Text des »Oberon«

[593] Wieland's »Oberon«, auf den Abschnitt »Huon von Bordeaux« in der alten, ebenfalls streng epischen »Bibliothèque bleue« gebaut, ist ein vortreffliches, erzählendes Gedicht, das aber eben einen großen Theil seiner Vorzüglichkeit dem Umstande verdankt, daß die Darlebung des Stoffes in Form des Epos die ihm gemäßeste ist. Dieß bedingt schon a priori, daß die dramatische Bearbeitung derselben Fabel mißlingen mußte. Es ist indeß kaum zweifelhaft, daß derselbe in einer geschickteren, als des unbeholfenen Planché Hand, denn doch noch eine[593] weit mehr den Erfordernissen der dramagenäheten Gestalt entsprechende erhalten könnte, als die lose aufgereihte Folge von geistlos aus dem Gedicht gegriffenen Scenen, die jetzt den Text des »Oberon« ungefähr in nachstehender Weise bilden.

Elfen bewachen Oberon's Schlummer. Puck erzählt von dessen Entzweiung mit Titania und von dem kindischen Schwure, sich nicht mit ihr zu versöhnen, bis sich die Liebe eines Paares in allen Fährlichkeiten echt bewährt hat. Oberon erfährt als zufällig erzählte Neuigkeit die Begebenheit zwischen Karlmann und Hüon an Carl's des Großen Hofe, und die Aufgabe, von der die Rückkehr der kaiserlichen Huld abhängig gemacht worden ist. Er zaubert den jungen Helden mit seinem Knappen, tel est son plaisir, herbei und zeigt ihn im Traume das Bild der schönen Kalifentochter Rezia (im alten Romane »Esclairmonde« genannt), rüstet beide mit Horn und Becher aus und läßt sie durch die Luft nach Bagdad reisen, um zu einer prachtvollen Decorations-Entwickelung Gelegenheit zu geben. Hier rettet Hüon dem Babekan, Bräutigam der Rezia, das Leben. Dieser versengt sich aber, als Bösewicht, an dem Wunderbecher. Dem zu Folge wüthend auf Hüon eindringend, wird er mit Schild und Schwert vertrieben.

Der Zauberstab des Dichters versetzt uns dann in Namuna's Hütte, wo Hüon durch die Alte von Rezia's Hochzeit, ihrem Grauen vor dem Bräutigam und ihrem Traume von dem weißen Ritter erfährt.

Durch Hüons Reden aufmerksam gemacht, eilt Namuna in das Serail, um Rezia von der Ankunft des weißen Ritters zu unterrichten. Die Nachricht trifft diese im Garten und beseelt sie mit Hoffnung.

Bei dem Festmahl des Kalifen, als eben Rezia dem Babekan zugeführt wird, tritt Hüon auf, haut unter dem Schutze des Zauberhorns, ohne großen Aufwand von Heldenmuth, den Babekan nieder und entführt mit Scherasmin Rezia und ihre Vertraute, Fatime.

Oberon erscheint, befördert alle mühelos nach Askalon, wo sie sich einschiffen.

Als höchst sonderbar gewählte, erste Probe ihrer Treue läßt sie Oberon nun, in einem auf sein Geheiß durch Puck erregten Sturme, Schiffbruch leiden. Rezia und Hüon werden an den Strand einer[594] öden Insel geworfen und hier Rezia, nach einer langen, absolut undramatischen Scene, die indeß zum Glück Stoff zu einem der herrlichsten Tongemälde gegeben hat, dem Hüon von Seeräubern entrissen. Das wirksame Motiv vom Zorne Oberon's wegen des von dem Paare begangenen Fehltritts, hat sich der Dichter entgehen lassen. Oberon erscheint wieder, beklagt, so hart prüfen zu müssen, schützt den Schlummernden und sieht dem Spiele der Nixen zu. Hierbei ereignet sich das Sonderbare, daß es gleich nach dem Sonnenaufgange, den Rezia eben angeschaut hat, wieder Abend wird.

Im dritten Akt finden wir Scherasmin und Fatime als Sklaven eines Hofgärtners des Emir Almansor wieder. Dem Emir ist Rezia von den Räubern übergeben worden und dieser glüht für sie in Liebe. Rezia bleibt indeß Hüon treu, dagegen entbrennt seine Gattin, Roschana, in Eifersucht. Diese bescheidet einen Sklaven, der ihre Neigung erweckt hat, den von Oberon an Ort und Stelle gebrachten, verkleideten Hüon. zu sich, versucht ihn durch alle Reize der Verführung und bietet ihm endlich Thron und Liebe, wenn er Almansor tödten wolle. Der natürlich standhafte Ritter wird von Almansor im Harem überrascht, von Roschana verrätherisch angeklagt und soll den Flammentod mit Rezia. die Almansor's Anträge zurückgewiesen hat, sterben. Nach rührender Erkennungsscene führt Oberon's Zauberhorn Alles zu gutem Ende. Die Treue der Liebenden vereinigt Oberon und Titania, und ersterer führt das Paar an Carl's des Großen Hof zurück, wo dieser es zu Gnaden annimmt.

Dieser Text, kein Drama, sondern eine dramatisirte Erzählung. mußte, seiner Natur nach. selbstverständlich Weber aus der Sphäre der musikalisch-dramatischen Charakteristik, in der er sich bei der »Euryanthe« bewegt hatte, in die der bloßen, wenn auch reizvollen Schilderung, innerer und äußerer momentaner Zustände, ohne Rücksicht auf ihre psychische Entwickelung, zurückführen.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 593-595.
Lizenz:
Kategorien: