner letzten Reise, und er war es, der die Recitative zu Titus schrieb, weil der Meister keine Zeit fand, sie auszusetzen. Ihm schreibt man auch allgemein zwei Numern dieser Oper zu, eine Arie, ich weiß nicht welche, und das hübsche Duettino aus C dur, zwischen Sextus und Annius zu. Ja, noch mehr, wenn wir der Angabe Herrn Seyfried's43, eines andern Schülers von Mozart, aber viel jünger als Süßmayer, Glauben beimessen wollen, so hätte der Meister überhaupt in der Partitur der Clemenza di Tito nichts als die Ouverture, die Terzette und die beiden Finale selbst geschrieben; alles Uebrige wäre unter seiner Anleitung durch Süßmayer instrumentirt worden, und dieser habe die Arien der Servilia, des Publius und Annius ganz allein componirt. Herr Seyfried hat diese Einzelnheiten von Dussek, dem Freunde, bei welchem Mozart in Prag gewohnt hatte. Ich glaube, daß damit zur Genüge ausgesprochen ist, daß Süßmayer ein Musiker von großem Talent war, unzweifelhaft eine bedeutende technische Gewandtheit, eine nicht gemeine Intelligenz besaß, und daß er vor Allem ganz in die Geheimnisse des Mozart'schen Styls eingeweiht war; denn alle die Eigenschaften mußte er besitzen, um einen Mozart zu veranlassen, ihn bei der Composition einer seiner Opern zu verwenden. – Aus Gerber's Lexikon ersehen wir überdieß, daß Süßmayer, nachdem er Capellmeister am National-Theater in Wien geworden war, für dasselbe sechzehn Werke componirte, wovon eines »der Spiegel von Arkadien« in ganz Deutschland Succeß erlangte und volksthümlich wurde. Ein anderes Werk, I due gobbi (die beiden Buckligen), das er 1796 mit Paer[229] zusammen componirte, machte in London Furore. Wenn seine Laufbahn länger gedauert hätte, wäre er vielleicht einer der ersten dramatischen Componisten seines Vaterlandes geworden; er starb aber in einem Alter von siebenunddreißig Jahren, also fast so jung wie sein Meister.

Solcher Art war der Vollender des Requiems und kein unwissender Copist, wie ihn mehrere Gegner des Herrn Weber darzustellen sich bemühten, welche demnach der Vorwurf der Unwissenheit mit weit größerem Rechte träfe. Man ist sehr versucht, an die Aufrichtigkeit eines Mannes zu glauben, welchen Mozart gewissermaßen adoptirt hatte; allein es fragt sich, ob man bei einigem Nachdenken und etwas Urtheilskraft sämmtliche in Süßmayer's Briefe enthaltenen Versicherungen gelten lassen kann? Einige derselben scheinen allerdings unbestreitbar zu sein und sind es auch in der That. Beginnen wir mit diesen. Süßmayer hatte mehrmals mit Mozart die bereits fertigen Numern durchgegangen; nämlich das Requiem sammt dem Kyrie, das Dies irae und das Domine, also mehr als vier Fünftheile des Werkes nach seinem jetzigen Bestande, die Endnumer nicht einmal mit eingerechnet, die Nichts als eine Wiederholung der Numer 1 von dem Briefe: Te decet hymnus an gerechnet ist. Mozart hatte ihm den Plan und die Grundzüge der Instrumentation mitgetheilt; die vier Vocalstimmen waren bereits geschrieben; ein Baß in Chiffern schrieb den ganzen Gang der Harmonie vor und die Figuren des Orchesters fanden sich auf dem Original-Manuscripte je an ihrem Anfange vorgezeichnet. Daraus folgt, daß Süßmayer, um Mozart's Manuscript so zu vervollständigen, wie er es selbst gethan hätte, nur sein Gedächtniß ein wenig zu Hilfe zu nehmen hatte, und man kann leicht ersehen, daß er dieß nicht unterlassen hat, wenn man die Instrumentation der [230] in Frage stehenden Numern untersucht. Augenscheinlich war Niemand außer Süßmayer im Stande, ein Werk zu vervollständigen, das für den größten Theil der lebenden Tonsetzer so unerreichbar, für ihn aber leicht und fast nur eine mechanische Arbeit war. Und doch schreibt man Anderen eher als ihm die Vollendung des Requiems zu! Und er, der Verwahrer des Gedankens des Meisters, er, der alles, was auf der Partitur weiß geblieben war, auswendig wußte, soll mit unbegreiflichem Phlegma und Gleichartigkeit abgewartet haben, bis endlich, nachdem Andere abgelehnt hatten, der Vorschlag an ihn gelangte, statt daß er sich sogleich selbst angeboten hätte, eine ruhmvolle Arbeit zu vollenden, die er allein zu vollbringen im Stande war! Er sieht zu und machte sich nichts daraus, daß das Meisterwerk den Versuchen einer, durch Niemand geleiteten Hand dem traurigen Umhertappen einer Conception Preis gegeben werde, welche in Jahrhunderten vielleicht mit der ursprünglichen Conception nicht zusammentreffen durfte!! Was wird man mir einwenden, wenn ich hinzusetze, daß es sich in dieser Sache bei Süßmayer um die heiligste Pflicht handelte! Das Meisterwerk wurde ihm auf's Gewissen gegeben; er war vor Gott und dem ganzen christlichen Europa dafür verantwortlich. Aus welchem Grunde hatte sich Mozart so lange über das Requiem mit ihm besprochen; wozu hatte er ihm so sorgfältig den Plan und die Grundzüge seiner Instrumentation aus einander gesetzt; warum sprach er noch eine Stunde vor seinem Tode mit ihm davon? wozu, wenn nicht deßhalb, weil er sein nahes Ende voraus sah, und gewiß war, in dem verhängnißvollen Augenblicke noch nicht fertig zu sein, in welchem Falle Süßmayer die Vollendung des Werkes übernehmen sollte. Und die Wittwe sollte sich an Andere gewendet haben, während sie sich nur an ihn wenden konnte und durfte; und Süßmayer spricht von [231] einem so auffallenden Verfahren, als wie von einer sich von selbst verstehenden Sache! Sein Benehmen erscheint ebenso unerklärlich wie das der Wittwe. Die Folge erklärt vielleicht das des einen wie der andern.

Ich komme nun zu einem zweiten Puncte. Süßmayer gibt an, daß das Lacrymosa, eine der ergreifendsten und melodischsten Numern, sein Werk sei, und zwar von dem Verse: qua resurget ex favilla, das heißt also vom siebenten Tacte an. Das Original-Manuscript, wie wir es kennen, geht allerdings nicht weiter; aber es existirt ein viel unparteiischerer Zeuge als Süßmayer, nach dessen Aussage man annehmen darf, daß das Lacrymosa noch zu Mozart's Lebzeiten fertig geworden war. Dieser Zeuge ist Benedict Schack44, erster Tenorist an Schikaneder's Theater, für welchen auch die Rolle des Tamino in der Zauberflöte geschrieben war. Als Freund und häufiger Tischgenosse Mozart's zu jener Zeit, waren ihm alle, das Requiem betreffenden Einzelnheiten bekannt. Er erzählte Folgendes über diesen Gegenstand. »Sobald ein Stück des Requiems fertig war, setzte sich Mozart an's Clavier und ließ es [232] durch seine Freunde probiren. Selbst noch den Tag vor seinem Tode ließ er sich die Partitur bringen, und, obgleich er zu Bette lag, sang er doch die Altstimme; Schack sang den Sopran; Hofer, Mozart's Schwager, den Tenor und Görl (für den die Partie des Sarastro geschrieben war), den Baß. Man war am Anfange des Lacrymosa, als Mozart zu weinen anfing und das Heft fallen ließ. Eilf Stunden nachher hatte er zu leben aufgehört.« In dieser Erzählung trägt Alles den Stempel der Wahrheit. Die Mitsingenden waren lauter bekannte Leute und sind sämmtlich mit Namen genannt. Man hielt bei den ersten Tacten des Lacrymosa inne, es fragt sich nun, ob auch Mozart's Arbeit hier aufhörte. Schack spricht dieß nicht aus, und es ist um so unwahrscheinlicher, als das Domine, die Fuge Quam olim und das Hostias, die nach dem Lacrymosa kommen, sich bereits im Originalmanuscript eingetragen fanden, was Süßmayer selbst zugibt. Ueberdieß, und dieß ist ein viel schlagenderer Grund, probirt man nur fertige Stücke, oder wenigstens die, welche so weit vorgeschritten sind, daß sie wenigstens einige vollständige musikalische Sätze enthalten. Hätte man also wohl mit dem Lacrymosa angefangen, wenn es nicht wenigstens bis zum ersten Satze fortgeführt gewesen wäre, der aber schon mit dem achten Tacte zu Ende geht? Gewiß nicht. Man hält inne, weil die Schrecken des Todes den Componisten bei'm Beginne dieses thränenvollen Gesanges ergreifen.

Nachdem vier Fünftheile des Werkes dem Schöpfer desselben in pleno zugesichert sind, bleibt noch eine Frage, die wichtigste, oder besser gesagt, die einzige Frage, unter allen, welche hinsichtlich der Vollendung des Requiems aufgeworfen wurden, übrig, nämlich: ist Süßmayer der einzige und wirkliche Componist des Sanctus, Benedictus und Agnus? In dieser Hinsicht sind [233] seine Angaben so positiv als möglich. Er sagt: »das Sanctus, Benedictus und Agnus sind von mir ganz neu componirt worden,« und es liegt hier weder ein Beweis für die Thatsache, noch ein widersprechendes Zeugniß dagegen vor, noch vermögen wir logische Schlüsse, oder materielle Schwierigkeiten vorzubringen, mit einem Worte, wir haben Nichts entgegen zu halten. Wenn bei Kunstgegenständen die Richter ein Urtheil fällten, wie bei Gegenständen des Civilprocesses, so würde das Eigenthumsrecht der oben genannten drei Numern ohne Anstand Süßmayer zugesprochen werden, weil Niemand da ist, der ihm sein wirkliches oder angemaßtes Recht streitig zu machen sucht. Aber die Kritik ist nicht an das Verfahren der Tribunale gebunden. Für sie liegen die wahren Beweise für die Authenticität eines Meisterwerkes in diesem selbst; und um einen bedeutenden Diebstahl zu entdecken, reicht es bei ihr in den meisten Fällen aus, den Plagiarius dem Plagiat gegenüber zu stellen. Dem Großsprecher, der sich rühmt, in Rhodus den außerordentlichen Sprung gemacht zu haben, kann die Kritik zurufen: und warum springst Du nicht auf dieser Stelle, so weit oder so hoch, wie Du in Rhodus gesprungen bist? – Man wird mich nicht anklagen, gegen Süßmayer ungerecht gewesen zu sein, aber unter den zahlreichen Werken, die er gemacht hat, und von welchen mehrere unter seinem Namen erschienen sind, hat keines ihn überlebt, selbst nicht einmal der Spiegel von Arkadien, der am meisten ansprach. Man darf ihn höchstens den Componisten zweiten Ranges gleichstellen, und seine jetzige Berühmtheit verdankt er allein Herrn Weber. Wenn aber Süßmayer, als ein so junger Mann noch, drei Numern des Requiems zu componiren im Stande war, welche, obgleich sie in gewisser Hinsicht unter den vorhergehenden stehen, weder durch die Gedanken, noch den Styl, noch die Färbung, von einer Partitur[234] abstechen, welche anerkanntermaßen das höchste Meisterwerk des größten musikalischen Genius aller Jahrhunderte bildet, so muß man nothwendiger Weise unter zwei Dingen eines zugeben, entweder hat Süßmayer damit angefangen, Mozart zu sein, und hat damit aufgehört, Süßmayer zu werden; oder der Geist des Meisters hat sich vom Himmel zu dem Schüler herabgelassen, um ihm den Schluß des Requiems einzugeben; und dann muß man anerkennen, daß er ihm nie mehr als einen Besuch gemacht hat. Wenn ein Wunder stattfand, so gebe ich dem letzten den Vorzug.

So sind wir also selbst über den letzten Punct beruhigt. Wir sind gewiß, soweit überhaupt eine moralische Sicherheit bei irgend einer Sache stattfinden kann, daß Süßmayer das Sanctus, Benedictus und Agnus Dei, »nicht ganz neu angefertigt« habe. Ob er eine niedergeschriebene Anweisung zu den Grundgedanken dieser Numern vorgefunden, oder ob er sie geradezu am Claviere, nebst einer mündlichen Erklärung Mozart's über die Instrumentation gehört habe, das läßt sich jetzt nicht mehr völlig aufhellen, so viel bleibt aber gewiß, daß einige Andeutungen seiner Arbeit zum Leitfaden gedient haben. Ich gehe sogar weiter, und behaupte, daß bei Prüfung der Stücke, welche der Fortsetzer sich zuschreibt, leicht die Stellen erkenntlich sind, bei denen die Andeutungen zureichend waren, ebenso aber auch die, bei denen sie es nicht waren, und endlich die, bei denen sie gänzlich fehlten. So scheint z.B. in dem Benedictus und Agnus Mozart's Gedanke hinreichend klar vorgezeichnet gewesen zu sein, so daß es möglich war, diese Stücke in der ihnen ursprünglich bestimmten Ausdehnung durchzuführen. Bei'm Sanctus dagegen ist dieß nicht der Fall, welches nur bei'm Anfange verspricht, jedes andere Sanctus an Erhabenheit zu übertreffen. Welche Größe! Wie feierlich! Man schickt sich an, mit ganzer Seele [235] zu lauschen, die Gehörnerven spannen sich an, aber in einem Augenblicke ist Alles vorbei. Wer wäre so freigebig, diese zehn Tacte Süßmayer zum Geschenk zu machen? Niemand besaß sie, auch selbst Herr Weber nicht. Die Fuge des Hosianna, die nachher kommt, ist auch nur der Anfang einer Fuge, die erste Exposition des Sujets in den vier Gesangstimmen, ohne irgend eine contrapunctistische Analyse oder Entwickelung. Ueberdieß fehlt ihr das Gegenthema, welches nach der Anlage der Gesangspartieen im Orchester sich hätte finden sollen; das Orchester thut aber nichts, als die Stimmen verdoppeln. Mir scheint es, daß der Satz des Hosianna, welcher an die schönen Thematas Händel's erinnert, ganz dazu geeignet war, einem andern Satze, von derselben Mächtigkeit gegenüber gestellt zu werden; es lohnte auch der Mühe, ihn zu entwickeln; und, wenn der Fortsetzer im Stande gewesen wäre, auf diesem Felde etwas zu leisten, was mit den herrlichen Fugen des Kyrie und Quam olim einen Vergleich aushalten konnte, so war jetzt, oder nie der Augenblick dazu da. Dabei ist noch zu bemerken, daß das Hosianna sich nach dem Benedictus in einem andern Tone wiederholt. Nun, den Anfang der Fuge, den wir zuerst aus D gehört haben, hören wir auch in B, ohne daß eine Note hinzugekommen oder geändert worden wäre.

Süßmayer selbst hat darauf hingedeutet, wo ihm der Leitfaden ausging. Wo der Meister stehen bleibt, hält auch der Schüler inne. »Um dem Werke mehr Einförmigkeit zu geben, habe ich mir erlaubt, mit dem Verse cum sanctis die Fuge des Kyrie zu wiederholen.« In der That eine schöne Art, dadurch einem Werke mehr Einheit zu geben, daß man es mit dem Anfange schließt!

Diese Bemerkungen, auf welche mich die Prüfung der Partitur [236] geführt hat, und die für mich mehr als bloße Muthmaßungen sind, finden ganz auffallend in folgender Stelle eines Briefes des Herrn Seyfried, Mozart's Schüler, an Herrn Gottfried Weber, ihre Bestärkung. Nach der allgemeinen Meinung (er spricht von der in Wien herrschenden Meinung, wo unser Meister lebte und starb) hat Mozart sein Requiem, bis einschließlich des Hostias, ganz ausinstrumentirt hinterlassen. Süßmay er hat das Uebrige aus vorgefundenem Brouillon vollendet. Nach dem Benedictus wollte Mozart die Hosianna-Fuge (wohlgemerkt) in B dur umarbeiten; aber Süßmayer, um den Nachlaß möglichst unverfälscht zu geben, beschränkte sich darauf, diesen Satz aus dem Sanctus zu wiederholen, und aus demselben Grunde verfolgte er eben diesen Weg am Schlusse (das heißt er wiederholte eine Hälfte des Requiem aeternam und die Fuge des Kyrie), wiewohl Mozart hiezu ein neues Thema, für die Composition der Schlußnumer im Kopfe trug.

Aus all' diesem erhellt, mit welch' außerordentlicher Sorgfalt Süßmayer es vermied, in diese Arbeit der Vollendung, die ihm anvertraut war, und nur ihm allein zukommen konnte, mehr von sich hinzu zu thun, als unumgänglich nothwendig war. Er wollte nicht, daß man »den Raben unter den Federn des Pfaues« erkenne, und die Welt schuldet ihm ewige Dankbarkeit dafür. Ich glaube Alles erschöpft zu haben, was sich über seinen Brief sagen läßt. Kommen wir also wieder auf Herrn Weber zurück.

Wenn bei der Veröffentlichung dieses Briefes Herr Weber keine andere Absicht gehabt hätte, als eine vergessene, aber unbestreitbare Thatsache in Erinnerung zu bringen; wenn er der Bekanntmachung desselben einen Commentar angehängt hätte, wie man ihn von einem gelehrten Professor der Musik und einem Schriftsteller, wie er, erwarten durfte, so hätte man ihm nichts zu antworten, [237] oder vielmehr, man hätte ihm mit Danksagungen geantwortet. Niemand hätte die angegriffenen Rechte Mozart's mit mehr Geist, Talent, Wissen und Logik vertheidigt, wie er. Aber dieß lag nicht in Herrn Weber's Absicht. Er macht es wie J.J. Rousseau in der von der Akademie von Dijon aufgestellten Preisfrage, und erklärte sich für das Paradoxon. Süßmayer's Brief erweckte einen Verdacht ganz anderer Art in ihm, als er eigentlich in Unbefangenen hätte erwecken sollen. Er diente ihm als Text und Anhaltspunct, um das ganze Requiem anzugreifen, um beinahe das Ganze Süßmayer zuzuschreiben. Ich will seine eigenen Worte anführen.

»Von allen Werken unseres herrlichen Mozart's genießt kaum irgend Eines so allgemeine, so vergötternde Anbetung, als sein Requiem

»Das ist aber eigentlich sehr auffallend und beinahe wunderlich zu nennen, indem gerade dieses Werk ohne Anstand sein unvollkommenstes, sein wenigst vollendetes, – ja kaum ein Werk von Mozart zu nennen ist

Wenn ein Mann von Geist es wagt, derartige Gedanken in's Publicum zu werfen, so sucht er stets sie durch Beweise irgend einer Art zu unterstützen; denn daran erkennt man allein den vernünftigen Menschen von dem, welcher ein Narr geworden ist. Herr Weber beginnt mit einer völlig willkührlichen Muthmaßung, die formell ganz dem Texte des Briefes entgegensteht, und bald durch die Beweise der Thatsachen sich widerspricht. Er nimmt an, daß Süßmayer das ganze Werk nach Bruchstücken, Skizzen und Entwürfen ausgeführt habe; nach Papierfetzen, die sich zufälliger Weise in Mozart's Nachlasse gefunden, und welche die Wittwe ganz der Willkür des Ordners überlassen habe. Das hieß mit einem Male die Echtheit des Requiems [238] in seinem Zusammenhange sowohl, als auch die Sage hinsichtlich seines historischen Ursprunges, angreifen. Eine in die Luft gestellte Hypothese hätte die Verwegenheit des Angriffes nicht gerechtfertigt; dieß fühlte Herr Weber vollkommen; und, in Ermangelung jedes materiellen Beweises, betrat er einen, an und für sich ganz vortrefflichen Weg, der allein Diejenigen auf die Wahrheit zu führen vermocht haben würde, welche ihn ohne Vortheil aufgesucht hätten. Er ließ die verschiedenen Theile des Requiems eine kritische Musterung passiren. Wie aber stellte er die Prüfung an, er, dem wir so viele treffliche Artikel über Musik, so viele gründliche und lichtvolle Abhandlungen über fast alle theoretischen und praktischen Zweige der Kunst, verdanken? Meine Leser sollen selbst urtheilen; nur bitte ich diejenigen, welche Herrn Weber's Schriften nicht kennen, nach den Proben, welche ich hier gebe, nicht ihn selbst zu beurtheilen, wenn sie keine Gelegenheit haben, sich bei anderen Veranlassungen mit seinen Kritiken und seiner Schreibart bekannt zu machen. Man könnte ebenso leicht das Sonnenlicht während einer völligen Sonnenfinsterniß beurtheilen. Herr Weber prüfte das Kyrie. »Es würde mir z.B. wehe thun, glauben zu müssen, Mozart sei es gewesen, der den Chor-Singstimmen Gurgeleien der Art wie folgende habe aufbürden mögen (hier folgt nun eine Citation des Gegen-Themas der Fuge). Alle Sänger und Beurtheiler würden Zeder und Mordjo schreien, wenn diese wilden gorgheggi (Gezwitscher, Getriller) ihnen in einem Kyrie von einem weniger ehrfurchtgebietenden Namen als Mozart, von einem Rossini zum Beispiel, dargeboten werden wollten.« Vom Tuba mirum sprechend sagt er: »in diesem würde ich ebenfalls, nach dem Posaunen-Solo Süßmayer die Ehre lassen, das gräßliche Bild des Urtheiles der Lebendigen und Todten, durch Melodieen wie folgende ausgedrückt (folgt nun die Citation der Instrumental-Musik, [239] die mit dem achten Tacte des Tuba mirum beginnt), und durch süßliche Anklänge, ein in seinen Grundzügen so grandioses und ernstes Gemälde entmannt zu haben«. Dieser Tadel trifft namentlich die neun letzten Tacte des Stückes, deren Text der Kritiker anführt. »Himmel! was würde man sagen, wenn ein Anderer als Mozart so etwas gemacht hätte. So ist aber heut' zu Tage unsere musikalische Welt; sie sitzt in einem Concertsaale wie in der Kirche, und ist vor Wonne außer sich über das anmuthige schmelzende Tonspiel bei den Schauerworten (die sie nur, wir denken's zu ihrer Ehre, größtentheils nicht verstehen), während Mozart sich Zähneknirschend in seinem Grabe umwenden würde, wenn er hören könnte, unter welcher Form man seine großartige und tiefe Conception vorträgt und er wüßte, daß man sie ihm zuschriebe.« – Man muß stets gerecht sein, vor Allem aber gegen seine Gegner. Ich gebe also zu, daß das Ende, also das Sopran-Solo und das Vocalquartett des Tuba mirum, mir allerdings als der am wenigsten kirchliche und überhaupt schwächste Theil im ganzen Requiem erscheinen, obgleich die ganze Numer von Mozart ist. Herr Weber kommt nun an das Confutatis, von dem er sowohl Text wie Musik verwirft. »Eben so wenig kann ich mich entschließen, unserem Mozart die Art und Weise zuzuschreiben, mit der dieser Text behandelt wurde und in welchem sich die ganze Niederträchtigkeit con amore kundgibt. Zuerst dieses wild hetzende Unisono der gesammten Masse der Bogeninstrumente, wie um den Weltenrichter recht anzutreiben, die vermaledeite Sünder-Canaille nur gleich recht weit in den tiefsten Abgrund der Hölle zu stürzen, um hernach ihn, den Sänger, zu den lieben Gebenedeiten zu berufen; (voca me cum benedictis), welches letztere die im abstechendsten Contraste wundersüßlich [240] eintretenden Flöten45 nur gar zu treulich, schmeichlerisch und kriechend ausdrücken.« Ich frage, ob die Phantasie einen schärfern Contrast zu ersinnen vermag, als die ewigen Qualen der Verdammten, der ewigen Glückseligkeit der Auserwählten gegenüber? Herr Weber macht also an dieser Stelle Mozart den Vorwurf, und zwar auf eine Weise, welche jeder meiner christlichen Leser zu würdigen wissen wird, die Worte des Confutatis wieder gegeben zu haben, während er ihm kurz zuvor vorgeworfen hatte, die des Tuba mirum nicht wieder gegeben zu haben. Wie muß man es also machen, um Herrn Weber's Beifall zu erringen? »Ebenso mag ich auch überaus gern Süßmayer'n die Ehre lassen, das › Quam olim‹ zu einer, wie sie oft gerühmt wird, höchst gründlich durchgeführten Fuge verarbeitet, und nicht ein, – sondern zwei Mal vorgeführt zu haben. Niemand war wohl weniger als Mozart der Mann dazu, unnöthig breit und weitschweifig zu werden, zumal über bloße Nebengedanken, oder gar die Regel zu vergessen, daß vernünftiger Weise nur gerade die ausgezeichnetsten Hauptideen des Gedichtes zu ausführlichen Fugen verarbeitet werden können.« Quam olim soll Süßmayer gemacht haben! In der That, man braucht ihm nur noch das Recordare zuzuschreiben, um einen Mann aus ihm zu machen, der Händel, Bach, und, es fehlte wenig, selbst Mozart überragte. Ueberdieß erscheint es sehr auffallend, daß Herr Weber den Sinn des Textes als Nebengedanken angesehen wissen will: Quam olim Abrahame et semini ejus promisti, also den Gedanken an die Verheißungen, welche Gott Abraham [241] gemacht, der die Grundlage des alten und neuen Testaments bildet, Verheißungen, an welche selbst der Islamismus seine Glaubenssätze anzuknüpfen sucht, und aus welchen die drei Hauptreligionen fließen, welche die Welt theilen. Mozart hatte dennoch allen Grund Quam olim als Fuge zu entwickeln, wie es auch seine Vorgänger gethan, und zwar ganz conform mit eben der Regel, von welcher Herr Weber behauptet, daß sie verletzt worden sei. Er hatte auch vollkommen Recht, uns diese Fuge zweimal, statt nur einmal hören lassen. Kein Musiker wird mich um das Warum fragen. Auch das Hostias verschonte Herr Weber mit seiner Kritik nicht. Er tadelt den häufigen Wechsel des Forte mit dem Piano, ebenso den nichts sagenden Gang der Melodie, welche in unregelmäßigen Sprüngen von der Höhe in die Tiefe, und von der Tiefe in die Höhe geht. Der Fehler fällt, wie ganz natürlich und wie immer, dem nur zu glücklichen Süßmayer zur Last. Auch hier sagte er wieder, eben so wenig möchte ich u.s.w.

Ich habe mich nicht auf alle Ausstellungen des Herrn Weber eingelassen, weil ein Anderer, von dem sogleich die Rede sein wird, mit viel mehr Autorität, als ich es vermöchte, darauf geantwortet hat. Ich habe mich auf eine kleine Zahl von Bemerkungen beschränkt, welche jener außer Acht gelassen hat.

Man sollte meinen, daß Herr Weber, nachdem er den Numern des Requiem, welche Niemand vor ihm Mozart streitig gemacht hatte, den Stab gebrochen, die Stärke seiner Hiebe verdoppeln würde, wenn er an die Stücke gekommen sein würde, deren Eigenthum Süßmayer sich allein zuschreibt, und die in ihrer Totalität die schwächsten des ganzen Werkes sind, wenn auch nicht hinsichtlich der Grundgedanken, aber hinsichtlich der Harmonie und des Styls. Weit entfernt! Herr Weber findet durchaus [242] nichts gegen das Sanctus, Benedictus und Agnus einzuwenden; ja er gefällt sich sogar darin, Blumen in denselben zu finden, die ihm nicht in Süßmayer's Garten gewachsen zu sein scheinen. »Ich erinnere nur an den,« bemerkte er, »man möchte sagen, des Allerhöchsten ganz würdigen Anfang des Sanctus, – nur an den Eintritt der Bässe, mit dem unbeschreiblich wirkenden € ; bei › Pleni‹ – dann an das wunderherrliche, kindlich fromme, und doch so edel erhabene Benedictus46

Man kann dieser Taktik des Herrn Weber die Gewandtheit nicht absprechen. Indem er die Numern, an welchen ein mehr oder minder großer Antheil Süßmayer nicht bestritten werden kann, lobt, gibt er sich den Anschein von Unpartheilichkeit, während dadurch zugleich die Numern, die er gegeißelt hat, die reine Arbeit Mozart's, dadurch nur noch mehr verdächtigt werden. Dieser Tadel einer-, diese Lobsprüche andererseits, sollen diese nicht deutlich zu verstehen geben, daß die ersten Numern des Requiems, durch die vervollständigende Arbeit noch viel bedeutendere Verstümmelungen erlitten haben als die drei letzten?

Bei Veranlassung dieser Prüfung berührt Herr Weber im Vorbeigehen die Frage des historischen Ursprunges des Requiems, der ihm in eine gewisse mystische und romantische Dunkelheit gehüllt zu sein scheint. Er schließt mit dem Bedauern, daß die Originalentwürfe oder Skizzen Mozart's, wie er sie nennt, verloren gegangen seien, und in einem Aufrufe an alle Freunde der Kunst, welche sein Journal lesen, ermuntert er, diese Entwürfe oder Skizzen aufsuchen zu helfen; und bietet für den Fall, daß die Nachforschungen bei irgend Einem zu einem glücklichen Er folge [243] führen sollten, die Spalten der Cäcilia an, die sich glücklich schätzen werde, die autographischen Bruchstücke Mozart's in einem Fac-Simile zu geben.

Dieß ist der Hauptinhalt des ersten Artikels des Herrn Weber, aus dem ich nur so viel entnommen habe, was mir zu meiner Darstellung unumgänglich nothwendig war.

Sogleich nach Veröffentlichung dieses Artikels wandte sich der Verfasser desselben in einem Circulare nach und nach an verschiedene Personen, die vermöge ihrer früheren Verhältnisse, ihrer Bekanntschaften oder ihrer jetzigen Stellung, am besten über die Fragen unterrichtet sein konnten, die er in Nummer 11 seines Journals angeregt hatte. Er forderte sie darin auf, ihm alle Nachweisungen zukommen zu lassen, die sie darüber besitzen oder sich zu verschaffen im Stande sein möchten.

Unter diesen Personen war auch der Abt Stadler, derjenige unter Mozart's Zeitgenossen und überhaupt derjenige unter allen noch Lebenden, der am Ersten in der Lage war, dem Wunsche nachzukommen, welchen das Circular aussprach. Er war acht Jahre älter als Mozart, hatte ihn von Kindesbeinen an gekannt, und war, bis zu seinem Tode, einer seiner innigsten Freunde und leidenschaftlichsten Verehrer gewesen; auch war er ein Freund Haydn's und Al brechtsberger's, welche vier Menschen ein Band umschloß, das sich auf die edelste Zuneigung und die herrlichsten Talente gründete, wie die ganze Welt kein ähnliches aufzuweisen hatte. Die Wittwe Mozart hatte ihn aufgefordert gehabt, den musikalischen Nachlaß des Verstorbenen zu ordnen, aus welchem Grunde er lange das Original-Manuscript des Requiems in Händen hatte. Er hatte es Note für Note copirt; und er bewahrte diese Copie gleich einer Reliquie. Er wußte auch, zu welcher Zeit und unter welchem moralischen Einflüsse das Requiem [244] componirt worden war; der Name dessen, welcher das Werk bestellt hatte, war eben so kein Geheimniß für ihn. Dabei dürfen wir nicht übersehen, daß nach einer Laufbahn von vierundachtzig Jahren (er starb den 8. November 1834) der Abt Stadler ein Andenken, eben so rein und geehrt zurückließ, als sein Leben als Mensch, Professor47, Künstler und Priester über jede Anfechtung erhaben gewesen war. Diese Eigenschaften stehen seinem Zeugnisse hinsichtlich der Controverse gegen die Thatsachen oder den historischen Theil der Frage zur Seite. Was den kritischen oder den musikalischen Theil anbelangt, so hatte Herr Weber sicher den rechten Mann in ihm, den Nestor der Musiker in Wien, gefunden. Stadler war einer der ersten Organisten und Pianisten seiner Zeit, einer der gelehrtesten Musiker Europa's, einer der großen Componisten des vergangenen und unseres Jahrhunderts, mit einem Worte, ein durch und durch classisch gebildeter Mann, der sich mit Glück in beinahe allen Gattungen von Compositionen versucht hatte, und dessen bewunderungswürdiges Oratorium: die Befreiung Jerusalems, sich unmittelbar Haydn's Oratorien anreiht. Ein Mann wie er hatte sicher auch einiges Recht, ein Urtheil über Mozart's Requiem abzugeben, dessen Busenfreund und ganz legitimer Bruder in Apollo er war.

In einem Briefe, in welchem unter der Unterschrift die Worte standen, inimicus causae, amicus personae48 entschuldigte sich Stadler die Nachweisungen, welche Herr Weber verlangt habe, ihm nicht direct zukommen lassen zu können, weil er seine Antwort [245] auf den Artikel in der Cäcilia, bereits, ehe er das Rundschreiben des Herrn Weber erhalten habe, in Form einer Broschüre habe erscheinen lassen.

Wir wollen die Analyse des kleinen, nur dreißig Seiten starken Werkchens geben, welches den Titel führt: Vertheidigung der Echtheit des Requiems von Mozart. Wien 1826.

Kaum war der Artikel der Cäcilia in Wien bekannt geworden, als eine Menge Bewunderer Mozart's – und wer ist dieß nicht heut' zu Tage – zu Stadler kamen, ihm denselben mittheilten, und, nachdem sie von ihm gehörigen Aufschluß erhalten hatten, in ihn drangen, seine Erklärungen durch die Presse zu veröffentlichen. Er unterzog sich ohne Bedenken der ehrenvollen Aufgabe, die man ihm vorschlug.

Die Beschreibung, welche Stadler von dem Zustande des Original-Manuscripts macht, stimmt vollkommen mit der von Süßmayer überein. Das Requiem, mit der Fuge des Kyrie und das ganze Dies irae bis zu dem Verse: judicandus homo reus49 sind darin so instrumentirt, daß Süßmayer fast nicht viel mehr beizusetzen hatte, als was die meisten Compositeure den Copisten überlassen. Die Instrumentation des Domine ist weniger vollständig, jedoch hinreichend angedeutet. Nach dem Hostias hatte Mozart mit eigener Hand [246] geschrieben: »Quam olim da capo,« wie wenn er damit hätte sagen wollen, »daß er selbst bald in jenes ewige Leben eingehen würde, welches Gott Abraham und dessen Nachkommen versprochen hatte.« Hier schließt das Mozart'sche Manuscript. Die eigentliche vervollständigende Arbeit Süßmayer's beginnt mit dem Lacrymosa, und auch in diesem hatte Mozart in den sechs ersten Tacten die Hauptfigur des Orchesters niedergeschrieben, welche der ersten Violine zugetheilt und durch das ganze Stück durchgeführt ist.

Stadler läßt es unentschieden, ob der Fortsetzer einige Mozart'sche Gedanken bei der Composition des Sanctus, Benedictus und Agnus benützt habe oder nicht. Nur hatte ihm die Wittwe gesagt: »daß sich nach Mozart's Tode auf seinem Schreibpulte einige Papierstreifen mit Noten vorgefunden haben, welche sie Süßmayer übergeben habe, ohne daß sie aber anzugeben vermöchte, was sie enthalten und welchen Gebrauch Süßmayer davon gemacht habe.« Wir wollen versuchen, den Lakonismus des Abtes bei diesem Hauptpuncte zu vervollständigen. Ein anderer Umstand, den wir dem Leser angelegentlichst in's Gedächtniß rufen müssen, ist, daß die Singstimmen sich im ganzen Original-Manuscript geschrieben vorfinden; ein bedeutendes Argument gegen Herrn Weber, wie man bereits bemerkt haben wird.

Süßmayer hat also nicht nach Bruchstücken und Skizzen das Requiem vervollständigt, sondern er hatte eine correcte und regelmäßige Partitur vorliegen, die auf numerirte Blätter und ganz sauber auf schönes italienisches Papier mit zwölf Linien geschrieben war.

Nachdem der Abt den Grundirrthum des Herrn Weber berichtigt hat, geht er auf die Beweise desselben hinsichtlich der Verfälschung und Verstümmelung über, welche dieser aus seiner [247] ästhetischen Prüfung des Requiems folgern zu dürfen gemeint hat. »Herr Weber,« sagt er, »hat seine Kritiken mit dem Kyrie begonnen, wahrscheinlich aber hätte er schon bei'm Requiem aeternam damit angefangen, wenn er gewußt hätte, daß das Motiv desselben einer Trauer-Cantate von Händel entnommen ist, welche im Jahre 1737 aus Veranlassung des Leichenbegängnisses der Königin Caroline componirt worden war; auch das Kyrie ist von Händel entlehnt (die beiden Thema's des Kyrie sind aus dem Oratorium Simson). Die Stellen, welche Herr Weber mit Gurgeleien zu bezeichnen beliebt, und die Händel zugehören, können nur dann so benannt werden, wenn man sie auf eine plumpe, gemeine Art im Staccato vortrüge; wenn man sie aber wie hier (in Wien) mit Geschmack und Rundung vorgetragen hört, so wird man durch diese Passagen in einen Wirbel von Harmonie hineingezogen, der höher und immer höher steigend, einen, so zu sagen, zum Throne des Ewigen emporträgt.« Alle Musikfreunde mögen ihre Erinnerung zu Hilfe nehmen und mir sagen, ob, wenn ihnen das Glück zu Theil würde, eine treffliche Ausführung des Kyrie zu hören, sie nicht das bestätigt gefunden haben, was der Abt Stadler hier mit ebenso wahren, als christlichen Worten ausspricht.

»Nach Weber's Ansicht,« fährt der Abt fort, »hätte Mozart einen großen Fehler begangen, daß er sein Tuba mirum mit lieblichen Gesängen durchwebte. Jeder Zug des Gemäldes muß furchtbar sein, wenn wir daran glauben sollen. Er erlaube mir aber, ihm eine Frage vorzulegen. Wer sind denn Diejenigen, welche die Posaunen des Gerichtes aufruft? Es sind die Lebendigen und Todten, also die Gerechten und Ungerechten, die Guten und Bösen, die Auserwählten und die Verworfenen. Ruft bei diesen Allen die Posaune denselben Eindruck hervor? Wird sie [248] dem Gerechten, den sein Gewissen nicht anklagt, und dem Unglücklichen, welcher das Gefühl des ihm so ungleich zugemessenen Maßes in sich trägt, gleich furchtbar ertönen? Ich glaube es nicht. So furchtbar der Tag der Auferstehung für die Verworfenen sein wird, eben so viele Hoffnungen wird er auch den Auserwählten bringen, und das ist der Gesichtspunct, von dem Mozart in seinem Werke ausgegangen ist.« Es braucht wohl nicht in Erinnerung gebracht zu werden, daß der Anblick des Richters, der die Gedanken abwiegt, und vor dessen Richterstuhle selbst der tugendhafteste Mensch nicht mit einer, vom Erdenschmutze freien Seele erscheinen kann, schon in der vorhergehenden Numer vergegenwärtigt worden ist, in dem: Dies irae, dies illa, und zwar in furchtbaren und majestätischen Farben, die, jedoch nicht ausschließlich, in dem Ensemble eines solchen Gemäldes vorherrschen müssen, und die noch mit den vom Texte verlangten Schattirungen und Modificationen, in den folgenden Numern des Dies irae, Rex tremendae majestatis, Confutatis und Lacrymosa vorherrschen müssen. Nur das Recordare ist von sanfterer Färbung, wie es die Worte ausdrücklich vorschreiben.

Was der Abt Stadler von Herrn Weber's Urtheil über das Confutatis maledictis denkt, gleicht zu sehr dem, was ich selbst gesagt habe, und was, ohne Zweifel, Jedermann denkt, als daß ich nöthig hätte, es hier anzuführen. Eben so wenig werde ich dem Verfasser in seinen Bemerkungen über die Stücke des Requiems folgen, die Herr Weber nicht zergliedert hat. Die Lust, das Requiem zu loben, ist zwar eine große Verführung, welcher zu widerstehen aber mir meine gegenwärtige Aufgabe vorschreibt. Hier ist nicht der Ort dazu.

Mozart's Vertheidiger antwortet auch auf die Bemerkungen hinsichtlich der Fuge Quam olim: »Alle katholischen Componisten [249] haben diesen Text auf dieselbe Art wie Mozart behandelt, und wie es auch die Kirche vorschreibt. In den Requiems von Vogler und Winter wiederholen sich die Worte Quam olim noch viel öfter. Mozart erblickte einen tiefen Sinn darin. Er wußte, daß diese Worte das unerschütterliche Vertrauen des Christen in die Verheißungen Gottes ausdrücken, und aus diesem Grunde hat er das Quam olim mit weit erhebenderem Nachdrucke als seine Vorgänger wiedergegeben.« Stadler hielt es beinahe nicht für der Mühe werth, die Kritik gegen das Hostias zurückzuweisen, welche, wenn auch nicht gerade die irrigsten, aber jedenfalls die unbedeutendsten Ausstellungen Weber's in sich schließt.

Nachdem der Abt seine thatsächlichen und kritischen Beweise siegreich durchgeführt, setzt er seinem Gegner auch noch mit Argumenten ad hominem zu. »Sie glauben,« sagte er, »daß das Requiem das wenigst vollendete, das unvollkommenste Werk Mozart's sei? Wohlan, ich, Maximilian Stadler, behaupte, daß es das vollendetste und vollkommenste Werk Mozart's in den drei ersten Theilen, also in Vierfünftheilen seines ganzen Umfanges ist. Und da sind Joseph und Michael Haydn, Winter, Beethoven, Cherubini, Eibler, Krommer, Gyrowetz, selbst Salieri50 und tausend Andere, die ebenso denken und sprechen wie ich. Unter diesen Namen gibt es vielleicht einige von ebenso gutem Klange wie der Ihrige, Herr Gottfried Weber; vielleicht wiegt die Ansicht der beiden Haydn, Cherubini's, Beethoven's und Winter's die Autoritäten aller musikalischen Journale der Welt, die Cäcilia mit inbegriffen, auf. Uebersehen [250] Sie aber dabei nicht, daß, um in dem Requiem ein authentisches und zugleich das schönste Werk Mozart's zu erkennen, diese ausgezeichneten Kenner nicht zuvor erst auf materielle Beweise gewartet haben. Sie wären vor dem Gedanken erröthet, die Insertion eines Fac-Simile in ein Journal verlangen oder zuvor schrifstellernde Experten zu Rathe ziehen zu sollen, ehe sie zu entscheiden vermöchten, ob das Werk das eines Schülers oder das Meisterstück ihrer aller Meister wäre. Nein, daraus hätten sie ihre Ueberzeugung nicht zu schöpfen vermocht. Die Beweise für sie lagen in dem ganzen innern Baue, in der Erfindung, in der Ausführung, in der tiefgedachten Entwickelung der Gedanken, mit einem Worte in dem innern Werthe der Partitur.«

Gründe, welche im weitern Verlaufe unserer Darstellung sich nur zu klar herausstellen werden, haben leider Stadler eine zu beklagende Zurückhaltung über alles das auferlegt, was den historischen Theil dieses Streites anbelangt. Er hatte, der Erste, in seinem Privatschreiben an Herrn Weber, den Besteller des Requiems genannt; es war ein Graf Waldsee. In seiner Broschüre nennt er ihn nicht, was aber eine überflüssige Vorsicht war, da die Cäcilia seinen Brief später veröffentlichte.

Folgendes sind die wenigen Einzelnheiten, deren Mittheilung er sich erlaubte.

Ehe man dem Unbekannten (dem Grafen v. Waldsee) Süßmayer's Manuscript übergab, nämlich die vervollständigte Partitur des Requiems, wurden zwei Abschriften davon genommen. »Die eine wurde in eine Musikalienhandlung in Leipzig gesendet, um dort gedruckt zu werden; die andere blieb in Wien, wo bald darauf das Werk zum Besten der Wittwe aufgeführt wurde.«

Der Verfasser hat hier eine Thatsache von einer andern ziemlich zweideutigen, wie man sehen wird, getrennt, obgleich eine augenscheinlich [251] wechselseitige Beziehung zwischen beiden besteht, wie weiter unten bewiesen werden wird.

Kurze Zeit nach Mozart's Tode erfuhr der Anonymus, oder Unbekannte, den wir aber bereits kennen, daß das Werk, das er bestellt und freigebig bezahlt hatte, nicht ganz von dem Verblichenen sei. »In Folge dieses sandte er das Manuscript an einen sehr berühmten Advocaten in Wien, mit dem Auftrage, genaue Erkundigungen über die Sache einzuziehen. Als die Wittwe darüber befragt wurde, bat sie Herrn v. Nissen und mich, die wir beide am meisten in die Sache eingeweiht waren, zu dem Advocaten zu gehen. Mit Bereitwilligkeit unterzogen wir uns dem Auftrage. Die Partitur wurde uns vorgelegt. Ich bezeichnete das, was von Mozart, und das, was von Süßmayer war. Damit hatte die Sache ihr Bewenden; das Manuscript wurde dem Eigenthümer zurückgeschickt, und der Unbekannte gab sich zufrieden.«

Hier fängt aber ein dunkeles Labyrinth voll Lücken und Widersprüchen an, die mit jedem Schritte vorwärts sich vermehren, und durch welche ein armer Referent, wie ich, zu seiner Leitung nur den dünnen Faden der Logik hat, der jeden Augenblick in seinen Händen zu zerreißen droht. Man bemerke nur, wie Vieles in den wenigen Linien, die ich so eben angeführt habe, mit Stillschweigen übergangen ist. Ein Advocat, und noch dazu ein berühmter, begnügt sich damit, daß man ihm die Buchstaben M. und S. zeigt, die auf ein Musikheft notirt sind. Dieß könnte etwa ein obscurer Advocat hingehen lassen, aber auch dann nur, wenn er ein großer Musikkenner wäre, in welchem Falle aber, ich muß gestehen, er seine ganze Sorgfalt und Aufmerksamkeit zu Hilfe nehmen mußte. Sodann schickte die Wittwe an diese Notabilität von Rechtsgelehrten, Herrn Stadler und Herrn v. Nissen, als die am besten von der Sache unterrichteten Männer. Ich [252] meine aber doch unmaßgeblich, daß es einen noch besser Unterrichteten gab, als diese Beiden es waren. Süßmayer lebte ja noch, und man hatte ihn nicht weit zu suchen, da er in Wien wohnte. Ihn hätte die Wittwe zu dem Advocaten schicken müssen, vorausgesetzt, daß der Auftrag desselben sich darauf beschränkte, Erkundigungen einzuziehen; allein Süßmayer kam gar nicht zur Sprache. Man bringe diesen Umstand mit gewissen Stellen des berühmten Briefes in Zusammenhang, in denen von der Wittwe die Rede ist, und man wird sich überzeugen, daß die Verschiedenartigkeit oder vielmehr das Widerstreitende ihrer Interessen in dem ganzen Handel sie seit Mozart's Ableben entzweit hatte.

Was war aber aus dem Original-Manuscripte des Requiems, der unvollendeten Partitur Mozart's geworden, das Stadler vor einigen dreißig Jahren unter den Händen gehabt hatte, und welches er Note für Note abgeschrieben hatte? Der Abt weiß nicht, »ob das Mozart'sche Manuscript des Requiem mit dem Kyrie und Dies irae noch existirt und wo es sich befindet, obgleich er darüber einigen gegründeten Verdacht hege. Was das Lacrymosa und das Domine anbelangt, so sind diese Stücke so erhalten worden, wie Mozart sie geschrieben hatte.« So war also die Original-Partitur zerstückelt worden, und war unmittelbar nach dem Tode ihres Componisten verschwunden. Wie ging das zu? Ein wenig Geduld und wir werden sehen.

Nichts desto weniger müssen wir bemerken, daß Stadler sich nicht von der Wahrheit entfernt; aber er hält mit einem Theile derselben zurück, denn er konnte nicht anders handeln. Damit sind wir mit der Analyse der Broschüre zu Ende.

Diese Erwiderung des ehrwürdigen Abtes war für Herrn Weber niederschmetternd. Er sah sich der Verlästerung Mozart's angeklagt und überwiesen, und, was noch schlimmer ist, überwiesen, [253] Mißgriffe gemacht zu haben, die ein Professor der musikalischen Aesthetik sich nicht hätte zu Schulden kommen lassen sollen. Diese kritischen Blitze, welche nach einer zu gewagten Richtung geschleudert worden waren, fielen centnerschwer auf den Meister, statt daß sie Süßmayer trafen, der als bequemer Ableiter die Schwäche ausgehalten hätte, ohne daß irgend Jemanden großes Leid dadurch zugefügt worden wäre. Es wurde klar, wie der Tag, daß Mozart, und zwar Mozart allein, die Schuld an allen diesen verurtheilten Numern und Passagen trage. Er war es, der im Kyrie den Choristen diese gurgelnden Rouladen zugemuthet hatte; er, der das Tuba mirum widerlich und kraftlos gemacht, indem er süßliche Gesänge darunter gemischt hatte; er, der durch ein wild hetzendes Unisono den höchsten Richter gegen die vermaledeite Sündercanaille aufgebracht hatte, um sein eigenes Heil besser zu sichern, der elende Selbstsüchtige, der er war; er, der die Inconsequenz begangen hatte, aus Quam olim eine gelehrte Fuge zu machen, und die Dummheit sich hatte zu Schulden kommen lassen, diese Fuge zu wiederholen, indem er mit eigener Hand geschrieben hat; Quam olimda capo; er endlich, welcher die Singstimmen im Hostias herumirren ließ. Leider ja, Mozart hat alles dieß gethan, ohne sich im Mindesten um die »eben so wenig kann ich, möchte ich« des Herrn Gottfried Weber zu bekümmern.

Ich habe gesagt, daß die Antwort Stadler's niederschmetternd war; aber sein Gegner schien davon noch mehr niedergeschmettert zu sein, als er es hätte sein sollen. Es standen Herrn Weber zwei Wege offen: zu widerrufen und ehrenhafte Abbitte zu thun, oder offen für seine Kritiken einzustehen, und dabei einen Irrthum zu bekennen, der ja doch seinen Grund in der Achtung hatte, die er stets für Mozart zu haben bekannte. War es nicht ganz natürlich, daß, nach Herrn Weber's Ansicht, Alles das, was [254] in dem Requiem mangelhaft oder verfehlt war, Süßmayer zuzuschreiben wäre, so lange der wirkliche Verlauf der Sache noch zweifelhaft war; nachdem dieß aber nicht mehr der Fall war, nachdem die kritisirten Stellen wirklich als Mozart's Arbeit anerkannt worden waren, wurden sie denn dadurch besser? Sollte Mozart unter allen Sterblichen allein das Vorrecht der Unfehlbarkeit besessen haben? Gewiß nicht. Was mich betrifft, so bin ich soweit davon, dieß zu glauben, daß ich, trotz meiner, im Vergleiche mit Herrn Weber, sehr geringen Einsicht, mir kein Gewissen daraus machte, Mozart zu tadeln, und zwar überall, wo er nach meiner Ueberzeugung einen Tadel verdiente51. Ich gehe dabei von dem Grundsatze aus, daß in Kunst- und Geschmackssachen ein unabhängiger Schriftsteller seinen Lesern keine andere Wahrheit, als seine persönliche Ueberzeugung zu bieten vermag. Was wäre die Kritik, wenn sie nur vor der Autorität von Eigennamen kriechen und sich unter das Joch von einmal angenommenen Ansichten beugen müßte? Herr Weber hatte, wie Jedermann, das Recht, seine eigene Ansicht zu haben, und wir wollen gern glauben, daß seine Ansicht über das Requiem, so unbegreiflich sie auch erscheint, dennoch seine wirkliche war. Er schlug aber keinen dieser Wege ein, auf welche seine Wahl beschränkt zu sein schien; er wollte den Kampf auf dem seitherigen Terrain fortführen; er wollte gegen die Augenscheinlichkeit kämpfen, ein für Jedermann stets ungleicher Kampf. Wir sehen ihn daher in seiner langen Erwiderung auf die Vertheidigung der Echtheit des Requiems von Mozart zu verzweifelten Argumenten greifen, ich meine damit solche, die kaum mehr als ganz unhaltbar waren, denn sie ließen sich mit einer Leichtigkeit und einem Erfolge gegen ihn selbst gebrauchen, [255] die für einen Dialektiker eben so interessant als unterhaltend sind. In dieser Erwiderung fiel mir namentlich auf, daß die Broschüre des Abtes Stadler eine Schmähschrift, voll der gröbsten Verläumdungen, der beleidigendsten Persönlichkeiten und der abscheulichsten Schimpfworte gegen Herrn Weber genannt wird; eine Flugschrift, die in der Absicht geschrieben worden sei, um die Wuth der Dummköpfe und der Fanatiker gegen ihn zu erwecken. Meine Leser, welche, wie ich voraussetze, nichts Derartiges in der Analyse der Vertheidigung, welche ich ihnen vorgeführt, gefunden haben werden, werden mit Erstaunen fragen, welche Stellen in dieser Broschüre in Anwendung solcher Ausdrücke rechtfertigen, oder selbst nur begreifen lassen. Meine Pflicht ist es, ihre Neugierde zu befriedigen.

Vermöge eines sehr unklugen Zusammentreffens enthielt die Numer 10 der Cäcilia, also die, welche dem Artikel über Mozart's Requiem vorausging, einen Artikel, in welchem Herr Weber, nachdem er in allgemeinen Umrissen seine Ansichten über den Text und die Composition einer Todtenmesse dargelegt hatte, von einem Requiem spricht, das er selbst geschrieben. Seit seiner frühesten Jugend, sagt er uns, habe er einen unwiderstehlichen Drang in sich gefühlt, ein Requiem zu componiren; da ihm aber der von dem Ritus der katholischen Kirche vorgeschriebene Text nicht zugesagt, habe er sich genöthigt gesehen, einen andern zu machen, ohne welchen er außer Stand gewesen wäre, seine Todtenmesse in Musik zu setzen. Was ihm mißfiel, wurde durch deutsche Choräle ersetzt, welchen er später eine lateinische Uebersetzung beifügte52.

[256] Auf diese Art verschwanden ganze Strophen des Dies irae; unter anderen das Confutatis, das Herr Weber, wie bereits bekannt, für eine vollendete Niederträchtigkeit und einen empörenden Egoismus hält. Herr Weber geht sodann seine eigene Arbeit durch, bei der er, mit etwas zu vieler Wohlgefälligkeit vielleicht, sich verweilt.

Es ist nicht zu läugnen, daß zwischen diesem und dem unmittelbar darauf folgenden Artikel eine so offenbare Verwandtschaft stattfindet, daß sie selbst den Kurzsichtigsten, und zwar diesen mehr als allen Anderen, in die Augen fallen mußte. Die Meisten zogen den Schluß daraus, daß Herr Weber dadurch, daß er Mozart's Requiem herabsetzte, dem seinigen um so höhere Geltung zu verschaffen suche; ein Schluß, der, gerade weil er gar zu nahe liegt, nicht wohl zulässig ist. Ich glaube damit nichts Paradoxes zu sagen. Wie kann man glauben, daß ein Mann, der als Theoretiker mit Recht eine bedeutende Berühmtheit besaß, als Componist dagegen nur einen sehr untergeordneten Ruf genoß, daß ein Mann von gesundem Verstande, wie sich Herr Weber stets zeigt, sich in den Kopf gesetzt haben könne, Mozart's Statue über den Haufen zu werfen, um sie zum Schemel seiner eigenen Apotheose zu machen. Das hieße ihn, mit an dern Worten, für einen Narren erklären. Wenn aber auch diese theilweise Narrheit sich in seinem Gehirne festgesetzt hätte, wäre ihm dann nicht im Uebrigen hinreichende Urtheilskraft übrig geblieben, um wenigstens mit einiger Geschicklichkeit die Ausführung eines so tollen Planes zu betreiben? Allein zu gleicher Zeit zwei Artikel zu veröffentlichen, [257] von denen einer das von ihm selbst gesungene Lob des Herrn Weber's, der andere eine Kritik Mozart's enthält, und zwar beide, um zu beweisen, daß man über Mozart stehe, das wäre keine theilweise Narrheit mehr, von der ich so eben sprach, sondern das wäre der vollendetste, außergewöhnlichste und unheilbarste Wahnsinn, von dem je ein Individuum unseres schwachen Geschlechtes heimgesucht worden ist.

Der Artikel in Nr. 10 konnte einem katholischen Priester so wenig gefallen, als der Artikel in Nr. 11 einem gelehrten Musiker und Bewunderer Mozart's. Dessen ungeachtet knüpft der Abt Stadler, der am Eingange zu seiner Broschüre einen Auszug davon mittheilt, keine für Herrn Weber beleidigende Bemerkung daran. Er begnügt sich, ihm den Vorwurf zu machen, daß er sich zum Reformator des katholischen Ritus aufwerfen wolle, was nur zu richtig ist. »Hier ist ein ganz vollendetes Gebäude, sagt er, Text, Musik, Recension, alles von Herrn Weber. Die Zeit wird lehren, ob er auf Granit oder auf Sand gebaut hat.« Und am Ende seiner Broschüre sagt der Abt noch: »So muß man es machen. Wenn man ein neues Gebäude aufrichten will, so muß man zuerst den Platz von Allem, was bei'm Bauwesen hinderlich sein könnte, reinigen.« Bedarf es wohl einiger Erklärung, daß die Metapher eines neuen Gebäudes sich hier nicht auf die Musik, sondern auf den Text des Requiems des Herrn Weber bezieht, da vor diesem Requiem hundert andere existirten, die alle von einander abwichen, das heißt, deren Musik neu war, welche aber alle einen und denselben Text hatten. Endlich bemerkt noch der Abt Stadler, indem er die Stellen bezeichnet, welche Mozart in Nr. 1 seiner Todtenmesse von Händel entlehnt hat, daß Herr Weber ebenfalls die Melodie seines Agnus einer Arie aus einer alten Oper (der dumme Anton) entlehnt, und [258] setzt hinzu, daß Mozart über eben diese Arie sehr schöne Variationen gemacht habe. Dieß ist, bei meiner Ehre, Alles, was die Vertheidigung Beschimpfendes und Verläumderisches gegen die Person des Herrn Weber enthält. Demnach war es Herr Weber selbst, der in der Hitze und in seinem Aerger einen Schluß seinem Gegner in den Mund legte, den er nirgends aus der Vergleichung der beiden Artikel zu ziehen gesucht hatte. »Wie,« ruft er aus, »man klagt mich an, der Lästerer Mozart's zu sein! Man traut mir den Wahnsinn zu, eifersüchtig zu sein!« Stadler hat, wir wiederholen es, nichts dergleichen gesagt; wenn es aber Andere gesagt oder geschrieben hätten, so hätte es nur von ihnen abgehangen, den Punct, in welchem sie sich zu weit gewagt, sogleich zu ihrem Vortheile zu benützen; in eine so falsche und schlimme Lage hatte sich Herr Weber gesetzt. Auf Mozart eifersüchtig! nein, hätte man ihm erwiedern können, das wäre eine Art von Wahnsinn, deren wir weder Sie, noch sonst Jemanden auf der Welt für fähig hielten; darum handelt es sich aber auch nicht. Für Sie ist das Requiem beinahe ausschließlich das Werk Süßmayer's, eine, in einigen ihrer Grundzüge zwar sehr schöne Conception, die aber durch eine Schüler-Schmiererei möglichst verändert, verstümmelt, entstellt, durch einander geworfen und unkenntlich geworden ist53. Sie glauben ohne Zweifel im Ernst daran, weil Sie es mit gedruckten Buchstaben in Ihrem Journale aussprechen. Wenn Sie aber auch im Ernste daran glauben, so liegt keine so große Anmaßung darin, über Süßmayer einen Sieg davon zu tragen und eine Sache besser gemacht zu haben, die ein Anderer so elendiglich verdorben hat.

[259] Herr Weber war, wie ich weiter oben gesagt habe, entschlossen, den Streit auf dem Terrain seines ersten Artikels hinter den Verschanzungen seiner alten Zweifel, die keine Zweifel mehr waren, fortzusetzen. Wie sollte er es aber jetzt anstellen? Die Augenscheinlichkeit anzugreifen, die materiellen Thatsachen abläugnen, die Beschreibung des Mozart'schen Manuscripts für verfälscht zu erklären, während ein Bruchstück noch vorhanden war und ein anderes noch aufgefunden werden konnte, das war nicht möglich. Ueberdieß stand der Charakter des Abtes Stadler in zu ehrenvollem Rufe, an sein Zeugniß knüpfte sich zu viel Vertrauen. Weil man also den Stier nicht bei den Hörnern fassen konnte, so mußte man zu einer andern Taktik die Zuflucht nehmen und den Feind umgehen, das heißt: die Augenscheinlichkeit. Herr Weber entschloß sich dazu. Alles, was im Hintergrunde seiner frühern Argumentation lag, läßt sich auf folgenden Satz zurückführen, der den logischen Pfeiler bildet, und sie ganz in sich schließt. Sobald bewiesen ist, daß die Stücke und Passagen des Requiems, welche Herr Weber verurtheilte, nicht von Mozart's Hand sind, so ist ipso facto damit auch bewiesen, daß dieselben keinen Theil der Arbeit bilden, welche Mozart für die seinige auszugeben beabsichtigte; daß übrigens diese Musik, welche nicht verdiente, unter dem Namen ihres wahren Schöpfers zu erschei nen, für den Zweck, zu welchem sie bestimmt war, immer noch gut genug war. Weil aber der letzte Theil des Satzes ganz änigmatisch erscheint und man mir den Vorwurf machen könnte, daß ich in seiner Zusammenstellung ihm eine falsche Auslegung gegeben habe, so will ich seine eigenen Worte anführen. Indem Herr Weber auf einen bisher geheim gehaltenen Umstand anspielt, den aber viele Personen [260] in Wien, und wie er meint, Herr Stadler zuerst, wußten, ein Umstand, der bald für das Publicum kein Geheimniß mehr sein wird, sobald zwei Augen sich geschlossen haben werden, fährt er fort: »wird man erfahren, warum und in wie fern die unvollendete Arbeit Mozart's eine ganz andere Bestimmung hatte, als die, der Welt als ein Requiem von seiner Composition gegeben zu werden ..... Dann wird man vielleicht eine ganz natürliche Erklärung von all' dem finden, was man aus so tief ästhetischen oder so erhaben religiösen Gründen zu vertheidigen gemeint hat. Kurz, man wird über diese Geschichte viel lachen.« Das klingt noch viel räthselhafter. Ich vermag nicht bestimmt anzugeben, welches dieser geheimgehaltene Umstand ist, und worin diese lächerliche Geschichte besteht; ich glaube aber mit einiger Zuversicht, sie errathen zu haben.

Aufklärungen von einem spätern Datum als der Artikel, den wir hier durchgehen, haben einige, an und für sich freilich wenig beweisende Umstände an's Licht gebracht, welche aber, von anderen bekannten Umständen getrennt, auf die Vermuthung führen könnten, daß der Graf Waldsee, der nicht viel von der Musik verstand, dagegen aber die Manie hatte, für einen großen Kenner zu gelten, und selbst als großer Componist zu erscheinen, den Gedanken hatte, das für die Exequien seiner Gemahlin bestimmte Requiem vor der Welt als einen Beweis seiner ehelichen Trauer und zugleich seines ungemeinen musikalischen Genies erscheinen zu lassen. Eine der Bedingungen des Vertrages zwischen dem Grafen und Mozart mußte also nothwendiger Weise das Gelöbniß tiefster Geheimhaltung des Namens des Componisten sein. Herr Weber, welcher ohne Zweifel eine derartige Mittheilung erhalten hatte, ohne daß ihm jedoch erlaubt worden wäre, sie zu veröffentlichen, mußte mit vielem Vergnügen eine Hypothese [261] aufnehmen, die seinen Vertheidigungsplan, in der kritischen Lage, in welche ihn sein erster Feldzug gegen das Requiem versetzt hatte, so sehr zu Statten kam. Was ließ sich an die glückliche Hypothese nicht Alles anreihen!

Daß dieses die lächerliche Geschichte ist, auf die Herr Weber anspielt, unterliegt keinem Zweifel, wenn ich zu den bereits angeführten Worten noch einige andere beifüge, die er in sehr engem Zusammenhange mit den obigen ausspricht. »Man wird sehen, aus welchem Grunde Mozart, ohne seinem Künstlerruhme zu schaden, in der Composition des Requiems sich Vieles erlauben konnte, was er sich sonst nicht herausgenommen hätte, und warum er namentlich seine Jugendstudien54 für gut genug hielt, um sie zu den Numern 1 und 2 des Werkes zu benutzen.« Und einige Linien weiter unten: »Mozart, in welchem der göttliche Künstler und Lebemann sich vereinigt vorfanden, hatte auch menschliche Bedürfnisse; er verstand es, Geld zu gebrauchen und auszugeben, namentlich aber das voraus bezahlte Geld.«

Gestehen wir Herrn Weber eine Genugthuung zu; sie kostet uns wenig. Das Requiem soll, wie er behauptet, ein Werk sein, das Mozart nicht dazu bestimmte, oder nickt dazu bestimmen konnte, unter seinem Namen zu veröffentlichen, was im Grunde möglich, ja selbst wahrscheinlich sein kann. Geben wir selbst zu, was aber nicht der Fall ist, daß er den Grafen Waldsee autorisirt hätte, das Requiem für seine Arbeit auszugeben. Daraus folgte, daß Mozart in diesem Falle zum ersten und einzigen Male in seinem Leben als unehrlicher Mann gehandelt, und den Grafen betrogen habe; denn die versprochene Geheimhaltung [262] war im höchsten Grade verletzt. Süßmayer weiß, daß Mozart das Requiem gemacht hat; Frau Mozart weiß es; Fräulein Sophie Weber weiß es (kann man noch von einem Geheimnisse sprechen, das zwei Frauen kennen?), der Abt Stadler weiß es; Hofer, Schack und Görl wissen es, weil sie das Requiem gesungen haben; sämmtliche Mitglieder des Theaters wissen es, und folglich die ganze, große Stadt Wien; und wenn Wien es weiß, so wird bei der ersten Aufführung die ganze Welt es erfahren. Der arme Waldsee ist um seine voraus bezahlten Ducaten geprellt, aber Mozart ist dafür für sein Werk verantwortlich geworden! Einen Umstand scheint Herr Weber als Protestant ganz übersehen zu haben, dessen Gewicht aber Katholiken, römische oder griechische, nach ihrem ganzen Umfange erkennen. Für einen Menschen wie Mozart war die Composition einer Messe durchaus nicht ein bloßes Kunst- oder Geldgeschäft, sondern sie war auch ein Gegenstand der Religion. Vergessen wir nicht, denn das ist ohne Zweifel der wichtigste Punct, daß Mozart, als er die Todtenmesse schrieb, sein Ende nahen fühlte; daß er sie für sich selbst zu componiren glaubte; daß er in einem Augenblicke daran arbeitete, in dem die Ehrgeizigsten anfangen, sich nicht mehr viel um ihren Ruhm zu kümmern; daß er unter dem Einflusse der erhabensten Gedanken, der feierlichsten und zugleich furchtbarsten Eindrücke arbeitete, welche den Geist des Menschen erfassen und seine Seele im tiefsten Innern zu erschüttern vermögen: Gott, der Tod und die Ewigkeit! welches Glück für den Biographen, daß die beiden Hauptmomente, ich meine der Zeitpunct, in welchem das Requiem geschrieben wurde, und der tödtliche Zustand dessen, der es schrieb, in Folge einer für das Uebrige vergeblichen und müßigen Controverse, die Gewißheit einer historischen Wahrheit erlangt haben, welcher keines der für die [263] Ueberzeugung nothwendigen Elemente fehlt, um sie geltend machen zu können. Wenn irgend ein Zeugniß vermögend gewesen wäre, einen oder den andern dieser Momente umzustoßen, oder nur ihn zu verdächtigen, so wäre die Basis meines Buches zusammengestürzt, und ich hätte das angefangene Manuscript in's Feuer geworfen. Allein glücklicher Weise ist dieß, Gott sei es gedankt, nicht der Fall. Alle, welche mit Mozart auf vertrautem Fuße lebten, und welche sein Todtenbett umstanden, seine Wittwe, Süßmayer, Sophie Weber, Stadler, Schack und eine Menge in Wien lebender Personen, auf die sich Stadler beruft, lauter unverwerfliche Zeugen, und zwar die einzigen, die man als solche ansehen kann, beantworten die beiden großen Fragen bejahend. Ja, sagen sie, während der letzten Tage seines Lebens arbeitete Mozart an dem Requiem; die Wittwe, die Schwägerin und Stadler setzten hinzu: und er glaubte, daß er es für sich selbst componire. Was wird nach all' diesem aus der kleinen Geschichte zum Lachen, welche Herr Weber für uns in Petto behält?

Das Versprechen, eines Tages einen lächerlichen Umstand aufzudecken, konnte aber, statt der historischen Beweise gegen die Echtheit des Requiems, nicht genügen. Weil diese gänzlich fehlten, so mußte man zu neuen kritischen Beweisen seine Zuflucht nehmen, um die ersten zu verstärken, die Herrn Weber so schlecht geglückt waren. Dießmal lieferte ihm sein Gegner die Waffen selbst in die Hände. Stadler gestand ein, daß die Themas des Requiem und Kyrie von Händel herrührten. Er gestand eine Sache ein, die Herr Weber gar nicht wußte; er gestand es ohne alle Umschweife, ohne im Mindesten dazu genöthigt worden zu sein, und, wenigstens dem Anscheine nach, ganz den Interessen seiner Sache entgegen. Herr Weber beeilte sich, sogleich Händel's Werke kommen zu lassen, in welchen sich die[264] fraglichen Themas befanden, und sie den Augen aller Neugierigen in der Cäcilia vorzuführen. Man sehe, man vergleiche; sind sich beide Arbeiten nicht ganz, oder fast völlig gleich? Nachahmung Händel's, Copie von Händel, nichts als Jugendstudien nach Händel; eine Schülerarbeit, welche Mozart, der Meister, nie einem Werke einverleibt hätte, das es für das seinige auszugeben beabsichtigte. Man urtheile nun selbst, wer am meisten das Andenken an den göttlichen Meister verunglimpft hat: unsere Gegner, die ihn eines schamlosen Plagiats anklagen, oder wir, die wir diesen beschimpfenden Verdacht mit aller Macht unserer Ueberzeugung, mit dem ganzen Ernste unseres Glaubens an Mozart zurückzuweisen bemüht sind.

In dieser Art des Raisonnements des Herrn Weber liegen zwei Puncte, über die Jeder erstaunen muß, welcher nur entfernt Anspruch darauf macht, für einen Menschen zu gelten, der Musik versteht und nachzudenken pflegt. Wie kann vor Allem ein Professor der Composition und von einigem Verdienste den Unwissenden in diesem Puncte spielen? Dann, wie war es möglich, daß ein polemischer Schriftsteller, der besser als alle Anderen die Finten und Feinheiten des literarischen Zweikampfes kennen mußte, sich in einer so schlecht versteckten Falle fangen lassen konnte, wie sie der Verfasser der Vertheidigung ihm hinhielt? Hätte wohl ein alter Practicus wie Stadler, ihm aus freien Stücken die Waffen geliefert, wenn sie der Art gewesen wären, daß man einen Gegner damit hätte durchbohren können? Daran dachte Herr Weber nicht, was ihm schlecht bekam.

Wenn man sich einmal in einem Paradoxon verfangen hat, so erhitzt man sich immer mehr durch das Aufrechthalten der irrigen Ansicht; eine innere Stimme, gleichsam das geistige Gewissen, flüstert uns zuweilen zu, daß wir im Irrthume seien, aber Leidenschaft [265] und Eigenliebe lassen sie nicht aufkommen. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte sich diese innere Stimme bei Herrn Weber hören lassen; wenigstens scheint er die Unzulänglichkeit seiner logischen Waffen gefühlt zu haben; denn statt seine schlagendsten Gründe bis an's Ende seiner Beweisführung aufzusparen, wie es jeder gute Advocat zu halten pflegt, schließt er seine Vertheidigungsrede mit einem sehr ausführlich durchgeführten Bilde, in welchem er durch sechs Seiten das Requiem mit einem nicht fertig gewordenen Bilde Rafael's vergleicht, das ein Schüler desselben vollendet habe. Herr Weber hatte sich ohne Zweifel einen großen Erfolg von dieser Vergleichung versprochen, denn er verwendete die äußerste Sorgfalt auf die Ausführung derselben; er sagt uns darin alles Schöne und Vortreffliche, was uns ein Kenner der Malerei bei'm Anblicke dieses furchtbar verdorbenen Bildes hätte sagen können; dann erzählt er, wie die fanatischen, aber unwissenden Rafaelisten auf den Markt gelaufen seien, und dort das Volk aufgereizt hätten, den Kenner zu steinigen, weil der Kenner bewiesen hatte, daß er, mehr als irgend Einer auf der Welt, Rafael verstehe und bewundere. Nicht zufrieden mit diesem übertriebenen Bilde, vergleicht Herr Weber das Requiem noch mit dem restaurirten Torso eines Apollo von Belvedere und dem Laokoon, und zwar immer, was wir nicht übersehen dürfen, in der Absicht, uns zu überzeugen, daß das Requiem ein Werk sei, welches Mozart für unwürdig gehalten habe, unter seinem Namen erscheinen zu lassen! O, welches Siegesgeschrei hätte ich bei diesen herrlichen Vergleichungen ertönen lassen, wenn ich unter Stadler's Banner gefochten hätte. Aber welcher schelmische Kobold hat sie auch Herrn Weber eingeblasen, und welcher boshafte Geist hat seine Feder in dem Augenblicke zurückgehalten, in welchem er das, was er in unbegreiflicher Zerstreuung geschrieben, wieder ausstreichen [266] wollte. Ein unvollendetes Gemälde Rafael's! Erinnert dieß nicht im Augenblicke Jeden an die Verklärung Rafael's? Die Umstände bei diesem Gemälde und dem Requiem sind in der That von einer merkwürdigen Aehnlichkeit. Rafael starb in einem Alter von siebenunddreißig Jahren, ehe er das Gemälde vollenden konnte, wie Mozart in dem Alter von sechsunddreißig Jahren starb, ehe er seine Todtenmesse zu Ende gebracht hatte. Ein Schüler Rafael's war es, der das erste vollendete, gleich wie ein Schüler die zweite vollendete; die Verklärung gilt für das erste Meisterstück in der Malerei, gerade wie das Requiem für das erste Meisterstück in der Musik betrachtet wird. Gibt es wohl ein überraschenderes, oder besser gesagt, wunderbareres Zusammentreffen? Ebenso werden der Apollo von Belvedere und der Laokoon, einiger restaurirten Glieder an ihnen ungeachtet, als die schönsten Meisterwerke alter und moderner Bildhauerkunst betrachtet; auch sie stellen mit einer selten so genau zusammentreffenden Analogie die restaurirte Partitur des Requiems vor. Der Torso endlich, ein Stück der vollendetsten Ausführung, das je aus den Händen eines Bildners gekommen ist, welcher keine Zugabe moderner Arbeit enthält, stellt ebenso, gar nicht übel, das unvollendete Original-Manuscript Mozart's vor, nur mit dem einzigen Unterschiede, daß die Statue weit mehr verstümmelt ist, als die Partitur. Alles dieß stimmt auf bewunderungswürdige Weise zusammen. »Wie verhält es sich aber dann mit den gelehrten Bemerkungen des Kenners der Malerei, des Herrn Weber und der Bemerkung des Herrn Weber selbst, daß, unter allen Schöpfungen Mozart's, das Requiem die wenigst vollendete sei, und daß man es kaum ein Werk Mozart's nennen könne?« Ich habe die Verklärung gesehen, ich habe auch den Apollo von Belvedere, den Laokoon, den Torso gesehen; ich habe das Requiem mehrmals [267] gehört, und ich sage dieß nur aus dem Grunde, weil ich sehr froh bin, daß ich die Ansicht der ganzen Welt über diese erhabensten Kundgebungen des künstlerischen Genius theile.

Die neuen Argumente des Herrn Weber und die Beleidigungen, die er sich gegen den Abt Stadler, unter dem Schutze einer armseligen rhetorischen Erdichtung55 erlaubt hatte, nöthigten [268] diesem eine zweite Antwort ab. Sie erschien im Jahre 1827, unter dem Titel: Nachtrag zur Vertheidigung der Echtheit des Mozart'schen Requiems. Der Ton in dieser Broschüre, von nur achtzehn Druckseiten, ist weniger gemäßigt, als in der ersten. Stadler, der wohl einiges Recht hatte, ärgerlich zu sein, fragt die Leser der Vertheidigung, ob sie eine der Beleidigungen und Verläumdungen darin gefunden haben, über die sich Herr Weber mit so vielem Zorne und Bitterkeit beklagt. Er fragt auch darin, was Herrn Weber zu dem »salto mortale gegen das Requiem« veranlaßt habe, eine Frage, die, ich gestehe es, viel schwieriger zu entscheiden ist, als die, welche von der Echtheit und dem Ursprunge des fraglichen Werkes handelte. Einige Freunde Stadler's versuchten ihm darauf zu antworten, weil aber ihre Angaben außer der Sphäre unseres Gegenstandes liegen, und sie überdieß mehr oder minder beleidigend für Herrn Weber sind, so glauben wir sie hier übergehen zu können. Ueberdieß erklärt der Abt, daß er ihnen persönlich fremd sei. Dagegen kommen wir nun an die neuen Thatsachen und Raisonnements, welche die zweite Broschüre enthält.

Das Original-Manuscript, welches der Verfasser im Jahre einundneunzig gesehen und ganz abgeschrieben hatte, das aber gleich darauf, einiger Liebhaber wegen, zerstückelt wurde, welche die Fragmente kauften, wurde im Jahr 1827 mit Ausnahme der Nr. 1 Requiem und Kyrie wieder zusammengetragen. Alles Uebrige, nämlich Dies irae mit dem Anfange des Lacrymosa, ferner Domine, Hostias und die Fuge Quam olim, wurde, gewissermaßen als Beweisstücke in dem großen Processe, den er führte, bei Stadler niedergelegt. Zu ihm verfügte sich eine Art musikalischer Untersuchungscommission, um zu prüfen, was von der ursprünglichen Partitur des Requiems noch vorhanden wäre.[269] Diese bildeten: Beethoven, die Capellmeister Eybler und Gänsbacher, die Hofräthe v. Mosel und v. Kiesewetter, die Herren Gyrowetz, Haslinger, Carl und Joseph Czerny, der Baron Doppelhof-Dier, Mozart's jüngerer Sohn und viele Andere. »Alle erkannten sogleich Mozart's Handschrift; alle bewunderten die Präcision der (materiellen) Arbeit, die Genauigkeit der Chiffern u.s.w. u.s.w., und, nachdem sie laut ihre Befriedigung ausgesprochen, beglaubigten sie einstimmig die gewissenhafteste Wahrhaftigkeit der Nachweisungen, welche in der Vertheidigung der Echtheit des Requiems enthalten waren.«

Nach dieser, eigentlich überflüssigen Bestätigung dessen, was man zur Genüge überzeugt war, würdigte der Abt den Werth der Beschuldigung des Plagiats, dessen sich, nach Herrn Weber, Mozart schuldig gemacht haben würde, wenn er das Requiem für seine Arbeit ausgegeben hätte. Wir werden in den Grundgedanken des Raisonnements nichts ändern, dagegen erlauben wir uns, ihn mit anderen Worten unseren Lesern wieder zu geben, denen wir einige Bemerkungen beifügen wollen, wodurch die Erwiderung des Abtes den Dilettanten klarer und faßlicher werden wird. Unterrichtete Musiker vermöchten Stadler mit halben Worten zu verstehen.

Herr Weber führt seinen Lesern zwei Themas von Händel und zwei Themas des Requiems vor Augen, alle vier aber ohne ihre Ausführung. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die ersteren Mozart die zweiten geliefert haben56. Offenbares Plagiat! Herr Weber möge uns entschuldigen, aber wir können nicht umhin, [270] mit Stadler zu sagen, daß dieß seinen Lesern Sand in die Augen streuen, oder vielmehr auf ihre Unwissenheit speculiren heißt. Was will denn ein Thema einer Fuge ohne die Fuge besagen; es ist nichts als ein allgemeiner Gedanke, eine Art von Gemeinplatz, den Jeder mit vollem Rechte sich aneignen und nach seiner Art behandeln kann. Dadurch, daß Mozart einen Gedanken Händel's benützte, diesen aber contrapunctisch bearbeitete, wodurch erst der wesentliche Unterschied des Genius und des Styls der beiden Meister hervortrat, war Mozart weder Plagiarius, noch selbst nur Nachahmer; die Fuge des Kyrie ist keine Jugendstudie, oder eine Schülerarbeit, sondern ein von allen Gelehrten anerkanntes classisches Meisterwerk; es war ein Wettkampf mit Händel, gerade wie zwischen zwei großen Dichtern, denen man dasselbe Thema aufgegeben. Zu allen Zeiten war ein solches Entlehnen erlaubt und im Gebrauche gewesen. Die alten belgischen Contrapunctisten, die vor Palestrina existirten: Hobrecht, Ockenheim (Okegem), Mouton, Josquin des Prés, brachten in ihre Kirchencompositionen nicht nur Motive, die schon vor ihrer Zeit vorhanden gewesen waren, sondern, was heut' zu Tage nicht mehr erlaubt wäre, sie ließen auch Volksmelodieen mit unterlaufen, die sie als canto fermo behandelten, und mit einer Vocal-, contrapunctischen und kirchengemäßen Begleitung umgaben57. Das berühmte Lied L'homme armé zum Beispiel diente vielen Kirchencompositionen als Thema, die von berühmten Meistern des fünfzehnten und sechszehnten Jahrhunderts geschrieben wurden, wie man in Burney finden kann. Ebenso hielten es Bach und Händel mit ihren Vorgängern, und Haydn und Mozart[271] wieder mit Bach und Händel, die nun ihre Vorgänger geworden waren. Ein Engländer, dem ich tiefe musikalische Kenntnisse zutraue, hat mich auf's Bündigste versichert, daß das Motiv zu Anfange des Chores: die Himmel erzählen, das schönste in der Schöpfung, von Händel sei; und dabei ist nicht zu übersehen, daß dieses Motiv kein Thema zu einer Fuge, sondern ein sehr melodiöser Gesang ist, und an und für sich selbst einen großen Werth hat. Mozart hat sich in seinem Requiem und bei anderer Veranlassung dieselbe Freiheit ebenfalls genommen. Das Thema seines Offertoriums Misericordias Dei ist von Eberlin entnommen, den Stadler Mozart's Lehrer nennt. Wäre dieß also wohl ein Grund, dieses Meisterwerk in die Classe der Studien und Uebungen zu setzen? Ja, noch mehr; eine der bewundernswerthesten, Mozart's würdigsten Numern in der Zauberflöte, der Choral mit der ihm als Begleitung dienenden Fuge, gibt das Beispiel eines doppelten Entlehnens, was in den Augen des Herrn Weber ein zweifaches Plagiat wäre. Der Choral ist von Wolf Hainz, einem Componisten aus dem sechszehnten Jahrhundert, und in der Instrumentalfuge hat Mozart einen Gedanken Bach's vorzugsweise vor einem eigenen benützt, zu welchem er Anfangs eine Begleitung geschrieben hatte, und von dem Stadler das eigenhändige Manuscript besitzt. Das war für Herrn Weber etwas Neues, der bis dahin sich noch nicht viel mit alter Musik beschäftigt zu haben scheint. Eben so leicht hätte es ihm einfallen können, Veranlassung daraus zu nehmen, die Echtheit der Zauberflöte anzugreifen, oder zu behaupten, daß auch sie ein Werk sei, welches Mozart nicht bestimmt habe, unter seinem Namen erscheinen zu lassen. Hat endlich nicht Herr Weber das Motiv zu seinem Agnus einer alten Oper, der dumme Anton, entlehnt, und hat ihn dieß abgehalten, sein Requiem unter [272] dem Namen des Herrn Gottfried Weber erscheinen zu lassen? Ob es aber mit dieser Behauptung seine Richtigkeit hat, vermag ich nicht zu gewährleisten, weil ich nie den dummen Anton, noch das fragliche Requiem gehört habe. In sofern aber Herr Weber sich so wenig geizig mit musikalischen Citationen gezeigt hat, weil er in der Cäcilia die Themas von Händel und Mozart vor Augen geführt hat, um zu beweisen, daß beide eines wären, so hätte er wohl auch die Melodieen seines Agnus und die der Arie, welche sein Text in der Vertheidigung bezeichnete, zum Besten geben können, um zu beweisen, daß die Melodieen verschieden wären. Ganz sicher wäre dieß besser und überzeugender gewesen, als den Abt Stadler zu verunglimpfen und zu sagen, man habe sein ganzes Requiem in die Kategorie trivialer Gassenhauer gestellt. Ausdrücke, an welche der Abt nie gedacht hat, so wenig, als es ihm je eingefallen ist, irgend ein Urtheil über diese Schöpfung des Herrn Weber abzugeben.

Wir haben noch eine letzte Bemerkung Stadler's anzuführen, welche er mit aller Erfahrung und persönlichen Autorität eines gelehrten Contrapunctisten ausspricht; nämlich, daß entlehnte Themas ohne allen Vergleich viel schwieriger zu behandeln sind, als Themas von eigener Erfindung. Da Stadler's Schrift für Musiker bestimmt war, so hatte er nicht nöthig, hinzuzufügen, daß die Aneignung der Gedanken Anderer nur bei Werken, die im contrapunctischen und fugirten Styl gehalten sind, bei denen der Werth der Gedanken vorzugsweise von ihrer Entwickelung und ihrer Zusammensetzung mit anderen Motiven abhängt, erlaubt ist. Derselbe Fall trifft aber bei den Compositionen nicht zu, die zu der melodischen Gattung gehören, bei denen nämlich, bei welchen eine einzige Hauptmelodie vorherrscht, die häufig deren einziges [273] Verdienst und einzigen Reiz ausmacht. In solchem Falle nennt man das Entlehnen Diebstahl, und zwar mit vollem Rechte.

Unserer Ansicht nach hätte der Abt Stadler dabei stehen bleiben sollen. Die Ehre des Kampfes war auf seiner Seite, ohne daß er die Grenzen einer anständigen, alle Persönlichkeit verschmähenden Polemik überschritten hätte. Die Frage der Echtheit, die einzige, welche ihn anging, war gänzlich erschöpft. Nach seiner zweiten Broschüre hätte er nicht mehr auf den Gegenstand zurückkommen sollen; aber der gute alte Mann war Mensch; er fühlte die Verunglimpfung tief, die man dem ruhmvollen und unsterblichen Andenken seines Freundes zugefügt hatte; er selbst war auf's Tiefste beleidigt worden. Wie viele Gründe um eine Handlung, die er sich später erlaubte, in milderem Lichte erscheinen zu lassen, wenn nicht gar ganz zu entschuldigen! Ich meine damit die Veröffentlichung eines Briefes nach Beethoven's Tode, den dieser an Stadler geschrieben hatte, der nichts Neues über die lange besprochenen Fragen enthielt, in welchem aber Herr Weber's Requiem ein elendes Machwerk genannt wird. Dieses Urtheil, welches sich übrigens auf Nichts stützte, bewies um so weniger gegen Herrn Weber, als es den Anschein einer Gegenbeschuldigung trug. Zehn Jahre vorher hatte Herr Weber eine Symphonie von Beethoven, die Schlacht von Vittoria, kritisch beleuchtet und streng beurtheilt. Aus seinem Artikel, den ich nicht mehr vor Augen habe, ist mir nur so viel erinnerlich, daß er auf mich den Eindruck eines trefflich geschriebenen kritisch musikalischen Aufsatzes machte. Er nannte diese Symphonie ein verfehltes Werk, und das ist sie hinsichtlich der rationellen Conception und der artistischen Ausführung. In der Conception, weil man einen Feind, den man auf dem Schlachtfelde besiegt hat, nicht verächtlich und lächerlich zu machen suchen muß, was Beethoven thun [274] wollte. Der Marlborough-Marsch, der in Musik die französische Armee vorstellt, und den man im Anfange voll Geräusch und Kraft gehört hat, kommt gegen das Ende ganz verstümmelt, elendiglich, ganz in Fetzen, kaum sich noch hinschleppend, so zu sagen, den Geist aufgebend, wieder vor, so daß die Zuhörer unwiderstehlich zum Lachen fortgerissen werden. Die Symphonie war aber nicht weniger verfehlt hinsichtlich einiger ihrer Effectmittel, weil Beethoven das Orchester durch einen akustischen Apparat, eine ungeheure Maschine, verstärkt hatte, welche den Kanonendonner nachahmen sollte. Herr Weber tadelte diese Erfindung als unästhetisch, und nie war wohl ein Tadel begründeter. Das hieß die Wirklichkeit mit der künstlerischen Nachahmung vermischen, die Statue mit Seide oder Sammt drapiren, emaillirte Augen in gemalte Köpfe setzen, oder die Gewänder auf einem Gemälde vergolden. Es hätte übrigens ein Mittel gegeben, Beethoven und Herrn Gottfried Weber zu versöhnen. Hätte man ihnen nicht z.B. sagen können, daß die lutherische Messe pro defunctis des Herrn Weber gerade für die Seelen der Hingeschiedenen geschrieben worden sei, mit deren Leichnamen die am unrechten Orte angebrachte Kanone Beethoven's die Orchester-Pulte besäet habe.

Damit wissen meine Leser Alles, was man je über die Frage der Echtheit des Requiems erfahren hat, oder möglicher Weise erfahren wird; ebenso sind uns die Hauptumstände des historischen Ursprungs des Requiems bekannt. Nur muß ich bemerken, daß ich über die eine, wie über die andere Frage Aufschlüsse gegeben habe, welche zum Theil von späterm Datum sind, als der Zeitabschnitt der Controverse, zu dem wir nun gelangt sind. Ich habe dieß gethan, um in meinen Bericht eine geordnetere Reihenfolge und mehr Klarheit zu bringen, um Wiederholungen zu vermeiden, [275] und namentlich um, so viel es in meiner Macht stand, eine Abhandlung abzukürzen, die man bereits zu lang finden wird. Eigentlich könnte sich meine Aufgabe hier schließen; weil es aber in meiner Absicht liegt, einen ganz vollständigen Abriß dieser Streitsache zu liefern, welche drei bis vier Jahre lang so großes Aussehen erregte, so muß ich, mit einem Muthe gewaffnet, den meine Leser vielleicht nicht haben, dieselbe bis an's Ende verfolgen, den Kelch bis auf die Hefe leeren, und von den reellen Entdeckungen sprechen, auf welche man in Folge des Artikels der Cäcilia stieß. Diese Entdeckungen waren zwar bedauerlicher Art, aber ganz verschieden von denen, welche Herr Weber durch seinen Kreuzzug gegen das Requiem von Mozart zu machen gehofft hatte.

Die Nachweise, um die er gebeten hatte, kamen ihm in Masse zu. Gleich einem Schneeball, der auf seinem Wege immer größer wird, so häuften sie sich von Numer zu Numer in der Cäcilia. Bald bildeten sie eine colossale Anhäufung von Erzählungen, Muthmaßungen, mystischen Mittheilungen, nebelhaften Offenbarungen, Sagen und widersprechenden Aufklärungen, zwischen welchen man Anfangs nicht klarer als in dem Chaos zu sehen vermag. Es wäre Grausamkeit, den Leser Schritt für Schritt durch diese Finsterniß zu führen, über welche das Wort: es werde Licht nun schon seit langer Zeit ausgesprochen worden ist.

Vor Allem muß ich auf einen Umstand aufmerksam machen, daß nämlich viele der Personen, an welche das Rundschreiben des Herrn Weber's gerichtet war oder gerichtet werden konnte, und welche gerade die best Unterrichteten waren, in ihren Erwiderungen Geheimhaltung entweder ihres Namens, oder auch eines Theiles oder gar des Ganzen ihrer Mittheilungen verlangten. Einige wollten sogar, daß das Publicum gar nicht erfahre, daß sie Herrn [276] Weber geantwortet haben, was zwar dem Verfasser des Rundschreibens sehr unbequem zu sein schien, was wir aber heut' zu Tage vollkommen zu begreifen im Stande sind. Diese Männer hatten entweder Mozart gekannt, oder hatten sie Geschäfte halber mit einer Person zu thun gehabt, die ihm durch die engsten Bande angehört hatte. Ihr sehr natürlicher Widerwille, etwas aufzudecken, was diese Person ziemlich stark compromittirt hätte, schloß ihnen den Mund, oder brachte in ihre Antworten jenen Zwang und jene Verlegenheit, die wir bereits in einigen Mittheilungen des Abtes Stadler wahrgenommen haben. Uns hingegen, die diese Rücksichten nicht binden, kann Nichts abhalten, die Wahrheit bekannt zu machen, wie hart es uns auch ankommen mag, sie auszusprechen.

Unter den besser Unterrichteten, welche auf das Rundschreiben sich eingelassen hatten, finden wir auch einige, die durch eben diese Rücksichten gebunden waren, und die, statt zu schweigen oder die Wahrheit entweder ganz oder theilweise zu sagen, das Publicum zu hintergehen suchten, indem sie halbe Mittheilungen machten und Hypothesen voranstellten, die, wie sie besser als irgend Jemand wußten, sich auf gar Nichts gründeten und die Fragen noch mehr verwirrten, welche sie aufzuklären berufen waren. Unter denen, welche diesen Ausweg ergriffen, müssen wir vor Allem Herrn André , Musikalienhändler in Offenbach nennen.

Herr André , der im Jahre neunundneunzig in Wien war, hatte beinahe alle Manuscripte gekauft, die sich in Mozart's Nachlasse vorfanden. Die Wittwe hatte ihm den Vorschlag gemacht, auch das Ori ginal-Manuscript des Requiems zu kaufen, das lange in den Händen dieses Verlegers blieb, und welches er wahrscheinlich auch mit nach Offenbach nahm. Aus Gründen, welche man nicht kennt, erstand aber Herr André dasselbe nicht, [277] denn das Manuscript wurde in einzelnen Numern an Liebhaber oder Speculanten in Wien verkauft und von diesen ohne Zweifel sehr oft wieder verkauft, colportirt und verschachert, ehe es Eigenthum der jetzigen Besitzer wurde. Wie ganz natürlich, war auch eines der Rundschreiben an Herrn André gerichtet worden. Seine Antwort lautete sehr sonderbar. Er meinte darin, oder that wenigstens dergleichen, daß das Requiem ein Werk wäre, das vor dem Jahre 1784 begonnen worden sei, und das Mozart nicht habe vollenden wollen. Wollte sich Herr André über Herrn Weber oder über das Publicum durch diese Behauptung lustig machen58?

Ich will den Hauptinhalt einiger anderer, späterer und traurig seltsamer Nachweisungen von Seiten dieses Verlegers geben, wobei ich aber den Leser und mich selbst mit einer Menge überflüssiger Einzelnheiten und auffallender Widersprüche verschonen, und nichts sagen werde, als was sich begreifen, zusammenräumen, oder mehr oder weniger errathen läßt.

Herr André verließ Wien, ohne, wie es scheint, hinsichtlich des Requiems etwas abgeschlossen zu haben. Unterdessen erschien die Leipziger Ausgabe59, und fast zu gleicher Zeit sehen wir von Seiten des Herrn André die Unterhandlungen wieder anknüpfen, [278] da er einen Clavier-Auszug veranstalten wollte. In einem Briefe vom 28. November 1800, trägt ihm die Wittwe nicht mehr den Ankauf des Original-Manuscripts des Requiems, sondern das vollständige und schon zweimal verkaufte Werk60 an, von dem sie mehrere Exemplare besaß. Weil der Umstand des ersten Verkaufes an Breitkopf und Härtel nothwendiger Weise auf den Ankaufspreis seinen Einfluß üben mußte, so bemühte sich Frau Mozart, Herrn André zu überzeugen, daß die Copie, nach welcher die Leipziger Ausgabe gefertigt worden sei, von den gröbsten Fehlern wimmle, daß sie aber eine andere, correctere und von kunstgeübter Hand durchgesehene besitze (?)61; daß in diesem Exemplar die Mittelstimmen anders geschrieben seien, was sie zu dem Glauben veranlasse, daß der Fortsetzer (Süßmayer) sie zweimal componirt habe(!!) Alles dieß ist, wie man sieht, für Süßmayer und selbst für den Abt Stadler nicht sehr schmeichelhaft. Was die Behauptung anbelangt, daß Süßmayer, der allem Anscheine nach bereits mit Frau Mozart schlecht stand, die Mittelstimmen des Exemplars, das der Frau Mozart gehörte, ganz gegen die Ansicht des Meisters geändert haben soll, so halte ich mich bei derselben gar nicht auf, um so mehr, als diese Behauptung, in der Form des Zweifels vorgebracht, noch viel abgeschmackter erscheint. Man würde mit den widrigen Ungereimtheiten, die sich auf der Linie dieser bedauerungswürdigen Aufschlüsse vorfinden, gar nie in's Reine kommen. Dagegen verdient ein anderer [279] Punct unsere Aufmerksamkeit, das sind die Verbesserungen, die eine kunstgeübte Hand, die weder die Süßmayer's, noch Stadler's war, in der Partitur des Requiems gemacht haben soll. Veränderungen waren damit gemacht worden, oder sollten vorgenommen werden, das ist sicher, weil man sie, und zwar mit Details Herrn André angegeben hatte. Ein Musikverleger und guter Musiker wie Herr André wird ohne Zweifel nichts Dringenderes zu thun gewußt haben, als sich von diesen Abänderungen durch Collationiren mit der Leipziger Ausgabe zu überzeugen, als ihm das neue Manuscript zwei Monate hernach zugeschickt wurde. Auf diese Weise hat sich Frau Mozart vielleicht unfreiwillig zur Mitschuldigen einer unwürdigen Entweihung gemacht. Sollte diese kunstgeübte Hand, die sich aber gleich der Hand eines Diebes verbirgt, und welche in dem Augenblicke, in welchem sie die Feder ergriff, hätte verdorren sollen, nicht am Ende die Veranlassung der (übrigens ziemlich unbedeutenden) Abweichungen sein, die man in den verschiedenen Copieen und Aus gaben des Requiems findet, und welche Herr Weber mit unter die Beweise gegen die Echtheit dieser Composition aufnimmt62. In ihrem Briefe empfahl [280] Frau Mozart noch das tiefste Stillschweigen über die Nichtvollendung und den Antheil, den ein Anderer an der Arbeit, an dem Requiem gehabt, was Herr André auch genau befolgte. Sechsundzwanzig Jahre lang glich das Geheimniß dem in der Komödie, wie sich Herr Sievers ausdrückt, und der unausforschbare Verleger schwieg noch immer.

Während sich die Sache einerseits auf diese Weise gestaltete, hatte Süßmayer die berüchtigte Erklärung vom September 1800 an Breitkopf und Härtel geschickt, die sie im Laufe des darauf folgenden Jahres veröffentlichten. Das war nun freilich für die Wittwe und Herrn André ein unangenehmer Zwischenfall. Ich meine, daß man ohne zu großen Scharfsinn die sich kreuzende Handlungsweise dieser Personen leicht errathen kann. Frau Mozart läßt durch eine kunstgeübte Hand auf ihrem Manuscript Fehler corrigiren, die nicht vorhanden sind, weil ein im Rufe größerer Correctheit stehendes Werk auf eine höhere Bezahlung von Seiten des Verlegers Anspruch machen kann; Herr André hält das gelobte Stillschweigen, weil ein ganz von Mozart herrührendes Werk sich besser absetzt, als eines, das halb von Mozart und halb von Süßmayer herrührt. Der Letztere endlich, ein junger Componist, der sich erst einen Ruf in der Welt gründen muß, läßt sich den leicht erworbenen Ruhm nicht rauben, den ihm die Vollendung eines wundervollen Meisterwerkes verschafft hat. Die Wittwe speculirt auf Kosten des Herrn André , Herr André speculirt auf Kosten des Publicums; Süßmayer, glücklicher als Beide, gelingt es, ganz Europa zu mystificiren, indem er es die ganze Wahrheit beinahe wissen läßt. Nur die Herren Breitkopf[281] und Härtel handeln in dieser Sache loyal. Keine Furcht, ihrem Interesse zu schaden, hält sie ab, eine Erklärung zu veröffentlichen, die der Art war, daß sie für den Absatz und den Nutzen an dem Werke befürchten mußten, von welchem sie sich als die ersten Erwerber ansehen konnten.

Sechsundzwanzig Jahre später, im Jahre 1826 nämlich, werden neue Unterhandlungen in Betreff des Requiems zwischen Herrn André in Offenbach und Frau Mozart, die unterdessen Frau v. Nissen geworden war, angeknüpft. Herr André bekommt wieder einen Brief, dießmal aber nicht von der Frau, sondern von Herrn v. Nissen, was, wie der Leser denken wird, auf Eins herauskommt. Nicht so ganz; denn im ersten Briefe habe ich etwas verstanden, und habe mich bemüht, mich verständlich zu machen. Der zweite geht aber ganz über mein Fassungsvermögen. Herr v. Nissen war Diplomat; ich habe dieselbe Laufbahn eingeschlagen, und glaube auch etwas von den doppelsinnigen Phrasen, den langen Umschreibungen, Uebergehungen und anderen Feinheiten des Métiers zu verstehen; aber zu meiner Schande muß ich gestehen, daß ich außer Stande war, aus diesem Briefe eines Collegen einen Gedanken, ein Raisonnement, eine Mittheilung, ein Zugeständniß, ein Gesuch oder irgend etwas herauszulesen. Es scheint, daß die Unterhandlung ebenso kitzeliger als zarter Natur war, und daß die Umstände den höchsten Grad von Aufmerksamkeit erforderten. Herr v. Nissen entwickelte seine ganze Gewandtheit. Trotzdem, daß ich kein Wort von dem Briefe verstehe, so glaube ich doch, eine tief durchdachte diplomatische Absicht darin zu wittern, vermöge welcher er so und nicht anders abgefaßt war, und wäre dieß am Ende nur meiner gekränkten Eigenliebe wegen. Herr André hatte geglaubt, Alles gesehen zu haben, was man von Manuscriptstücken von dem Requiem besaß. Wer konnte[282] wissen, was ihm davon schon zu Gesichte gekommen war. Es handelte sich also darum, Herrn André zu überzeugen, daß er noch nicht Alles gesehen habe, und daß man noch mit Einigem zurückhalte. Aus diesem Grunde hüllt Herr v. Nissen, mit sehr vieler Kunst, die glückliche, natürliche Dunkelheit seines Styls als Unterhändler in noch tieferes Dunkel, verwirrt die Ausdrücke, Original und Copie so gut, daß die an und für sich sehr klaren Gedanken sich bald in dem Geiste des Lesers verwirren. Es regnet Originale aus der Feder des Herrn v. Nissen. Zuerst sind die zerstückelten Blätter der Partitur Mozart's Original; es gibt ein Original des Anonymus (des Grafen Waldsee); ein Original, das für die Leipziger Ausgabe benützt worden war; ein Original des Herrn André, dessen Numern mit M. und S. bezeichnet sind; endlich gibt es ein Original, das viel mehr Original als alle diese ist, welches im Jahre 1826 erst zehn Jahre zählte, und das in folgender, noch viel originaleren Weise beschrieben ist. »ein Original, das zu Hause und auf Reisen von Vielen durchblättert, wer weiß, ob nicht gar auf Stündchen, und wenn auch etwa nur von einem Zimmer in das nächste ausgeliehen, Schicksale gehabt haben kann, und früheren Verstümmelungen unterworfen gewesen ist, deren Wirklichkeit von den Eigenthümern vermöge ihrer Ungelehrsamkeit, nicht sichtlich oder gar nicht zu entdecken war.« Sind wir nun mit den Originalen zu Ende? Noch nicht; denn es bleibt uns noch die vereinigte Ur-Partitur übrig, die, wie ich meine, das Hauptoriginal ist, der Köder, an welchem Herr André mit seiner Börse anbeißen sollte. Was versteht man aber unter einer vereinigten Ur-Partitur? Das mögen Gott und die Contrahirenden allein wissen.

Dabei dürfen wir nicht übersehen, daß diese schöne Correspondenz des Herrn und der Frau v. Nissen mit Herrn André der [283] Letztere veröffentlicht hat. Warum hat er es aber gethan? Warum? weil nach sechsundzwanzig Jahren eines beispiellosen Schweigens man ihn seiner Schwüre entbunden habe, sagt er uns; wir aber sagen, weil Dame Cäcilia ihn am Ohre genommen und ermahnt hatte, das zu sagen, was er wisse. Herr André in Offenbach wollte ebenso den Diplomaten spielen, wie Herr v. Nissen; auch er machte Anspruch darauf, zwei Wahrheiten zu besitzen, wovon er die gute für sich behielt und die andere dem Publicum Preis gab; weil aber Herr Andr é kein Diplomat war, so fing er damit an, Nichts zu sagen, was sicher kein schlechter Anfang war, und schloß damit, daß er nicht mehr wußte, was er sagte, was einem Diplomaten durchaus nicht zu verzeihen ist.

Unter allen Zeugnissen, welche sich in der Cäcilia vorfinden, ist ohne allen Vergleich das des Herrn Krüchten, Landes-Advocaten in Pesth, das wichtigste, dem Herr Weber sein Rundschreiben nicht zugesandt hatte, weil er ihn gar nicht kannte, der ihm aber aus eigenem Antriebe ganz authentische und sehr genaue Details über die Entstehung, und selbst über die erste Aufführung mittheilte. Herr Krüchten scheint in dem Hause des Grafen Waldsee ein sehr vertrauter und nothwendiger Mann gewesen zu sein. Von einigen seiner Mittheilungen verlangte er, daß sie geheim gehalten würden, wogegen er Herrn Weber bevollmächtigte, die übrigen, die mit einer umständlichen Genauigkeit und fast in der Form eines Gerichtsprotocolls abgefaßt sind, zu veröffentlichen. Die Gräfin von Waldsee, sagt er uns, war 1791 in Stuppach, einem Landgute in Unter-Oesterreich, beiläufig vier eine halbe Post von Wien, dem gewöhnlichen Wohnorte des Grafen, gestorben. Dieser, ein leidenschaftlicher Musikfreund, beauftragte seinen Verwalter Leutgeb, bei Mozart ein Requiem für die Exequieen seiner Gemahlin zu bestellen; aus gewissen Gründen [284] (die sich nicht mittheilen lassen) erhielt aber Leutgeb den Befehl, den Auftraggeber nicht zu nennen, der auf diese Weise Mozart unbekannt blieb. Nachdem die Partitur dem Boten übergeben worden war, ließ der Graf das Werk in Wienerisch-Neustadt, im Hause des nun verstorbenen Herrn Obermayer, Arzt des Grafen Waldsee und Onkel des Herrn Krüchten probiren. Die Mitglieder der Familie Obermayer, die alle sehr gut musikalisch waren, nahmen an der Aufführung Theil, so wie auch ein Herr Trapp, Dirigent eines Musikchors, mit dem Personale, dem er vorstand, und mehrere Dilettanten des Ortes. Therese, die älteste Tochter des Arztes, sang den Sopran in dieser Probe sowohl, als bei der Aufführung des Requiems für die Exequien der Gräfin Waldsee, die in Wienerisch-Neustadt unter großen Feierlichkeiten in der Kirche der Cistercienser-Abtei (gewöhnlich Neukloster genannt) stattfanden.

So viel sich Herr Krüchten erinnert, fand die Aufführung des Requiems im Spätherbste des Jahres 1791, das heißt also vor Mozart's Tode statt, wie es Herr Weber auffaßt.

Alle Wahrscheinlichkeiten, die dazu beitragen, das, was man eine moralische und historische Gewißheit nennt, zu bilden, vereinigen sich hier zu Gunsten des Zeugnisses des Herrn Krüchten. Wir sehen in ihm einen Mann, dem kaufmännische Calculationen in diesen Angelegenheiten eben so fremd waren, als jene kleinlichen Interessen und Rücksichten, welche auf die Sprache der Musiker von Gewerbe Einfluß üben mußten, sei es um der Wittwe, sei es um Herrn Weber's willen, dessen Collegen, gute Freunde oder Gegner sie waren. Herr Krüchten ist ein Beamter; er hatte weder mit Mozart noch mit der Wittwe in Verbindung gestanden, dagegen kennt er die Verhältnisse des Grafen von Waldsee ganz genau. Seine Angabe trägt den Charakter vollkommenster [285] Echtheit; sie klingt fast wie actenmäßig, so genau sind Personen und Orte genannt und bezeichnet. Sein Onkel Obermayer, in dessen Hause die erste Probe stattgefunden hatte, stand ebenfalls in öffentlichen Functionen; er war Landesphysikus und Civilarzt im Cadettenhause in Neustadt. Endlich lebte Therese, Obermayer's Tochter, die bei dieser Probe und bei den Exequien der Gräfin den Sopran sang, damals noch, als Herr Krüchten seine beiden Briefe an Herrn Weber schrieb, die vom December 1825 und Januar 1826 datirt sind.

Zwei Dinge könnten uns in diesen im Uebrigen so zufrieden stellenden Mittheilungen aufhalten. Der erste und bedenklichste Umstand ist der, daß Graf Waldsee, der Mozart unbekannt bleiben will, Leutgeb zu seinem Besteller ausersieht, welchen der Meister kannte, weil er ihm zu verschiedenen Zeiten mehrere Werke componirt hatte, wovon eines, ein Concert für das Waldhorn, sich in dem thematischen Kataloge mit dem Namen dieses Mannes eingetragen findet63. Wenn also Mozart diesen Leutgeb kannte, so ist auch alle Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß er wußte, in welchen Diensten er stand, und zwar um so mehr, weil Graf Waldsee, fast an den Thoren vor Wien lebend, wie es scheint, sehr reich, ein großer Musikfreund war, und auf großem Fuße lebte, da er eine eigene Capelle besaß, und folglich keine Person sein konnte, von der ein Musiker in Wien nie hätte sprechen hören sollen. Einige Correspondenten machten auf diesen Umstand aufmerksam, wogegen andere Zeugen behaupteten, daß nicht Leutgeb, sondern der Graf selbst nach Wien gekommen sei und incognito das Requiem bestellt habe. Daß aber Mozart den Grafen nie gesehen haben sollte, erscheint sehr unwahrscheinlich. Ich glaube[286] vielmehr, daß Waldsee seinen Verwalter beauftragte, einen untergeordneten Vertrauten zu dieser Commission zu verwenden. Die erste Schwierigkeit ist, wie man sieht, nicht schwer zu heben. Die zweite besteht eigentlich nur in Herrn Weber's Augen, der aus dem Zeugnisse des Herrn Krüchten schließen will, daß die Partitur zu Mozart's Lebzeiten vollendet gewesen sei, da die Aufführung des Requiems im Herbste des Jahres 1791 stattgefunden habe, während Mozart erst den 5. Decbr. desselben Jahres gestorben sei. Herr Krüchten sagt aber nicht, durch wen die Partitur dem Boten des Grafen übergeben worden sei, und dann ist der Ausdruck Spätherbst von den Worten, so viel ich mich erinnere, begleitet, der einzigen zweifelhaften Wendung, der er sich bei seiner sonst so positiven Darstellungsart bediente. Doch gehen wir weiter und geben wir zu, daß sein Advocaten-Gedächtniß sich nicht um einige Wochen hinsichtlich einer Musikprobe gestoßen habe, die vor fünfunddreißig Jahren stattgefunden; vergessen wir aber dabei ebenfalls nicht, daß Herr Krüchten im Styl eines Anwaltes schreibt, und zwar ganz mit derselben Genauigkeit, mit welcher Proceßacten abgefaßt werden, so werden wir finden, daß er unter Spätherbst die Zeit bis zum 22. December verstehen konnte, an welchem Tage im westlichen Europa der Herbst erst sein Ende erreicht. Es klingt fast lächerlich, ich weiß es, einen Einwurf gegen die Nichtvollendung des Requiems bekämpfen zu müssen, während doch dieser Umstand so erwiesen wie irgend einer auf der Welt dasteht. So viel steht fest, wenn wir Herrn Krüchten glauben wollen, und es ist nicht möglich, ihm die Glaubhaftigkeit zu versagen; soviel steht fest, sage ich, daß das Requiem unmittelbar nach dem Tode seines Componisten aufgeführt worden ist. Auch die Wittwe bestätigt es, wie wir weiter unten sehen werden, daß unmittelbar nach dem Tode ihres Gatten der Bote [287] gekommen sei, um die Partitur zu verlangen, welche man ihm auch sogleich ausgefolgt habe. Dieß schneidet die Frage durch, gleich Alexander's Schwert den gordischen Knoten; das ist hauptsächlich entscheidend; das spricht für die Echtheit des Werkes durch Beweise, die noch weit über die des Abtes Stadler gehen, denn sie rauben Süßmayer selbst den Schatten eines Antheils an den drei ersten Theilen des Requiems. Die Schlüsse, die ein Kind aus dem von Krüchten angegebenen annähernden Datum ziehen könnte, werden wir uns bis zu Ende unserer Folgerungen aufheben, die sich demnach auf das parteiloseste, wichtigste und glaubwürdigste unter allen Zeugnissen stützen werden, welche die Cäcilia gesammelt hat.

Ich durchlief seiner Zeit das endlose Labyrinth dieser Controverse, abwechselnd von tödtlicher Ungeduld, leidenschaftlicher Neugierde und bitterer Täuschung gequält, welche nur Menschen, die die Musik über Alles lieben, zu begreifen vermögen. Ich war gerade daran, die geistreiche Broschüre des Herrn Sievers: Mozart und Süßmayer64, die im Jahre 1828 erschien, zu lesen, als die musikalischen Zeitschriften eine neue Biographie Mozart's, von seiner Wittwe herausgegeben, ankündigten. Man denke sich meine unaussprechliche Freude! Endlich, sprach ich zu mir selbst, wird sich Alles aufklären. Endlich, nach mehr als einem Drittel Jahrhundert, hat man sich entschlossen zu beichten; doch besser spät als gar nicht. Es ist von Wichtigkeit, daß man sich erinnert, daß das Werk des Herrn v. Nissen im Jahr 1828 erschien, also ungefähr drei Jahre nach dem Artikel in der Cäcilia, [288] der so viele andere Artikel hervorrief. Herr v. Nissen war im Jahre 1826 gestorben, allein man hatte seine Arbeit augenscheinlich bedeutend vermehrt, was um so leichter war, als sein Buch nichts als eine Zusammenstellung von noch überdieß schlecht geordneten Materialien ist. Man könnte bei diesem Werke wegnehmen, hinzusetzen, ändern, kurz Alles, was man wollte mit ihm vornehmen, ohne daß die Eintheilung desselben im Mindesten Noth litte. Die Redaction des Herrn v. Nissen, wenn man den Mangel an aller Redaction so nennen kann, ist ihrer ganzen Natur nach nicht über den Haufen zu werfen. Die Personen, welche der Wittwe bei der Veröffentlichung einer Biographie Mozart's an die Hand gingen, konnten sicher nicht in Unwissenheit hinsichtlich der, Mozart betreffenden, Fragen sein, die damals mit so vielem Aufsehen abgehandelt wurden, und Herrn v. Nissen, den Verfasser eben dieses Buches, so schwer compromittirten. Was konnte man von einem Werke dieser Art Anderes erwarten, das unter solchen Umständen und Auspicien erschien, als entweder eine freimüthige und unumwundene Aufklärung über Alles, was man seither verborgen hatte, oder, vorausgesetzt, daß nichts verborgen worden wäre, eine positive Zurückweisung aller dieser scandalösen Sagen, die durch alle musikalischen Zeitschriften weiter verbreitet wurden, und welche ebenso den Ruhm der Todten als den Ruf der Lebenden beeinträchtigen. Ich war fest überzeugt, das Eine oder das Andere darin zu finden. Endlich bringt man mir das lang gewünschte Buch; seine Dicke preßt mir einen Freudenschrei aus; es hat beinahe 1000 Seiten mit 38 Linien auf jeder. Welches Glück! es wird mich über Alles aufklären. Ich beginne mit dem Bande, ich lese, ich verschlinge ihn, und stoße auf der letzten Seite auf Herrn v. Nissen's Grabschrift, welche ich eigentlich [289] nicht gesucht hatte; hierauf, in der Meinung, einen bösen Traum gehabt zu haben, fange ich von vorne wieder an; durchlese und durchblättere die tausend Seiten von Neuem; vergesse nochmals Essen und Schlafen, und finde mich zuletzt wieder bei den Trauerworten der Frau v. Nissen, die auf das Monument des Herrn v. Nissen eingegraben sind! Nein, ich hatte nicht geträumt! Keine Phrase, kein Wort, keine Silbe über Fragen, die ein wichtiges Capitel hätten ausfüllen sollen!! Alle die Puncte, welche in die Controverse hereingezogen wurden, sind darin ohne allen Commentar, mit einer bemerkenswerthen Kürze, einer vollkommenen Ruhe und im Tone einfacher Bestätigung erzählt, wie wenn nie ein Zweifel über irgend etwas rege geworden wäre. Herr Weber und sein Journal finden sich nirgends genannt, ja nicht einmal nur angedeutet. Völliges Stillschweigen über die Einzelnheiten, welche die Debatten, seit den drei Jahren, welche sie schon dauerten, aufgedeckt hätten; dagegen aber die handgreiflichsten Widersprüche, die empörendsten Unwahrheiten! Ich weiß nicht, ob die Annalen der Literatur ein Beispiel von einer weiter getriebenen Frechheit aufzuweisen vermögen. Gewiß, es wäre ein grausames Unrecht, alles dieß einer armen, alten, in der Literatur schlecht bewanderten, Frau von siebenzig Jahren zur Last zu legen, die nicht Alles gelesen haben mag, was man sagen und drucken ließ. Heu v. Nissen hat noch weniger Antheil daran. Wenn er auch kein bedeutender Schriftsteller war, so war er doch ein Mann von ehrenwerthem und allgemein geschätztem Charakter. Die Schilderhebung gegen das Requiem hatte kurze Zeit vor seinem Tode begonnen; er kannte wahrscheinlich einige Einzelnheiten selbst nicht, und jeden Falls hätte er seinem Buche noch ein Capitel beigefügt, das demselben unentbehrlich geworden war. Die Schmach fällt also einzig denjenigen zur Last, welche die Veröffentlichung[290] leiteten, und welche weder ich, noch meine Leser kennen zu lernen wünschen werden.

In dem Sammelwerke des Herrn v. Nissen ist das Historische des Requiems auf das Wenige beschränkt, was wir im sechs und zwanzigsten Capitel unserer Biographie erzählt haben, und was wir als wahr oder wenigstens der Wahrheit sehr nahe kommend betrachten. Nach dieser kurzen Erzählung findet man aber noch Folgendes: »Gleich nach Mozart's Tode meldet sich der geheimnißvolle Bote, verlangte das Werk, so wie es unvollendet war, und erhielt es. Von dem Augenblicke an sah ihn die Wittwe nie mehr und erfuhr nicht das Mindeste, weder von der Seelenmesse, noch von dem unbekannten Besteller. Jeder Leser kann sich leicht vorstellen, daß man sich alle Mühe gab, den räthselhaften Boten auszuforschen, aber alle Mühe und Versuche waren fruchtlos.« Unsere Leser dagegen sehen schon, daß diese so bestimmten, mit so vieler Zuversicht aufgestellten Behauptungen, zwei Hauptunrichtigkeiten enthalten. Wir wissen bereits, daß nicht das unvollendete Manuscript Mozart's, sondern die von Süßmayer vervollständigte Partitur dem Boten des Grafen Waldsee übergeben wurde. Das Mozart'sche Manuscript konnte nicht zur Aufführung benützt werden, weil die vier letzten Numern, ferner ein Theil des Lacrymosa fehlten, und die Instrumentation nicht vollständig geschrieben war. Der Anonymus würde es so zurückgeschickt und sein Geld wieder verlangt haben. Eine zweite, wo möglich noch viel augenfälligere Unrichtigkeit, findet einen förmlichen Widerspruch, und zwar wo? wird man mich fragen. In dem Werke des Herrn v. Nissen selbst. »Von dem Augenblicke der Uebergabe der Partitur an hörte man weder mehr von der Todtenmesse sprechen, noch von dem Unbekannten, welcher demnach immer unbekannt blieb.« Dieß lies't man Seite 566 des ersten Theiles des Sammelwerkes, [291] und folgendes steht auf den Seiten 169 und 170 in dem Anhange zu demselben: »Als Breitkopf und Härtel das Requiem herausgeben wollten, baten sie die Wittwe um ihre Copie; sie hätten schon mehrere; das Werk wäre bekannt, sie wünschten es nach der besten Copie herauszugelen. Herausgegeben wäre es immer worden: die Wittwe mußte zu Ehren ihres Mannes wünschen, daß dieß nach der besten Copie ihres Mannes geschehe: über zehn Jahre war das Werk schon alt. Sie gab ihre Copie her. Indessen meldete sich der unbekannte Besteller des Requiems, Graf v. Waldsee (damals auf seinem Landgute Stuppach in Unterösterreich), durch den Wiener Advocaten Sortsch an, beschwerte sich höchlich, drohte und erbot sich, mit mehreren abgeschriebenen Musikalien zum Ersatze sich begnügen zu wollen, die er auch erhielt.« Wir begreifen nun, warum der Anonymus einen berühmten Advocaten und keinen gewöhnlichen annahm; es handelte sich darum, Diejenigen gerichtlich zu verfolgen, welche sein Eigenthumsrecht beeinträchtigt hatten. Bei dieser Veranlassung erfahren wir auch den Namen, Rang und Wohnung Dessen, der stets unbekannt geblieben war. Aber außer diesen zwei Umständen, welche diese Stelle aufklärt (den Auftrag des Advocaten und das Incognito des Bestellers), den einen, um den Preis eines demüthigenden Geständnisses, den andern, durch das Einflechten einer groben Lüge, wie viele andere Umstände, sucht eben diese Stelle dunkel zu machen oder zu verfälschen. Wie geschraubt ist Alles in diesen schlecht geschriebenen, nur in einer Anmerkung hingeworfenen Linien, in denen jedes Wort genau abgewogen ist, in der Absicht, einen begangenen Fehler zu rechtfertigen, den man nicht mehr verbergen kann, und aus welchem Grunde man die verschiedenen Epochen unter einander zu bringen und die Thatsachen zu verwirren sucht, Alles aber, ohne [292] daß es den Anschein davon haben soll. Nicht 1801, sondern 1792 oder spätestens 1793 war das Requiem an Breitkopf und Härtel verkauft worden. Nicht Br. u.H. hatten von der Wittwe eine Copie des Requiems verlangt, sondern die Wittwe war es, die ihnen diese Copie zusandte, noch ehe sie eine Ahnung von dem Vorhandensein eines Requiems von Mozart hatten; die Wittwe, welche bald darauf nach Leipzig kam, um mündlich mit diesen Verlegern zu unterhandeln65. Es war bei der Veröffentlichung des Handels von Wichtigkeit, glauben zu machen, daß das Werk wenigstens schon zehn Jahre alt sei, weil es sonst eine Ungereimtheit gewesen wäre, Breitkopf und Härtel sagen zu lassen, daß sie mehrere Copieen von dem kaum fertig gewordenen Werke besäßen, und das vollständige Werk nur in drei Exemplaren existire, wovon man eines dem Grafen Waldsee geschickt hatte, und zwei andere betrügerischer Weise in den Händen der Wittwe geblieben waren. Endlich datirt sich der Auftrag des Advocaten Sortsch ebenfalls nicht aus unserem Jahrhunderte. Der Abt Stadler sagt uns, daß der berühmte Advocat kurz nach Mozart's Ableben sich gemeldet habe, wahrscheinlich also gleich, nachdem Waldsee den Verkauf des Requiems an die Verleger in Leipzig erfahren hatte.

Aber selbst angenommen, daß zur Zeit dieses Verkaufes, den man um acht bis neun Jahre später geschehen läßt, unrechtmäßiger Weise gemachte Copieen in Circulation waren, und daß es unmöglich war, deren Veröffentlichung zu verhindern, so findet man die Wittwe in die Lage zwischen zwei Pflichten versetzt, welche sich nicht mit einander vereinigen lassen. Einerseits mußte sie zur Ehre des Hingeschiedenen wünschen, daß die Ausgabe nach dem correctesten Manuscript veranstaltet werde, andererseits [293] verbietet ihr das ausschließliche Recht Waldsee's, das Manuscript einem Musikalienhändler zu überlassen. Das Uebel ist aber geschehen, ohne daß sie die Schuld daran getragen hätte; das Werk wird entstellt, unkenntlich erscheinen; der große Name Mozart's wird wie an einem Schandpfahle davor stehen. Nun blieb keine Wahl mehr übrig; sie liefert das correcteste nach dem noch correctern Manuscript, das sie für Herrn André in Offenbach aufbewahrt, aus. Mögen nun Client und Advocat kommen; mögen sie ihre Stimmen vor Gericht noch so laut erheben; die Wittwe erwartet sie, sie ist vorbereitet. Mit einer Hand deutet sie nach dem Himmel, wo ihr Gatte wohnt, mit der andern auf die Partitur des Requiems, welche ohne einen frommen Betrug für die Christenheit verloren gewesen wäre. Und Alle zollen Beifall, das Publicum, die Anwälte und die Richter. Selbst der berühmte Advocat, der seine donnernde Rede bereits fertig hat, wischt sich eine Thräne ab, indem er sich anstellt, als nähme er eine Prise Taback.

Die Erklärung des Räthsels, welches die beiden, unseren Lesern vorgeführten Stellen enthalten, ist folgende: Herr v. Nissen schrieb die erste noch in voller Sicherheit, ehe die Numer 11 der Cäcilia erschienen war. Die zweite Stelle wurde aber erst nach seinem Tode, unter dem tyrannischen, wiewohl nie zugegebenen Einflusse der Artikel des Herrn Weber, und was diesen Alles nachgefolgt war, verfaßt. Aus Uebersehen, oder um vielleicht dem Leser die Annehmlichkeiten der eigenen Wahl zu verschaffen, hatte man den beiden Texten eingeräumt, unter demselben Dache zu leben, jedoch ziemlich weit von einander, damit sie nicht zu sehr mit einander in Conflict gerathen sollten. Das Haus war ja geräumig.

Diese traurigen Aufschlüsse, nebst einem andern von größerem [294] Werthe, das Zeugniß Schack's, gruppiren sich wie zufällig, in Form einer Verabschiedung vom Leser, um ein ganz an das Ende des Bandes gesetztes Ding, das einer Art von ästhetischer Analyse des Requiems gleichsieht. Was für eine Analyse ist dieß aber, gerechter Gott! Der Merkwürdigkeit wegen mag hier ein Muster derselben folgen: »Alle Stücke des Requiems sind fugirte Sätze.« (Alle? höchstens die Hälfte, und diese kaum.) »Ein düsterer Ernst und eine finstere Melancholie sind seine Hauptcharaktere.« (Ja, aber nicht die einzigen, was einige der schönsten Stücke, wie das Recordare zum Beispiel, in dem weder düsterer Ernst, noch finstere Melancholie, so wenig wie in Benedictus und Sanctus zu finden sind) »Die Stelle:Rex tremendae majestatis ist einzig in ihrer Art.« (Nichts weiter.) »Ein Gleiches gilt vom Recordare.« (Auch dieß ist Alles, was vom Recordare gesagt wird.) »Der trauernde Chor des Lacrymosa gibt die keuscheste Nachahmung einer ängstlichen Stille, von Schluchzen und Stöhnen unterbrochen. Die weinende Tonart G moll (!) trägt nicht wenig zur Vollendung dieses schönen Gemäldes bei.« (Das ist Alles, und selbst dieß ist zu viel. Man hätte nicht von der Tonart sprechen sollen, die aus D moll und nicht aus G moll geht.) Und nun genug davon, denke ich.

Was die Frage der Echtheit anbelangt, so lies't man in derselben Analyse: »daß die Parze Mozart's Lebensfaden bei'm Sanctus abgesponnen habe.« (Classischer Styl, wenn schon das unentbehrliche Beiwort, der unerbittlichen, der Parze fehlt.) An einer andern Stelle heißt es im Vorbeigehen, »daß Süßmayer das Requiem vollendet habe.« Man suche keine Linie weiter über diesen Gegenstand auf den 1000 Seiten des Bandes.

[295] Man sieht folglich, daß mit Ausnahme des Zeugnisses Schack's und einiger werthvollen Einzelnheiten über die letzten Augenblicke Mozart's, die wir Sophie Weber verdanken, der Verfasser, oder vielmehr die Verfasser des Buches, uns von dem, was wir wissen möchten, nichts mittheilen, wenn sie in der Absicht sprechen, etwas davon zu sagen. Dagegen finden wir in dem Buche, das nichts als eine Compilation ist, in welchem die Materialien zu einer künftigen Biographie Mozart's aufgehäuft wurden, zwar nicht mit der Auswahl einer Biene, sondern mit der Gleichgiltigkeit eines Lumpensammlers, der Alles in seinen Korb schiebt, Goldstücke sowohl, wie die schmutzigsten Fetzen, eine Bemerkung, die ohne besondern Zweck und ohne rückhaltigen Gedanken hingeworfen wurde, die scheinbar in gar keiner Beziehung zu Weber's Controverse steht, und die nichts desto weniger ein neues Licht auf den einzigen zweifelhaften Punct der Echtheit zu werfen scheint. Auf seinen Reisen, heißt es, hatte Mozart stets kleine Stücke Notenpapier und ein Bleistift bei sich, um sogleich die musikalischen Gedanken, die ihm unter Weges aufstießen, darauf notiren zu können. Diese Blättchen warf er dann, wenn er die darauf enthaltenen Gedanken verarbeitet hatte, in eine Capsel von Blech, die er sein Reisetagebuch nannte. Diese Papierstückchen nehmen eine bemerkenswerthe Stelle in unseren Folgerungen, zu denen wir endlich gelangen, ein, bei welchen wir versuchen werden, die Geschichte des Requiems neu zusammenzustellen, mit Hilfe der Thatsachen, welche als gänzlich erwiesen und unangetastet aus dem Streite hervorgegangen sind, den wir auseinandergesetzt haben, und welche vermöge einiger Muthmaßungen, die aus eben diesen Thatsachen geschöpft wurden, deren unmittelbarste und natürlichste Folgerungen sie bilden, wie ich mir schmeichle, die Augenscheinlichkeit [296] ziemlich nahe bringen sollen. Damit dürfte eine wichtige Lücke in Mozart's Biographie ausgefüllt werden.

Der Graf Waldsee, ein reicher Privatmann und großer Musikfreund wird Wittwer und schickt einen seiner Leute, Leutgeb, oder einen andern, an Mozart, um ein Requiem bei ihm zu bestellen. Gründe sehr problematischer Art, an denen uns aber wenig liegt sie zu ergründen, veranlassen ihn zu wünschen, unbekannt zu bleiben. Verlangte er aber auch, daß der Name des Componisten für die Welt ein Geheimniß bleiben solle, und erhielt er dieses Versprechen? Man muß glauben, daß dieß nicht der Fall war, weil ein so ehrenwerther Mann, wie Mozart war, kein Geheimniß aus der Composition des Werkes machte; dagegen ist es mehr als wahrscheinlich, daß einer der zwischen dem Boten und Mozart abgeredeten Puncte die Bestimmung enthielt, daß das Requiem das ausschließliche Eigenthum des Bestellers würde, und daß der Componist auf keine Weise, ohne Gutheißen desselben oder seiner Rechtsnachfolger, darüber verfügen könnte. Mozart nimmt die Bestellung an, ohne Anfangs etwas Weiteres, als eine jener Bestellungen darin zu erblicken, wie sie täglich bei ihm gemacht wurden. Bald darauf rufen ihn seine Geschäfte nach Prag, an seinem Wagenschlage sieht er denselben Mann, in Trauer gekleidet, der nach dem Requiem fragt. Waldsee wünschte wohl dringend ein Werk zu erhalten, das er vorausbezahlt hatte; es drängte ihn, die Exequien seiner Gemahlin zu feiern, die schon einige Monate zuvor gestorben war. Da er ganz nahe bei Wien wohnte, und vielleicht gerade in der Stadt anwesend war, so konnte er leicht den Tag wissen, an welchem sich Mozart auf den Weg machen würde. Diese zweite Erscheinung des Boten kann wohl auf die ohnehin lebhafte Einbildungskraft Mozart's, der sich bereits krank fühlte, einen Eindruck gemacht haben. Er [297] kommt kränker zurück, als er abgereis't war, und beginnt mit dem Requiem; diese Arbeit flößt ihm ein ganz besonderes Interesse ein, das wir ganz natürlich finden. Erstens, weil es nichts Großartigeres gibt, als den Text einer Todtenmesse in Musik zu setzen, zweitens weil eine Arbeit dieser Art ganz identisch mit dem geistigen Zustande eines Mannes war, der mehr als je den Gedanken an den Tod und einer finstern Melancholie nachhing. Der Kopf des Musikers wird immer überspannter, je mehr seine Kräfte abnehmen. Weil er sich sterbend fühlte, so glaubt er in der Bestellung des Requiems einen Wink des Himmels selbst zu finden. Und wer würde zu behaupten wagen, daß Mozart sich täuschte!

Nun ist das Wesentlichste, zu wissen, wie er es angefangen hat, diese Arbeit auszuführen, die sein ganzes geistiges Wesen in Anspruch nahm und die Zerstörung seines materiellen Seins beschleunigte, und wie viele Zeit ihm übrig blieb, dieselbe zu vollenden. Darüber müssen wir die Daten zu Rathe ziehen. Mozart kommt gegen Ende Septembers von Prag zurück, die tödtliche Krisis seiner Krankheit zeigt sich erst in den letzten zehn Tagen des Novembers, und er hütet vierzehn Tage das Bett. Er hat also mehr als sechs Wochen vor sich. Das war für die ungemeine Leichtigkeit, mit der er arbeitete, viel. Titus, dessen Partitur, ohne die einfachen Recitative viel stärker ist, als die des Requiems, war in achtzehn Tagen componirt worden. Während dieser sechs Wochen hatte Mozart keine andere Arbeit vorliegen, und er widmete ihr Tag und Nacht. Hier mögen meine Leser sich erinnern, daß Mozart gewöhnlich seine Musik nicht eher schrieb, bis er sie bis auf die letzte Note im Kopfe vollendet hatte; und aus diesem Grunde machte er keine Skizzen und keine Entwürfe, wie es die meisten seiner Kunstgenossen thun. Ein anderer, [298] noch entscheidenderer Beweis ist der, daß die im Original-Manuscripte eingetragenen Numern ganz complet fertig waren, daß Mozart sie durch seine Freunde singen ließ, während er die Orchester-Begleitung auf dem Claviere spielte. Bloße Skizzen, das heißt erste, nicht ausgeführte Entwürfe, ließen sich auf diese Weise nicht probiren. Der Leser wird sich auch erinnern, welchen Widerwillen Mozart gegen die materielle Arbeit des Schreibens hegte, ein Widerwille, den sein Zustand der Schwäche und Erschöpfung nothwendigerweise noch vermehren mußte. Daraus folgte, daß er, um sich eine physische Ermüdung, die ihn fast gänzlich erschöpfte, zu ersparen, nur die Gesangspartieen und mehr oder weniger die Hauptfiguren des Orchesters aufschrieb. Wir folgen gewissermaßen auf seinem Manuscript den Fortschritten seines Uebels. Das Requiem, Kyrie und Dies irae sind so instrumentirt, sagt uns Stadler, daß ein geübter Copist das hinzusetzen konnte, was daran fehlte. Im Domine wird die Instrumentirung schon seltener; die Linien werden nach und nach immer lichter. Wenn man aber nur so leicht hin eilf Numern von einer gewissen Ausdehnung, vom gelehrtesten Styl mit vier Gesangstimmen und großem Orchester, auf's Papier wirft, läuft man Gefahr, viele Einzelnheiten und vielleicht selbst den Grundgedanken zu vergessen, von dem sie ausgegangen sind. Sollte sich Mozart dieser Gefahr und diesem Zeitverluste aussetzen, da er nur zu sehr fühlte, daß seine Augenblicke gezählt seien, und er seine Arbeit auf Kosten der wenigen beschleunigte, die ihm noch zu leben übrig blieben; sollte er dieß thun, da es ein Mittel gab, diesem zweifachen Uebelstande vorzubeugen und den Zeitpunct der Uebergabe der Partitur zu beschleunigen, welchen der Componist nicht mehr zu erleben befürchtete. Dieß bestand darin, die Numern, sobald sie im Original-Manuscript eingetragen waren, einem[299] musikverständigen Copisten zu übergeben, dem der Meister den Plan und den Gang seiner Instrumentation mitgetheilt hatte, und die er sich nur zur Revision vorlegen zu lassen brauchte. Dieser Copist, dieser Musiker, dieser Famulus, dieser Eingeweihte in die Gedanken des Meisters, war kein Anderer, als Süßmayer. Und ein so nahe liegender Gedanke sollte einem Manne nicht gekommen sein, der sich aufreibt, um eine Verbindlichkeit zu erfüllen! Welchen Zweck hätte es dann gehabt, dem Copisten Alles auseinander zu setzen, und diesen dann erst an's Werk gehen zu lassen, wenn man nicht mehr da ist, um seine Fehler corrigiren zu können. War es nicht viel vernünftiger, sicherer und die Sache förderlicher, ihn sogleich Hand anlegen zu lassen, unter seinen Augen, und so lange alle die Erklärungen ihm noch frisch im Gedächtnisse und in den Ohren waren. Man wird mir einwerfen, daß, wie richtig dieses Raisonnement sein möge, es doch immer nur ein Raisonnement bleibe. Ich weiß es; was wird man aber sagen, wenn Mozart den Gedanken, welchen ich ihm unterstellte, wie nicht zu bezweifeln, bereits schon vorher gehabt; wenn er das Mittel, das ich bei ihm voraussetze, bereits in Anwendung gebracht hatte, und zwar nicht später, als einige Wochen, ehe er mit dem Requiem begann; welches Auskunftsmittel er ersann, um die Vollendung des Titus zu beschleunigen. Er schrieb eigenhändig die Ouverture, die Terzette und die Finales dieser Oper ganz; bei allem Uebrigen begnügt er sich, die Singstimmen mit einer Angabe der Orchesterfiguren zu schreiben, welche Süßmayer unter seinen Augen ausführte. Man wird hoffentlich die völlige Aehnlichkeit der Umstände bei einer wie bei der andern Arbeit nicht in Abrede ziehen, welche eine solche Hilfeleistung unentbehrlich machten. Er war krank, während er den Titus componirte; er war aber noch viel kränker, als er an [300] dem Requiem arbeitete. Das Schreiben ermüdete ihn schon Anfang Septembers sehr, im October und November ging diese Anstrengung fast über seine Kräfte; der Termin der Aufführung der Oper, der von einem bestimmten, mit einer großen politischen Feierlichkeit verknüpften Zeitpuncte abhing, war sehr karg zugemessen; aber die Zeit, welche ihm der Tod gelassen hatte, der bereits die Arme nach seinem Opfer ausbreitete, und im Begriffe stand, es zu fassen, war noch karger zugemessen. Dennoch besteht ein Unterschied zwischen diesen ähnlichen Fällen. Die Clemenza, ein Gelegenheitswerk, gehört unter die classischen Opern Mozart's, in welchem dem Zeitgeschmacke, neben der eigenthümlichen Manier des Meisters am meisten eingeräumt ist. Außerdem verwenden die Componisten stets eine besondere Sorgfalt auf die hervorragenden musikalischen Scenen und auf die Stücke, welche sie für die ersten Sänger bestimmen. Das Uebrige vernachläßigen sie mehr oder weniger, je nachdem die untergeordneten Rollen besser oder schlechter besetzt sind. Ehemals waren sie gewöhnlich sehr schlecht, und aus diesem Grunde vernachläßigten sie sie mehr, als es heut' zu Tage der Fall ist. Die Opern Mozart's machen hierin, etwa Figaro, und namentlich Don Juan abgerechnet, keine Ausnahme, aber in Titus trägt eine große Anzahl Arien, die Hälfte vielleicht, so sehr den Stempel der Zeit, und so wenig den Stempel Mozart's, daß sie in den Augen der Kenner eben sowohl für eine Arbeit jedes andern Meisters zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts gelten könnten, und daß wir, ohne alle Schwierigkeit, die Hand Süßmayer's, des vermeintlichen Componisten der Arien des Annius66, Publius und der Servilia daran zu[301] erkennen bereit sind. Wir wollen ihm sogar gern einige Arien des Titus, erster Tenor einräumen. Diese Rücksichten fallen aber bei einem Werke für die Kirche ganz weg. Da gibt es keine ersten, zweiten und dritten Sänger; die Solos für jede einzelne Stimme werden von demselben Subject vorgetragen. Da gibt es keine Stücke, die von höherer Wichtigkeit und größerem Interesse sind, als die übrigen. Der ganze, durch den Ritus geheiligte Text macht einen Theil des Gottesdienstes aus; und jeder Theil desselben verlangt dieselbe fromme Aufmerksamkeit von Seiten der Zuhörer. Sollte Mozart, der in achtzehn Tagen die Partitur des Titus bewältigte, in sechs Wochen die des Requiems, das ein Drittheil weniger Umfang hatte, nicht zu vollenden im Stande gewesen sein? Auch nicht eine Numer des Requiems wurde, so lange Mozart am Leben war, Süßmayer anvertraut, und es ist auch nicht eine dabei, welche man einem Andern als Mozart zuschreiben könnte.

Was sagt man endlich dazu, wenn die Wittwe auf die bestimmteste Weise erklärt, daß die Partitur des Requiems (und wir wissen, daß darunter die vollständige Partitur verstanden ist) gleich nach dem Tode des Componisten dem Boten des Grafen überantwortet worden sei. Man zweifelt an den Worten der Wittwe. Gut, da ist aber Einer, dessen Worte weniger einer Bürgschaft bedürfen, Herr Krüchten, der erklärt, »daß das Requiem im Spätherbste 1791 zum ersten Male aufgeführt worden sei,« das heißt also wenige Tage nach dem Ableben Mozart's. Ich frage, was noch an der Augenscheinlichkeit der Thatsache fehlen sollte, daß die Arbeit des Componisten und des Copisten, das Original-Manuscript und die vervollständigte Partitur, zu gleicher Zeit und in gleichem Schritte vorrückten, und daß alle Numern des Requiems bis zum Sanctus ganz von Mozart sind.

[302] Ueberdieß reicht ein Augenblick des Nachdenkens hin, uns zu überzeugen, daß das Datum der Uebergabe des Werkes genau das sein mußte, welches uns Herr Krüchten und Herr v. Nissen angeben. Sobald Graf Waldsee Mozart's Tod erfahren hatte, der ihm nicht lange ein Geheimniß bleiben konnte, und den er allem Anscheine nach schon den folgenden Tag erfahren hat, wird er sogleich nach dem Werke geschickt haben, das zu besitzen er sehr beeilt war. Wenn man ihn so lange hätte warten lassen, als man Zeit brauchte, um das Original-Manuscript ganz umzuschreiben, die Instrumentirung zu vervollständigen, und die drei oder gar vier Numern neu zu componiren, welche sich Süßmayer zuschreibt67, was immerhin einige Wochen Zeit erfordert haben würde, so würde Waldsee über die Echtheit des Werkes Verdacht geschöpft haben, oder vielmehr er hätte sogleich die Gewißheit einer musikalischen Fälschung erlangt. Seine Zweifel tauchten aber erst viel später, in Folge der Beeinträchtigung seines Eigenthumsrechtes auf, das damals weder beeinträchtigt war, noch es sein konnte.

Es bleibt jetzt noch übrig, auf historischem Wege zu prüfen, wer das Sanctus, Benedictus und Agnus gemacht hat. Ich drücke mich aber nicht richtig aus, indem ich hätte sagen sollen, bis wie weit diese drei Numern das Werk des Meisters sind. Thatsachen werden uns wieder antworten, zwar nicht mit derselben Genauigkeit, doch aber immer noch auf eine ziemlich zufriedenstellende Weise.

Mozart liegt zu Bette, und ist genöthigt, die regelmäßige Arbeit an seiner Partitur zu unterbrechen. Seine geistigen Fähigkeiten [303] verbleiben ihm aber, und wenige Stunden vor seinem Tode sehen wir, daß er Kräfte genug besitzt, um eine Probe seines Requiems anzustellen, und es mit seinen Freunden zu singen. Das Componiren mußte ihm offenbar leichter fallen als das Singen. Componiren hieß bei ihm leben, und sein Geist lebte bis zum letzten Augenblicke in seinen letzten vierzehn Tagen. Als man ihn zu Bette brachte, fehlten noch vier Numern an dem Werke, das ihn so ausschließlich, so tief beschäftigte, an welches er seinen schönsten Nachruhm in dieser, und vielleicht die Hoffnung auf die Vergebung seiner Sünden in jener Welt knüpfte. Mozart war Christ. Ist es wohl wahrscheinlich, daß sein Geist, aus dem so zu sagen eine ununterbrochene musikalische Schöpfung strömte, vierzehn Tage ganz müssig gewesen, und daß also sein größtes Meisterwerk unvollendet geblieben sein sollte? Sagt uns nicht Seyfried, daß, nach einem ziemlich allgemein unter den Musikern Wiens verbreiteten Glauben, Mozart die Fuge des Hosianna ganz in B habe umarbeiten wollen, woraus deutlich hervorgeht, daß sie bereits in D dur nach dem Sanctus gemacht worden war. Dann finden wir Süßmayer am Bette des Sterbenden stehen, der ihm erklärt, wie das Requiem vollendet werden solle. Vollendet? aber von Quam olimda capo, wo das Original-Manuscript aufhört, ist es noch weit bis Lux aeterna und die Worte allein werden Niemand über die musikalischen Absichten in's Klare setzen, die nur im Kopfe des Componisten bestehen. Wenn ich mich ein wenig meinen Muthmaßungen überlassen wollte, so könnte mich nichts abhalten, an zunehmen, daß die Vorbilder des Sanctus, Benedictus und Agnus schon vor den letzten vierzehn Tagen gemacht, erklärt und dem Copisten übergeben worden seien. Alle Wahrscheinlichkeiten wären noch für mich, da selbst der große Verlästerer des Requiems, Herr Gottfried [304] Weber, in diesen Stücken Blüthen entdeckt, welche einem andern Boden, als dem Süßmayer's entsprossen wären. Ich schließe aber absichtlich von meinen, rein auf Thatsachen gegründeten Schlüssen, Beweise aus, die sich nur auf die Kunst selbst gründen, weil deren Augenscheinlichkeit nicht für Jedermann dieselbe ist, und welche stets Einigen die Wahl zwischen dem Für und Gegen lassen, die sich genau die Wage halten. Wir müssen etwas viel Materielleres, Positiveres haben, Etwas, was man mit der Hand greifen kann, und dazu dienen uns gerade die kleinen Papierstreifen, die man auf Mozart's Schreibtische fand, und welche die Wittwe sogleich Süßmayer übergibt. Was konnten diese letzten Blätter des Reisetagebuches enthalten? Sie waren noch nicht in die blecherne Capsel gekommen; ein Beweis, daß sie sich auf eine noch nicht vollendete Arbeit bezogen; sie lagen auf dem Schreibtische des Componisten herum; ein Beweis, daß sie die Gedanken für das Geschäft enthielten, das ihn im höchsten Grade in Anspruch nahm; ein Beweis endlich, daß die Streifen die Grundgedanken der drei Numern enthielten, welche dem Original-Manuscripte fehlten. Was Mozart in seinem Wagen gethan hatte, konnte er auch in seinem Bette thun, und wird es auch nicht unterlassen haben. Was endlich die vierte und letzte der fehlenden Numern anbelangt, die mit Lux aeterna anfangen mußte, so hatte die Hand des Componisten nicht mehr die Kraft, eine Andeutung aufzuzeichnen, obgleich das Motiv derselben in Gedanken schon gefunden, und wahrscheinlich ausgeführt worden sein mochte. Ich möchte auch glauben, daß Mozart's letzte Erläuterungen nur die Final-Numer zum Gegenstande hatten, die er lieber durch einen Theil der Nr. 1 gegeben wissen, als deren Composition einem Andern anvertrauen wollte. Süßmayer, der sich ganz der Willensmeinung des Meisters fügte, die ihm, als von [305] einem Sterbenden kommend, doppelt heilig war, bemühte sich, in seinem Briefe nicht den Grund zu wissen zu thun, was in diesem Falle diesen Willen veranlaßte. Um dem Werke mehr Einheit zu geben, sagte er uns, habe er es mit dem Anfange desselben geschlossen, habe er dieselbe Musik bei zwei Texten angewendet, die Fuge des Kyrie bei dem Verse Cum Sanctis. Welcher vernünftige Mensch läßt sich mit einem so ärmlichen Grunde abspeisen? Wenn der vorgebliche Fortsetzer im Stande war, drei unter den fehlenden Numern neu zu componiren, so unterliegt es keinem Zweifel, daß er auch die vierte neu componirt hätte.

Sollte es wohl nothwendig sein, unsere Erklärung auch auf spätere Thatsachen auszudehnen? Diese bedauernswerthen Thatsachen sprechen hinreichend für sich selbst. Bei diesen bedarf es keiner Wendungen in muthmaßenden Phrasen, im Tone des Zweifels oder der Beweisführung. Hier können wir diese logischen Krücken bei Seite werfen, und ohne Beweise das sagen, was leider nur zu sehr erwiesen ist.

Mozart hinterließ bei seinem Tode seine Wittwe im hilflosesten Zustande. Sie besaß nicht einmal soviel, um ihren Mann anständig begraben zu lassen; Mozart's Leichnam wurde in die allgemeine Grube geworfen. Die ganze Erbschaft bestand in dreitausend Gulden Schulden, welche der Ertrag eines Concerts deckte, und in einigen Manuscripten von geringem Werthe, die Herr André in Offenbach größeren Theils ankaufte, und welche zuerst den Herren Breitkopf und Härtel in Leipzig angetragen worden waren. Diese Letzteren thaten aber der Wittwe zu wissen, daß das Beste von dem, was sie ihnen anbiete, schon seit lange gedruckt sei. Mit Idomeneo war dieß noch nicht der Fall. Frau Mozart wollte ihn auf dem Wege der Subscription herausgeben, sie fand aber keine Subskribenten. Ein noch nicht herausgegebenes [306] Clavier-Concert, das sie dem Prinzen Louis Ferdinand von Preußen widmete, trug ihr, nach ihrer Versicherung, ebenfalls nichts ein, und Alles, was sie herausschlagen konnte, war eine Pension von zweihundertundfünfzig Gulden, welche sie Kaiser Leopold verdankte. Das Elend ach! ist der mächtigste Versucher. Ein Manuscript war noch da, kostbarer als Alle, aber dieß war schon verkauft. Die arme Frau streckte die Hand nach Etwas aus, was ihr nicht gehörte. Schmach dem Jahrhunderte, dessen Vernachlässigung die Wittwe Mozart's mit ihren zwei Waisen in zartem Alter zu diesem äußersten Schritte zwang. Das eigenhändige Manuscript des Requiems ging an Speculanten über, die es im Ganzen, unter dem Siegel der Verschwiegenheit, gekauft, und, auf eine viel geheimnißvollere Art, zerstückelt es wieder verkauft haben mögen. Das Requiem wurde die Hauptnahrungsquelle der Wittwe. Auf ihr Verlangen veranstaltete Süßmayer eine zweite, ganz genau dem Exemplare Waldsee's ähnliche Copie, welche er vielleicht schon zu Mozart's Lebzeiten und ohne sein Wissen angefertigt gehabt hatte. Jedenfalls war es ihm leicht, etwas zum zweiten Male zu schreiben, was noch so frisch in seinem Gedächtnisse lebte. Süßmayer fand unter mehr als einer Hinsicht seine Rechnung ebenfalls dabei. Wie natürlich nahm er Theil an dem ungesetzlichen Verkaufe des Werkes, und behielt noch überdieß den Ruhm der Vollendung für sich allein. Aber dieser doppelte Nutzen stimmte mit den Plänen der Wittwe nicht zusammen. Um dem Werke einen großen Ruf und den möglichst größten Absatz zu verschaffen, mußten zwei Dinge geschehen: über den Ursprung des Requiems mußte jene romantische und mystische Färbung verbreitet werden, zu welcher die Umstände bei der Bestellung an und für sich schon viel beitrugen, und die Theilnahme eines Andern an Mozart's Arbeit mußte sorgfältig verheimlicht [307] werden, ein Antheil, dessen Art und Ausdehnung die Wittwe ohne Zweifel nicht einmal kannte. Mit anderen Worten, man mußte zwei Eigennamen verschweigen: den des Bestellers und den des Fortsetzers. Hier mußten die Interessen der Wittwe und Süßmayer's, die Anfangs Hand in Hand gegangen waren, weil sie sich jetzt trennten, eine gegenseitig feindselige Stellung einnehmen. Man hat gesehen, wohin dieser elende Interessenstreit führte, der sich über die Grenzen des Rechtes und der Wahrheit hinaus verbreitete. Daher schreiben sich die Widersprüche, Dunkelheiten, Zweideutigkeiten, Auslassungen und Unwahrheiten in den Angaben der interessirten Partieen; daher auch die Zurückhaltung und das Stillschweigen, welches Rücksichten für heilige Erinnerungen und Freundschaft anderen Zeugen auferlegten.

Dieser Art endlich war das Resultat der nur zu berüchtigten, durch Herrn Gottfried Weber hervorgerufenen Untersuchung; dieser Art die Entdeckungen, auf die eine Polemik ausläuft, welche in ihrem Princip nichts Geringeres beabsichtigte, als in die Classe verfehlter und unzuverlässiger Productionen ein Werk zu werfen, das die Welt einstimmig als das höchste Muster der katholischen Kirchenmusik, und als die schönste Blume im Kranze seines Schöpfers beurtheilt. Wenn Herr Weber's Behauptung triumphiren könnte, so ist die Stimme der ganzen Welt nichts als ein Vorurtheil, der Titel eines Kenners nichts als ein Spottname voll Ironie; Niemand wird mehr einen Heller um Kritiken geben, die des Herrn Weber nicht ausgenommen; die Lehre des Schönheitssinnes, in allen Gattungen der Kunst, einer der Instincte der Menschheit, wird zum abgeschmackten Hirngespinste, und wir werden neue Theorieen auftauchen sehen, die beweisen werden, daß ein Affe ein ästhetisch viel schöneres Ding sei, als ein Apollo von Belvedere. Statt dessen haben aber die Bemühungen[308] des Herrn Weber nur ein neues, und zwar sehr trauriges Capitel zu dem Buche über die Ausgleichungen hinzugefügt. Ihm verdanken wir die Beweisführung, daß nicht nur ein verhängnißvolles Geschick auf hervorragenden Menschen lastet, und gewissermaßen die Größe ihres Berufes durch das Elend ihres Daseins auszugleichen sucht, sondern daß das Schicksal sie selbst noch in ihren Angehörigen verfolgt, wenn sie nicht mehr da sind. Die Frau, welche Mozart's Namen trägt, ist, um Mozart's Söhne ernähren zu können, genöthigt, zu Hilfsmitteln zu greifen, die noch schlimmer sind, als betteln zu müssen; das ist es, was das Herz schmerzlich ergreift und niederdrückt, und das ist es, was Herrn Weber zu beweisen gelungen ist. Vermöge einer andern Wirkung des Gesetzes der Ausgleichungen ist die Echtheit des Requiems für Jedermann etwas klarer geworden, als sie es zuvor war, was, bis auf einen gewissen Grad für den Ueberdruß und den Ekel entschädigt, die jede Seite dieser tödtlichen Controverse erregen. So peinlich auch vorstehende Arbeit für mich war, so halte ich sie doch nicht für ganz vergeblich, wenn sie dazu beitragen sollte, daß Musiker, welche sie lesen, und, welche durch Herrn Weber's Sophismen etwas wankend geworden sein sollten, durch sie nun in ihrem Glauben bestärkt worden sind68.

Quelle:
Alexander Ulibischeff: Mozart's Leben und Werke. Stuttgart 2[1859], S. 225-309.
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