Besuch bei Beethoven

[505] Durch Haslinger angemeldet, fuhr Weber am 5. October mit diesem und Benedikt hinaus nach Baden, wo der graue Löwe bis spät im Herbste zu hausen pflegte.

Beethoven war zu jener Zeit der Grimmbart nicht mehr, als den ihn Rochlitz, Spohr, Reichardt und andere, zwei und drei Lustren früher, gefunden und geschildert hatten. Durch Natur und Erziehung abgeschlossen, cholerisch und menschenscheu, wie die wunderliche kleine Freundin, deren Tod ihm als Knabe so viel Zorn und Kummer bereitet hatte, war er durch das ascetische Versenken in die gestaltenlose Welt seiner übersinnlichen Kunst für den Verkehr mit Menschen a priori für gewöhnlich fast unbrauchbar geworden. Ohne Beispiel in der[505] Kunstgeschichte hat Beethoven's psychisches Leben in seiner ernsten Gewalt nur noch seines Gleichen in den Legenden der Märtyrer und einigen ehernen Gestalten in antiken Republiken. Wie die Apostel gelobte er sich, zu den Füßen Vater Haydn's sitzend, ewiges Cölibat; ohne Mitleid mit seinen heißen Gefühlen, schloß er das Auge vor allen jenen, draußen aus der Welt so lieblich winkenden Augen, Händen und Blumen, da sie ihn von seiner einzig alleinigen Aufgabe: »die Offenbarung der Tonkunst zu schreiben!« hätte ablenken können.

Alle seine Beziehungen zur Welt erschienen wie Handlungen momentanen Selbstvergessens. Beethoven essend, trinkend, liebend war für die Welt ein Unding; im Grunde genommen saß er für die Menschheit von jeher als wunderbares Bild in fabelhaftem Lande und – – tönte.

Dieses tief-ernste Urwesen seiner Seele mußte in die finsterste Melancholie übergehen, als bei ihm, dem kaum Dreißigjährigen, Werdenden, Strebenden, jenes fürchterliche Uebel anklopfte, das, für Jeden kaum zu tragen, ihm, dem die Schöpfung eigentlich nur klang, fast der Tod war.

Noch nicht zweiunddreißig Jahre alt, wußte Beethoven, daß er unheilbar taub sei!

Das war die Zeit, wo er die Menschen gleich dem zum Tode getroffenen edeln Thiere, wie in heißer Schaam mied, die dem Menschenhasse und der Verachtung glich. Diese Schaam ist es, die ihn in jenem herzzerreißenden Testamente an seinen Bruder de dato Heiligenstadt 1802, 6. Oct., das Niemand ohne Thränen lesen kann, schreiben ließ:


»etc. Welche Demüthigung, wenn jemand neben mir stand und von Weitem eine Flöte hörte und – ich Nichts hörte, oder jemand den Hirten singen hörte und ich Nichts hörte – solche Ereignisse brachten mich nahe an Verzweiflung, es fehlte wenig und ich endigte selbst mein Leben – nur sie – die Kunst, sie hielt mich zurück. es dünkte mir unmöglich die Welt zu verlassen, bis ich das Alles hervorgebracht hatte, wozu ich mich aufgelegt fühlte, und so fristete ich denn dieß elende Leben! etc.«[506]


Diese bewältigende Verzweiflung mußte bei einem mächtigen Charakter, wie der Beethoven's, bald die Form fast absoluter Abgeschlossenheit annehmen.

In diese dunkle Periode seines Lebens fiel die Bestellung auf den »Fidelio« (Leonore) für das Theater an der Wien, für das zu gleicher Zeit Vogler seinen »Samori« schrieb. Die vollkommene Wirkungslosigkeit dieses Werkes zeigte 1805, als es gegeben wurde, Beethoven die Nothwendigkeit, in neuer Sphäre ganz neue Studien zu machen. Daß ihm der Weg dazu fast verschlossen war, vermehrte den Schmerz seiner Seele. Er kürzte, fügte hinzu (die beiden Finales, Allegro zu Florestan's Arie etc.), änderte (Ouverture inE) – – gehört hat er den Fidelio nie. Auch in dieser und einer dritten Form ließ noch 1806 und 1814 die Oper völlig kalt.

Hierzu kam, daß seine von jeher wunderliche ja bizarre Art zu dirigiren, bei der Zunahme seiner Taubheit, wo er die Pianos des Orchesters gar nicht mehr hörte, die bemitleidenswerthesten qui pro quo's herbeiführte, und er sehen mußte, daß das Publikum über ihn – lachte. Dieß machte das Maß seines Kummers voll und jagte ihn scheu in die düstere Einsamkeit einer ungemüthlichen Wohnung, die er ungern und fast immer einsam verließ.

Fast gleichgültig gegen das Schaffen Anderer, nur seiner eigenen mächtigen Seelenthätigkeit lebend, verlor er doch, zum Glück der Welt, nicht die Ueberzeugung von der Macht seines Genius.

In dieser Periode seines Lebens haben ihn Diejenigen aufgesucht, vor denen er bei ihrem Anblicke floh, denen er schroff und barsch begegnete und die ihn als sich selbst und die Welt vernachlässigenden Menschenhasser schilderten.

Aber die unwiderstehlichste aller Mächte, die Gewohnheit, legte ihre weichen Falten auch um die scharfen Kanten des felsigen Beethoven'schen Geistes. Die Erinnerung an den materiellen Ton wurde matter in ihm, er begann ihn weniger zu vermissen, je ungeschwächter das göttliche Orchester in ihm selbst fortmusizirte. Damit kehrte auch eine weichere Stimmung in ihm zurück, er wurde heiterer und mittheilsamer[507] und er hätte kein Künstler sein müssen, wenn ihn nicht sein täglich wachsender, gewaltiger Ruhm erquickt haben sollte.

So kam es, daß zu Anfang der Zwanziger Jahre auch das Gesicht, das er in die Welt hinaus kehrte, wieder andre Züge bekam, ohne daß, wie natürlich, der Dämon des Einflusses der Krankheit ganz zu überwinden gewesen wäre. Daraus entwickelte sich jene Mischung von Offenheit und Scheu, von absoluter Ruhe und jäh aufflackernder Bewegung, freudigem Aufleuchten und tief melancholischem Versinken, munterster Gesprächigkeit und dumpfer Apathie, die für die Erscheinung seiner letzten Lebensjahre so charakteristisch war. Im gewohnten Kreise bekannter Gesichter, am Tisch des Wirthshauses, wo er zu speisen pflegte, vermochte er sogar in so heiterm Selbstvergessen aufzugehen, daß er zum gemüthlichen und, da ihm Niemand in die Rede fallen konnte und wollte, allein das Wort führenden Schwätzer wurde, dem, besonders zum Auskramen der wunderlichsten, nur einem Genius und Tauben verzeihlichen, politischen Ansichten, niemals der derbe, zuweilen sogar fast rohe Ausdruck, fehlte, welchem er, wenn er recht eindringlich sprechen wollte, häufig musikalische Bezeichnungen einwebte. »Das ist ein Kerl! Denkt groß! immer Maestoso Des dur!« oder: »Das ist doch mit einfach zehn Fingern zu greifen, wie nur ein Lotti'scher Psalm!« Von Göthe meinte er: »Der läßt sich wie keiner componiren! todt schlagen ließ ich mich für ihn! Ich schreibe nur nicht gerne Lieder.«

Metternich's Polizei hätte lange nicht so seiner Ohren bedurft, als sie hatte, um von diesem sprudelnden Politisiren und Raisonniren immer gut unterrichtet zu sein. Der Polizeipräsident Sedlnitzky lachte aber dazu und sagte: »Der alte Bär schüttelt seine Zottelchen ganz harmlos!« Man ließ ihn ungestört gewähren. Deshalb meinte Beethoven, »nirgends könnte man so frei sprechen als in Wien«. Bei alledem blieb der große Mann doch der »Einsame vom Berge«. Einsam wohnte er, einsam, verschlossen, achtlos auf Welt und Menschen, ging oder lief er vielmehr spazieren. Einsam, verschlossen, nur mit sich selbst ringend, schuf er. Er ging fast nie in Gesellschaft, empfing nur bei besonders humaner Stimmung einen Freund oder Fremden und wohnte daher für die Wiener, die[508] Nichts von ihm sahen und hörten, als seine Werke, schon wie ein großer Abgeschiedener hinter Wolken des Himmels, was indeß dem Nimbus seiner Schöpferkraft durchaus keinen Abbruch that.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 505-509.
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