Verhältnisse bei der Entstehung des »Oberon«

[591] Das Werk entstand unter Verhältnissen, die von denen, welche beim Entstehen seiner andern Hauptwerke gewaltet hatten, grundverschieden waren. Sie zwangen ihn, von dem Verfahren abzuweichen, das er bei den Vorbereitungen zu jenen beobachtet hatte.

Als praktischer Meister war er gewohnt, wenn auch nicht für ein bestimmtes Auditorium, bestimmte ausübende Künstler zu schreiben, so[591] doch ein aus bekannten Elementen construirtes Ideal-Publikum, dessen receptive Kräfte und Geschmacksrichtungen ihm aus eigner Anschauung bekannt, vorschwebten, produktive Kräfte, deren Umfang und Natur ihm im Allgemeinen gegenwärtig war, im Sinne zu tragen, während er seine Ideen musikalisch-dramatisch gestaltete.

Seine Kenntniß vom englischen Publikum und den disponiblen Kräften, dem Musikzustande Londons etc., war hingegen eitel lückenhafte Bücher-, Brief- und Zungen-Weisheit voll matter, zum Theil sogar irriger Bilder und Vorstellungen. Dieß machte seine Griffe auf der Palette unsicher, irritirte die Freiheit seiner Gestaltung.

Dem verhältnißmäßig Lebensstarken, Hoffnungsreichen, war es beim Schaffen von »Freischütz« und »Euryanthe« nur um das Werk und seinen Ruhm zu thun gewesen; wie viel Zeit und Kraft er auf die Zeugung wenden müsse, kam erst in dritter Reihe für den an beiden Reichen in Frage; welche Erträgnisse die Arbeiten lieferten, erschien gar als Nebensache.

Anders beim »Oberon«. Als er die Arbeit begann, sah der Meister deutlich schon den Markstein am Ende seiner mühevollen Laufbahn stehen, wog die kleine Summe der Kräfte, die er noch zu verausgaben hatte, leicht in seiner Hand, hörte den Wiederhall von drei geliebten Stimmen fortwährend in seinem zitternden Herzen, die ihn um Schutz für die nur allzu nahe Zeit anriefen, wo er von ihnen gegangen sein würde.

Es galt also hier nicht blos Kunst und Ruhm, sondern es galt eben so gebieterisch, auf dieser kurzen Rennbahn noch so viel materielles Gut zu erjagen, so geizig mit dem kargen Pfunde zu wuchern, daß das Scheiden für ihn, das Bleiben für jene nicht gar zu bitter sein möchte. Die Oper mußte daher, gleichviel um welchen Preis, vollendet werden, mußte, um jeden mit gutem Kunstgewissen zu zahlenden Preis, sofort großen Erfolg haben.

Das englische Publikum aber war ihm, als für drastische Effekte eingenommen, stark von Nerven, nicht leichtbeweglich im künstlerischen Erfassen, an hergebrachten Formen hängend, in seiner bequemen Fassung aber starke neue Anregungen fordernd, geschildert worden.[592]

Als die, diesem Publikum am angenehmsten eingehende dramatisch-musikalische Form, wurde ihm das Singspiel mit lebensvollen Chören und nicht viel Arien, noch weniger Ensembles bezeichnet. Erstere sollten aber die Entwickelung einer großen Bravour der Sänger gestatten; reiche Decoration und Maschinerie, historisch treue Costüme und rascher Wechsel des Vorgangs wurden erforderlich genannt.

Das Princip des »Zusammenwirkens der Schwesterkünste« mußte daher bei dem vorhabenden Werke in noch frappanterer Ausbildung zur Erscheinung gebracht werden, als bei der »Euryanthe«.

Dieß waren die äußern Bewegungskräfte, die bestimmend bei Schöpfung des »Oberon« einwirkten. Die inneren, künstlerischen, waren nicht minder kategorischer Natur.

Die Schilderungen des englischen Publikums und der Richtung seines Geschmacks, der »Stimmung seiner musikalischen Nerven«, hatten Weber, der vielleicht dieses Zwanges froh war, in richtiger Erkenntniß der am drastischsten wirkenden Fähigkeiten seines Talents, den Vorwurf aus dem feenerfülltesten Bereiche der Romantik, den »Oberon« wählen lassen. Zu den deutschen Feen und Dämonen Wieland's hatte der englische Dichter noch die derber organisirten, holden und unholden Naturgeister aus »Sturm« und »Sommernachtstraum« gesellt und Weber so ein mächtiges Feld zum Tummeln gewaltiger und süßer, packender Effekte geliefert.

War aber, in lediglichem Bezuge auf die Specialitäten seines Talents, Weber's Griff nach dem Stoff des »Oberon« ein glücklicher, so war die Wahl um so verfehlter in Hinsicht auf die dramatische Entwickelung des Bühnenwerkes.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 591-593.
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