Chöre im »Oberon«

[598] Mit dem Wegfall des innern, organischen, aus den Subjekten entwickelten Aufbaus der Oper, der in der »Euryanthe« so genial angestrebt worden war, mußte auch dem Chore hier eine ganz andre Rolle zugewiesen werden, wie in jenem Werke.

Wenn dort die Stimme des Volks, der Menschheit, des Gewissens in jenen tiefgedachten Musikstücken erklang, so tönt in den meisten Chören des »Oberon« die Stimme der Natur, die sich in allen vier Elementen voll freundlicher und feindlicher, lieblicher und grauenhafter Geister regt, mit wunderbarem und an den der schönen Welt selbst gemahnenden Reize aus, oder malt sich der geheimnißvolle Zauber märchenhafter ferner Länder.

Und hier ist Weber in der eigentlichen Sphäre und auf der Höhe seines Genius. Die Elfen- und Dämonenchöre im Oberon haben, in Melodie und Klangcolorit, für den Charakter der musikalischen Darstellung aus dieser phantastischen Welt wohl für immer den leitenden Ton angegeben. Er hat in diesem Bereiche keinen Vorgänger gehabt; ureigen ist ihm das ganze Wesen dieser Schöpfungen, die so ganz und vollkommen das austönen, was vierzig Jahre lang Natur und Freie. bei seinem trauten und sehnsüchtigen Verkehr mit ihnen, zu seiner edeln, feinbesaiteten Seele gesprochen hatten, daß es scheint, als hätte er nicht von hinnen gehen können, ohne diese Musikstücke der Welt gegeben zu haben.

Und so steht er auch als Musiker in ihnen auf seiner Höhe. Die speciellste Seite seines Talents, die des unwiderstehlichen Bestrickens durch das Zusammenwirken der Melodie, der Klangeffekte, der Klangfarbenmischung und des Rhythmus zeigt in ihnen fast ihre reinsten Kundgebungen.[598]

In dem ersten Elfenchore flattern Schmetterlinge um unser Haupt, besprüht uns der kühle Staub der Quellen und der Duft des Schlummers haucht an unsre Schläfe.

Wie Elfen Schmerz fühlen, haben die Menschen erst aus dieser Oper gelernt. Und dann welch Gelächter der Naturgewalt selbst, der es ein Spiel ist, den großen Ocean im Sturme aufzuregen, im Dämonenchor des zweiten Akts. Der Sturm fegt selbst daher in »Wog und Wind hoch auf und hohl«, der die erste große Woge thürmt! Und dann wie sternespiegelnd, in leiser Brandung vormurmelnd, hebt sich in der, ohne dramatischen Zusammenhang mit dem Stücke, eingeschalteten Episode des Elfenfestes am Meeresstrande die Brust des Meeres wieder, wiegend in dem Gewoge des wunderbaren Meermädchenliedes (E dur), welches den Geisterchor des Finale im zweiten Akt einleitet, dessen zierliche Weise, wie Grashalmspitzen sein und elastisch, die Füßchen der Elfen und Meerjungfrauen kaum den Boden im Mondschein-Ringeltanz berühren läßt. In welch wunderbarem Contraste steht hierzu der, nach einer türkischen Original-Melodie gebildete, Chor und Marsch am Schlusse des ersten Akts, in dem der ganze Pomp, die groteske Form der Sklaverei und die Indolenz des Orients an uns im farbigsten Bilde herantritt, und über dessen mächtigen Tönen Rezia's Jubelsang wie Nachtigallengirren in den Haremsgärten von Bagdad schwebt.

Ueberblickt man diese Chöre mit dem, einer wahrhaft sklavischen Begeisterung vollen, zu Anfang des zweiten Akts, dem drolligen, türkisch nationalen im 17. Auftritt, dem orientalisch üppigen in der Verführungsscene zwischen Roschana und Hüon, und dem kräftig großartig fränkischen, der sich an den pompösen, waffenklirrenden Rittermarsch anschließt im Finale des dritten Akts, so schaut man auf eine Perspektive von einer Pracht und einem Reichthum, wie sie in dieser Manichfaltigkeit der Situation, nationaler Farbe und Empfindung, wohl keine Oper weiter aufzuweisen hat.

Nicht läugnen läßt sich, daß dieser allzu reiche, schillernde Wechsel und Irisbogenglanz in Gestalt und Colorit der Chöre, die in dieser Oper qualitativ und quantitativ einen größern Raum einnehmen, als in den andern, dem Werke nichts von dem unruhigen Reichthume, der[599] fast Buntheit zu nennen ist, genommen hat, der ihm, durch den Text und die Rücksichten auf den Charakter des englischen Publikums beeinflußt, vom Componisten gegeben worden ist.

Vielleicht darf dieser Charakter der Edelstein-Buntheit selbst kaum ein Fehler bei einem Werke genannt werden, dessen Schauplatz die Feenwelt und der Orient der Märchen ist. Gewiß ist. daß die sonnige Heiterkeit nicht dadurch verloren hat, die als Haupt-Lokalton auf dem Ganzen ruht und in der Seele des Hörers den Eindruck lieblichen Behagens zurückläßt, das nur beim Anschauen edler Kunstwerke ebenso den gebildeten Geist füllt, wie es die Masse zu freudigen Kundgebungen des Wohlgefallens veranlaßt.

Weber hielt, wie schon oben erwähnt, die Oper mit der Vollendung des Werks für England durchaus nicht für fertig. Mündliche und schriftliche Aeußerungen weisen darauf hin, daß er die Absicht hatte, ihr für den subtilern musikalischen und dramatischen Sinn des deutschen Publikums eine in vielen Stücken andere Gestalt zu geben, ja er hat sogar, wie Caroline bestimmt wußte, Neigung gehegt, den Dialog in Recitative umzuwandeln.

Es ist nicht zu bedauern, daß die Hast, die ihn, angesichts gegebenen Versprechens und des Todes, zur Vollendung der Oper für London um jeden Preis trieb, ihn veranlaßte, zwei der hervorragendsten musikalischen Momente im Finale des dritten Akts frühern seiner Werke fast buchstäblich zu entnehmen und nur in der musikalischen Ausführung umzugestalten. Beide, sowohl der große, so überaus prächtige und ritterliche Marsch, den er der Musik zu »Heinrich IV.«, von Gehe, componirt 1817, als auch der Schlußchor, den er aus »Peter Schmoll«, componirt 1801, entnahm1, sind so trefflich an ihrem Platze, daß sie nicht vollkommener ausdrücklich dafür geschrieben sein könnten. Dagegen ist es sehr zu beklagen, daß die physische Kraft ihn verließ, als es galt, der Oper einen dramatisch gültigen, wirksamen Abschluß zu geben. Die Endscene am Hofe Carl's des Großen kann kaum unreifer und incohärenter theatralisch angelegt gedacht werden, und die Präsentation[600] der Braut vor dem stummen Kaiser, der nur durch Pantomimen begnadigt und durch eine stumme Neigung des Hauptes dem pompösen, mittelreichen Werke den dramatischen Abschluß giebt, hat gradehin burleske Elemente, so daß ihn gewiß sein Gefühl gedrängt haben muß, hier würdigeres dramatisches und musikalisches Beschließen herbeizuführen.

Wenn aber auch die Oper selbst hie und da die Spuren der Todeshast und Mattigkeit und, so zu sagen, des dem Genius angelegten Sporns zeigen mag, so daß Weber's Eigenheiten hier mehr als bei seinen andern Werken, als die ihm eigne Manier erscheinen, so hat er doch die symphonische Einleitung des Ganzen, die kaum zwei Monate vor seinem Tode (9. April) vollendete Ouverture, siegreich von allen Einflüssen leiblichen Kraftschwindens und äußerer Verhältnisse frei gehalten. An Feuer, Reichthum der Ideen, Frische und Lebenskraft, steht sie keiner seiner andern Ouverturen nach und bildet mit denen zum »Freischütz«, zur »Euryanthe« und der »Jubelcantate« eine Constellation von vier mit verschiedenfarbigem Lichte, aber völlig gleich hell leuchtenden Sternen.

Die Ouverture steht mit der Oper im innigsten sachlichen Zusammenhange.

Das liebliche Adagio der Einleitung führt die Seele auf den Tönen des Oberonshorns und den das Geister- und Elfenleben so tief original und unübertrefflich plastisch schildernden Flöten- und Clarinettfiguren sofort mitten in die überirdische der Sphären, in denen sich das Werk bewegen soll. Schon in den letzten Takten des Adagio leitet der Anklang an das Motiv des Rittermarsches in die zweite Welt der Tonschöpfung, die des romantischen Ritterthums, hinüber, in der das nach einem Halt mit einem frischen D dur-Accord eintretende Allegro con fuoco mit Panzerschritten weiter schreitet. Dieser glänzenden Männlichkeit tritt die romantische Minne mit Motiven aus Hüon's und Rezia's Arien in reichster Wechselwirkung gegenüber, der Strom des Allegro führt die ganze Erscheinungswelt des Werkes, den Kampf der Liebenden mit der Sklaverei. den Elementen, Trennung und Tod mit seinem Hintergrunde von Wundern eer Zauberei des Orients und der Ritter- und Kaiserpracht an uns vorüber. Wie in der Ouverture[601] zur »Euryanthe« leitet das die Macht der Liebe charakterisirende Motiv


Chöre im »Oberon«

mit immer leuchtenderem Auftreten zum Siege des treuen Strebens der männlichen Kraft hin, die von der Macht des Geisterreichs gestützt und vom »ewig Weiblichen« erhoben wird Die Beziehungen zwischen Ton und Erscheinung steigern sich zu höchst packender Kraft bei Kenntniß der Oper selbst. Man hat gemeint, Weber sei in der Häufung musikalischer Bedeutung in dieser Ouverture zu weit gegangen, gewiß ist, daß dieselbe mit allem Reize von Webers Melodik, der effektvollsten und dabei discretesten Verwendung der Mittel, der süßesten Euphonie, der höchsten Meisterschaft in der Klangfarbenmischung und der zündendsten Rhythmik ausgerüstet, an künstlerischem Werthe und machtvoller Wirkung auf die Massen gleich hoch stehend, Weber's künstlerische Wesenheit mit ungeschwächtem Glanze zu dem Gesammtbilde des ersten dramatisch-romantischen Tonsetzers ergänzt, wenn auch vielleicht hie und da sein Bestreben, charakteristisch zu sein, Weber verleitet haben sollte, weniger sorgsam als sonst, von seinen Motiven jeden Anstrich von Trivialität fern zu halten, wie dieß z.B. von dem oben angeführten behauptet worden ist.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 598-602.
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