Proben zur »Euryanthe«

[512] Weber begann die Proben zur »Euryanthe«, nachdem Riotte's »Euphemia von Avogara« abgethan war und eine sehr kühle Aufnahme gefunden hatte (am 3. Oct.), damit, daß er dem versammelten Personale, alle Choristen, Statisten und die mittelbar Mitwirkenden inne begriffen, die Oper vorlas, wobei ihn die Wärme für die Sache so fortriß und er so feurig deklamirte, daß ihn der Regisseur Gottdank scherzend fragte: »ob er nicht etwa eine Stelle beim Schauspiel annehmen wolle.« Er gab hierbei die nöthigen Erläuterungen, so populär und faßlich, daß er, die Chöre etc. entlassend, glaubte hoffen zu dürfen. daß kein Mensch im ganzen Opernhause sei, der nicht die ganze Fabel der Oper vollständig begriffen hätte.

Die immanente Incohärenz des Stoffs hatte sich ihm bei der fortwährenden Beschäftigung mit demselben so verwischt, daß er wirklich meinte, das an sich Unklare klar darlegen zu können. Die nächste[512] Probe rückte ihm alle Schwächen der Entwicklung der Fabel bis zum Erschrecken deutlich wieder vor den praktischen Blick, denn von allen Seiten strömten ihm Fragen, die sich auf dieselbe bezogen, trotz allerseiner Erläuterungen, zu. »Wer ist Udo?« »Warum gilt Euryanthe die Emma so viel?« »Weshalb defendirt sich denn das Mädel nicht?« »Ich hätt's dem Lysiart gesagt und dem Fratz dem König!« Das waren Aeußerungen und Fragen, die alle alten Zweifel wieder in ihm aufsteigen ließen.

Er kam daher auf ein, schon früher einmal mit Rellstab besprochenes, originelles Auskunftsmittel zurück, durch welches er den Gang und die dramatischen Motive der Oper, besonders die dunkeln Rückbezüge derselben auf das Liebesspaar Udo und Emma, das den Hörer sonst so ganz theilnahmlos läßt, klarer darzulegen hoffte.

Es sollte sich nämlich, seiner Ansicht nach, während der Ouverture die Bühne öffnen und eine Art lebendes Bild zeigen: Euryanthe liegt am Sarge Emma's betend. An der Gruft lauscht Eglantine. Der Geist Emma's schwebt mit schmerzlichem Ausdrucke der Gesichtszüge vorüber.

Weber befreundete sich so mit diesem Gedanken, daß er in die, ursprünglich nur in einem Allegrosatze skizzirte Ouverture, das wundervoll geisterhafte Adagio für gedämpfte Violinen einschob, das auch die Vision der Euryanthe im ersten Akte begleitet. Am Schlusse sollte dann bei der Stelle: »Ich ahne Emma etc.«, statt des innern Gesichts Adolar's, Emma selbst, als seliger Geist, aus der Gruft emporschwebend, erscheinen. Der Nutzen für die Verständlichkeit der Exposition ward allseitig anerkannt. Die Chezy selbst, der erfahrene Regisseur Gottdank und der geistvolle Forti machten aber die Bedenken, die der Verwendung so auf die Spitze gestellter und nach Decorationseffekten schmeckender Hilfsmittel in einer ernsten Oper entgegen ständen, so kräftig geltend, daß Weber davon abstand. Der Satz in der Ouverture aber blieb stehen.

In der dritten Probe begann Weber mit den Solosängern, deren Einzelparthien er schon sorgsam mit ihnen durchgegangen hatte, die Duette, Terzette und Ensemblestücke zu probiren, wobei er vor dem[513] Beginne jeder Scene wieder seine Intentionen so genau exponirte, daß von Anfang an keine vergriffene Situation sich einschleichen konnte. Er wollte hierbei die Solosachen überschlagen, der Eifer riß aber Alle fort, die Theilnahme an der Sache seiten aller Sänger war so groß, daß Alles gesungen und die Zeit so vergessen wurde, daß man ausrief: »es müsse ja noch ganz früh sein«, als die Grünbaum im Finale des zweiten Akts wehmüthig bemerkte, »ihre Kinder würden wohl Hunger haben,« und man fand, daß es halb vier Uhr sei. Dieser Enthusiasmus schwächte sich mit der Zahl der Proben nicht ab, im Gegentheil stieg derselbe mit dem Verständniß des Werkes, der Kenntniß der euphonischen Wirkungen der Ensembles und des mächtig fortreißenden Effekts der meisten Nummern. Weber schreibt über die Proben an Caroline:


Am 7. Oct.:


»etc. Mein geliebtes Herz, du würdest manche Thräne über einige Stellen vergießen, so schön haben die Leute heute auf der dritten Probe gesungen. Ich habe nur Noth sie zu halten, daß ihr Feuer sie nicht zu sehr hinreißt, und mich mitnimmt. Es sind doch schöne Augenblicke, indem man sieht, daß man das menschliche Herz getroffen hat, und ergreift. Ich hoffe auf einen glücklichen Erfolg, wenigstens wird es gewiß nicht an den Sängern liegen. etc.«


Am 8. Oct.:


»etc. Die vierte Probe ist überstanden, und wie herrlich geht es schon; so wird Bergmann in seinem Leben den Adolar nicht singen, da ist Feuer und Kraft in der Höhe. Mit jeder Probe bekommen die Leute mehr Lust an ihren Parthien. Die Grünbaum sang heute schon auswendig. Ich selbst habe oft Noth, meine Rührung über das eigene Geschreibsel zu verbergen, weil sie es mit so viel Gefühl singt. Vertrau du nur auf Gott und meine Euryanthe! etc.«


Am 10. Oct.:


»etc. Um 10 Uhr ging ich in die Chorprobe, wo ich viele Freude erlebte. Die Direktion ist ganz verwundert, Dinge zu erleben, die noch nie da waren, z.B. daß die Choristen, statt bald wieder weg[514] zu laufen, selbst um Wiederholung und Verlängerung der Probe bitten. Um 12 Uhr bis!, 1/22 Uhr hatte ich Probe bei mir. etc.«


Am 13. Oct.:


»etc. Gestern wie du weißt Probe und Arbeit. Heutdito Probe mit Chor von 10 – 12 Uhr. Nun in der Oper wird was geheult vor Rührung, es ist kein Auge, was bis jetzt nicht wenigstens einmal sich mit Thränen gefüllt hätte. Das sind denn schöne lohnende Monumente!4 etc.«


Am 17. Oct.:


»etc. Ich habe gestern und heute viele große Freude in der Probe erlebt. So viel ist noch in keiner Oper geweint worden, als in dieser. Wenn es nach dem Ausspruche dieser guten Leute ginge, so hätte es vorher nichts Großes gegeben und käme auch nicht wieder. Ich weiß natürlich, was ich von diesem gut gemeinten Enthusiasmus abzurechnen habe und wünsche nur, daß sich ein Theil davon auf das Publikum übertragen möge. In solchen Augenblicken möchte ich dich hier haben, denn sie sind unbezahlbar. etc.«


Der Eindruck der Proben war es auch, der Weber's Muth immer wieder auf's Neue aufrichtete, seine Spannkraft wieder hob, wenn ihn Abends die Anschauung der herrschenden Geschmacksrichtung in der italienischen und deutschen Oper und die Leistungen der ersteren zur Verzweiflung gebracht hatten. Abends pflegte er daher im Ludlam zu sagen: »der Satan hat mich getrieben, für Wien zu schreiben!« und Mittags am Tisch im »Erzherzog Carl« lautete seine getröstete Aeußerung: »Es wird sich machen!« Zum Glück bemerkte Weber, von früh bis Abends angestrengt beschäftigt, das häßliche Treiben hinter seinem Rücken nicht, an dem, sonderbarer Weise, die Führer desjenigen Theils des Publikums, für das Weber schrieb, einen mehr oder weniger zu mißbilligenden Antheil hatten.

Pieringer, der Weber nicht wahrhaft wohl wollte, hatte erzählt, Beethoven hätte ihn schnöde aufgenommen. Franz Schubert, der einigen Proben anwohnte, schüttelte den Kopf, wenn die Rede darauf kam:[515] »Das sind ungelenke Massen,« sagte er, »mit denen Weber nicht umgehen kann. Das sollte er bleiben lassen.« Der Regisseur Gottdank klagte unverholen über die »schwere, gelehrte Musik, die sich so schwierig machen und verstehen ließe.« Du Gottdank für Weber's Freund galt, so fiel dieß in's Gewicht, und aus all' diesen mehr oder weniger entstellt weiter erzählten Redereien, mehr oder weniger maßgebender Persönlichkeiten, gestalteten sich Gerüchte, die, auch bei einem Theile des Publikums, das von klassisch-musikalischer Bildung und Geschmack Fait machte, das Interesse an Weber's Werke, welches man als ein Phänomen in der Sphäre guter deutscher Musik zu begrüßen geneigt gewesen war, abschwächten.

Wir sagten, zum Glück hörte Weber Nichts oder wenig von alledem, denn schwerlich würde die Ouverture, die er in den karg zugemessenen Stunden, welche ihm Proben und all' die weitläufigen Geschäfte einer Opernaufführung, die Geselligkeit etc. ließen, zwischen dem 6. und 19. October schrieb, wobei er noch den größten Theil des Clavierauszugs der ganzen Oper, dessen Vollendung er für Schluß des Monats zugesagt hatte, bearbeitete, Weber's weitaus und in jeder Beziehung vollendetste, symphonische Dichtung geworden sein, die sie ist, wenn Weber's Seele unter den Einflüssen dieser widrigen und niederbeugenden Erscheinungen gestanden hätte.

Sollte doch sein »böser Stern«, der, wie Weber glaubte, bei jedem bedeutsamen Ereignisse seines Lebens ein Opfer an Leid und Verdruß verlangte, sehr bald von andrer Seite her, und zwar in Gestalt eines etwas saloppen Irrsterns, zu scheinen beginnen.

Weber schreibt am 18. October:


»etc. Nach einer Setzprobe von 10 – 1/24 Uhr bin ich todtmüde zu Tisch gegangen, und eile jetzt, diese paar Worte abgehen zu lassen. Gelt geliebte Weibe, du bist nicht böse ›daß ich nicht mehr schreibe‹ ich kann wahrlich nicht mehr, muß mich jetzt ein Bissel auf's Bett legen, um wieder Kräfte zur Ouverture zu sammeln, es wird alles sehr gut gehen und ich bin zum Erstaunen munter bei der Strapatze. Montag fangen die Orchesterproben an und gehen fast bis zur Aufführung, die noch auf den 25. festgesetzt ist. Sei nur ganz beruhigt[516] über Alles, ich habe es noch nie bei Proben so genau genommen als diesmal, und geht nicht alles vortrefflich, so verschiebe ich die Vorstellung. Gegen 200 neue Kleider werden dazu gemacht. Und wahrscheinlich Freitag das Theater geschlossen, um eine Abendprobe machen zu können. Die Willfährigkeit von Seiten der Direktion und Mitglieder ist wirklich außerordentlich, und ich würde wirklich in Wonne schwimmen, wenn die verdammte Chezy nicht hier wäre. So hat sie wieder im Buch 1000erlei kleine Abänderungen zum Druck gegeben, wo es doch als Textbuch gelten muß. Aber ich will mich nicht ärgern, und bitte dich um des Himmels willen, es auch nicht zu thun. Ohne sie hätte ich ja etwas andres leiden müssen; ungetrübt eine Freude zu genießen, erlaubt ja mein Stern nicht. Ich umarme dich innigst und bin voll der freudigsten Hoffnung in jeder Hinsicht. etc.«

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 512-517.
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