Charakter der Oper

[595] Denn der ganze dramatische Aufbau der Oper ist nicht aus Handlungen und Ereignissen construirt, die moralisch nothwendige Emanationen der mitspielenden Charaktere sind, soweit von solchen die Rede sein kann, sondern die Laune des Dichters, mit dem Werkzeuge[595] der Macht Oberon's in der Hand, ist die alleinige Gestalterin der Bühnenvorgänge. Die Personen handeln nicht, sondern sie folgen, als Marionetten, dem Zuge nur zu sichtlicher Drähte. Deshalb sind sie auch keine Individualitäten, sondern Typen geworden, deren Thun nicht unser Interesse, deren Schicksal nicht unser Mitgefühl erweckt und für die sämmtlich, vielleicht mit Ausnahme der Fatime, wir kein Herz fassen können. Oberon ist aus dem liebenswürdigen, menschenfreundlichen Dämon Wieland's, dem zuletzt das Geschick des Menschenpaares, das ihm helfen soll, fast mehr am Herzen liegt als sein eignes Liebesglück, zu einem unbeholfenen, geistlosen Kobold geworden, der mit seiner Macht selbst nicht das Rechte anzufangen weiß und, ohne inneres Motiv, Heil und Unheil über seine Schützlinge verhängt. Auch ist es bei allem Reiz der ihm in den Mund gelegten Musik, die übrigens auch jeder menschliche Liebhaber vorzutragen haben könnte, ersichtlich, daß Weber selbst über die Gestaltung dieser Wesenheit in Zweifel geblieben ist, die, ihrer Idee nach, der glänzendsten Seite seiner Schöpferkraft so nahe lag. Sie ist ihm menschlicher gerathen, als für die Erscheinung desDeus ex machina gut war, aus dessen Lilienstengel sich der ganze Faden des Drama herausspinnt.

Es ist kein unmotivirtes Gefühl, was dahin geführt hat, den Oberon hie und da von einer schönen Frau darstellen und seine Parthie eine Octave höher singen zu lassen. Die Individualität gewinnt dadurch an ätherischer Leichtigkeit und Glanz.

Weit elfenhafter und interessanter gaukelt Puck vor uns, zu dessen vollendeter Darstellung eigentlich die Vereinigung der Talente einer graziösen und sinnigen Tänzerin und einer geschmackreichen Sängerin gehört. So wenig er auch zu singen hat, so sind es doch Noten, die auf Elfenflügeln schwirren müssen. Auf der Bühne kommt er deshalb eben so selten wie Preciosa, zu voller Geltung.

Nicht schärfer ist die Zeichnung, nicht lokaler das Colorit der musikalisch weitaus bedeutendsten Personen der Oper, Hüon und Rezia. In der Hand des Dichters sind sie zu Nichts geworden, als zu »Er« und »Sie«, Ausfüllungen der romantischen Schul-Chablone für die Typen »Ritter und Dame«.[596]

In dem, was Hüon singt, ist er voll höchsten ritterlichen Glanzes, in seinem Handeln hat er, mit Oberon im Hintergrunde, nirgend ein Held zu sein. Kein Musikstück malt im engen Rahmen und mit so tiefinnerer Zusammenwirkung von melodiöser und instrumentaler Schilderungskraft das Ganze von Denken und Fühlen der traditionellen Ritterwelt, als die prachtvolle Arie: »Von Jugend auf im Kampfgefild«. Es ist ein Stück, aus dem, wenn es mit dem Terzett im dritten Akte: »So muß ich mich verstellen«, allein übrig bliebe, sich das ganze Leben jener Fabelsphäre wieder herausconstruiren ließe.

Rezia's Individualität ist die dramatisch bei weitem am schwächsten charakterisirte. Ihr selbständiges Wirken concentrirt sich in jener brillanten, liebeathmenden Bravourarie: »Komm edler Held etc.« (Finale des ersten Akts) und besonders in der imposanten Scene am Meeresufer, wo sie, gescheitert und verzweifelnd, Seesturm und Sonnenaufgang schildert, und deren unglaublich undramatischer Verlauf Weber Veranlassung zur Schöpfung eines der großartigsten Naturtongemälde geliefert hat, das in seiner Art unübertroffen und alleinstehend ist und der Darstellerin dieser Rolle Gelegenheit giebt, ihre ganze gesangliche Gewalt zu entwickeln.

Mit so besonderer Vorliebe und ganz aus dem Herzen kommendem Humor ist, neben dem prächtigen, treuherzigen Naturburschen Scherasmin, vor allen Gestalten der Oper die reizende Fatime gezeichnet, so daß Jeder. der unsrer Schilderung von Weber's Seelenleben bei seiner Composition gefolgt ist, den Gedanken nicht fern halten wird, daß ihn hierbei holdes Erinnern an die Liebeszeiten begeistert habe, wo Carolinens liebliche Darstellungen in diesem Genre ihn entzückten. Es ist ein Hauch von östlichen Rosen in ihren Gesängen, der ihre Arien:, »Arabiens einsam Kind«, »Arabien mein Heimathland«, zu echt orientalischen, von Karavanen und Pilgern uns zugeführten Duftperlen macht. Ihr Duett mit dem derben »knuff- und pufffesten« Freunde: »An dem Strande der Garonne«, in dem sich der gemüthliche Gaskognerton mit der reizvollen Schalkheit der Tochter Bagdads mischt, kann ohne aus dem Herzen kommendes Lächeln kaum gehört werden. Sie ist der natürliche Sonnenstrahl in dem Bühnenlampenlichte der Oper.[597]

Wunderbar faßt der Meister den Reiz dieser vier Individualitäten, jeder ihre charakteristischen Merkzeichen lassend, in dem Quartett: »Ueber die blauen Wogen, über die blaue See«, zusammen, in dem sein Genius mit seinem begeistertsten Flügelschlage Weltherrlichkeit, Heimathsehnsucht, blauen Himmel und Jubel und Liebe an uns vorüberführt und das, von keiner Arbeit Weber's in irgend einer Beziehung übertroffen, zur Blüthe der ganzen Oper wird.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 595-598.
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