I.

Robert Schumann's Jugend-, Lehr- und Studienjahre.

Zwickau, Leipzig, Heidelberg.


1810–1830.


Robert Schumann ist, so weit es sich hat ermitteln lassen, einer nichts weniger als musikalischen Familie entsprossen.

Der Vater, Friedrich August Gottlob Schumann,1 geb. 2. März 1773, war der älteste Sohn eines unbemittelten Pastors, Friedrich Gottlob Schumann im Dorfe Entschütz bei Gera, später Archidiakonus in Weida; er wurde frühzeitig dem Kaufmannsstande bestimmt und im 11. oder 12. Jahre in das Haus seiner Großmutter nach dem Städtchen Eisenberg, zum Besuch der lateinischen Stadtschule gebracht, von wo aus er in seinem 15. Jahre bei einem Kaufmann in Ronneburg in die Lehre trat. Von hier ab führte er unter mannichfachen Bedrängnissen und Hemmnissen ein mehrjähriges vielgeprüftes Dasein, hervorgerufen durch die verfehlte Wahl des Berufs. August Schumann war entschieden begabt für das schriftstellerische Fach. Schon in reiferen Knabenjahren zeigte er dies durch mehrfache dichterische Versuche. Die Eltern beachteten sein Talent jedoch nicht, und veranlaßten ihn, sich dem Materialgeschäfte zu widmen. Angeborne Neigung trieb ihn dagegen unaufhörlich zum Studium wissenschaftlicher und schöngeistiger Werke; unter diesen waren es vorzugsweise Young's und Milton's Schriften, welche ihn anzogen und seinen eigenen Aeußerungen zufolge »bisweilen dem Wahnsinn nahe brachten«. Kein Wunder daher, wenn der ihm zugewiesene Beruf ihn nach und nach bis zur Unerträglichkeit anwiderte und kein Mittel scheuen ließ, sich eine Thätigkeit zu schaffen, die seiner Vorliebe für die Literatur wenigstens in etwas entsprach. Mittellos indeß, wie er war, mußte er dies Streben und die endliche Verwirklichung desselben durch lange, harte Geisteskämpfe und materielle Entbehrungen erkaufen. Die[3] Folge davon war ein körperliches Siechthum, das ihn nie wieder ganz verließ und seinen Lebensfaden schon in der Kraft der Mannesjahre zerschnitt.

Die merkantile Laufbahn gab August Schumann in Leipzig auf, wo er nach mehrfachem Conditionswechsel an verschiedenen Orten eine Stelle in einem Kaufmannshause angenommen hatte. So nahe an der Quelle der Wissenschaften vermochte der feurige strebsame Jüngling seine Wünsche nicht mehr zu unterdrücken. Er ließ sich als Studiosus humaniorum bei der Universität zu Leipzig inscribiren, in der Zuversicht nach vollbrachtem Studium ganz der literarischen Laufbahn leben zu können. Deshalb trat er mit Heinse2 in Zeitz, dem er eine seiner Arbeiten zur Beurtheilung einsandte, in Verbindung. Dieser rieth ihm jedoch entschieden von seinem Vorhaben ab. Hierdurch keineswegs abgeschreckt, verfolgte er den einmal eingeschlagenen Weg beharrlich. Lange vermochte er es indeß nicht. Die äußerste Noth zwang ihn in's elterliche Haus zurückzukehren. Hier verfaßte er einen Roman: »Ritterscenen und Mönchsmärchen«, den er abermals Heinse, um dessen Rath bittend, mittheilte. Dieser Schritt trug ihm eben so wenig eine Anerkennung seines Strebens ein als der erste; aber er hatte den günstigen Erfolg, daß Heinse ihn aufforderte, in eine von diesem zu begründende Buchhandlung als Gehilfe einzutreten. Um so lieber folgte er dem Antrag, als er dadurch nicht allein eine Existenz wiedergewann, sondern gleichzeitig die erwünschte Gelegenheit fand, sich mit den neuesten Erzeugnissen der Literatur vertraut zu machen. Auch in anderer Hinsicht wurde sein Aufenthalt in Zeitz ihm wichtig. Das Geschick führte ihn nämlich einem Mädchen, der Tochter seines Wirthes zu, in der er später seine Gattin gewann. An diese Verbindung war jedoch für Schumann, da jenes von Heinse etablirte Geschäft in lucrativer Hinsicht keine günstigen Resultate lieferte, die Bedingung geknüpft, dem buchhändlerischen Berufe gänzlich zu entsagen und sich als Materialist zu etabliren. Obgleich er sich durch diese Anforderung mit einem Schlage wieder in die nackte Prosa zurückgeworfen sah, blieb ihm dennoch, um die Wünsche seines Herzens zu befriedigen, nichts übrig, als dem Begehr des zukünftigen Schwiegervaters sich[4] willfährig zu zeigen. Wo aber sollte er die Mittel zu einem selbst bescheidenen Etablissement hernehmen? Auch hier fand seine erfinderische Natur einen Ausweg. Schumann trennte sich sofort von Heinse und kehrte wieder in's elterliche Haus zurück, um dort durch schriftstellerische Arbeiten eine Summe Geldes zu verdienen. Wie sehr und wie schnell ihm dies glückte, beweist der Umstand, daß er nach etwa anderthalbjähriger angestrengter, mühevoller Thätigkeit nahe an 1000 Thlr. – eine für die damalige Zeit hübsche Summe – durch verschiedene Schriften erwarb, unter denen das in der merkantilischen Welt bekannte »compendiöse Handbuch für Kaufleute« in 4 Bänden, genannt zu werden verdient.

Er associirte sich nun im Jahre 1795 mit einem Kaufmann in Ronneburg und verheirathete sich bald darauf mit der ihm treu gebliebenen Erwählten seines Herzens. Nach Verlauf von vier Jahren etwa gab er das erworbene Geschäft aber schon wieder auf, um sich ganz und für immer dem Buchhandel zu widmen. In dem neugeschaffenen Wirkungskreise bethätigte Schumann einen unermüdlichen rastlosen Fleiß nach verschiedenen Richtungen hin, der selbst sein früheres Streben in Schatten stellte, allerdings aber auch seine Vermögensumstände nach und nach bedeutend verbesserte;3 so schrieb er 16 verschiedene theils in die wissenschaftliche, theils in die geschäftliche Sphäre gehörende Werke, die er selbst verlegte. Die allmälige Erweiterung seiner Buchhandlung indeß machte mehr und mehr den Umzug in eine günstiger gelegene Stadt wünschenswerth, und so entschloß Schumann sich im März des Jahres 1807 nach der sächsischen Bergstadt Zwickau überzusiedeln. Dort begründete er im Verein mit einem seiner Brüder, die bis 1840 bestandene, in der literarischen Welt ehedem wohlbekannte Verlagsbuchhandlung der »Gebrüder Schumann«.

Sein Geschäft begann bald zu blühen. Zunächst veranstaltete er eine Taschenausgabe der Classiker aller Nationen, mit welcher er das erste Signal zu vielen anderen derartigen Unternehmungen gab. Sodann begründete er ein Wochenblatt »der erzgebirgische Bote« (1807–1812), welchem die sogenannten »Erinnerungsblätter« (1813–1826) folgten. Endlich unternahm er auch noch die Herausgabe zweier größerer Sammelwerke. Das eine derselben, begonnen im Jahr 1813, war das »Staats-, Post- und Zeitungslexikon von Sachsen«, fortgesetzt und[5] beendigt von A. Schiffner (im Ganzen 13 Bände und 5 Supplementbände), das andere eine vom Jahre 1818 ab erschienene »Bildergallerie der berühmtesten Menschen aller Völker und Zeiten« mit beigefügtem Text, zu welchem Robert Schumann als 14jähriger Jüngling Beiträge lieferte.

Eine der letzten buchhändlerischen Unternehmungen August Schumann's war die deutsche Uebersetzung Walter Scott's und Byron's. Die Poesien des Letzteren begeisterten ihn so sehr, daß er den »Childe Harald« und »Beppo« selbst übersetzte.

Aus dieser gedrängten, nur das Wesentlichste enthaltenden Darstellung ist ersichtlich, daß der Vater unseres Tonmeisters ein Mann war, der trotz beengender Umstände, mannichfacher Wechselfälle und Widerwärtigkeiten, durch rastlosen Fleiß, sowie durch glückliche Ausbeutung seines Talentes Resultate erzielte, die unbedingte Achtung einflößen. Sind auch seine literarischen Erzeugnisse im Gebiete der Poesie nur von sehr relativem Werthe, kann ihnen auch nur die Bedeutung zuerkannt werden, eine Spanne Zeit hindurch den Lesebedürfnissen gewisser Kreise gedient zu haben, so zeugen sie doch immer von einer nicht gewöhnlichen Begabung und von einem bei praktischen Geschäftsmännern seltenen Streben, während die angeführten compilirten Werke ihm in der buchhändlerischen Welt einen ehrenvollen Namen erworben, der noch heute mit Achtung genannt wird.

August Schumann wird einstimmig als ein gerader, zuverlässiger Charakter geschildert, der trotz mancher Schwächen die Liebe und Zuneigung aller Derer besaß, die mit ihm in nähere Berührung traten. Seinem Aeußeren nach war er zwar von schwächlichem, aber wohlgebildetem Körperbau; seine Gesichtszüge, wie sie das von ihm existirende, aus dem 38. Lebensjahre herrührende Bildniß zeigt, haben einen wohlwollenden, edlen Ausdruck, deuten aber entschieden auf ein stilles, verschlossenes und ernstes Wesen. Dieses letztere, dessen Merkmale die Conflikte eines vielbewegten Lebens seiner ganzen äußeren Erscheinung wohl aufgedrückt haben mochten, sollen ihm auch wirklich im reiferen Mannesalter eigen gewesen sein.

Wie bereits angeführt, verheirathete August Schumann sich im Jahr 1795 mit Johanna Christiana Schnabel, geb. im Novbr. 1771. Sie war die älteste Tochter des Rathschirurgen Abraham Gottlob Schnabel in Zeitz. Der hierauf bezügliche amtliche Ausweis des betreffenden Kirchenbuchs lautet: »August Schumann, Kauf- und[6] Handelsherr in Ronneburg, des Hochehrwürdigen Herrn Johann Friedrich Schumann, Archidiak. in Weida, ehel. Sohn, und Jungfrau Johanne Christiane Schnabel, Herrn Abraham Gottlob Schnabel's, Rathschirurgen zu Zeitz, ehel. älteste Tochter sind Dom. 19, 20 und 21, p. trin. als den 11., 18. und 25. October 1795 öffentlich aufgeboten und alsdann in Geußnitz4 a Domino Keil copulirt und eingesegnet worden.«

Johanna Schumann, mit einem natürlichen Verstande begabt, jedoch aufgewachsen unter der Einwirkung kleinstädtischer, beengender Verhältnisse, zeigte keine über das Maaß des Gewöhnlichen hinausgehende Bildung, wenn gleich ihre äußere Erscheinung einnehmend und von einem gewissen Repräsentations-Talent begleitet war. In späteren Lebensjahren stellte sich bei ihr ein Zustand schwärmerischer, sentimentaler Ueberspanntheit, verbunden mit momentan aufbrausender Heftigkeit, und ein Hang zum Absonderlichen ein, wozu vielleicht manche eheliche Inconvenienz mit beigetragen hat.

In dieser Ehe wurden fünf Kinder gezeugt, von denen Robert Alexander, geb. den 8. Juni 1810, Abends 1/210 Uhr5 zu Zwickau im Hause am Markt Nr. 5, das jüngste war. Ihm voran standen im Alter drei Brüder: Eduard, Karl und Julius, sowie eine Schwester: Emilie. Bemerkenswerth dürfte es sein, daß die letztere im Anfange der zwanziger Lebensjahre an den Folgen einer unheilbaren Gemüthskrankheit gestorben ist, welche deutliche Spuren stillen Wahnsinns erkennen ließ. Auch seine Brüder sind ihm sämmtlich bereits in den Tod vorangegangen.

Die frühesten Jahre der Kindheit brachte Robert meist in weiblicher Umgebung zu; außer seiner Mutter war es namentlich eine seiner Pathen, die der Schumann'schen Familie nahe befreundete Frau des Bürgermeister Ruppius in Zwickau, welche sich viel mit ihm beschäftigte, und in deren Hause er sich oft ganze Tage und Nächte besuchsweise aufhielt. Daß er als Jüngstgeborner und als sogenanntes »schönes Kind« unter diesen Umständen in vieler Hinsicht verwöhnt und verhätschelt wurde, ließe sich, wenn man hierüber auch keine genaue[7] Kunde hätte, um so sicherer voraussetzen, als sein Vater, durch einen umfassenden und anstrengenden Beruf gänzlich in Anspruch genommen, sich seiner ersten Erziehung gar nicht, oder doch nur zeitweise widmen konnte. Aber auch später wurde dies nicht anders, denn mit dem Beginn der Entwickelung seines Talents wurde Robert nicht allein der verzogene Liebling der ganzen Familie, sondern aller derer, die ihn kannten. So blieb ihm denn kaum jemals ein Wunsch unerfüllt, – eine bedenkliche Erscheinung, die nach allen Erfahrungen in den meisten Fällen üble Folgen zurückläßt und ohne Zweifel auch die in Schumann's späterem Leben hervorgetretene Reizbarkeit und Empfindlichkeit, ja, den Mangel aller Nachgiebigkeit beim Begegnen widerstrebender und seinem Willen sich nicht fügender Elemente erzeugt hat.

Robert war, wie sein späteres Leben gelehrt hat, vor allen seinen Geschwistern von der Natur bevorzugt worden. Die Vermuthung liegt nahe, daß er der Hauptsache nach in gesteigerter Potenz die physische und psychische Constitution seines Vaters geerbt habe, der zur Zeit von Roberts Geburt bereits sehr leidend war. Aber auch von dem Naturell der Mutter scheint ein Theil auf ihn gekommen zu sein.

Mit dem Beginn des sechsten Lebensjahres wurde Robert der sogenannten Sammelschule des Archidiakonus Dr. Döhner6 übergeben. Es war dies eine starkbesuchte Privatunterrichtsanstalt, welche damals den Mangel einer Bürgerschule in Zwickau ersetzte. Hier kam er zuerst in Berührung mit einer Anzahl von Kindern gleichen Alters, und wie im Menschen sich schon frühzeitig unbewußt gewisse Geschmacksrichtungen ausgeprägt finden, so wählte Robert unter seinen Jugendgenossen sehr bald einige zu seinem näherem Umgange aus.7 Bei diesem Verkehr zeigte sich die erste Regung einer jener Eigenschaften, welche späterhin für seine Individualität bezeichnend wurden. Es war die des Ehrgeizes, welche, wie sich in seinem weiteren Leben mehrfach wahrnehmen läßt, durchaus edler und ungewöhnlicher Art, damals sicher wohl noch ganz unbewußt und naiv, jedoch offenbar schon als angeborener Charakterzug aus dem Innern des Kindes hervortrat.[8] Dieselbe machte sich insofern geltend, als Robert bei den Spielen stets den Ton angab, z.B. beim vielbeliebten »Soldatenspiel«, welchem meistens der Vorzug gegeben wurde, allemal das Commando führte. Die anderen beugten sich gern und ohne Widerstreben der von ihm ausgeübten Hegemonie, da er als ein freigebiger, gutmüthiger und freundlicher Kamerad von allen geliebt wurde. So zeigt Schumann schon in frühester Jugend das Bild der Herrschaft im kleinsten Kreise, die alte Sentenz »Immer der Erste zu sein, und vorzustreben den Andern« unbewußt bethätigend, welche später als Wahlspruch seinen Bestrebungen vorleuchtete.

Seine Fortschritte in der Schule waren von keinen besonders sichtbaren Erfolgen begleitet; er war eben nur ein Schüler wie hundert andere, ohne durch irgend Etwas sich hervorzuthun. Mehr schon mögen Funken des sich regenden Geistes im unmittelbaren Verkehr mit seiner Mutter sich geoffenbart haben, da diese, wie Augenzeugen berichten, sich öfters zu der etwas überschwänglichen Aeußerung: »Robert ist mein lichter Punkt« veranlaßt fand. Doch aber war er im Ganzen so weit entwickelt, daß mit ihm um diese Zeit neben dem Schulbesuch auch der Musikunterricht begonnen wurde.8 Er erhielt denselben von dem, 1776 geb. und den 12. März 1855 im Alter von 79 Jahren verstorbenen Lehrer am Lyceum zu Zwickau, Baccalaureus Kuntzsch, und zwar auf dem Clavier. Dieser, aus den untersten Schichten der Gesellschaft (sein Vater war ein armer Insaß des Dorfes Wilschdorf bei Dresden), durch beharrlichen Fleiß und unter den mannichfachsten Entbehrungen zu einem achtunggebietenden Wirkungskreise emporgestiegen, wird als ein formell höflicher Mann von altfränkischem Zuschnitte und einer bis ans Kleinliche streifenden Pedanterie geschildert. Neben seinem wissenschaftlichen Berufe hatte er sich in den Mußestunden mit Musik beschäftigt, und dabei so viel von den Praktiken derselben profitirt, um eine Organistenstelle bei mäßigen Ansprüchen versehen und Clavierunterricht geben zu können. Wenn man sich in die Vergangenheit und damit zugleich in eine Zeit zurückversetzt, in der die[9] Schule des modernen Pianofortespiels erst in der Entfaltung begriffen war, so wird man leicht einen Schluß auf Leistungsfähigkeit und Lehrmethode eines Mannes machen können, der, gänzlich abgeschieden von der musikalischen Welt, in einem damals unbedeutenden Orte9 lebend, sich selbst gebildet hatte. Und in der That war auch sein praktisches und theoretisches Vermögen keineswegs von der Beschaffenheit, um eine so reichbegabte, und deshalb um so eher den Verirrungen ausgesetzte musikalische Natur, wie diejenige Schumann's, zu einer gedeihlichen Entwickelung zu bringen. Immerhin verdankte Robert seinem Musiklehrer die Bekanntschaft mit dem Nothwendigsten des Clavierspiels und den ersten Anstoß zur Kundgebung seines angeborenen musikalischen Talents, weshalb er demselben auch bis in die spätesten Jahre seines Lebens eine freundschaftliche Erinnerung bewahrte. Als Beleg dafür möge hier einer seiner Briefe folgen:


Godesberg (bei Bonn) Anfangs July 1852,


Theuerster Lehrer und Freund,


Am liebsten hätte ich Ihnen zum heutigen Tage10, diesem Tage großer Freude für Alle, die Ihnen nahe stehen, meine Wünsche selbst gebracht, am liebsten in vollen Tönen des Chors ausgesprochen, was an solchen Tagen das Herz bewegt. Aber leider bindet, dem ersten Wunsch zu genügen, die weite Ferne, und dann traf mich die Kunde des Ehren- und Freudenfestes später, als es der theilnehmende Freund, Herr Dr. Klitzsch beabsichtigte und entfernt von Düsseldorf, von wo er mir seinen Brief nachschickte.

So sei Ihnen denn von einem Ihrer Schüler, der die Erinnerung an so vieles von Ihnen empfangene Gute in treuem Herzen bewahrt, wenigstens ein Kranz11 dargebracht, den ich im Verein mit meiner Frau, die Ihnen gleichfalls ihre hochachtungsvollen Grüße sendet, am liebsten selbst aufgesetzt hätte, mit dem wir aber leider nur im Geiste[10] die würdige Stirn umschlingen können – und bewahren Sie Ihre alte Liebe und Theilnahme auch ferner


Ihrem

dankbar ergebenen

Robert Schumann.


Die Kunst der Töne hatte trotz unzureichender Leitung und Unterweisung gar bald das Innere des Knaben entzündet; ihr Zauber löste, wie es scheint, zuerst die Bande des Geistes und übte zugleich eine solche Gewalt auf das jugendlich erregte Gemüth, daß Robert auf eigne Hand und ohne irgend eine Kenntniß der Generalbaßlehre sogar selbstschöpferische Versuche anstellte. Die frühesten derselben, in kleinen Tänzen bestehend, fallen bereits in das siebente oder achte Lebensjahr. Gleichzeitig machte sich auch die Gabe des Phantasirens bemerkbar. Ein zu Nr. 52. Jahrgg. 1848 der Allg. Musikal. Zeitung ausgegebenes Beiblatt vom April 1850, enthält eine werthvolle, auf urkundlichen Mittheilungen beruhende biographische Skizze Robert Schumann's, in welcher es unter Anderem heißt: »Es wird erzählt, daß Schumann schon als Knabe eine besondere Neigung und Gabe besessen habe, Gefühle und charakteristische Züge mit Tönen zu malen; ja, er soll das verschiedene Wesen um ihn herumstehender Spielkameraden durch gewisse Figuren und Gänge auf dem Piano so präcis und komisch haben bezeichnen können, daß jene in lautes Lachen über die Aehnlichkeit ihres Portraits ausgebrochen seien.«

Eben so sehr nun als die Musik, zog ihn die Lectüre an, zu deren Befriedigung er die reichlichste und mannichfaltigste Gelegenheit in der Buchhandlung seines Vaters fand. Wie in der Musik waren auch hier eigene Produktionsversuche die nächste Folge. So schrieb er z.B. Räuberkomödien, die er mit Hilfe seines Vaters und seines älteren Bruders Julius sowie der dazu geeigneten Schulkameraden auf einer eigens dazu hergerichteten kleinen Bühne (gegen Entrée) aufführte. Sein Vater bemerkte, wie man schon aus der Mitwirkung zur Darstellung dieser harmlosen dichterischen Versuche abnehmen kann, diese Neigung Roberts besonders gern und begünstigte sie, so weit es seine Zeit erlaubte, in der Hoffnung, sein Lieblingssohn werde später die schriftstellerische Laufbahn betreten, auf der er sich selbst mehrfach versucht hatte. Diese Hoffnung indeß wurde in der Folge wieder in den Hintergrund gedrängt, als Roberts Vorliebe für[11] die Musik mehr und mehr hervortrat, welche überdies sehr bald durch ein wichtiges Ereigniß befruchtende Nahrung empfangen sollte.

Robert hörte nämlich in Karlsbad, wohin ihn sein Vater mitgenommen hatte, Ignatz Moscheles, den epochemachenden Meister des Clavierspiels12, und empfing damit die Eindrücke allgemein bewunderter Künstlerschaft. Wie mächtig und nachhaltig dieselben auf das jugendliche Gemüth einwirkten, geht aus dem Umstande hervor, daß Schumann bis in seine letzten Lebensjahre hinab die ungeschwächte Erinnerung dieses Erlebnisses bewahrend, öfters mit wahrer Begeisterung von demselben sprach. Dies bestätigt auch ein an Moscheles gerichteter Brief Schumann's vom 20. November 1851, in welchem er diesem schreibt: »Freude und Ehre haben Sie mir bereitet durch die Widmung Ihrer Sonate13; sie gilt mir zugleich als eine Ermunterung meines eigenen Strebens, an dem Sie von jeher freundlich Antheil nahmen. Als ich, Ihnen gänzlich unbekannt, vor mehr als 30 Jahren in Carlsbad mir einen Concertzeddel, den Sie berührt hatten, wie eine Reliquie lange Zeit aufbewahrte, wie hätte ich da geträumt, von so berühmtem Meister auf diese Weise geehrt zu werden. Nehmen Sie meinen innigsten Dank dafür!«

Sehr erklärlich ist es, daß Robert, durch diese Erscheinung jugendlicher und vollendeter Meisterschaft aufs Aeußerste erregt, nach erfolgter Heimkehr mit verdoppeltem Eifer der Musik oblag. Er hatte nun doch ein Ideal gewonnen, das ihn in Ermangelung einer tüchtigen Anleitung und Unterweisung bei seinen musikalischen Bestrebungen leitete, und zur Nacheiferung anspornte; woraus sich denn sehr bald kühne Wünsche und Pläne im Innern des einmal entflammten Knaben erzeugten. Ehe sich dieselben aber verwirklichten, gab es freilich noch manche harte Prüfungen und Kämpfe zu bestehen.

Roberts Schulbildung war inzwischen so weit vorgeschritten, daß er Ostern 1820 in die Quarta des Gymnasiums aufgenommen werden konnte.14 Er trat nun in eine öffentliche Lehranstalt ein, und damit[12] zugleich in erweiterte Verhältnisse, die ihm im Vergleich zu den Anforderungen der bisher besuchten Privatschule eine umfassendere Thätigkeit auferlegten. Nichtsdestoweniger blieb er auch unter diesen Verhältnissen seinen Neigungen für Musik und Literatur treu; wenn aber fortan ein entschiedenes Hinüberneigen zur ersteren bemerkbar wurde, so war dies die natürliche Folge seines specifisch musikalischen Talentes und des durch Moscheles' Meisterschaft empfangenen Impulses, der um so kräftiger nachwirkte, als es der erste bedeutsame war, den Robert überhaupt in seinem Leben erhielt.

In dem Maaße nun, als dem zarten Knaben sich mehr und mehr die Pforten des Kunsttempels öffneten, dem hoffnungsbeseelten Auge den Blick in die Vorhallen desselben gestattend, fühlte er sich dem Verkehr seiner Jugendgespielen entrückt. Er gewann aber bald andere an Stelle derselben, die für sein nunmehr in das Reich des Schönen hinübergreifendes Verlangen ein offenes Herz mitbrachten, und durch ihn angeregt, sich seinem Treiben mitwirkend anschlossen. Unter diesen befand sich ein gleichaltriger Knabe, den Robert häufig, ja fast täglich in seinem elterlichen Hause sah, um mit ihm zu musiciren; es war der Sohn eines Musikers, Namens Piltzing, des Dirigenten einer mit dem Stabe des Prinzen Friedrich von Sachsen im Jahre 1821 nach Zwickau versetzten Regimentsmusik. Der junge Piltzing wurde bald, nachdem sein Vater im neuen Wohnort sich heimisch gemacht, Mitschüler Roberts bei Kuntzsch.15 Beide lernten dadurch einander kennen und schlossen ein musikalisches Freundschaftsbündniß. Die gemeinsamen Musikfreuden, denen sie sich hingaben, bestanden im vierhändigen Spielen der Haydn'schen und Mozart'schen, später auch wohl einzelner Beethoven'scher Symphonien, so wie der damals bereits vorhandenen Originalcompositionen à quatre mains von Weber, Hummel und Czerny. Namentlich gab es einen besonders lebhaften Aufschwung, als im Schumann'schen Hause ein neuer Flügel aus der berühmten Streicher'schen Fabrik in Wien anlangte. Man sieht hieraus, daß der alte Schumann das fleißige Musiktreiben seines Sohnes eher begünstigte als verhinderte. Ohne ein Verständniß für die Tonkunst[13] zu haben, erkannte er mit richtigem Takt die musikalische Begabung seines Kindes und leistete deren Bethätigung auf indirekte Weise jeden Vorschub. So schaffte er auch nach und nach eine reiche Sammlung der damals gangbaren Tonwerke für Pianoforte herbei, die durch seine vielfältigen buchhändlerischen Verbindungen bei jeder sich darbietenden Veranlassung aufs bequemste vermehrt wurde, und in deren Schätzen Robert nach Herzenslust seinen mächtig aufkeimenden Trieb zur Kunst befriedigen konnte.

Das geschilderte bescheidene Musikleben im Schumann'schen Hause erweiterte sich nach einiger Zeit durch einen Zufall hinsichtlich der mitwirkenden Kräfte. Robert fand nämlich, wie von ohngefähr, im Geschäftslokale seines Vaters die, vielleicht durch ein Versehen von auswärts her mit eingesandte Ouverture zu »Tigranes« von Rhigini in vollständigen, gedruckten Orchesterstimmen. Diese Entdeckung erweckte alsbald auch die kühne Idee, das genannte Musikstück aufzuführen. Es wurden also alle in der Knabenbekanntschaft etwa disponibeln orchestralen Kräfte aufgeboten, und bald hatte sich ein, freilich in jeder Hinsicht sehr unzureichendes, musikbeflissenes Häuflein zusammengefunden. Im Wesentlichen bestand dasselbe aus zwei Violinen, zwei Flöten, einer Clarinette und zwei Hörnern. Die fehlenden Instrumente, namentlich den Baß suchte Robert, der das Ganze gleichzeitig mit dem nöthigen Ernste und Eifer dirigirte, so gut es gehen wollte, am Fortepiano zu ergänzen. Dieser Versuch hatte natürlich der kleinen Gesellschaft sehr viel Freude und Genugthuung bereitet, und Robert's Vater unterstützte ihn dadurch, daß er die erforderlichen Musikpulte anfertigen ließ. Von Zeit zu Zeit schritt man zu anderen nicht schwierigen Musikstücken vor, die Robert mit geeigneten, den vorhandenen Kräften angemessenen Arrangements versah. Auch componirte er, sicher durch diese Zusammenkünfte dazu angeregt, den 150. Psalm für Chor mit Instrumentalbegleitung, welcher gleichfalls unter Beihülfe der singenden Schulkameraden aufgeführt wurde. Die Composition desselben fällt in das zwölfte oder dreizehnte Lebensjahr. Einen derartigen, in aller Stille begangenen Musikabend (in der Regel war nur der Vater zugegen, und auch dieser that als nähme er keine sonderliche Notiz von dem Treiben der Jugend) beschloß Robert meist mit dem Vortrag einer freien Phantasie auf seinem Instrumente, wodurch er seinen Genossen nicht wenig imponirt haben mag.

Inzwischen sollte Robert Gelegenheit finden, sein musikalisches[14] Talent auch außer dem elterlichen Hause zu bethätigen: dies geschah in einigen befreundeten Familien Zwickau's, namentlich in der eines längst verstorbenen Kaufmanns, Namens Carus16, so wie auch in sogenannten Abendunterhaltungen, welche regelmäßig im Gymnasium von Schülern desselben veranstaltet, und mit mannichfachen Vorträgen ausgestattet wurden. Er ließ sich hier theils als Solospieler hören, theils accompagnirte er am Clavier die etwa aufgeführten Chorstücke, unter denen namentlich Anselm Weber's Composition zu dem Schiller'schen Gedichte »der Gang nach dem Eisenhammer« genannt wird. Wie weit damals bereits der Grad seiner Gewandheit auf dem Pianoforte vorgeschritten war, beweist der von ihm in jenen Abendunterhaltungen unternommene Vortrag der Alexandervariationen von Moscheles, so wie der Variationen über »Ich war Jüngling« etc. von Herz17. Diese auf eigene Hand hin gewagten Debüts zogen ihm aber dermaßen den Unwillen seines Musiklehrers zu, der überhaupt nicht den geringsten Antheil an den musikalischen Vorgängen in Schumann's elterlichem Hause nahm, daß derselbe erklärte, er wolle den Unterricht nicht weiter fortsetzen: Robert könne sich nun schon allein fortbilden.

Im Grunde war mit diesem Vorfall kein Nachtheil für den Kunstjünger verbunden; denn da er den Rath seines Lehrers ganz und gar nicht in Anspruch nahm und vollkommen nach eigenem Gutdünken in musikalischen Dingen verfuhr, jener aber erklärte, Robert bedürfe seiner nicht mehr, so war es ganz gleichgültig, ob dieser Unterricht noch länger fortgesetzt wurde oder nicht.

Daß übrigens der alte Kuntzsch trotz seines von einer gewissen Pedanterie nicht freien Wesens Schumann's musikalische Begabung[15] richtig zu taxiren verstand, beweist ein Brief18, welchen derselbe unterm 9. Decbr. 1830 an unsern Meister aus Anlaß von dessen Uebertritt zur künstlerischen Laufbahn richtete. Derselbe lautet wörtlich: »Die Nachricht, die ich von Ihrer Frau Mutter vor einigen Wochen erhielt, daß Sie die Jurisprudenz verlassen und sich ausschließlich der Kunst, besonders der Musik widmen wollten, hat mich auf das Angenehmste überrascht. Gern hätte ich Ihnen meine Freude über Ihren Entschluß sogleich wissen lassen, wenn mich nicht Ihre gute Mutter noch durch die Vorstellung und Versicherung abgehalten hätte, daß Sie in jenem Augenblick Heidelberg bereits verlassen, und die Reise nach Leipzig angetreten haben würden. Sie sind wie ich höre, seit Kurzem glücklich dort angekommen, und betreiben Ihr Kunststudium unter der Leitung von Männern, die mit Gründlichkeit zugleich seinen Geschmack verbinden, und deren Meisterschaft in der Künstlerwelt längst anerkannt ist. Denke ich mir nun zu diesen glücklichen Umständen Ihr herrliches Musiktalent, Ihre lebhafte Phantasie, Ihre glühende Liebe zur Tonkunst, die sich schon mit frühester Jugend so kräftig zeigte, und Ernst, Eifer und ausdauernde Beharrlichkeit, mit welcher Sie Ihr Ziel verfolgen: – so ist es wohl keinem Zweifel unterworfen, daß bei einem solch glücklichen Zusammentreffen äußerer und innerer Hülfsmittel nur die schönsten Resultate zu erwarten sind, daß die Welt in Ihrer Person einen der ersten Künstler mehr zählen, und Ihre Kunst Ihnen ganz sicher viel Ehr' und Unsterblichkeit verschaffen wird. Dieß, verehrter Freund, ist meine feste Ueberzeugung.

Was Sie jetzt laut erklärt haben, habe ich im Geiste schon längst kommen sehn, und auch Ihre Frau Mutter bei jeder Gelegenheit – doch mit Vorsicht und nur mit entfernter Anspielung – darauf vorzubereiten gesucht. Das kaltherzige Jus würde sich nie mit Ihrer regen Phantasie haben amalgamiren können; das Thun und Treiben von jenem ist Ihrem ganzen Wesen zu sehr entgegen.«

August Schumann, der gleichsam aus der Ferne dem bisherigen Treiben seines Sohnes zugesehen, doch aber durch dessen öfter wiederholte Anläufe zum Produciren19 aufmerksamer geworden war, mochte mehr[16] und mehr die Ueberzeugung gewinnen, daß Robert von der Vorsehung zum Musiker bestimmt sei. Diese Ansicht fand indeß den heftigsten Widerstand bei seiner Gattin. Ohne alles Interesse für die Musik, vermochte sie eben so wenig die Begabung ihres Kindes zu würdigen, als sich über die kleinlichen Vorurtheile hinwegzusetzen, welche damals noch häufig in gewissen Ständen gegen den künstlerischen Beruf herrschten. Sie erinnerte vielmehr ihre Umgebung an die materielle Bedrängniß Mozart's und anderer Meister, und wies den Liebling dann um so nachdrücklicher auf die Nothwendigkeit eines sogenannten Brodstudiums hin. Wie fest und unveränderlich sie an dieser Meinung noch lange Jahre hielt, wird die weitere Darstellung zeigen.

Trotz alledem that der Vater Roberts einen entscheidenden Schritt in dieser Angelegenheit. Er wandte sich nämlich brieflich an Carl Maria v. Weber mit der Bitte, die musikalische Leitung und Ausbildung seines Sohnes zu übernehmen20. Der Meister war erbötig, darauf einzugehen, allein zu einer Verwirklichung dieses Planes kam es nicht. So erhielt denn Robert in der Folge nur »eine gewöhnliche Gymnasialbildung, nebenbei mit ganzer Liebe seine musikalischen Studien verfolgend, und nach Kräften selbst schaffend«, wie er sich später einmal ausdrückt. Freilich war mit diesem autodidaktischen Beginnen der nicht zu übersehende und schwer in die Waagschale fallende Umstand verbunden, daß er in einem Alter, wo Geschmack und Urtheilskraft weder geregelt noch befestigt sind, sich selbst überlassen blieb. Er hatte Niemand, dessen Anleitung und Rath ihm zu Statten gekommen wäre, und hing so, ohne es zu ahnen, in allen seinen musikalischen Unternehmungen von Willkür und Zufall ab.

Doch nicht allein, daß ihm die leitende und stützende Hand des Meisters oder eines in musikalischen Dingen einsichtsvollen Mannes fehlte, er war auch gleichzeitig den Gefahren der Eitelkeit ausgesetzt, die schon manches bedeutende Talent zu Grunde gerichtet hat.

Robert fand im Hinblick auf seine angeborene Begabung weder unter den Aelteren noch Jüngeren seines Wohnorts einen ebenbürtigen Rivalen; seine Gewandtheit und Fertigkeit auf dem Pianoforte kann um jene Zeit nicht mehr unerheblich gewesen sein. Schon begann er,[17] wie man gesehen hat, in größeren Kreisen als Clavierspieler sich hören zu lassen, wodurch er die allgemeinste Aufmerksamkeit, ja sogar Aufsehen erregte. Was Wunder nun, wenn die bei solchen Veranlassungen ihm gezollte kleinstädtische Bewunderung Glauben und Zuversicht in ihm erzeugte und befestigte, er sei auf dem rechten Wege und bedürfe eines Studiums unter fremder Leitung fernerhin nicht mehr, zumal sein bisheriger Lehrer ihm keine zu hohe Meinung von der Nothwendigkeit eines regelnden und bildenden Unterrichts beigebracht hatte? Und in der That, wie sich zeigen wird, experimentirte Schumann später, in mancher Beziehung der Einsicht und den Rathschlägen Sachverständiger widerstrebend, auf eigne Hand hin zu seinem Schaden. Auf der einen Seite büßte er dadurch den freien Gebrauch seiner rechten Hand beim Clavierspiel ein, auf der andern Seite wurde er länger als wünschenswerth, von dem ernsten und schulgerechten Studium des theoretischen Theiles der Kunst zurückgehalten. Bei alledem ist und bleibt es wahrhaft bewundernswerth, zu welcher Höhe der Leistungen Schumann endlich noch im Gebiete der Composition sich erhob; ein Umstand, der einen um so schlagenderen Beweis für seine reiche produktive Kraft liefert.

Wir haben das Leben Robert Schumann's bis zum Jünglingsalter betrachtet. Der Eintritt in dasselbe war von eigenthümlichen Erscheinungen begleitet, die zur Hauptsache wohl durch den Prozeß der Evolutionsperiode, so wie des Einflusses derselben auf Körper und Gemüth erzeugt wurden. Denn während Robert als Knabe stets einen überwiegend heitern Charakter gezeigt hatte, und in Folge dessen gern die Gelegenheit ergriff, in neckender Weise durch Jugendstreiche Kameraden und Dienstleute, vorzugsweise aber seine Schwester zu überraschen, verkehrte sich im Laufe des vierzehnten Lebensjahres sein Wesen fast in das Gegentheil von alledem. Alles deutet von hier ab auf ein mehr verschlossenes, innerliches Leben. Der heranreifende Jüngling wurde sinnender, schweigsamer und zeigte überhaupt jenen Hang zu Träumerei, der hemmend für den Verkehr, nicht sowohl mit Geistern als mit Menschen ist.

Diese äußere Passivität, welche Schumann bekanntlich das ganze Leben hindurch nicht verließ, bewirkte sofort ein gewisses Ansichhalten und den Mangel eines offenen rückhaltlosen Verkehrs mit seines Gleichen. Wohl nahm er gewisse, mit der Beschaffenheit seines inneren Naturells harmonirende Eindrücke seiner Umgebung, wie überhaupt[18] der Außenwelt in sich auf, und assimilirte sie seiner Natur gemäß, während er alle solche Einflüsse von sich wies, die ihm eine mannichfaltigere Bereicherung und Entwickelung hätten gewähren können, aber zugleich ein bequemes und in sich selbst verharrendes Sichgehenlassen seines Innern gestört haben würden. Wie er sich exclusiv gegen ihm nicht convenirende Elemente zeigte, so verhielt sich auch seine Natur bei dem, was sie in sich aufnahm, äußerlich passiv. Von einer kräftigen, wahrnehmbaren Rückäußerung der in ihm arbeitenden Gegensätze wurde man daher im Verkehr mit ihm wenig gewahr, und so mußte er denn oft theilnahmlos, zerstreut und indolent erscheinen.

Diese Beobachtung konnten selbst die seinem Herzen Nächststehenden machen. Um diese Zeit gehörten zu denselben vor Allem seine Schwägerin Therese, Gattin seines ältesten Bruders Eduard21, an die ihn ein langjähriges sehr innig befreundetes Verhältniß fesselte, und zwei seiner Schulkameraden, Röller22 und Flechsig23. Die beiden Genannten namentlich, von denen Robert als seinen treuesten und anregendsten Freund Emil Flechsig bezeichnet, zogen ihn durch die gleiche Neigung zur Literatur besonders an, und mit ihnen vereint wurden häufig die bedeutenden Vorräthe der väterlichen Buchhandlung durchmustert, wobei Sonnenberg und Schulze, zu den Lieblingsschriftstellern erkoren, den Maßstab zur Auswahl und Beurtheilung an die Hand gaben. Auf diesen Verkehr bezüglich schreibt Röller an seinen Freund Flechsig nach Schumann's Tode: »ob man gleich oft mit ihm (nämlich mit Schumann) zusammen gewesen ist, kann man doch eigentlich nicht viel von seinem innern Wesen sagen, er war nicht so klar und offen, daß er sich ganz decouvrirt hätte und durchsichtig geworden wäre«.

Unter den wechselseitigen Einflüssen der fortschreitenden Gymnasialbildung, des geschilderten Musiktreibens und des Studiums schönwissenschaftlicher Schriften, von denen erotische Dichtungen bevorzugt wurden, kam das sechzehnte Jahr heran. Von hier an beginnen allgemach die Conflicte des Daseins den zu einem stillen, schwärmerischen Jüngling[19] herangewachsenen Knaben zu berühren; es erschien ihm die erste bedeutungsvolle Zeit seines Lebens.

Zwei Ereignisse entgegengesetzter Art waren es, die mit bisher ungekannter Macht in das Innere Roberts griffen und ihn zu höherem Bewußtsein seiner selbst erweckten: der am 10. August 1826 erfolgte Tod seines Vaters24 und – eine erste, gleichwohl, wie es scheint, nicht lange ausdauernde zarte Neigung. Wie mag da unter den widersprechenden Gefühlen von Schmerz und Freude das jugendliche Herz bewegt worden sein! Und so starke Impulse bewirkten diese Erlebnisse, daß Robert sich nach längerer Ruhe wieder zu musikalischen und poetischen Erzeugnissen gedrängt fühlte, denen nach einmaligem Anstoß bald mehrere folgten. Die ferneren Anregungen zu denselben empfing er durch eine musikkundige Dilettantin, welche während des Sommers 182725 in Zwickau verweilend, vermöge ihres angenehmen Gesanges große Anziehungskraft auf Robert ausübte. Sie war Verwandte des Carus'schen Hauses, und Gattin eines damals zu Colditz in Sachsen lebenden Dr. med. Carus, des nachmaligen Professors der Medicin an den Universitäten zu Leipzig und Dorpat. Mit dieser nun gab er sich, seiner Aeußerung zufolge, einer förmlichen Musikschwärmerei hin, die ihn zu eigenen Produktionen im Bereich des Liedes antrieb. So entstanden in dieser Periode eine Anzahl Gesänge auf Byron'sche, Schultze'sche und selbstverfaßte Gedichte26. Um aber diesen erregten Zustand Roberts vollständig zu machen, mußte noch die Bekanntschaft der Jean Paul'schen Schriften hinzukommen. Es war im wörtlichen Sinne die »Jean Paulzeit« mit ihrer ganzen Ueberschwänglichkeit über ihn hereingebrochen, und was dies heißen will, wird jeder nachzuempfinden vermögen, der sich als Jüngling etwa in einer ähnlichen Lage befunden hat.

Man sollte glauben, nach so mannichfachen naturwüchsigen und im Drange wechselnder Ereignisse abgelegten Proben schöpferischer Begabung, hätte Roberts Mutter bei verständiger Berathung leicht[20] einen seinen Fähigkeiten und Neigungen entsprechenden Lebensplan entwerfen können. Nichtsdestoweniger und obschon Robert den Wunsch, der Musik ganz anzugehören, inzwischen sogar durch öffentliches Auftreten als Clavierspieler27 an den Tag gelegt hatte, vermochte sie sich nicht davon zu überzeugen, daß er der Kunst bestimmt sei. Sie sah, in ihrer ursprünglichen Meinung durch Roberts Vormund, den Kaufmann Rudel in Zwickau bestärkt, vielmehr gänzlich davon ab, ihrem Sohne nach der nahe bevorstehenden Absolvirung des Gymnasiums ein berufsmäßiges Kunststudium zu gestatten. Lediglich wollte sie dessen Musiktreiben als dilettantische Unterhaltung betrachtet wissen, hatte auch in diesem Sinne nichts gegen die Fortsetzung desselben, glaubte aber zugleich ihre zärtliche und besorgte mütterliche Liebe durch nichts besser zu bethätigen, als durch die dringliche Anempfehlung eines sogenannten Brodstudiums, in dem sie das ganze Heil für die Zukunft ihres Kindes erblickte. Robert, noch durch tausend Fäden kindlicher Ergebenheit und Zuneigung gerade an die Mutter gefesselt, fügte sich für den Augenblick ihren Wünschen. Demzufolge ging er im März 1828 nach Leipzig, um das Nöthige für einen längeren Aufenthalt daselbst vorzubereiten und seine Immatriculation auf der Universität als Stud. jur. zu bewerkstelligen, welche am 29. März28 erfolgte. Hier begrüßte er seinen, auf dem Gymnasium ihm vorangeeilten Freund Emil Flechsig als Studiosus der Theologie, mit dem er das Abkommen einer gemeinschaftlichen Wohnung traf, sowie den Stud. jur. Moritz Semmel29, Bruder seiner Schwägerin Therese. Durch den Letzteren machte er die bald zu einem Freundschaftsbund Veranlassung gebende Bekanntschaft mit dem Stud. jur. Gisbert Rosen30. Beide fühlten sich nämlich gegenseitig lebhaft angezogen durch ihre unbegrenzte Verehrung für Jean Paul, der so leicht in Jünglingsgemüthern eine gehobene, zu enthusiastischen Freundschaftsbündnissen[21] geneigte Stimmung erweckt. Da beiderseitig sich schnell das Bedürfniß eines längeren Zusammenlebens aussprach, Rosen aber zu Ostern 1828 die Universität Leipzig mit Heidelberg zu vertauschen im Begriff stand, so lud Schumann den neugewonnenen Freund ein, seinen Weg nach Heidelberg mit dem Umwege über Zwickau zu nehmen und einige Zeit im elterlichen Hause zu verweilen. Rosen folgte dieser Einladung, und man traf sich nach Verlauf von ein paar Wochen in Schumann's Geburtsstadt, nachdem letzterer vorher noch einen Abstecher über Teplitz nach Prag gemacht, wo seine Mutter sich besuchsweise aufhielt. Der werthe Gast verweilte, bis Robert sein Abiturientenexamen abgelegt hatte, und ließ sich dann von demselben auf seiner Reise nach Heidelberg bis München begleiten.

In Schumann's Vaterhause stand man damals gerade im Begriff, ein Familienfest zu feiern. Es war die Vermählung des zweitältesten Bruders, Julius Schumann. Bei dieser Gelegenheit gab Robert denn auch wieder Beweise seines poetischen Talents durch ein Hochzeitsgedicht für seinen Bruder Julius, welches er trotz der Unruhe, in die ihn das Maturitätsexamen versetzt hatte, eines Abends vor den Augen seines gerade anwesenden Freundes Rosen in kurzer Zeit niederschrieb31. Uebrigens war diese am 15. April 1828 vollzogene Hochzeit von einem seltsamen, die Herzen erschütternden Ereigniß begleitet, welches namentlich auf Robert den nachhaltigsten Eindruck hervorbrachte. Die Trauung sollte auf einem Dorfe, drei Stunden von Zwickau, vollzogen werden. Dort stürzte aber der Geistliche, dem die Vollziehung der Feierlichkeit oblag, in dem Augenblicke vom Schlage gerührt todt zur Erde nieder, als er sich anschickte, mit dem Brautpaar aus der Predigerwohnung nach der Kirche zu gehen. In Folge dieses Unglücksfalles übernahm der anwesende Vater der Braut, Superintendent Lorenz die Vollziehung der kirchlichen Einsegnung.

Das Abiturientenexamen war endlich glücklich überstanden und so glänzend ausgefallen, daß Robert mit dem Zeugniß der Reife Ib. zur Universität entlassen wurde. Die hierüber in Schumann's Familie herrschende Freude wurde nur in etwas durch dem Umstand gedämpft, daß der angehende Student bei dem mit der Entlassung verbundenen öffentlichen feierlichen Schulakte, im Vortrag des von ihm selbst verfaßten Gedichtes »Tasso's Tod« stecken blieb. So zeigte er bereits[22] als Jüngling schöpferische Kraft, aber einen Mangel der Fähigkeit, dieselbe nach Außen glatt zur Wirkung zubringen.

Die beiden jungen Freunde begaben sich sehr bald auf die schon erwähnte Reise; sie wurde mit der damaligen, Nachts durch Zwickau gehenden Eilpost angetreten, zunächst nach Bayreuth. Hier einen Tag zu verweilen, mochten die Jean-Paul-Schwärmer sich nicht versagen, um alle durch den Dichter denkwürdig gewordenen Plätze zu besuchen, vor allem das Grab Jean Pauls, die »Phantasie« und die »Eremitage«. Auch wurde der in der Nähe wohnenden alten Rollwenzel gedacht, die gründlich referiren mußte.

Von Bayreuth ging's über Nürnberg nach Augsburg, wo wiederum Rast gehalten wurde. Hierzu lag gleichfalls eine besondere Veranlassung vor, die diesmal indeß keinem Todten, sondern Lebenden galt. Schumann hatte nämlich eine Empfehlung an den als Chemiker seiner Zeit nicht unbekannten Dr. v. Kurrer32 in Augsburg abzugeben, dessen Gattin aus Zwickau war. – Dies gab Veranlassung, daß die beiden Reisenden mehrere Tage in dem gastlichen Hause des Genannten verweilten. Schumann ließ sich diesen extemporirten Aufenthalt um so lieber gefallen, als er sehr schnell eine lebhafte Neigung für die schöne, tiefblauäugige Tochter seines liebenswürdigen Wirthes faßte, die ihn auch längere Zeit nachher noch beschäftigte, allerdings ohne weiteren Erfolg, da Clara, so hieß das Mädchen, bereits einen warmen Verehrer hatte, mit dem sie auch später eine Verbindung einging. Der Letztere war aber so großmüthig, sich bei Schumann, der als junger Mann kein ungefährlicher Nebenbuhler war, statt jeder Animosität durch eine Empfehlung an H. Heine (damals in München), zu revanchiren, welcher v. K. eine andere an den Maler Clemens Zimmermann hinzufügte.

In München eilten die beiden jungen Männer diese Empfehlungen zu überreichen. Namentlich brannten sie vor Begierde, H. Heine, der damals im Erstlingskranze seines Ruhmes strahlte, und dessen Reisebilder und Buch der Lieder eben von der heranwachsenden Generation verschlungen wurden, persönlich kennen zu lernen. Er bewohnte ein schönes Gartenzimmer, dessen Wände durch Gemälde der damals in[23] München lebenden Künstler reich geschmückt waren. Der hochbegabte Dichter entsprach ganz dem Bilde, welches die fremd eintretenden Genossen nach seinen Schriften sich von ihm gemacht hatten; was noch etwa daran fehlte, wurde durch die sarkastische, beißend-witzige Ausdrucksweise Heine's, der er freien Zügel ließ, sehr bald ergänzt. Schumann verweilte mehrere Stunden bei Heine, während Rosen sich verabschiedete, um einen Landsmann aufzusuchen. Alle Drei trafen sich aber in der Leuchtenberg'schen Gallerie wieder, wo den beiden Fremdlingen fortgesetzte reichliche Gelegenheit geboten wurde, die scurrilen Einfälle Heine's, dessen Laune sich als eine unerschöpfliche zeigte, theils zu bewundern, theils zu belachen.

Der Besuch bei Zimmermann war, wenn auch in anderer Weise als bei Heine, nicht minder ergiebig. Die jungen Leute fanden dort eine sehr zuvorkommende liebevolle Aufnahme, mit bewirkt durch einen Vortrag Schumann's auf dem Pianoforte, und es wurde ihnen der hohe Genuß zu Theil, die Cartons des Meisters zu den Gemälden in der Glyptothek, sowie auch die letztere selbst zu sehen.

Nachdem noch alles sonst Denkwürdige der bairischen Residenz gemeinsam in Augenschein genommen war, trennten sich die Freunde am 2. Mai. Rosen nahm seinen Weg über Augsburg nach Heidelberg, nicht ohne ein zartes Andenken von Schumann an die Schöne; der letztere begab sich über Regensburg zunächst wieder nach seiner Heimathsstadt, um für längere Zeit von derselben Abschied zu nehmen. Dies geschah sehr eilig, wie aus einem Briefe Schumann's an den Freund Rosen ersichtlich ist. Er lautet:


Leipzig, den 5. Juni 1828.


Mein theurer Rosen,


Heute ist der 19. Juni, so lange hat es leider gedauert, daß ich den Brief fortsetzen konnte. Ach! wer doch mit Dir in Heidelberg wäre. Leipzig ist ein infames Nest, wo man seines Lebens nicht froh werden kann – das Geld macht reißende Fortschritte und mehr als man in den Hörsälen machen kann – eine Bemerkung, die geistreich genug aus dem Leben zu greifen ist und noch dazu aus meinem. Hier sitze ich nun ohne Geld, im stummen Vergleichen der Gegenwart mit den jüngst verflossenen Stunden, die ich mit Dir so innig, so heiter verlebte und bleibe sinnend vor Deinem Bilde stehen und vor dem komischen Schicksal, welches die Menschen auf so entgegengesetzten Wegen zusammenführte, vereint und wieder von einanderreißt. Du[24] sitzest vielleicht jetzt auf den Ruinen des alten Bergschlosses und lächelst vergnügt und heiter die Blüthen des Juni an, während ich auf den Ruinen meiner eingesunkenen Luftschlösser und meiner Träume stehe und weinend in den düstern Himmel der Gegenwart und der Zukunft blicke. Himmel! Dieser Brief scheint ja entsetzlich ernst zu werden und das soll er bei Gott nicht, melancholische Gesichter wie Deines müssen aufgeheitert werden und meinen melancholischen Ernst will ich für mich behalten.

Meine Reise über Regensburg war verflucht ennuyant und ich vermißte Dich nur zu sehr in jenem erzkatholischen Strich. Ich mache nicht gerne Reisebeschreibungen und vollends solche, welche unangenehme Gefühle aufrühren, die besser in der Erinnerung unterdrückt werden. Es reiche hin, Dir zu sagen, daß ich recht innig an Dich dachte, daß mir das Bild der lieblichen Clara im Traume und im Wachen vor Augen schwebte, und daß ich recht herzlich froh war, als ich meine gute Heimathsstadt Zwickau wieder sah. Alle waren bestürzt, daß ich nur drei Stunden bleiben wollte, denn in Zwickau hatte noch kein Mensch etwas von Nürnberg, Augsburg, München gehört, geschweige denn etwas davon gesehen; Alle wollten deshalb was erzählt haben; ich aber war unerbittlich, drückte mich nach drei Stunden, die ich dort blieb, in die Ecke des Postwagens und – weinte recht innig, und dachte über Alles nach, was mir schon vom Herzen gerissen ward und noch zertrümmert vor mir liegt, und sann über mein wildes Schlaraffenleben nach, was ich seit acht Wochen geführt hatte und leider jetzt noch führe. Du irrst Dich gewaltig, wenn Du glaubst, ich sei liederlich – nicht die Probe – ich bin ordentlicher denn je, aber ich befinde mich hier ganz erbärmlich und das Studentenleben scheint mir zu niedrig, als daß ich mich hineinstürzen möchte. Ich war nicht übel Willens Dir meine Gedanken über Burschenschaft u.s.w. zu entwickeln aber sie sind das Briefporto nicht werth, was Dich ohnehin schon 8 Gr. 6 Pf. kostet.

Mein angenehmer Rosen, wie geht es Dir denn? Heute ist herrliches Wetter, gestern war ich im Rosenthale und trank eine Tasse Kaffee! Ich bin heute ganz entsetzlich lustig, wenn Dich das interessirte, aus dem einfachen Grunde weil ich kein Geld habe und es alte Mode ist, fideler zu sein, als wenn man welches hat. Angenehmer Rosen, ich frage noch einmal, wie befindest Du Dich denn – es ist schrecklich acht gute Groschen zahlen zu müssen, um dies zu erfahren. Aber es[25] geht nicht anders, die Welt haut sich gegenseitig über die Eselsohren und so kommt Gleichgewicht heraus. Und doch freut jede Zeile, jeder Brief von Dir innig und ich will gern bezahlen, wenn ich nur von Dir Briefe erhalte.

– – – – Semmel läßt Dich herzlich grüßen, er bekümmert sich wenig um die Burschenschaft und lacht sarkastisch über die schweblichen nebligen Begriffe von Volksthum, Deutschthum, und die inflammirten Burschen ärgern sich darob gewaltig. Ach! welche Ideale machte ich mir von einem Burschen und wie armselig fand ich sie meistens. – Jetzt gehe ich sachte zum ernsthaften Capitel meines Briefes über und den ganzen Aufenthalt in Augsburg und Deinen in Zwickau und Gera33 trägt mir der Genius der Freundschaft vor die sehnsüchtigen Augen. Ach, daß doch jede glückliche Minute sich selbst mordet!

Auf der Rückreise über Bayreuth besuchte ich, durch die Güte der alten Rollwenzel, Jean Paul's Wittwe und bekam von ihr sein Bild. Wenn die ganze Welt Jean Paul läse, so würde sie bestimmt besser aber unglücklicher – er hat mich oft dem Wahnsinn nahe gebracht34, aber der Regenbogen des Friedens schwebt immer sanft über alle Thränen und das Herz wird wunderbar erhoben und mild verklärt.

Mit diesem Brief gehen zwei nach Augsburg an den Doctor (v. Kurrer) und an Clara ab, und Du kannst nicht verlangen, daß ich mich nach solchen erschöpfenden Ergießungen noch ferner ergießen soll. Clara's Bild – – Lebe denn glücklich! jeder Genius des Menschen sei mit Dir und der der Freudenthränen begleite Dich ewig! Behalte aber auch den Freund lieb, der nur wenige Minuten mit Dir zusammen lebte, aber das recht innig und froh und Dich von Herzen lieb gewonnen, weil er in Dir einen menschlichen, weichen und doch kräftigen Jüngling fand. Vergiß die schönen Stunden nie, die wir zusammen lebten und bleibe so menschlich, so gut wie Du es jetzt bist. Antworte bald.


Dein

R. Sch.[26]


Es ergiebt sich aus der ganzen Gemüthstonart dieses Briefes, wie tief die Jean Paul'sche Stimmung in die beiden Freunde, und besonders in Schumann, eingedrungen war. Die forcirte Empfindung, die sich namentlich gern in überschwenglichen Aeußerungen ergeht, und sich nie genug thun zu können glaubt, ließ ihn zu einem Ausdrucke greifen, wie der »der Genius der Freudenthränen begleite Dich ewig«; und es ist nicht zu verkennen, daß, wie in den Jean Paul'schen Dichtungen die Musik eine so bedeutende Rolle spielt, so auch jene Uebergewalt der Empfindung gern zum musikalischen Ausdrucke greift. Dieser Jean-Paulismus bleibt ein Grundzug im Empfinden und Schaffen Schumann's, zu dem sich dann später andere Elemente hinzugesellten.

Zur Erklärung der in diesem Briefe berührten studentischen Angelegenheiten sei hinzugefügt, daß Schumann nach seiner Ankunft in Leipzig in die Burschenschaft eintrat, welcher sein schon erwähnter Studienfreund Moritz Semmel gleichfalls angehörte. Beide gaben aber, als dieselbe bald nachher fremdartige Tendenzen zu verfolgen anfing, ihre Mitgliedschaft auf, und traten zu der regenerirten Verbindung »Marcomannia« hinüber. Doch hatte dieser Verband für Schumann keine weitere Bedeutung als die, gelegentlich mit seinen Genossen, um studentisch zu sprechen, in der »Kneipe« oder auf dem Fechtboden zusammenzutreffen.

Der angedeutete Geldmangel, in welchen Schumann, wie man sehen wird, späterhin noch öfters gerieth, wurde mittlerweile durch eine Sendung seines Vormundes gehoben, welcher es zugleich an väterlichen Ermahnungen, dem erwählten Studium der Rechtswissenschaft treu zu bleiben, nicht fehlen ließ. Schumann's Antwort hierauf war folgende:


Leipzig, den 4. July 1828.


Ew. Wohlgeboren


sage ich meinen verbindlichsten Dank für das übersandte Monatsgeld – – –. Sein Sie versichert, daß ich das Geld nur auf die beste Weise verwenden werde, und daß ich durchaus keine unnöthigen Ausgaben damit bestreite.

Die Jurisprudenz habe ich ganz gewiß als mein Brotstudium erwählt, und will fleißig in ihr arbeiten, so eiskalt und trocken auch der Anfang ist.

Nehmen Sie meine innigsten Wünsche für Ihr Wohl und Ihre[27] Gesundheit und sein Sie versichert, daß ich mit der schuldigsten Hochachtung verharre


Ew. Wohlgeboren

dankbar ergebener

Robert Schumann.


Wie wenig indessen Schumann seine entschiedene Abneigung gegen das juristische Studium zu überwinden vermochte, erhellt aus einem bald darauf an den Freund Rosen gerichteten Schreiben. Dasselbe giebt zugleich Aufschlüsse über sein weiteres Leipziger Leben. Es lautet:


Mein theurer Rosen,


es muß eine verdammt komische Freude sein, mein Sanscritt zu lesen, drum geb' ich mir heute Mühe recht schön zu schreiben, und mache eine Regel von der Ausnahme, weil in der Regel Poeten und Clavierspieler eine Hundepfote schreiben d.h. so wie ich. Jetzt geht der eigentliche Brief los und die captatio benevolentiae ist vorausgesandt.

Mein angenehmer Rosen, o der glücklichen Zeiten, da wir noch beisammen waren, denn mit unserer Trennung fing meine Herrlichkeit an, nämlich mein Studentenleben. Aber wie hab ich's gefunden, keine Rosen im Leben und keinen Rosen unter den Menschen. Ich fliege manchmal, sei es nun im Jean Paul oder am Clavier, das wollen die hiesigen Deutschthümler35 nicht dulden. Flug-Menschen oder Luftschiffer verhalten sich überhaupt zu den Sitzfleisch-Menschen wie Bienen. Wenn sie fliegen, so thun sie keinem Menschen Etwas zu Leide, sobald man sie jedoch an den Blumen antasten will, so stechen sie! Steche ich nun auch nicht, so schlag' ich doch mit Händen und Füßen aus, um einmal jene schweblichen Begriffe von Volksthum etc. in's Bockshorn zu jagen. Götte36 außer Semmel und Flechsig ist der Einzige, mit welchem ich näher befreundet bin. An den Andern ist nicht viel und ich bekümmere mich wenig um sie, höchstens um Schütz und Günther, wenn sie nur nicht so einseitig wären.

Nach Heidelberg komme ich gewiß, aber leider erst Ostern 1829,[28] ach, daß Du dann noch da wärest, um dann in diesem blühenden Paradiese mit Dir umherschwärmen zu können, die niedlichen Bilderchen, für die ich Dir herzlich danke, geben meinen Träumen Flügel. Hier habe ich noch kein Collegium besucht, und ausschließlich in der Stille gearbeitet, d.h. Clavier gespielt, etliche Briefe und Jean Pauliaden geschrieben. In Familien habe ich mich nicht eingenistet und fliehe überhaupt, ich weiß selbst nicht warum, die erbärmlichen Menschen, komme nur wenig aus und bin manchmal so recht zerknirscht über die Winzigkeiten und Erbärmlichkeiten dieser egoistischen Welt. Ach, eine Welt ohne Menschen, was wäre sie? ein unendlicher Friedhof – ein Todtenschlaf ohne Träume, eine Natur ohne Blumen und ohne Frühling, ein todter Guckkasten ohne Figuren – und doch! – Diese Welt mit Menschen, was ist sie? – ein ungeheurer Gottesacker eingesunkener Träume – ein Garten mit Cypressen und Thränenweiden, ein stummer Guckkasten mit weinenden Figuren. O Gott – das ist sie – ja! Ob wir uns wiedersehen, wissen freilich nur die Götter, aber die Welt ist ja noch nicht so groß, als daß sie Menschen auf immer trennen könnte und vollends Freunde. Das Wiedersehen ist ja von jeher niemals so lang gewesen, als die Trennung und wir wollen nicht weinen...... (unleserlich), denn allen Menschen hat von jeher das Schicksal mit seinen Riesenfäusten das Maul verstopft, aber die Herzen nicht, die sich in der Ferne wärmer lieben und heiliger achten, weil sie sich als unsichtbar oder gestorben oder überirdisch betrachten. – –

Ich bin erschöpft vom vielen Briefschreiben, darum zürne nicht, wenn ich schließe, es wird Dir ohnehin keine Freude machen, mein Gewäsch anzuhören. Deine Leipziger Bekannten, die Dich ohne Ausnahme herzlich lieben und achten, lassen Dich tausendmal grüßen.

Lebe denn wohl, geliebter Freund, Dein Leben möge nicht mehr Gewölke haben, als zu einem schönen Abendhimmel nöthig ist, und nicht mehr Regen als zu einem Mondregenbogen, wenn Du Abends auf den Bergruinen sitzest und entzückt in das Blütenthal und in den Sternenhimmel schaust. Vergiß mich dann nicht, den fernen Freund, der recht zermalmt und unglücklich ist, und wünsche mir Alles, was ich Dir aus der Ferne wünsche. Dein milder menschlicher Genius flattre leicht über den Koth des Lebens und Du selbst bleibe, was Du bist und warst – menschlich – menschlich. Lebewohl.


Dein Schumann.[29]


Dieser Brief mit seiner eigenthümlichen Jean Paul'schen Fassung läßt so klare, unverhüllte Blicke in Schumann's Inneres thun, daß er keines weiteren Commentars bedarf. In ihm sind die Keime zu dem ganzen künftigen so bedeutenden, und ebenso glücklichen, als unglücklichen Dasein bloßgelegt. Ohne Mühe kann man aus ihm den ganzen späteren Schumann mit seiner hohen geistigen Begabung, mit seinem tieffühlenden, empfänglichen, und auch wiederum apathischmelancholischen Wesen erkennen. Kaum hat er aber auch in einem der andern vorliegenden Briefe so rückhaltslos den ganzen inneren Menschen gezeigt.

Der erste Leipziger Aufenthalt Schumann's sollte inzwischen sich doch noch anders gestalten, und nicht in eben der Weise enden, wie ihn die beiden mitgetheilten Briefe an Rosen schildern. Ein allmäliges Heraustreten aus der Abgeschiedenheit, zu welcher Schumann überhaupt und gern hinneigte, trug das Wesentlichste dazu bei. Zunächst erneuerte er die Bekanntschaft mit Agnes Carus, welche schon im Jahre 1827 das musikalische Interesse Schumann's durch ihren Gesang in hohem Grade erregt hatte37 und deren Gatte als Professor an die Leipziger Universität berufen worden war. Der eine Zeit lang hindurch lebhafte Verkehr in dem Hause dieser kunstsinnigen Frau wirkte nicht allein wohlthätig auf das zurückhaltende Wesen Schumann's, sondern gab ihm Gelegenheit, interessante Persönlichkeiten kennen zu lernen, unter denen er Marschner, den spätern Meister der Oper, selbst anführt. Wichtiger aber als diese durch das Carus'sche Haus vermittelte Bekanntschaft, wurde ihm die Friedrich Wieck's,38 dessen lebhaftes, anregendes Wesen sofort eine bedeutende Anziehungskraft auf Schumann ausübte. Aber auch Wieck's älteste, im neunten Lebensjahre stehende Tochter Clara, die bereits einen gewissen Grad virtuoser Bildung erlangt hatte, war gleichzeitig ein künstlerischer Anziehungspunkt für Schumann.

Clara Josephine Wieck wurde am 13. Septbr. 1819 zu Leipzig geboren. Die ersten Jahre ihrer Kindheit flossen still und ruhig hin, ohne daß sie ihr großes Talent, das späterhin in höchst vollendeter Ausbildung europäischen Ruf erlangte, offenbart hätte. Ja es schien sogar Anfangs, daß sie von der Natur nicht sonderlich günstig bedacht sei, da ihr[30] das Lernen der Sprachen große Schwierigkeiten machte, was durch einen gewissen Grad von Schwerhörigkeit, die indessen für die Ausbildung der künstlerischen Anlagen nie hemmend gewesen ist, bedingt gewesen sein mag. Mit dem fünften Lebensjahre begann der Unterricht auf dem Pianoforte, dessen unübertroffene Meisterin sie werden sollte. Die Ausbildung ging nach der zweckmäßigen Methode ihres Vaters nicht überstürzend wie bei Wunderkindern, sondern in ruhiger, stufenweiser, aber desto sicherer harmonischer Entfaltung vor sich. Nach Verlauf von vier Jahren war sie so weit vorgeschritten, um in einem öffentlichen Conzerte zum ersten Male mitzuwirken. Es geschah dies am 20. October 1828, und zwar in dem Conzert einer Pianistin, Namens Perthaler aus Grätz, mit der sie vierhändige Variationen von Kalkbrenner spielte. Durch den vielfachen musikalischen Verkehr im Wieck'schen Hause, welches zu einem Sammelplatze einheimischer und auswärtiger, durch Leipzig reisender künstlerischer Größen wurde, fand Clara erwünschte Gelegenheit, ihr so glücklich entwickeltes Talent mehr und mehr geltend zu machen und zu steigern. In dieser Hinsicht verdient namentlich der nachhaltige Einfluß, den Paganini's Anwesenheit in Leipzig während des October 1829 auf sie übte, besonders erwähnt zu werden.

Neben dem Clavierspiel versuchte Clara sich auf eigene Hand in der Composition. Mit dem 11. Jahre trat sie als Conzertspielerin in die Welt; der Vater unternahm mit ihr eine kleine erste Kunstreise nach Weimar, Cassel und Frankfurt a. M. Von derselben zurückgekehrt, bereitete sie sich zu einem größeren Ausflug vor, der sie nach Paris führte. In Paris39 trat Clara Wieck in einem eigenen Conzerte so wie vielfach in größeren Privatcirkeln auf, und brachte von dort jenen Ruf mit, der für ihr Geschick entscheidend wurde, und überall, wo sie sich hören ließ, gleiche Geltung fand, während ihr vorher in Deutschland, und namentlich in ihrer Vaterstadt Leipzig nur eine bedingte Anerkennung zu Theil geworden war. Ihr Pariser[31] Aufenthalt, obwohl er mehrere Wochen gewährt hatte, wurde abgekürzt durch das plötzliche Auftreten und bedenkliche Ueberhandnehmen der Cholera. In Folge dessen wandte sie sich mit ihrem Vater wieder nach Leipzig und gab sich hier aufs Neue eifrigst den musikalischen Studien hin, nicht nur den technischen unter der ferneren Leitung ihres Vaters, sondern auch den theoretischen, die bereits im 11. Jahre beim Cantor Weinlig begonnen hatten, durch M. D. Kupsch fortgesetzt und unter H. Dorns Anleitung beendigt wurden. Dabei begnügte sie sich nicht mit dem Studium der Harmonielehre und des Contrapunktes, sondern übte auch fleißig die Kunst der Instrumentation und des Partiturlesens. Sogar eine Zeit lang trieb sie, um ihr Wissen möglichst vielseitig zu machen, das Violinspiel unter Anleitung des dermaligen Violinisten Prinz und später auch den Gesang bei dem berühmten bereits verstorbenen Mieksch zu Dresden – beides auf Veranlassung ihres Vaters.

Weitere Kunstreisen in Begleitung ihres Vaters, auf denen sie in Deutschland zuerst Chopin's Werke in die Oeffentlichkeit einführte, unternahm sie während der Jahre 1836–1838 nach Berlin, Breslau, Dresden, Hamburg und Wien, überall die außerordentlichsten Erfolge durch ihre bewundernswerthen Leistungen erringend. Im Januar 1839 trat sie selbstständig eine zweite Reise über Nürnberg, Stuttgart und Karlsruhe nach Paris an, von der sie im August desselben Jahres wieder nach Deutschland zurückkehrte; den darauf folgenden Winter conzertirte sie abermals in mehreren Städten Norddeutschlands mit stets gleicher Auszeichnung. Hiermit beschloß sie einen Theil ihrer früh begonnenen und glänzenden Künstlerlaufbahn als Clara Wieck, um sie an der Seite Robert Schumann's fortzusetzen, mit dem sie sich im September 1840 vermählte, wie vorgreifend bemerkt sei.

Das sehr erklärliche Verlangen, einer so begabten Natur nachzueifern, mußte den Wunsch in Schumann erzeugen, des Unterrichts theilhaftig zu werden, dem sie ihre frühzeitige Entwicklung verdankte. Dies Verlangen wurde erfüllt. Schumann ersuchte, keineswegs gegen den Willen seiner Mutter, Friedrich Wieck um Clavierstunden, die er auch in der Folge, freilich in nur gemessener Zahl, von diesem empfing. Sein Spiel zeigte damals eine bedeutende Gewandtheit und Fertigkeit, ohne jedoch den Ansprüchen an die Erfordernisse einer sorgfältig durchgebildeten Technik, als Tonbildung, Klarheit, Correctheit, Ruhe, und einer maßvoll schönen Darstellung gerecht zu werden.[32] Durch den Unterricht Wieck's nun fand er zum ersten Mal in seinem Leben Gelegenheit, sich mit einer rationellen, die Technik sicher fördernden Methode des Clavierspiels bekannt zu machen, deren Benutzung er sich auch für den Augenblick in williger Erkenntniß ihres Werthes angelegen sein ließ. Zeigte sich Schumann hier bis zu einem Grade als empfänglicher und gelehriger Schüler, so war ihm dagegen keinerlei Interesse für die zum Pianofortespiel als Hilfswissenschaft unentbehrliche Akkordlehre abzugewinnen. Er hatte keinen Sinn dafür, und hielt eine derartige Orientirung in dem harmonischen System ohne Bedenken für überflüssig, glaubend, daß es völlig genug sei, wenn man sich nach dem Gehör Akkorde auf dem Clavier zusammenzusuchen vermöchte. Diese irrige, mit einer gewissen eigenwilligen Hartnäckigkeit festgehaltene Ansicht, war ihm trotz aller Gegenvorstellungen seines wohlerfahrenen Lehrers nicht zu benehmen. Er blieb ihr einstweilen treu, freilich nur so lange, als seine Unwissenheit in diesen Dingen sich bei den ferner von ihm unternommenen Compositionsversuchen auf gar zu empfindliche Weise fühlbar machte. Dann erst gelangte er zu der Erkenntniß von der Unerläßlichkeit des theoretischen Studiums.

Der neubegonnene Clavierunterricht währte mit mannichfachen Unterbrechungen bis zum Februar 1829, da sich dann Friedrich Wieck genöthigt sah, denselben aus Zeitmangel einzustellen. Ohnehin hätte sich aber auch das Verhältniß lösen müssen, weil Schumann bald darauf Leipzig für eine geraume Zeit verließ, um die Heidelberger Universität zu beziehen.

Die näheren Bekanntschaften, welche Schumann während seines ersten Leipziger Aufenthaltes weiterhin noch schloß, waren durchaus geeignet, seine feurige Neigung zur Kunst bei weitem mehr anzufachen, als erlöschen zu machen. Wie es natürlich ist, daß gleichartige oder doch verwandte Kräfte sich gegenseitig anziehen, so traten nach und nach meist nur Persönlichkeiten in den Kreis seines Umganges, die thätigen Antheil an seinen musikalischen Bestrebungen nahmen, die also selbst irgendwie sich ausübend in der Kunst versuchten, welcher er mit Leib und Seele anhing. Diese Persönlichkeiten waren namentlich Julius Knorr,40 Täglichsbeck, Gymnasiallehrer und Musikdirector in Brandenburg, und Glock, Bürgermeister in Ostheim bei Meiningen,[33] sämmtlich Studiengenossen Schumann's. Im mannichfachen Wechsel gab er sich mit diesen je einzeln oder zusammen dem befruchtenden Genusse der Tonwerke verschiedener Meister hin, wobei er stets seinen Platz am Flügel, gewöhnlich in Hemdärmeln und eine Cigarre im Munde, fand, während Täglichsbeck Violine und Glock Violoncell spielten.

Schumann war damals von Franz Schubert's Genius eben so tief und mächtig ergriffen, als kurze Zeit vorher von Jean Paul. Er spielte leidenschaftlich die zwei- und vierhändigen Pianofortecompositionen dieses Meisters, dessen frühzeitiger Tod41 ihn mit der tiefsten Wehmuth erfüllte, ja, ihn Thränen inniger Trauer vergießen ließ. Seine Begeisterung für den Heros des deutschen Liedes, der er, wie seine gesammelten Schriften vielfach bezeugen, unverändert treu blieb, übertrug sich sehr bald auf die musikalischen Genossen.

Man ließ es aber bei der allgemeineren Bekanntschaft mit den Fr. Schubert'schen Werken nicht bewenden, und beschloß im Feuereifer, eines derselben gemeinsam bis zu möglichster Vollendung einzuüben. Die Wahl fiel auf das Trio op. 99 B-dur, dessen Schönheiten Alle in die größte Ekstase versetzt hatte. Es wurde so lange daran studirt, bis man glaubte, der Darstellung des Werkes mächtig zu sein. Dann veranstaltete Schumann einen musikalischen Festabend, an dem jenes Trio zum Vortrag kam. Außer mehreren, den Mitwirkenden befreundeten Commilitonen wohnte demselben als Hauptgast Fr. Wieck bei.

Dieser Abend bildete die nächste Veranlassung zu bestimmten wöchentlich sich wiederholenden musikalischen Zusammenkünften in Schumann's Wohnung, bei denen, unter Hinzuziehung des Mitstudiosen Sörgel42 für die Bratsche, die verschiedenartigsten Werke der Kammermusik von Beethoven bis zum Prinz Louis Ferdinand, oder auch umgekehrt, an die Reihe kamen. In den Zwischenpausen wurden meist musikalische Gespräche, namentlich über den Altmeister Bach gehalten, dessen »wohltemperirtes Clavier«, für Schumann schon damals eine Quelle eifrigen Studiums, beständig auf dem Instrumente lag. Fand Schumann vielfache Veranlassung, seine Kenntnisse in dem vielleicht genußreichsten Gebiete der Tonkunst, in der Kammermusik zu erweitern und zu vervollständigen, so war damit für ihn[34] zugleich die Anregung zu erneuerten schöpferischen Versuchen gegeben. Es entstanden um diese Zeit an eignen Compositionen: acht vierhändige Polonaisen, jedenfalls Nachbildungen der gleichartigen Schubert'schen Tonstücke, 10 bis 12 Lieder, namentlich auf Texte von Justinus Kerner (auch befand sich darunter die Composition zu Goethe's Fischer)43, ferner Variationen zu vier Händen über ein Thema von Prinz Louis Ferdinand und endlich ein Quartett in E-moll für Pianoforte und Streichinstrumente. Es ist leicht erklärlich, daß bei einer so rückhaltlosen Hingabe an die Kunst, wenn gleich dieselbe sich in den Grenzen rein genießender Absicht verhalten mochte, wenig Zeit für das Studium der Jurisprudenz übrig blieb. Mit diesem stand es in der That schlecht genug, obwohl Schumann gelegentlich den ohnmächtigen Versuch44 gemacht hatte, die juristischen Collegia zu besuchen. Es blieb eben ein Versuch, und alle guten Vorsätze vermochten nicht, Schumann's Sinn, der fortwährend in der Schwebe hing und unwillkürlich zur Kunst hinüberneigte, gleichwie die Wünschelruthe nach dem verborgenen Schatze schwankend hinweist, zur entschiedenen Thatkraft zu treiben. Dagegen widmete er den sogenannten humanioribus einige Theilnahme. Namentlich hörte er gern die Vorträge des Philosophen Krug, die ihn auch veranlaßten, privatim Fichte's, Kant's und Schelling's Schriften zu studiren.

Schumann hatte, wie schon aus einem der mitgetheilten Briefe ersichtlich ist, den Entschluß gefaßt, mit Ostern 1829 die Universität Heidelberg zu beziehen. Dieser Entschluß stand fest in ihm, trotzdem dort ein erneuertes Zusammenleben mit dem Freunde Rosen, welcher in seine Heimath zurückkehren sollte, nicht zu gewärtigen stand. Die Nachricht des Heidelberger Freundes hierüber veranlaßte folgenden Brief Schumann's:


[35] Leipzig am 7ten Nov. 1828.


Ein entzückender belebender Gedanke ist es mir seit Tag und. Jahr, zu Ostern nach Heidelberg gehen zu können, alle Freudenhimmel des Wonnelebens liegen vor mir ausgebreitet, das große Faß und die kleinen Fässer, die heitern Menschen, die nahe Schweiz, Italien, Frankreich, das ganze Leben dort, das ich mir mit tizianischen Feuerstrichen vormale. Es genügt mir zu wissen, daß ich aus Deiner, künftighin meiner Stube den Neckar mit seinen Rebengeländen vor mir habe, und möchte das Zimmer sonst sein wie es wollte, dies Einzige reicht hin. Deine Blumen, wenn sie anders nicht bis Ostern verwelken, sollen, wie die der Freundschaft, nicht verblühen. Wenn Du wahrhaft edle Menschen jetzt in Heidelberg zu Freunden hast, so wäre es mir nicht unlieb, bei diesen Deine Stelle zu übernehmen, weil ich zu Ostern keinen Menschen in Heidelberg habe, der mich kennt und den ich verstehe. Eine trübe Idee, in welche Hände wird der Zufall meine Freundschaft treiben? Uebrigens geht es mir hier besser als je, wär ich nur nicht immer ein so armer erbärmlicher Hiob in den Geldbeutelangelegenheiten. Ich führte voriges Semester ein unregelmäßiges ungeordnetes Leben, wenn gerade auch kein liederliches; aber ich dachte zu wenig an jenen Vers aus den Idealen: »Beschäftigung, die nie ermattet.« Die großen herrlichen Concerte45 machen mich vollends glücklich! – Es wird finster, drum sei froh, daß ich schließe; schreibe mir bald und viel und mehr als ich Dir. Nächstens mehr und besser! Lebe wohl, mein guter, guter Rosen und denke der Stunden, wo wir glücklich waren, mit eben der Liebe wie ich, und bleibe auch in der Erinnerung und Zukunft mein Freund, wie ich ewig der Deinige.


R. Sch.


P.S. Kennst Du einen Dichter Grabbe, der Verfasser des »Herzog von Gothland« und kannst Du mir etwas von ihm mittheilen, da er sich seit langer Zeit in Deiner Vaterstadt aufhalten soll? Eine Antwort hierauf würde mich besonders erfreuen.


Inzwischen änderten sich indeß die Verhältnisse wider Erwarten dahin, daß beiden Freunden dennoch ein Beisammensein in Heidelberg zu Theil werden sollte. – Rosen blieb länger auf der Universität als es vorher bestimmt gewesen, und dieser Umstand hatte die freudigsten[36] Mittheilungen zur Folge. Ehe Schumann aber Leipzig für längere Zeit verließ, besuchte er zuvor seine Verwandten in Zwickau und Schneeberg. Aus letzterer Stadt schreibt er an Rosen:


Schneeberg, am letzten April 1829.


Mein guter Rosen,


Beinahe wären meine ganzen Heidelberger Luftschlösser zerronnen; mein Bruder Julius wurde kurz nach der Entbindung seiner Frau lebensgefährlich krank; meine Mutter beschwor mich, im Falle, daß dieser sterben sollte, sie nicht zu verlassen, weil sie sonst ganz einsam wäre. Jetzt ist die Krankheit aber ganz gehoben und ich kann Dir mit fröhlicher Zuversicht zurufen: heute über drei Wochen hänge ich Dir am Halse.

Es wurde mir in der letzten Zeit furchtbar schwer, aus Leipzig zu gehen. Eine schöne, heitere, fromme, weibliche Seele hatte die meinige gefesselt; es hat Kämpfe gekostet, aber jetzt ist Alles vorbei, und ich stehe stark mit unterdrückten Thränen da und schaue hoffend und muthig in mein Heidelberger Blüthenleben.

Ich glaube nicht, daß ich Dir schon geschrieben habe, daß unser Freund Semmel nach seinem Examen mit nach Heidelberg fliegen wird. Das soll ein Leben werden, zu Michaelis geht's in die Schweiz und wer weiß wo noch hin – möge das schöne Kleeblatt nie verwelken.

Vorgestern war sehr brillantes Concert in Zwickau, wo 800–1000 Menschen zusammen waren; natürlich ließ ich meine Finger auch hören – ich komme gar nicht aus den Luft- und Freudenfesten heraus. Zuerst war bal paré bei Oberstens (v. Trosky)46, am Sonnabend thé dansant bei Dr. Hempels, am Sonntag Schulball, wo ich ungemein b....... war, am Montag Quartett bei Carus (Matthäi47 aus Leipzig), am Dienstag Gewandhausconcert und Abendessen, am Mittwoch Gabelfrühstück und heute Abend ist hier48 Valetball – und alle diese ganzen Geschichten kosten mich keinen Heller, andere schon vergessene und verfressene Früh- und Abendstücke nicht zu erwähnen.

[37] Den Tag meiner Ankunft in Heidelberg will ich Dir von Frankfurt aus bestimmen, wo ich mich einige Tage aufzuhalten gedenke. Den 11. Mai, Montag, reife ich ganz bestimmt von Leipzig ab; viel Geld kann ich leider Gottes nicht mitbringen, weil ich in Leipzig sehr viele Bären loszubinden habe. Vielleicht kannst Du mir in der ersten Zeit aushelfen, wo nicht, werden die Genies sich schon durchzubeißen wissen. Jedenfalls bin ich bis zum 18. bei Dir. – Hier hat es heute den ganzen Tag geschneit, ich hoffe nicht auf dem Schlitten nach Heidelberg fahren zu müssen, bei Dir ist gewiß schon alles grün und roth – es flimmert mir vor den Augen. Lebewohl, mein geliebter Freund, das Wiedersehen wiegt jede lange Trennung auf und so möge es die unsrige auch. Blühe freundlich fort wie der Frühling, der mir entgegenlächelt und Deine heitere Seele kenne keinen als diesen und niemals einen Winter.


Dein Bruder

R. Sch.


Deine Augen dauern mich, ich kann den Brief selbst nicht lesen.


Schumann trat die Reise am 11. Mai, wie er dem Freunde geschrieben, von Leipzig nach Heidelberg mit der Eilpost an. Ein günstiges Geschick hatte ihm als Reisegefährten Willibald Alexis (Dr. W. Häring), zugesellt. Beide wurden bekannt und fanden so großes Gefallen an einander, daß Schumann es sich nicht versagen konnte, den geistreichen Schriftsteller erst noch ein Stück den Rhein hinab zu begleiten, ehe er in die Arme seines Freundes eilte.

Gegen Ende Mai langte Schumann in Heidelberg an, und nachdem er für einen guten Flügel gesorgt hatte, begann für die Freunde das schönste Leben.

Gesteigert wurde der Reiz desselben, als Moritz Semmel inzwischen zum bacc. juris vorgerückt, bald darauf hinzukam, um in Heidelberg einige Zeit zu verweilen. Das »Blüthenleben,« von dem Schumann das ganze Jahr vorher geträumt hatte, erfüllte sich, denn fast täglich wurden gemeinschaftliche kleine Ausflüge in die reizende Umgegend mittelst eines Einspänners gemacht. Auch größere Touren nach Baden-Baden, Worms, Speyer, Mannheim unternahm man, und erwähnenswerth ist es dabei, daß solche Partien nie ohne eine sogenannte »stumme Klaviatur« angetreten wurden, auf welcher Schumann unterwegs während des Gespräches fleißig Fingerübungen anstellte. Denn die Musik war seine Hauptbeschäftigung, ja geradezu[38] sein Hauptstudium auch in Heidelberg, während die Jurisprudenz, für welche ihm der geistreiche Thibaut nicht einmal ein vorübergehendes Interesse einzuflößen vermochte, nahezu ausgeschlossen blieb. Wohl besuchte er mitunter das Pandecten-Colleg des Letzteren, allein es geschah mehr der Curiosität und Thibaut's, als der Erlangung juristischer Kenntnisse halber. Sogar an dem ersten Apparat, einem Collegienhefte, einem juristischen Buche fehlte es, und nur mit unverkennbarem Widerwillen nahm Schumann Antheil an der Unterhaltung über Gegenstände der Rechtslehre. Mittheilenswerth ist an dieser Stelle ein auf die Jurisprudenz bezügliches gemeinschaftliches Erlebniß der Freunde, da es das Naturell des jungen Musensohnes deutlich charakterisirt. Man kam aus einer Vorlesung Thibaut's, in welcher derselbe namentlich von der, »pubertas« gesprochen und insbesondere die Gründe erwähnt hatte, warum das weibliche Geschlecht nach dem Gesetze einiger Länder früher zur Volljährigkeit gelange, als das männliche. »Ein Junge von 18 Jahren«, sagte Thibaut ungefähr, »ist wie ein ungeleckter Bär und in jedem Falle ein Geschöpf, das noch nicht weiß, was es mit seinen Händen und Füßen anfangen soll. Tritt er in eine Gesellschaft ein, so giebt es nichts Linkischeres, als ihn. Gewiß hat er die Hände auf dem Rücken und sucht einen Tisch oder sonst ein Meuble in einer Ecke zu gewinnen, und sich auf diese Weise einigen Halt zu verschaffen. Dagegen ist ein junges Mädchen von achtzehn Jahren nicht nur das Delikateste, was man haben kann, sondern es ist dies auch schon eine ganz verständige Person, die mit dem Strickstrumpfe in der Hand mitten in der Gesellschaft sitzt, und an der Unterhaltung Theil zu nehmen berechtigt und befähigt ist. Da haben Sie, meine Herren, ganz einfach den Grund, warum die frühere Reise des weiblichen Geschlechts auch gesetzliche Anerkennung findet.« – »Es ist ganz schön,« meinte Schumann hinterher, »daß Thibaut seine Vorträge auf solche Weise würzt; es thut dies aber auch noth, denn trocken und ungenießbar genug ist seine Wissenschaft. Aber trotz aller seiner Ausschmückungen kann ich ihr keinen Geschmack abgewinnen; ich verstehe sie nicht. Umgekehrt versteht wieder Mancher nicht die Sprache der Musik! Ihr aber (seine Freunde meinend) versteht sie doch in Etwas, und ich will euch deshalb etwas von ihr erzählen.« Dabei setzte Schumann sich an seinen Flügel, nahm Weber's »Aufforderung zum Tanze« zur Hand und trug sie vor. »Jetzt spricht sie,« sagte er, »das ist der Liebe Kosen; jetzt spricht Er,« fuhr er[39] fort, »das ist des Mannes ernste Stimme.« »Jetzt sprechen sie beide zugleich,« interpretirte Schumann während des Spielens weiter, »und deutlich höre ich auch, was beide Liebende sich sagen. Ist das nicht alles schöner, als was eine Jurisprudenz je herauszubringen vermag?«

Schumann verhehlte, wie man sieht, durchaus nicht die ihm eigene tiefeingewurzelte Abneigung gegen das Rechtsstudium und man könnte nichts dawider einwenden, wenn nicht zugleich damit eine auffallende Vernachläßigung seines Fachstudiums verbunden gewesen wäre. So aber lebte er, wie man zu sagen pflegt, »etwas in den Tag hinein« ohne sich Rechenschaft von seinem Thun und Lassen zu geben, ohne an die Folgen zu denken. Moritz Semmel hielt es, als Freund und naher Verwandter Schumann's, um so mehr für seine Pflicht, ihn dringend darauf hinzuweisen, daß, wenn er sich der juristischen Laufbahn wirklich noch widmen wolle, es hohe Zeit sei Alles zu thun, um zum Ziele zu gelangen; wenn aber dieses Studium, wie es augenscheinlich sei, seinen Neigungen nicht entspreche, so möge er offen seinem inneren Beruf, nämlich der Kunst folgen. Eine solche ernste und dringende Mahnung erschien um so nöthiger, als das Vermögen, was ihm sein Vater hinterlassen, keineswegs von solcher Bedeutung war, daß er von dessen Erträgnissen hätte leben können. Vielmehr war ein baldiges Aufzehren des Capitals um so sicherer vorauszusehen, als Schumann in dem elterlichen Hause schon an Bedürfnisse gewöhnt war, auf die zu verzichten ihm sicher sehr schwer, wenn nicht unmöglich geworden wäre.

Trotz dieser ernsten, wohlgemeinten Vorstellung, trotz der Vorliebe und dem klar ausgesprochenen Berufe für die Kunst, gelangte Schumann immer noch nicht zu dem festen Entschlusse, sich der Musik, in der er bereits lebte und webte, förmlich zu widmen. Die Pietät gegen seine Mutter veranlaßte ihn vielmehr, bei dem Vorsatze, Jurisprudenz zu studiren, einstweilen noch zu beharren.

Das Sommersemester war abgelaufen und Schumann stand im Begriff, die bis zur Eröffnung des Wintersemesters währenden Ferien mit den beiden Freunden zu einer Reise nach Ober-Italien zu benutzen, die schon in Leipzig beschlossen war. – Man hatte sich gemeinschaftlich für diese Reise durch das eifrige Studium der italienischen Sprache vorbereitet, und Schumann fühlte sich darin so schnell heimisch, daß er bald einen Theil von Petrarca's Sonetten in gleichem[40] Versmaaß, und wie von Gisbert Rosen versichert wird, mit bewundernswerther Treue, so wie mit dem vollen poetischen Schwunge des Originals in's Deutsche übersetzte. Er benachrichtigte seine Mutter und seinen Vormund von diesem Vorhaben brieflich und bat sich zugleich 60 bis 70 Dukaten als Reisegeld aus. Der Vormund zeigte sich indessen schwierig; er war der Meinung, Schumann möge die projektirte Reise bis zur Beendigung der Universitätszeit verschieben, und wies zugleich darauf hin, daß die obervormundschaftliche Behörde schwerlich das verlangte Geld zu solchem Zweck bewilligen werde.

Schumann entgegnete hierauf seinem Vormunde:


Heidelberg, den 6. August 1829.


Ew. Wohlgeboren


melde natürlich mit großem Vergnügen die Ankunft der sehnlichst erwarteten Anweisung von 100 Thalern auf Emanuel Müller in Frankfurt a. M. Daß ich damit bis zu Monat November nicht gut auskommen kann, werden Sie, verehrtester Herr Rudel, aus einer beifolgenden Berechnung des Geldaufwandes leicht zugeben.

(Folgt diese Berechnung des halbjährigen Geldaufwandes in Heidelberg, welche auf 431 fl. veranschlagt ist.)

Hätte ich freilich gedacht, daß in Heidelberg das Leben so horrend theuer ist, was Sie schon aus meiner Berechnung des Mittagstisches ersehen können, so wäre ich in Frankfurt umgekehrt und wieder nach Leipzig gegangen. Sie können fragen: wie können das aber andere Studenten bestreiten: worauf ich Ihnen entgegne, daß in Heidelberg drei Viertel Ausländer sind, die alle reich sind und Geld daran wenden können.

Möchten Sie, verehrtester Herr Rudel, es nicht als trotzigen Einspruch gegen ihren wohlgemeinten Rath ansehen, wenn ich Ihnen auf den zweiten Brief49 Einiges entgegne. Alle studirenden Ausländer, die nach Heidelberg gehen, zieht außer den guten berühmten Professoren, Heidelbergs schöne Lage selbst und dem vermeinten guten Leben vorzüglich noch die naheliegende Schweiz und Italien an. Sie und meine Mutter wissen, daß diese Reise gleich bei meiner Abreise aus Leipzig in meinem Plane lag. Unter den vielen Gründen, außer den gewöhnlichen, daß man auf Reisen sein theoretisches und praktisches Wissen ausbilden will und außer denen, die ich meiner Mutter schrieb, von[41] welcher Sie sich solche gefälligst mittheilen lassen möchten, führe ich nur noch den finanziellen an: daß ich diese Reise doch einmal gemacht hätte, und es ist denn doch einerlei, ob ich jetzt oder später das Geld dazu verwende. Verbietet nun Ihnen Ihre Pflicht auch jedes ungesetzliche Eingreifen in obervormundschaftliche Vorschriften, so können Sie als Privatmann doch immer Ihrem eigenen Willen Genüge thun. Ich meine, daß Sie Ihre Einwilligung geben oder wenigstens keinen Einhalt thun, wenn ich von meinen Brüdern freundschaftlichst und privatim Geld entlehne, über das wir uns dann späterhin ausgleichen. Auch könnte ich hier so viel Geld geliehen bekommen, wie ich will, freilich mit 10 – 12 Procent, welches Mittel ich aber natürlich nur im unnatürlichsten Falle, d.h. wenn ich von Hause kein Reisegeld bekäme, ergreifen würde.

Noch muß ich Ihnen Ihre irrige Meinung benehmen, wenn Sie glauben, daß ich Collegien versäumte: die Ferien sind nicht zum Studiren der Bücher, sondern zum Studiren eines andern großen Buchs, d.h. der Welt, oder sie sind zum Reisen hauptsächlich angeordnet. Die Heidelberger Ferien beginnen nun den 21. August und enden mit Ende October, so daß gerade meine Reise diese Ferien anfängt und beschließt. Und so hoffe ich denn, daß Sie mir auch hier Ihre gütige Einwilligung nicht verweigern. Der Schneckengang der sächsischen Gerichte ist zu bekannt, als daß ich zweifeln sollte, daß sie sich über meine Mündigsprechung gerade so lange berathen und deliberiren werden, wenn ich es schon ordentlich – juristisch bin. Es würde gewiß auch Ihnen lieb sein, wenn Sie mich ewigen Quäler einmal sich vom Halse geschafft hätten.

Uebrigens geht es mir recht wohl und ganz gesund, obwohl oft bettelarm und noch darüber. So sehr ich Ihnen, verehrter Herr Rudel, das Erste wünsche, so wenig wünsche ich Ihnen das Zweite. Und mit diesem innigsten Wunsche für Ihr Glück und mit der Bitte, Keines meiner Worte mißzudeuten, empfehle ich mich Ihrem geneigten Wohlwollen und schließe diesen langweiligen Brief als


Ew. Wohlgeboren

gehorsamst ergebener

R. Sch.


Dieser Brief verfehlte die von Schumann' gewünschte Wirkung nicht, und seine Reise, die sich bis Venedig erstreckte, wurde genehmigt.[42] Er trat sie indeß nicht, wie er gehofft hatte, in Gemeinschaft seiner Freunde Rosen und Semmel an, sondern allein. Sie verlief unter ungetrübtem Genusse bis auf einige Geldcalamitäten glücklich, wie die drei folgenden Briefe ersehen lassen. Der erste derselben, welcher zugleich etwas den übermüthigen Studenten verräth, ist an seine Schwägerin Therese gerichtet, die beiden andern gelten dem in Heidelberg zurückgelassenen Freunde Gisbert Rosen.


Brescia, den 16. September 1829.


Eben sah ich eine bildschöne Italienerin, die Dir etwas ähnlich war, da dacht' ich an Dich und schreibe an Dich, meine theure Therese! Könnt' ich Dir nur so recht Alles malen, den tiefblauen Himmel Italiens, das quellende, sprudelnde Grün der Erde, die Apricosen-, Citronen-, Hanf-, Seide- und Tabakwälder, die ganzen......... (unleserlich) voll reizender Schmetterlinge und wogender Zephyretten, die fernen, charakterfesten, deutschen, nervigten und – eckigen Alpen, und dann die großen, schönen, feurig-schmachtenden Augen der Italienerinnen, fast so wie Deine, wenn Du von etwas entzückt bist, und dann das ganze tolle, bewegsame, lebendige Leben, welches sich bewegt und nicht bewegt wird, und dann mich, wenn ich fast mein theures, und so fest an die Brust gewachsenes Deutschland über das lyrische Italien vergesse, und wenn ich sehr deutsch und sentimental in die runde üppige Baumfülle hinausschaue oder in die Sonne, die untergeht oder in die vaterländischen Berge, die noch vom letzten Kuß der Sonne roth sind und glühen und sterben und dann kalt, wie gestorbene große Menschen dastehen – – ach! Könnt' ich Dir das Alles malen, – Du hättest wahrlich noch einmal so viel Porto zu bezahlen, so dick und voluminös würde mein Brief. – – – – – –

Gestern reist' ich bei herrlichem Wetter aus Mailand fort, wo ich mich sechs Tage lang herumgesiehlt hatte, obgleich ich nur zwei Tage dableiben wollte. Der Gründe hatte ich viele: 1) den besten, daß es mir im Ganzen gefiel, 2) des Besonderen wegen, z.B. des Domes, despalazzo reale, des escalier conduisant au Belvedere im Hotel Reichmann, auch einer schönen Engländerin wegen, die sich weniger in mich, als in mein Klavierspiel verliebt zu haben schien; denn die Engländerinnen lieben alle mit dem Kopfe d.h. sie lieben Brutus'se oder Lord Byron's, oder Mozarte und Raphaele, weniger die äußere Schönheit, wie Apollo's oder Adonis'se, wenn nicht der Geist schön ist; die Italienerinnen machen es umgekehrt und lieben[43] allein mit dem Herzen; die Deutschen vereinigen Beides oder lieben auch nur einen Reiter, einen Sänger, oder einen Reichen, der sie bald heirathet, übrigens sans comparaison bitt' ich und nicht persönlich zu nehmen. Ein dritter Grund war ein Graf S. aus Inspruck, mit dem, obgleich er 14 Jahre älter ist als ich, ich mich recht geistig verbunden hatte, so Viel hatten wir uns immer mitzutheilen und zu kohlen und zu plaudern und so sehr gefielen wir uns gegenseitig, schien es. Er gab mir einer reinen erquickenden Beweis, daß es nicht lauter Lumptudel und Affen auf der Welt giebt, obgleich er nicht gut hörte, etwas buckligt ging, und immer erschreckliche Gesichter schnitt, nicht über die Menschheit, als mehr über die Menschen.

Wäre die ganze italienische Sprache nicht eine ewige Musik (der Graf nannte sie gut einen lang ausgehaltenenA-moll-Accord) ich würde keine gescheute hören. Von dem Feuer, mit dem sie gespielt wird, kannst Du Dir so wenig eine Idee machen, als von der Liederlichkeit und der wenigen Eleganz und Präcision. Ausnahmen giebt es natürlich, wie in der Scala in Mailand, wo ich wirklich über der Signora Lalande50 und Tamburini die Dr. Carus und Madame H. aus Chemnitz vergaß. Eine beliebte kleine Favoritarie der Lalande und einige andere kleine Lieder, die ich in Italien hörte, will ich Dir später schicken.

Mit meinem Italienisch komme ich wirklich gut aus und durch; sonst ist das Prellen der Fremden in Italien sehr an der Tagesordnung. Auch geb' ich mich überall für einen Prussiano aus, was mir viel hilft, da es das angesehenste Volk ist; schlimm ist es freilich, wenn man sein Vaterland verleugnen muß; doch ist der Pfiff gut, da er Niemandem etwas schadet und mir hilft. Gestern konnt' ich hier wirklich recht schlecht ankommen. Es ist hier Mode, daß die Damen auf die Kaffeehäuser gehen; ich saß ruhig an meinem Tisch und trank Chocolade, da nahte sich mir mit majestätischen Blicken eine Signora mit einem eleganten, flachen Schmetterling-Signore; die Tische waren alle besetzt und sie setzten sich beide straff dicht an meine Seite; ich war nicht so unverschämt einzusehen, daß ich aufstehen sollte, da noch dazu meine Tasse ganz voll war und blieb ruhig sitzen; ich merkte bald, daß sich die Signora manchmal fragend nach mir umkehrte, als[44] ob ich mich nicht bald drücken würde, da Beide einen discorso innamorato führen zu wollen schienen. Im Verlauf ihres Gespräches hörte ich vom Signore die Worte, aber nur halb und gebrochen: questo Signore (er meinte mich) è certamente dalla Campagna, zu deutsch: »Dieser Herr kommt gewiß vom Lande;« erst that ich so, als verständ' ich kein Italienisch. Aber es wurde noch besser. Wie ich aufstand und gehen wollte, brach der Signore mitten im Gespräche mit seiner Dame ab und sagte zu mir spöttisch: Addio Signore. Ich wollte ihm in Gegenwart seiner Dame nichts antworten und bat den Cameriere, daß er dem bewußten Signore sagen möchte, der dalla campagna hätte Etwas mit ihm zu reden. Er ließ mir antworten: wenn ich mit ihm reden wollte, möchte ich zu ihm kommen. Mir fiel die Anekdote von Friedrich dem Großen ein, wie ich zu ihm hinging und ich sagte ruhiglächelnd zu ihm: »Ah, mio Signore, sa a parlare spagnolo (zu deutsch: können sie spanisch reden) perché io non ben so l'italiano (weil ich nicht gut italienisch kann) – er antwortete ein zweifelndes: Nò. Veritamente, fuhr ich fort, me ne dispiace, perciocchè altrimente potrebbe legger il Don Quixote nell' Originale; ma io son Cavalière e me piacerebbe a reviderci – zu deutsch: wahrhaftig, das thut mir leid, weil Sie sonst den Don Quixote in der Ursprache lesen könnten; doch bin ich Cavalier und es würde mich freuen, wenn wir uns wiedersähen.« Mit einem verlegenenbene Signore, sah er seine Dame an und entließ mich. Ich habe aber nichts wieder von ihm gesehen und gehört. Vielleicht lieg' ich schon morgen auf dem Kampfplatze erschossen von einem Judenbengel, wie ich hernach erfuhr. Das Schlimmste und Aergerlichste wäre, wenn er meinen oder Friedrich's des Großen Witz gar nicht verstanden hätte, was aber ziemlich glaublich ist, da die Ignoranz der fremden und eignen Literatur der Italiener und -innen unbeschreiblich ist.

Gott gebe, ich habe deutlich geschrieben, damit Du die tolle Geschichte ordentlich verstehst. – Uebermorgen geht's nach Verona, dann nach Vicenza, Padua und Venedig. So unendlich dankbar ich Eduard sein muß, daß er mir so viel Geld geschickt hat, so kann ich doch nicht verhehlen, daß ich mir Vieles entsagen muß, da ich bei näherer Revidirung meiner Kasse immer auf den verdammten Gedanken komme, nicht auszureichen und gar meine Uhr versetzen oder verkaufen zu müssen. Gott lasse doch einmal Ducaten regnen! und alle Thränen und Briefe an Vormünder und Brüder würden verschwinden!!

[45] Wie mag es denn Euch jetzt gehen und denkt Ihr manchmal an den fernen, einsamen Wanderer, der jetzt weiter nichts hat als sein Herz, mit dem er sprechen, weinen und lachen kann! Ach! so ein Dr. Faust's Mantel müßte herrlich sein und ich möchte jetzt ungesehen und unbelauscht in Eure Fenster hineinlugen und dann wieder fortfliegen nach Italien und dann Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in Einen Kranz flechten. Hätte der Mensch in seinen Trauerstunden so viel heitere Minuten, als in seinen heiteren so viel wehmüthige, er wäre gewiß noch glücklicher, als ich eben jetzt es bin.

Aber ich bin es sehr, glaub' es mir und dies Alles hab ich dem guten Eduard und dem andern hohen Genius, dem nun die Hülle abgenommen ist, zu danken, die mir diese Freude gönnten und gaben. Addio, meine theuere Schwester; in Schmerz und Freude bleib' ich Dein und Euch Allen

R. Sch.


Klammere Dich recht fest an Deine Helene, wenn Du sie küssest; denn Du küssest sie von mir mit. Die Mutter, Eduard, Julius, Carl, Emilie, Rosalie51 und alle die Deinen in Gera mögen sich meiner freundlich erinnern. Auch Malchen und Erttel vergiß nicht.


Schumann an Rosen:


Venedig, d. 21. September 1829.


Ich kann hier keinen geschickten Bogen Briefpapier bekommen, so daß ich ein Blatt aus meiner Brieftasche reißen mußte. – Es geht mir gut, glücklich sogar, ich hatte mich verliebt in Mailand und lag ganze sechs Tage da, meine Kasse ist ganz erschöpft und ich muß meine Uhr verkaufen und bei Kurrer in Augsburg noch borgen. Ich habe oft geschrieben, aber immer den Brief zerrissen. Von Venedig kann ich Dir keine Vorstellung machen, wohl aber von Anderem, wenn wir auf dem Schloßberge spazieren gehen, habe immer Hundewetter gehabt, desto geistigeres und reineres in meinem innern Himmel! Ach, Rosen, warum bist Du nicht mit nach Venedig gekommen, oder ich hätte nicht ohne Dich reisen sollen! – Bitte, miethe mir ein neues Logis, hörst Du, ein rechtes für mich, Du kennst mich doch so ein wenig. Versäume[46] keine Minute. – Ach mein Herz ist gepreßt und mein Geist am escalier conduisant au Belvedere am HotelReichmann. Sie gab mir eine Cypresse zum Abschiede da oben – es war eine Engländerin – recht stolz und freundlich, liebend und hassend, hart, und so weich wenn ich spielte. Verfluchte Reminiscenzen. Aus Augsburg wieder52. Lebe wohl, Du Gekannter.


Dein R. Sch.


Desgleichen:


Mailand, den 4. October 1829.


Da ich in Venedig vergessen hatte, den Brief zu frankiren, so fürcht' ich, Du habest ihn nicht erhalten, mein geliebter Rosen. Im Grunde wär es mir lieb, da er in einem etwas mißmuthigen Tone abgefaßt war, dem Vieles zu Grunde lag, was ich nicht wiederholen will. Ich komme mir seit einigen Wochen (vielmehr immer) so arm und so reich, so matt und so kräftig, so abgelebt und so lebensmuthig vor, daß ich – – Auch heute ist es mir kaum möglich, die Feder zu halten, darum in aller Kürze dieses: In Venedig war ich krank, es war eine Art Seekrankheit, mit Erbrechen, Kopfschmerzen etc., ein lebendiger Tod. Die verdammte Erinnerung an Cypressen in Mailand wollte mir nicht aus dem Kopf. Ein Arzt nahm mir einen Napoleon ab, ein Schuft von Kaufmann betrog mich um einen halben, ganze Baarschaft 2 Napoleons, nach kurzer Ueberlegung den Entschluß gefaßt, nach Mailand zurückzukehren. Ach, ich wiederhole es, ich hätte nicht ohne Dich reisen sollen. Beschreiben will ich Dir jetzt Nichts. Mündlich gelingt es mir besser, wenn überhaupt. Ende October bin ich wieder bei Dir. – Vergiß nicht meine Bitte wegen des Logis. Thu mir's zu Liebe Rosen. Das ist heute Alles. Lebe wohl.

Dein

R. Sch.


Bald nach seiner Rückunft schrieb Schumann an seinen Vormund Folgendes:


Heidelberg, den 28. November 1829.


Ew. Wohlgeboren


werden durch meine Brüder von der glücklichen Vollendung meiner [47] Reise benachrichtigt worden sein, und es soll mir Freude machen, Ihnen von manchem Gesehenen und Gefühlten nach einem halben Jahre mündlich erzählen zu können. So viel mich auch diese Reise kostet, so reut mich – aufrichtig gestanden – kein Heller, den ich ausgab; freilich kam ich in Heidelberg bettelarm an, und bin Ihnen um so mehr und dankbarer verpflichtet, daß Sie die Güte hatten, mir 100 Thaler zu senden, die ich am 25. October erhielt. Es würde mir lieb sein, von Ihnen, verehrter Herr Rudel, zu erfahren, wie lange ich damit auskommen soll und wie viel ich überhaupt noch bis Ostern zu erwarten habe. Von den letztgedachten 100 Thalern ist mir nur noch wenig übrig, ich habe davon ausgegeben: – – –

Es ist besser, ich rede ganz offen mit Ihnen, und ich bitte auch Sie darum, verehrter Herr Rudel, es gegen mich zu sein; wünschen Sie, daß ich mich hier und da beschränken soll, so will ich es gerne thun, so viel es geht.

Sonst bin ich gesund und heiter und lebe ganz still auf meiner Stube; in Familien bin ich viel eingeführt, aber es zieht mich wenig hin. Im Ganzen freue ich mich auf Zwickau und Leipzig wieder herzlich. Das Heimweh überfällt mich oft.

Mit der Bitte, mir über obige Punkte Auskunft zu geben, und mir sobald als möglich eine kleine Anweisung zu senden, empfehle ich mich Ihnen und Ihrer ganzen verehrten Familie als


Ew. Wohlgeboren

ergebenster

R. Sch.


In dem Winter 1829–1830 gab Schumann sich den musikalischen Studien rückhaltloser denn je hin. »Viel Klavier gespielt«, besagt das schon mehrfach erwähnte Notizbuch. In der That, so war es, wie die wenigen Personen seines näheren Umganges einstimmig bezeugen, zu denen namentlich hier außer Rosen und Semmel – der Letztere hatte Heidelberg inzwischen wieder verlassen – noch der Studiengenosse Töpken53 gehörte, welchen die Vorliebe für Musik in nähere Beziehung zu Schumann gebracht hatte.

Dieser berichtet hierüber in seinen werthvollen, das musikalische Zusammenleben mit Schumann betreffenden Mittheilungen: »Als ich[48] Schumann's Bekanntschaft machte, bedurfte es seinerseits nur der Erwähnung, daß er Musikfreund und in specie Clavierspieler sei, um sogleich mein Interesse zu erwecken. Bedeutend gesteigert wurde dasselbe aber, als ich ihn zuerst spielen hörte. Es war der erste Satz des Hummelschen A-moll-Concerts54, den er mir vortrug. Ich war frappirt durch diesen Aplomb im Spiele, diesen bewußt künstlerischen Vortrag und wußte nun, mit wem ich es zu thun hatte. Gern ergriff ich dann die Gelegenheit, öfter mit ihm zusammen zu kommen, mit ihm vierhändig zu spielen und überhaupt in jeder Weise musikalisch mit ihm zu verkehren. Es fand sich immer mindestens Ein Abend in der Woche für unser Zusammenkommen und zunächst wurden dann Claviersachen à quatre mains durchgenommen. Vor Allem gehörten dahin die vierhändigen Polonaisen von Schubert, denen Schumann unter allen Schubert'schen Sachen eine ganz besondere Vorliebe spendete, dann auch dessen Variationen55 über ein Thema von Herold (op. 82) und Anderes. Das Zusammenspielen war für mich zugleich von instruktivem Interesse durch die Andeutungen und Fingerzeige, die er über Auffassung und Vortrag jedes Stückes zu geben und praktisch zu erläutern wußte. Nach der gemeinschaftlichen Unterhaltung folgten dann in der Regel von seiner Seite freie Phantasien auf dem Clavier, in denen er alle Geister entfesselte. Ich gestehe, daß diese unmittelbaren musikalischen Ergüsse Schumann's mir immer einen Genuß gewährt haben, wie ich ihn später, so große Künstler ich auch gehört, in der Art nie wieder gehabt. Die Ideen strömten ihm zu in einer Fülle, die nie sich erschöpfte. Aus einem Gedanken, den er in allen Gestalten erscheinen ließ, quoll und sprudelte alles Andere wie von selbst hervor, und hindurch zog sich der eigenthümliche Geist in seiner Tiefe und mit allem Zauber der Poesie, zugleich schon mit den deutlich erkennbaren Grundzügen seines musikalischen Wesens, sowohl nach der Seite der energischen, urkräftigen, als der der duftig zarten, sinnnend träumerischen Gedanken. Diese Abende, aus denen häufig Nacht wurde, und die uns über die äußere Welt völlig hinweghoben, vergesse ich in meinem Leben nicht. – Das Clavierspiel bildete während der ganzen Zeit seines Heidelberger Aufenthalts Schumann's eigentliches Studium. Oft sahen ihn schon die frühesten Morgenstunden[49] am Instrumente, und wenn er mir sagte: ›Heute Morgen habe ich sieben Stunden Clavier gespielt, ich werde heute Abend gut spielen, wir müssen zusammenkommen‹, dann wußte ich immer mit Sicherheit, welchen Genuß ich zu erwarten hatte. Gleichwohl war er mit den Fortschritten im Technischen, das ihm manchmal Schwierigkeiten machte, nicht zufrieden; er hätte mögen noch rascher, als es auf dem natürlichen Wege möglich war, zum Ziele gelangen. Wir sannen auch nach über Mittel und Wege zur Verkürzung des Prozesses, und wirklich glaubten wir auch bald, sie entdeckt zu haben und darnach verfahren zu müssen. Später erkannte er den Irrthum.«

Schumann's Leistungen als Klavierspieler waren nach und nach in Heidelberg bekannt geworden. Er hatte bereits in weiteren Zirkeln, die wesentlich auf sein Erscheinen berechnet waren, durch sein freies Phantasiren Alles entzückt, und die musikalischen Familien der Musenstadt bewarben sich förmlich um die Ehre, ihn bei sich eingeführt zu sehen. Wo man ihm aber am Meisten entgegenkam, erwiderte er nicht selten mit um so größerer Gleichgültigkeit, ja Eigensinn. So geschah es, daß er einmal von einer englischen Familie, welche in Heidelberg wohnte, zu einer glänzenden Soirée eingeladen wurde. Es war dabei ganz besonders auf eine musikalische Beisteuer seinerseits zur Unterhaltung der Gesellschaft gerechnet worden. Schumann hatte die Einladung angenommen. Als aber der Abend, für den sie galt, herangekommen war, bezeigte er keine Luft ihr Folge zu leisten. Sein gerade anwesender Freund Töpken machte ihm bemerklich, daß man ihn auf seine Zusage hin sicher erwarten werde, und suchte ihn zur Erfüllung seines Versprechens zu bewegen. Alle Vorstellungen und Ueberredungskünste indeß fruchteten nichts, und Schumann blieb zu Hause. Sein Ausbleiben wurde ihm natürlich sehr verübelt, und der Verkehr in dem gedachten Hause hatte damit für immer ein Ende.

Schumann sollte inzwischen auch Gelegenheit finden, vor dem größeren Publikum als Clavierspieler aufzutreten. Es geschah dies in einem meist aus Studenten gebildeten musikalischen Verein, »Museum«, dessen Zweck war, in regelmäßigen Zusammenkünften größere Instrumentalwerke, namentlich Symphonien, einzuüben, und dann gelegentlich in einzelnen Concerten dem Publikum vorzuführen. Schumann war Mitglied dieses Vereins und das Comité desselben sah sich um so eher berechtigt und veranlaßt, ihn zur Uebernahme eines Pianoforte-Solos in einem der veranstalteten Concerte aufzufordern.[50] Er zeigte sich bereit und wählte zum Vortrag die brillanten Variationen über den Alexandermarsch von Moscheles, welche, wie mitgetheilt wurde, ihm schon von seiner Schulzeit her bekannt und geläufig waren. Er spielte sie, an der Seite seines Freundes Töpken, der ihm auf seine Bitte das Blatt umwandte, mit Beherrschung, und erntete dadurch einen Beifall, wie ihn nur ein Künstler sich wünschen mag, wobei er mit herzlichem Ergötzen bemerkte, daß sein Assistent mehr gezittert habe als er selbst.

Wie unzweifelhaft der Erfolg dieses öffentlichen Auftretens war, geht daraus hervor, daß Schumann unmittelbar darauf Einladungen nach Mannheim und Mainz zum Solospiel in Concerten erhielt, die er indessen ablehnte. Er beschloß, mit dem glänzenden Debüt seine kurze Laufbahn als Concertspieler in Heidelberg und überhaupt zu enden. Auch mit dem Spielen in größeren gesellschaftlichen Zirkeln brach er ab, indem er sich ganz auf seinen näheren Umgang beschränkte; und selbst ein für den Musikbeflissenen so anziehendes Haus, wie dasjenige des berühmten Thibaut, des Verfassers der Schrift »Ueber Reinheit der Tonkunst«, vermochte kaum eine Unterbrechung in sein zurückgezogenes Leben zu bringen. Die Berührungen mit dem geistvollen Gelehrten waren durchaus nur gelegentlicher Art, und blieben auch ohne näheren Einfluß auf Schumann's musikalische Richtung und Entwickelung. Vielleicht waren die ascetischen Ansichten Thibaut's über Tonkunst hiervon die Ursache, obwohl es ihm vermöge derselben dennoch einmal gelang, den stillen, sinnigen Schumann vollständig auf seiner Seite zu haben. Es kam nämlich bei einem Zusammensein die Rede auf Rossini's Musik, über die Thibaut sarkastisch genug äußerte: »sie komme ihm vor, wie wenn man sagte: (im sanftesten Flötenton) ich liebe – (schreiend) Dich!!« – Dies erregte Schumann's herzlichstes Lachen und größte Heiterkeit.

Gleicherweise nahm Schumann keinen eigentlichen Antheil an dem Studentenleben, welches bei ihm überhaupt nur periodisch und in gewisser Beziehung eine Rolle spielte. Anfänglich hielt er sich fast durchaus entfernt davon, – bei dem Reichthum seines Gemüthes und Herzens konnte das specifische Studententreiben ihm auch wohl nicht zusagen. Später wurde er veranlaßt, gelegentlich einem Commerce beizuwohnen; ja in dem letzten Heidelberger Wintersemester kamen diese Fälle häufiger vor, und drohten beinahe, ihn in den Strudel der akademischen Freuden hineinzuziehen. Doch hatte es damit sein Bewenden.[51] »Wüstes Commersleben«, sagt das mehrerwähnte Notizbuch bezeichnend, nicht Studentenleben; eine andere Bedeutung als die des ersteren hatte das letztere für Schumann nicht. Es waren eben meist nur die größeren Sätze, die er mitmachte, dann aber gründlich.

Wie abweichend auch von dem studentischen Leben anderer Leute sich dasjenige Schumann's gestaltete, so war er doch ausnahmsweise kleinen romantischen Abenteuern nicht abgeneigt. Als Beleg dafür mag folgende Mittheilung gelten.

Auf einer Maskerade, welche Schumann während der Fastnachtstage 1830 in Begleitung seines Freundes Rosen besuchte, beabsichtigte er einem hübschen, aber sonst unbedeutenden Mädchen seine Aufmerksamkeit zu beweisen. Er vermuthete die Anwesenheit desselben auf dem Maskenballe, und hatte, um sich ihr zu nähern, ein Gedicht zu sich gesteckt. Der Zufall wollte ihm wohl, er traf und erkannte sie; als er ihr aber nach Maskenfreiheit das Gedicht überreichen wollte, trat die Mutter des Mädchens abwehrend dazwischen: »Behalten Sie Ihr Gedicht, Maske, meine Tochter versteht keine Gedichte.« –

Uebrigens ließ es Schumann bei den regelmäßig fortlaufenden Clavierstudien nicht bewenden; auch seiner schöpferischen Muse that er Genüge, wenn sie zur That drängte. Dabei mochte er aber wohl mehr und mehr den Mangel theoretischen Wissens empfinden, und hierdurch sich veranlaßt fühlen, eine Compositionslehre zu studiren, um das daraus Gewonnene zur Grundlage seiner produktiven Versuche zu machen. Daß ihm indeß dies Selbststudium nicht viel Nutzen gebracht haben kann, ist mit Recht anzunehmen, wenn man sich vergegenwärtigt, daß theoretische Werke bei weitem weniger für Lernende als für Lehrende vorhanden sind. Und so war es auch wie sich weiter zeigen wird.

Von den bereits in das Jahr 1829 fallenden Compositionsanläufen sind speciell anzuführen: Symphonieanfänge, dann kürzere Stücke für Clavier, darunter einige in den Papillons später gedruckte, namentlich Nr. 1, 3, 4, 6 und 8, und endlich Etüden für Clavier, erfunden zur Ausbildung und Erweiterung der eigenen Technik.

Die erste Hälfte des Jahres 1830 war schon ergiebiger. Es entstanden in derselben: Anfänge eines Clavierconcertes in F-dur, Variationen über den Namen Abegg und Tokkata in D-dur.

Die Abeggvariationen, welche im November des Jahres 1831 als [52] opus 1 im Druck erschienen56, verdanken ihre Entstehung zunächst der in Mannheim auf einem Balle gemachten Bekanntschaft mit Meta Abegg, der schönen Tochter eines damaligen in genannter Stadt hochgestellten Beamten. Sie war nach Schumann's eigenen Aeußerungen die Verehrte eines seiner Freunde, und somit eine größere Bedeutsamkeit, wie man vielfach vermuthet hat, in der ganzen Sache nicht zu suchen. Nächst der Aufmerksamkeit für den Freund, die Schöne in einer Composition zu feiern, wird es zumeist die musikalische Behandlungsfähigkeit des Namens Abegg gewesen sein, die ihm eine Einkleidung desselben in Töne interessant machte. Dem Thema liegen die Noten a b e g g, folgende wohlklingende melodische Figur zeigend:


1. Robert Schumann's Jugend-, Lehr- und Studienjahre

zu Grunde, welche gleichmäßig fortgesetzt, doch allmählig fallend, in vierfacher Gliederung den ersten Theil des Themas bildet. Im zweiten Theil folgt dann eine Umkehrung der vorstehenden Figur. Die Variationen selbst, von denen nicht alle veröffentlicht wurden, sind, obwohl ungewöhnlicher Art, doch ohne sonderliche musikalische Bedeutung. Im Grunde können sie nur als dilettantische Produkte einer überaus begabten Natur gelten, und man würde bei der damaligen theoretischen Unwissenheit Schumann's Unrecht thun, mehr zu verlangen. Als hervorstechendster Mangel derselben macht sich die unzureichende Beherrschung des Stofflichen – der größte Feind des Genusses – geltend.

Die Dedication desselben an die »Comtesse Pauline von Abegg« ist fingirt, wie schon aus dem Gesagten hervorgeht. Da Schumann Gründe hatte, seine Composition nicht derjenigen zu widmen, welche zu ihrer Entstehung Veranlassung gab, so bediente er sich dieser gemachten Zueignung, um gewissermaßen die Herausgabe einer unverkennbaren Gelegenheitscomposition zu motiviren.

Ueber die Tokkata, welche später vor ihrer Veröffentlichung eine völlige Umänderung erfuhr, weiterhin. –

Ostern 1830 nahte heran und mit diesem Frühlingsfest die Zeit, zu der Schumann Heidelberg nach einjährigem Aufenthalt verlassen sollte, um in Leipzig seine juristischen Studien zu vollenden. Ein böses[53] Dilemma, das offenbar einen heftigen innern Kampf erzeugen mußte; denn wie sollte Schumann daheim bestehen, wie Rechenschaft ablegen über seine Berufsstudien, von denen er keine Notiz genommen, während sein Talent ihn mit immer stärkerer Macht ins Kunsttreiben drängte? Dazu das Bewußtsein von der entschiedenen Abneigung seiner Mutter gegen die Künstlerlaufbahn! Ist es nicht erklärlich und natürlich, daß Schumann unter solchen Umständen die Heimkehr scheute und hinauszuschieben suchte? Was da werden sollte, war ihm freilich selbst noch nicht recht klar. Der innere Gährungsprozeß wollte gründlich durchgemacht sein, und dazu bedurfte es nach dem alten Sprüchwort: »Zeit gewonnen, Alles gewonnen« eine Frist. Diese Frist erbat sich Schumann denn auch von seinem Vormund in folgendem Briefe:


Heidelberg, den 26. März 1830.


Ew. Wohlgeboren


möchten nicht glauben, daß es Vergessenheit oder Nachlässigkeit ist, daß ich Ihnen für den mir vor langer Zeit gütigst gesandten Brief mit 100 Thalern bis jetzt noch nicht meinen Dank und ihren richtigen Empfang gemeldet habe. Ich that es theils um Porto zu sparen, theils weil ich Ihnen, verehrter Herr Rudel, durch meine Brüder leichter und kürzer Antwort geben konnte.

Von meinem Leben während dieses Vierteljahres, so kostspielig es auch war, werden Ihnen in jedem Falle meine Brüder gesagt haben, daß es trotzdem angenehm und heiter war. Auch jetzt bin ich gesund wie ein Fisch im Wasser und froh ohnehin. Daß ich Schulden habe, müssen Sie auch wissen, und das ist das Einzige, was mich oft sehr drückt. Ich habe allein an den Schneider in diesem Wintersemester 140 fl. bezahlt, die andern Nebenausgaben gar nicht mitgerechnet, die ich in Leipzig mit meinem von der Obrigkeit ausgesetzten Studirgeld nicht zu bestreiten brauchte. Wenn Sie das Alles berücksichtigen, so werden Sie wenig Unterschied mit meinem Leipziger Auskommen finden. Das Schlimmste ist, daß hier Alles theurer, feiner und nobler ist, weil hier der Student dominirt und eben deshalb geprellt wird. Wie sehr würden Sie mich verbinden, verehrtester Herr Rudel, wenn Sie mir so bald als möglich so viel als möglich sendeten! Glauben Sie mir, daß ein Student nie mehr braucht, als wenn er keinen Kreuzer in der Tasche hat, zumal in den kleinen Universitätsstädten, wo er so viel geborgt bekömmt, wie er nur will. Ich habe einmal in vierzehn Tagen in den vorhergehenden sieben Wochen keinen Heller gehabt und kann[54] Ihnen aufrichtig gestehen, daß ich nie so viel gebraucht habe, als eben in diesen sieben Wochen. Die Wirthe schreiben dann mit doppelter Kreide und man muß mit Doppel-Kronenthalern bezahlen.

Durch meine Verwandten werden Sie erfahren haben, daß es einer meiner größten Wünsche gewesen ist, in diesem wirklich herrlichen Heidelberg noch ein Halbjahr bleiben zu dürfen, und meine Mutter hat auch diesen meinen Wunsch mit einem vollkommenen »Ja« erwidert. Wie lieb würde es mir sein, mein verehrter väterlicher Freund, wenn auch Sie mir die Einwilligung dazu gäben, da der hiesige Aufenthalt ungleich lehrreicher, nützlicher und interessanter ist, als in dem flachen Leipzig. – Und so will ich denn mit der ergebensten Bitte, mir die meinige, so viel in Ihrem Willen und Ihren Kräften steht, recht bald zu erfüllen, diesen Brief schließen. Ich ersuche Sie, mich Ihrer werthen verehrten Familie angelegentlichst zu empfehlen und zeichne mich mit steter Hochachtung als


Ihren

verpflichteten ergebensten

R. Sch.


Auf dieses Schreiben ging alsbald die Zustimmung des Vormundes wegen Verlängerung des Heidelberger Aufenthaltes ein, und Schumann konnte wieder von Neuem ungestört seinen – musikalischen Studien leben, zu deren nachdrücklicher Fortsetzung er sehr bald eine bedeutende Anregung von Außem her empfangen sollte. Ostern 1830 kam nämlich Paganini nach Frankfurt, dort die Wunder seiner Kunst hören zu lassen. Kaum hatte Schumann von der Anwesenheit dieses Phänomens in der genannten Stadt erfahren, als der Entschluß in ihm auch schon feststand, hinzueilen, um den angestaunten Virtuosen zu hören; mehr als wahrscheinlich ist es, daß Schumann hier den ersten Anstoß zu der bald darauf kundgegebenen Idee erhielt, sich der virtuosen Laufbahn gänzlich zu widmen.

Töpken war sein Begleiter auf dieser Excursion. »Die Tour selbst«, so berichtet dieser, »war für uns eben so amüsant als genußreich. Ein Studentenfuhrwerk in des Wortes verwegenster Bedeutung, dessen Leitung wir beide gleicherfahrenen Rosse- und Wagenlenker abwechselnd übernahmen, brachte uns nach manchen Fährlichkeiten und trotz aller Capricen und unheilbaren Gebrechen unserer Rosinante doch glücklich an's Ziel«. Beachtenswerth ist der auf diese Reise bezügliche Extrakt aus Schumann's damaligem, wohl aber nicht mehr[55] existirendem Tagebuch57, welcher den tiefen Eindruck von Paganini's Spiel auf unsern Meister deutlich erkennen läßt. Wie nachhaltig derselbe zugleich war, zeigt Schumann's spätere Bearbeitung einer Anzahl Paganinischer Capricen für Pianoforte.

Auch den bekannten Violinvirtuosen Ernst zu hören, fand Schumann ein paar Monate später Gelegenheit: doch ist kaum anzunehmen, daß dieser trotz seiner Leistungsfähigkeit, nach Paganini noch irgend einen bestimmenden Einfluß auf Schumann's Entschlüsse ausgeübt habe.

Es ist hier ein Brief Schumann's an seinen Vormund einzuschalten, der einen wiederholten Blick in die Geldcalamitäten des Heidelberger Lebens thun läßt.


Heidelberg, den 21. Juni 1830.


Verehrtester Herr Rudel!


Aus dem untern 28. April an Sie abgesandten Schreiben werden Sie ersehen haben, daß es mir frisch und wohl geht, und ich in richtigem Besitze der mir von Ihnen geschickten.... Thaler bin. Da mir aber seit dieser Zeit weder meine Mutter noch einer meiner Brüder irgend die geringste Antwort gegeben haben, so muß ich vermuthen, daß alle drei Briefe, die ich unterm 28. April an Sie, meine Mutter und Eduard adressirte, auf irgend eine Weise verloren gegangen sein müssen. Ich bitte Sie daher gütigst um Nachricht, ob Sie diesen Brief empfangen haben. Traurige Sachen habe ich zu melden, verehrtester Herr Rudel. Erstens habe ich ein Repetitorium, das halbjährlich allein 80 fl. kostet, und dann, daß ich außerdem binnen acht Tagen mit Stadtarrest (Erschrecken Sie nicht!) belegt werde, wenn ich nicht bis dahin 30 fl. andere Collegiengelder bezahle. Stadtarrest ist hier nur eine Art Drohung, und es wird keinesfalls so gefährlich. – – –

Mit der Bitte, mich den Ihrigen angelegentlichst zu empfehlen, zeichne ich mich


Ihren wahrhaft ergebensten Diener

R. Sch.


Wenige Wochen nach Absendung dieses Briefes war endlich der bedeutsame entscheidende Moment erschienen, da Schumann nach reiflichster Erwägung heraustrat, um frei und unverhohlen zu erklären, daß[56] er fürderhin keinem andern Berufe angehören wolle und könne, als dem der Kunst. Die Zuversicht davon muß lange schon in ihm lebendig gewesen sein, denn sonst hätte die geschilderte Verwendung der Universitätsjahre offenbar zu den unmöglichen Dingen gehört. Aber Schumann brauchte, wie schon gesagt, Zeit, um die Idee reif werden zu lassen, und sich sattelfest gegen alle, seinem Plane etwa drohenden Angriffe zu machen, die er namentlich von seiner, der Künstlerlaufbahn abholden Mutter befürchten mochte. Zunächst theilte er dieser allein seine Entschließung mit, die er ihr als Einlage des folgenden Schreibens an seinen Vormund zugehen ließ.


Heidelberg, den 30. Juli 1830.


Verehrtester Herr Rudel!


Eben war ich im Begriff, einen Brief an Sie mit den gewöhnlichen Bitten zur Post zu tragen, als mich noch der Briefträger mit Ihrem ersehnten Brief vor der Thür erwischte. Haben Sie innigen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und für alle die Umständlichkeiten, die ich Ihnen immer gemacht habe, und nie in dem Maaße vergelten kann.

Das Wetter hier ist herrlich, aber siedend heiß, und mein Leben hat nichts von den Annehmlichkeiten verloren, von denen jeder meiner Briefe an Sie so voll ist. Gesund bin ich wie je. Arbeiten muß ich viel, und weiß oft nicht, wie ich mit der Zeit fertig werden soll, da ich außerdem viel Englisch und Französisch treibe und auch das Klavier nicht ganz vernachlässigen darf.

Was meine Abreise anbelangt, so wird sie sehr spät im September erfolgen, da das juristische Repetitorium, das mich etwas von der Sonnenhitze abkühlt, erst spät schließt.

Die Inlage an meine Mutter wollen Sie gefälligst recht schnell besorgen, da die Sache Eile hat. Ueber das Nähere wird gewiß meine Mutter mit Ihnen sprechen.

Mich Ihnen und Ihrem ganzen Hause herzlichst empfehlend, zeichne ich mich als

Ihr ganz ergebenster Diener

R. Sch.


Die Einlage aber dieses Briefes an Schumann's Mutter lautete folgendermaßen:


[57] Heidelberg, den 30. Juli 1830.

5 Uhr.


Guten Morgen, Mama!


Wie soll ich Dir nur meine Seligkeit in diesem Augenblicke beschreiben! – Der Spiritus kocht und platzt an der Kaffeemaschine und ein Himmel ist zum Küssen rein und golden – und der ganze Geist des Morgens durchdringt frisch und nüchtern. – Noch dazu liegt Dein Brief vor mir, in dem eine ganze Schatzkammer von Gefühl, Verstand und Tugend aufgedeckt ist – die Cigarre schmeckt auch vortrefflich – – kurz, die Welt ist zu Stunden sehr schön, d.h. der Mensch, wenn er nur immer früh aufstünde.

Sonnenschein und blauer Himmel ist noch genug in meinem hiesigen Leben; aber der Cicerone fehlt und das war Rosen. Zwei meiner andern besten Bekannten v. H...... aus Pommern, zwei Brüder, sind auch vor acht Tagen nach Italien gereist und so bin ich oft recht allein, d.h. zuweilen recht selig und recht unglücklich, wie sich's nun trifft. Jeder Jüngling lebt lieber ohne Geliebte, als ohne Freund. Noch dazu wird mir's manchmal glühend warm, wenn ich an mich selbst denke. Mein ganzes Leben war ein zwanzigjähriger Kampf zwischen Poesie und Prosa oder nenn' es Musik undJus. Im praktischen Leben stand für mich ein eben so hohes Ideal da, wie in der Kunst. – Das Ideal war eben das praktische Wirken und die Hoffnung, mit einem großen Wirkungskreise ringen zu müssen – aber was sind überhaupt für Aussichten da, zumal in Sachsen, für einen Unadeligen, ohne große Protection und Vermögen, ohne eigentliche Liebe zu juristischen Betteleien und Pfennigstreitigkeiten! In Leipzig hab' ich unbekümmert um einen Lebensplan so hingelebt, geträumt und geschlendert und im Grunde nichts Rechtes zusammengebracht; hier hab' ich mehr gearbeitet, aber dort und hier immer innig und inniger an der Kunst gehangen. Jetzt stehe ich am Kreuzwege und ich erschrecke bei der Frage: Wohin? – Folg' ich meinem Genius, so weist er mich zur Kunst, und ich glaube, zum rechten Weg. Aber eigentlich – nimm' mir's nicht übel, und ich sage es Dir nur liebend und leise – war mir's immer, als verträtest Du mir den Weg dazu, wozu Du Deine guten mütterlichen Gründe hattest, die ich auch recht gut einsah und die Du und ich die »schwankende Zukunft und unsicheres Brod« nannten. Aber was nun weiter? Es kann für den Menschen keinen größeren Qualgedanken geben, als eine unglückliche, todte und seichte Zukunft, die er sich selbst[58] vorbereitet hätte. Eine der früheren Erziehung und Bestimmung ganz entgegengesetzte Lebensrichtung zu wählen, ist auch nicht leicht und verlangt Geduld, Vertrauen und schnelle Ausbildung. Ich stehe noch mitten in der Jugend der Phantasie, die die Kunst noch pflegen und adeln kann; zu der Gewißheit bin ich auch gekommen, daß ich bei Fleiß und Geduld und unter gutem Lehrer binnen sechs Jahren mit jedem Klavierspieler wetteifern will, da das ganze Klavierspiel reine Mechanik und Fertigkeit ist; hier und da hab' ich auch Phantasie und vielleicht Anlage zum eigenen Schaffen – – nun die Frage: Eins oder das Andere; denn nur Eines kann im Leben als etwas Großes und Rechtes dastehen; – und ich kann mir nur die eine Antwort geben: nimm Dir nur einmal Rechtes und Ordentliches vor und es muß ja bei Ruhe und Festigkeit durchgehen und an's Ziel kommen. In diesem Kampf bin ich jetzt heißer, als je, meine gute Mutter, manchmal tollkühn und vertrauend auf meine Kraft und meinen Willen, manchmal bange, wenn ich an den großen Weg denke, den ich schon zurückgelegt haben könnte und den ich noch zurücklegen muß. – Was Thibaut anbelangt, so hat er mich längst schon zur Kunst hingewiesen; ein Brief von Dir an ihn würde mir sehr lieb sein und auch Thibaut würde sich freuen; er ist aber schon seit einiger Zeit nach Rom gereist, so daß ich (ihn) nicht wieder sprechen werde.

Blieb' ich beim Jus, so müßte ich unwiderruflich noch einen Winter hier bleiben, um bei Thibaut die Pandecten zu hören, die jeder Jurist bei ihm hören muß. Blieb' ich bei der Musik, so muß ich ohne Widerrede hier fort und wieder nach Leipzig. Wieck in L., dem ich mich gern ganz anvertraue, der mich kennt und meine Kräfte zu beurtheilen weiß, müßte mich dann weiter bilden; später müßt' ich ein Jahr nach Wien, und, wär' es mir irgend möglich, zu Moscheles gehen. Eine Bitte nun, meine gute Mutter, die Du mir vielleicht gern erfüllst. Schreibe Du selbst an Wieck in Leipzig und frage unumwunden: was er von mir und von meinem Lebensplan hält. Bitte um schnelle Antwort und Entscheidung, damit ich meine Abreise von Heidelberg beschleunigen kann, so schwer mir der Abschied von hier werden wird, wo ich so viel gute Menschen, herrliche Träume und ein ganzes Paradies von Natur zurücklasse. Hast Du Lust, so schließe diesen Brief in den an Wieck ein. Jedenfalls muß die Frage bis Michaelis entschieden werden und dann soll's frisch und kräftig und ohne Thränen an das vorgesteckte Lebensziel gehen.

[59] Daß dieser Brief der wichtigste ist, den ich je geschrieben habe und schreiben werde, siehst Du und eben deshalb erfülle meine Bitte nicht ungern und gieb bald Antwort. Zeit ist nicht zu verlieren.

Lebe wohl, meine theure Mutter und bange nicht. Hier kann der Himmel nur helfen, wenn der Mensch hilft.


Dein Dich innigstliebender Sohn

Robert Schumann.


Die Bestürzung, in welche der Inhalt dieses Briefes Schumann's Mutter versetzte, spiegelt sich deutlich in dem Schreiben wieder, welches sie an Fr. Wieck richtete. Hier folgt es:


Zwickau den 7. August 1830.


Verehrter Herr!58


Aufgefordert von meinem Sohn Robert Schumann, bin ich so frei mich an Sie wegen der Zukunft dieses von mir so geliebten Sohnes zu wenden. Mit Zittern und innerer Angst setze ich mich her, um Sie zu fragen, wie Ihnen der Plan gefällt, den sich Robert gemacht hat, und wovon Ihnen inliegender Brief Aufklärung giebt. Meine Ansichten sind es nicht, und ich bekenne Ihnen offen, daß mir für Roberts Zukunft sehr bange ist. Es gehört sehr viel dazu, sich in dieser Kunst auszuzeichnen, um einst sein Brod für's Leben zu finden – weil zu viele große Künstler vor ihm sind –, und wäre auch sein Talent wirklich so ausgezeichnet, so ist und bleibt es noch immer ungewiß, ob er Beifall erhält, und er sich einer gesicherten Zukunft erfreuen kann –.

Beinahe drei Jahre hat er nun studirt und viel, sehr viel gebraucht – jetzt, wo ich glaubte, daß er balde am Ziele steht, sehe ich ihn wieder einen Schritt thun, wo er wieder anfängt, sehe, wenn die Zeit errungen ist, wo er sich zeigen kann, daß sein ganzes unbedeutendes Vermögen dahin ist, und er dann immer noch von Menschen abhängt, und ob er Beifall erhält – Ach! ich kann Ihnen nicht beschreiben, wie niedergedrückt, und wie traurig ich bin, wenn ich mir die Zukunft des Robert denke, er ist ein guter Mensch, die Natur gab ihm Geistesgaben, was Viele mit Mühe erringen müssen, kein unangenehmes Aeußere, – so viel Capital, ohne Sorgen sein Studium zu verfolgen, wovon noch, ehe er sich selbst erhalten konnte, so viel bleiben konnte, daß er anständig leben konnte, und jetzt will er auf einmal in ein Fach[60] einschlagen, was er vor 10 Jahren hätte anfangen sollen. – Wenn Sie Verehrter! selbst Vater sind, werden Sie fühlen, daß ich wohl recht habe, und mein Kummer nicht ohne Ursache ist – Meine andern drei Söhne sind unzufrieden darüber, und wollen durchaus, daß ich es nicht zugeben soll – allein ich bin nicht davon, ihn zu zwingen, wenn sein eigenes Gefühl ihn nicht leitet – denn wahrlich Ehre ist es nicht, nach drei verschwendeten Jahren – wieder als Lehrling anzufangen, und seine paar Thaler auf's Ungewisse hinaus zu spielen –.

Auf Ihrem Ausspruch beruht Alles, die Ruhe einer liebenden Mutter, das ganze Lebensglück eines jungen unerfahrenen Menschen, der blos in höheren Sphären lebet, und nicht in's praktische Leben eingehen will. Ich weiß, daß Sie die Musik lieben – lassen Sie das Gefühl nicht für Roberten sprechen, sondern beurtheilen seine Jahre, sein Vermögen, seine Kräfte und seine Zukunft. Ich bitte, ich beschwöre Sie als Gatte, Vater und Freund meines Sohnes, handeln Sie als redlicher Mann! und sagen sie unumwunden Ihre Ansichten, was er zu fürchten – oder zu hoffen hat –.

Entschuldigen Sie die Zerstreutheit meines Briefs, ich bin aber von Allem so ergriffen, daß ich mich seelenkrank fühle, und mir nie ein Brief so schwer wurde, als dieser. Leben Sie glücklich! und geben Sie recht balde Nachricht


Ihrer

ergebenen Dienerin

C. Schumann, geb. Schnabel.


Die Entscheidung Wieck's fiel durchaus günstig für Schumann aus; er hatte die hohe Begabung seines ehemaligen Schülers für die Tonkunst erkannt, und glaubte unter ausführlicher Darlegung aller Schattenseiten der Künstlerlaufbahn dennoch unbedingt zur Verfolgung derselben zurathen zu müssen, da es sich um ein bedeutendes Talent handele, welchem er unter gewissen Voraussetzungen sogar das günstigste Prognosticon stellen dürfe.

Hiermit war Schumann's Schicksal entschieden, sein fernerer Lebensweg vorgezeichnet, denn die Mutter erhob in Folge des von Fr. Wieck abgegebenen Urtheils keinen weiteren Einspruch gegen die Wünsche ihres Sohnes, sondern sandte ihm bald darauf als Bekräftigung ihrer Zustimmung Wieck's briefliche Erklärung.

Dieser glückliche Ausgang mochte selbst Schumann's kühnste Erwartungen übertreffen, und berauscht von dem Glücke, welches ihm solcher Bescheid vor die Sinne führte, schrieb er an Wieck:


[61] Heidelberg, d. 21. August 1830.


Verehrtester meiner Lehrer!


Es hat lange gewährt, bis alle meine Ideen ruhiger und ebener geworden sind. Fragen Sie nicht, wie es nach Empfang der Briefe in mir tobte. Jetzt gehts schon eher. Mein erstes Gefühl war Muth und der Entschluß; der Atlas war zerdrückt und ein Sonnenjüngling stand da und sich bedeutend nach Osten: Beuge der Natur vor; der Genius könnte sich sonst auf ewig wenden. – Der Weg zur Wissenschaft geht über Alpen und über recht eisige, der Weg zur Kunst hat seine Berge, aber es sind indische voller Blumen, Hoffnungen und Träume – so gings ungefähr im ersten Augenblicke, nachdem ich Ihren und meiner Mutter Brief gelesen hatte. – Jetzt ist's bei weitem ruhiger...... Ich bleibe bei der Kunst, ich will bei ihr bleiben, ich kann es und muß es. Ich nehme ohne Thränen von einer Wissenschaft Abschied, die ich nicht lieben, kaum achten kann; ich blicke aber auch nicht ohne Furcht auf die lange Bahn hinaus, die zum Ziele führt, das ich mir fest vorgesteckt habe. Glauben Sie mir, ich bin bescheiden, habe auch viel Ursache es zu sein; aber ich bin auch muthig, geduldig, vertrauensvoll und bildsam. Ich vertraue Ihnen ganz, ich gebe mich Ihnen ganz; nehmen Sie mich, wie ich bin und haben Sie vor allen Dingen Geduld mit mir. Kein Tadel wird mich niederdrücken und kein Lob soll mich faul machen. Etliche Eimer recht, recht kalter Theorie können mir auch nichts schaden und ich will ohne Muksen hinhalten. Ich habe mit Ruhe und Aufmerksamkeit Ihre fünf »Aber« durchgegangen und mich überall streng geprüft, ob ich Alles erfüllen kann. Verstand und Gefühl antworteten allemal »ach natürlich«.

Verehrtester! nehmen Sie meine Hand und führen Sie mich – ich folge, wohin Sie wollen und will nie die Binde vom Auge rücken, damit es nicht vom Glanz geblendet werde. Ich wollte Sie könnten jetzt in mich sehen; es ist still drinnen und um das ganze Welthaupt geht ein leiser, lichter Morgenduft.

Vertrauen Sie denn auf mich, ich will den Namen, Ihr Schüler zu sein, verdienen. Ach! warum ist man denn manchmal so selig auf der Welt. – Verehrtester? Ich weiß es.

Leben Sie herzlich wohl; binnen drei Wochen haben Sie mich und dann –


Ihr

ergebenster

Robert Schumann.[62]


Mit diesem überschwenglichen Briefe ging an demselben Tage ein zweiter an Schumann's Vormund ab.


Heidelberg, d. 21. August 1830.


Verehrtester Herr Rudel!


Meine Verwandten haben Ihnen auf jeden Fall meinen Entschluß und meinen neuen Lebensplan mitgetheilt. Glauben Sie mir es – ich bin der Kunst geboren und will ihr auch treu bleiben. So gut ich nun auch Ihre Lebensansichten kenne und sie zu würdigen weiß und lange mit mir zu Rathe gegangen bin, so bin ich doch gewiß, Ihnen gegenüber alle meine Zweifel zu lösen, die Sie noch haben könnten.

Mein Entschluß ist also fest und gewiß dieser: Ich widme mich sechs Monate lang in Leipzig bei Wieck ganz ausschließlich der Kunst. Vertrauen Sie ganz auf Wieck, verehrtester Herr Rudel, und warten Sie auf sein Urtheil. Wenn er spricht, daß ich in drei Jahren nach diesen sechs Monaten das höchste Fiel der Kunst erlangen kann, nun so lassen Sie mich in Frieden ziehen, dann gehe ich gewiß nicht unter; – hegt Wieck aber nur den geringsten Zweifel (nach diesen sechs Monaten), nun so ist ja in der Jurisprudenz noch nichts verloren und ich bin gern bereit, dann meinen Examen binnen einem Jahr zu machen, in welchem Falle ich dann immer nicht länger als vier Jahre studirt hätte.

Innigst verehrter Herr Rudel! Sie sehen nothwendig hieraus, daß ich auf jeden Fall sobald als möglich aus Heidelberg fort muß, da mir der Aufenthalt hier nur noch schaden kann.

Haben Sie daher die Güte, mir sobald als möglich einen ansehnlichen Wechsel zu schicken, mit dem ich die große Reise und die übrigen Schulden bestreiten kann. Sie würden mich mit 150–180 Thalern ganz glücklich machen. Ich verpflichte mich dagegen, bis Ende dieses Jahres keinen Kreuzer von Ihnen zu verlangen. Wenn Sie meine Bitte ganz erfüllen, so reißen Sie mich aus einer Menge Verlegenheiten und Quäckeleien. – – – – Also zürnen Sie nicht! – es soll gewiß die letzte dringende Bitte der Art sein.

Ich empfehle mich Ihnen herzlich und mit der innigsten Hochachtung als


Ihren

ganz ergebensten

R. Sch.


Dieser Brief blieb ohne Antwort. Inzwischen machte Schumann[63] in Begleitung seines Schulfreundes Röller einen Ausflug nach Straßburg, wohin ihn die noch lebendige Begeisterung für die Julirevolution trieb. Nach der Rückkehr richtete er noch einen, den letzten Brief an den Vormund.


Verehrtester Herr Rudel!


Der Himmel gebe, daß kein Unglück in Ihrem oder meinem Hause die Ursache eines so langen Schweigens sein möge! Oder sollten Sie meinen letzten dringenden Brief gar nicht erhalten haben?

Ich bitte Sie nochmals inständigst, mir bald Antwort und einen Wechsel zu schicken (wenn es Ihnen anders nur möglich sein sollte, einen sehr bedeutenden) und mich aus meinen unruhigen Zweifeln zu befreien. Sie können sich keinen Begriff von der Angst und der schrecklichen Langeweile machen, die ich jetzt hier habe. Ich bin der einzige Student hier und irre einsam, verlassen und arm wie ein Bettler, mit Schulden obendrein, in den Gassen und Wäldern herum. Haben Sie Nachsicht mit mir, verehrtester Herr Rudel! aber schicken Sie mir nur diesmal Geld, nur Geld, und nöthigen Sie mich nicht, zu meiner Abreise Mittel zu suchen, die mir sehr schaden könnten, und auch Ihnen nicht angenehm sein dürften.

Ich empfehle mich nochmals Ihrer Güte und Nachsicht angelegentlichst und zeichne mich als


Ihr

ganz ergebenster, aber sehr armer

R. Sch.


Der Vormund gab diesem dringenden Ansuchen Gehör; er erhob aber zugleich Bedenken gegen die beabsichtigte Künstlerlaufbahn. Auf dieselben unterblieb indessen um so mehr jede Erwiderung, als eine solche, wie die Sachen einmal in Schumann's Innerem standen, für beide Theile überflüssig war.

Schumann rüstete sich zur Rückreise nach Leipzig. Er trat sie mit dem festen Willen an, sich demnächst ausschließlich der Virtuosenlaufbahn zu widmen. Sein Weg führte ihn den Rhein hinab über Detmold, wohin er sich begab, seinen Freund Rosen, der bereits Ende Juni desselben Jahres als Dr. jur. nach Hause zurückgekehrt war, noch einmal zu sehen und zu genießen.

1

Die folgenden, denselben betreffenden Mittheilungen sind seiner von C. E. Richter verfaßten Biographie, erschienen 1826 bei Gebr. Schumann in Zwickau, entnommen.

2

Nicht zu verwechseln mit dem bekannten Schriftsteller Wilhelm Heinse. Der hier gemeinte war Buchhändler und beschäftigte sich nebenbei mit literarischen Arbeiten.

3

Das von ihm hinterlassene Vermögen wurde auf 60,000 Thlr. geschätzt.

4

Ein Dorf bei Zeitz.

5

Nach dem amtlichen Taufregister der Hauptkirche St. Marien in Zwickau. Dasselbe besagt, daß Robert Alexander am 14. desselben Monats die Taufe empfangen habe.

6

Ehedem Schul- und Kirchenrath in Zwickau.

7

Unter diesen nennt Schumann selbst als seinen ältesten vor allen Emil Herzog. Derselbe, Dr. med. in Zwickau, hat sich durch eine Chronik der Stadt Zwickau bekannt gemacht. Auch darf nicht unerwähnt bleiben, daß er die erste Anregung zu einem bleibenden Erinnerungszeichen an Robert Schumann in seiner Vaterstadt Zwickau gegeben hat.

8

Genau ist der Beginn dieses Unterrichts trotz aller Nachforschungen nicht festzustellen gewesen. Es findet sich blos in dem sorgfältig durchgesehenen schriftlichen Nachlasse von Robert's Musiklehrer eine Notiz, nach welcher Schumann im September des Jahres 1817 Musikalien von seinem Lehrer leihweise erhalten hat; hiernach wäre die Folgerung berechtigt, daß der Musikunterricht im Laufe des 7. Lebensjahres spätestens begonnen habe.

9

Zwickau hat sich neuerdings sehr vergrößert und außerdem Bedeutung durch seine vielen Steinkohlengruben gewonnen.

10

Kuntzsch feierte am 7. Juli 1852 sein 50jähriges Amtsjubiläum als Organist an der Marienkirche zu Zwickau. Seine Thätigkeit als Gymnasiallehrer hatte er bereits 1835 eingestellt.

11

Es war ein Lorbeerkranz.

12

Derselbe gab im Sommer 1819 zwei Concerte in Karlsbad und zwar am 4. und 17. August.

13

Es ist die Sonate op. 121, für Pianoforte und Violoncello von Moscheles.

14

Den eigenen Angaben Schumann's zufolge besuchte er das Gymnasium zu Zwickau bis Ostern 1828, und zwar war er in Quarta 2, in Tertia 1, in Secunda 3 und in Prima 2 Jahre.

15

Derselbe veranstaltete um diese Zeit ohngefähr eine Aufführung des Schneider'schen »Weltgerichts« in der Marienkirche, bei welcher Gelegenheit Schumann am Clavier accompagnirte. Schumann erwähnt diese Thatsache im 2. Bande seiner Schriften pag. 125.

16

Schumann widmete ihm nach seinem Ableben in der Zeitschrift einige Worte der Erinnerung, wobei er sagt: »War es doch in seinem Hause, wo die Namen Mozart, Haydn, Beethoven zu den täglich mit Begeisterung genannten gehörten, in seinem Hause, wo die sonst in kleinen Städten gar nicht zu hörenden selteneren Werke dieser Meister, vorzugsweise Quartette, mir zuerst bekannt wurden, wo ich oft selbst am Clavier mitwirken durfte, in dem den meisten vaterländischen Künstlern gar wohl bekannten Carus'schen Hause, wo ihnen die gastlichste Aufnahme zu Theil wurde, wo alles Freude, Heiterkeit, Musik war.« S. neue Zeitschrift für Musik. Bd. 18. S. 27.

17

Später deklamirte Schumann auch mitunter in diesen Abendunterhaltungen, u.a. den Monolog des ersten Aktes aus Goethe's Faust.

18

Das in winzigster Schrift abgefaßte Brouillon dieses Briefes, welches ich nur mit Hilfe einer Lupe zu entziffern vermochte, befindet sich in meinen Händen.

19

Schumann's Notizbuch besagt, daß in diese Zeit Ouverturen- und Opernanfänge fallen.

20

Leider ist die fragliche Correspondenz mit C. M. von Weber nicht mehr vorhanden. Sie hat sich jedenfalls unter den Papieren befunden, welche nach dem Tode des Meisters durch einen bedauernswerthen Umstand vernichtet wurden.

21

Dieselbe verheirathete sich nach dem im Jahre 1839 erfolgten Tode ihres Gatten mit dem in der literarischen Welt bekannten Buchhändler Stadtrath Fleischer in Leipzig.

22

Lebt in Jägerhof bei Augustusburg.

23

War Prodiakonus an der Marienkirche in Zwickau, und starb am 17. December 1878.

24

Nach dem amtlichen Todtenregister. Er erlag seinem mehrjährigen Siechthum im kräftigsten Mannesalter, als er gerade mit der Uebersetzung der Byron'schen Werke beschäftigt war.

25

Aus dem Anfang dieses Jahres ist ein Gedicht mittheilenswerth, welches Robert zur Hochzeitsfeier seines Bruders Carl verfaßte. S. Anhang A.

26

Auch sind in Schumann's Notizbuch die gleichzeitigen Anfänge eines Clavierconcerts in E-moll vermerkt.

27

Wahrscheinlich geschah dies in der, Zwickau nahe gelegenen Gebirgsstadt Schneeberg. Dort trug er nach der glaubwürdigen Mittheilung eines Augenzeugen, des zu Leipzig lebenden Musiklehrers Günther, einmal einen Kalkbrennerschen Concertsatz öffentlich vor.

28

Nach dem amtlichen Ausweis der Immatriculations-Tabellen auf der Universitätsquästur zu Leipzig.

29

Justizrath in Gera.

30

Dr. G. Rosen starb am 19. Januar 1876 als Obergerichtsrath in Detmold.

31

S. Anhang B.

32

Dr. v. Kurrer war ein intimer Freund von R. Schumann's Vater, und bis 1809 Theilhaber an einer Kattunfabrik in Zwickau. Nach dieser Zeit lebte er in Augsburg.

33

Man hatte dorthin eine Tour zu Verwandten bei Gelegenheit der Anwesenheit Rosens in Zwickau gemacht.

34

Eine gleiche Aeußerung that Schumann's Vater in Bezug auf die Werke Miltons und Youngs. Vergl. S. 1.

35

Unter diesen verstand Schumann die Burschenschafter, von denen im ersten Briefe an Rosen bereits die Rede war.

36

Ein Braunschweiger.

37

Vergl. S. 20.

38

S. über ihn Anhang C.

39

In Betreff dieser Mittheilung macht F. I. Fétis in seiner »Biographie universelle« eine berichtigende Bemerkung. Er sagt dort, daß sich über dieses Concert Clara Wieck's weder in der »Revue musicale« noch in der »Allgem. Musik-Zeitung« irgend eine Notiz finde. Aus diesem Grunde glaubt er annehmen zu dürfen, daß ich zwei verschiedene Zeiträume miteinander verwechselt habe. Die Notizen über das Leben Clara Wieck's rühren wörtlich von deren Vater her, weshalb wohl deren Richtigkeit nicht zu bezweifeln ist.

40

Er starb 17. Juni 1861 in Leipzig.

41

Schubert starb am 19. November 1828 in Wien.

42

Derselbe wanderte später nach Texas aus und ist seitdem verschollen.

43

Diese Lieder sandte Schumann mit der Bitte um eine Beurtheilung an den seiner Zeit bekannten Liedercomponisten Widebein nach Braunschweig, dessen Lyrik ihn sehr fesselte. Widebein antwortete. Der achte Band der neuen Zeitschrift für Musik enthält Seite 106 ein von der Redaction, also von Schumann unter Verhüllung der betreffenden Persönlichkeiten mitgetheiltes Schreiben »eines älteren Meisters an einen jungen Künstler«, welches unverkennbar die Antwort Widebeins auf Schumann's Sendung ist. S. Anhang D.

44

Schumann äußerte in späteren Jahren, wenn er um seine juristischen Studien befragt wurde, scherzhaft, er sei nur bis an die Thür des betreffenden Auditoriums gekommen, habe draußen eine Weile gelauscht, dann aber leise Kehrt gemacht.

45

Die Gewandhausconcerte zu Leipzig.

46

Derselbe stand als Oberstlieutenant in der Garnison zu Zwickau. In seinem Hause verkehrte und musicirte Schumann bereits als Gymnasiast.

47

Matthäi war zu jener Zeit Concertmeister in Leipzig.

48

In Schneeberg nämlich, während die anderen Vergnügungen sämmtlich in Zwickau stattfanden.

49

Die Reise betreffend.

50

Die Sängerin Merie-Lalande. Sie verließ die Bühne nach einer glänzenden Künstlerlaufbahn 1836.

51

Emilie und Rosalie waren die beiden andern Schwägerinnen Schumann's.

52

Es geschah nicht.

53

Dr. juris in Bremen.

54

Dieses hatte Schumann speciell bei Fr. Wieck einstudirt.

55

Es sind die sogenannten Marienvariationen.

56

Es war überhaupt die erste Composition, welche Schumann veröffentlichte.

57

S. Briefe vom Jahre 1833–1854 Nr. 1.

58

Dieser Brief ist, die Verbesserung einiger orthographischer und grammatischer Fehler abgerechnet, genau nach der Originalhandschrift copirt.

Quelle:
Wasielewski, Wilhelm Joseph von: Robert Schumann. Bonn 31880, S. 1-64.
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