Müllner und Weber über das von Letzterem componirte Lied der Brunhilde in Yngurd.

[158] A. Müllner, über Carl Maria von Webers Melodie zu dem Liede der Brunhilde im Yngurd, Act 5. Sc. 3.


So überraschend auch das Ganze dieser musikalischen Andeutung mit meiner eignen Vorstellung zusammen trifft, so heg' ich doch einen Zweifel gegen die drei Takte:


Müllner und Weber über das von Letzterem componirte Lied

Es scheint mir, daß hier das geometrische Verhältniß der Noten gegen einander (ihre Zeitlänge) mit der prosodischen Quantität der Silben nicht übereinstimme, welches allenfalls der Gesang erlauben mag, aber nicht die Deklamation, welche hier musikalisch geleitet werden soll. Die Prosodie giebt: Müllner und Weber über das von Letzterem componirte LiedMüllner und Weber über das von Letzterem componirte Lied

Die Noten aber geben:Müllner und Weber über das von Letzterem componirte Lied Müllner und Weber über das von Letzterem componirte Lied. Dadurch würden ich und ihm, als die Hauptvorstellungen, hervorgehoben werden, und die Rede würde den Sinn bekommen: Ich will sein Leichenstein sein, immer bei ihm, ewig ihm treu, anstatt des richtigern: »Sein Leichenstein will ich[158] sein, immer bei ihm, ewig treu ihm. Ueberdies wird, sobald die Sprecherin das bei und treu als kurze Silben spricht, der spondeische weibliche Reim, bei ihm und treu ihm, zu dem fehlerhaften männlichen, ihm auf ihm

Vortrefflich dünkt mir hingegen das:


Müllner und Weber über das von Letzterem componirte Lied

Und hier scheint mir die Stelle zu sein, wo die Rede in Gesang übergehen muß.

Nach dem achten Takte steht das diesfallsige Zeichen Müllner und Weber über das von Letzterem componirte Lied nach meinem Gefühle zu früh. Vielleicht gefällt es dem berühmten Tonsetzer, meine Ansicht nach den Grundsätzen seiner Kunst zu berichtigen, in welcher ich leider ein Laie bin.

Der Sinn einer Rede kann durch Betonung verändert werden. Die Schrift hat für die Betonung keine sichern Zeichen. In einer geschriebenen Rede kann also der Leser gar leicht einen andern Sinn finden, als der Autor hineingelegt hat. In den geschriebenen Worten: Sein Leichenstein will ich sein (je serai sa tombe) kann der zweifache Sinn gesucht werden: c'est moi qui sera sa tombe, und c'est sa tombe que je serai. Jener würde nicht viel mehr sagen, als was Brunhilde früher viel deutlicher zu erkennen giebt: daß es der Schmerz um Oscars Verlust ist, der sie wahnsinnig macht, z.B. S. 289.


»Ach Gott! Ich weiß nicht wo er ist geblieben,

Und seit er fort ist, weiß ich alles schlecht.«


Der zweite Sinn setzt diesen Umstand als bekannt voraus, und giebt dem Leser ein Bild, welches durch diesen Umstand in der zerrütteten Einbildungskraft Brunhildens entsteht: sie will Oscars Leichenstein sein, der dem Todten immer nah, und ihm immer treu ist. Sie nimmt auch unmittelbar nach dem Liede S. 297 (der Göschenschen, nicht der Schaumburgschen Ausgabe) eine Stellung, welche dieser ausschweifenden Vorstellung gemäß ist. Die Musik[159] erweckt unmittelbar nur Gefühle. Bilder zur Anschauung der Phantasie kann sie nur mittelbar (durch Verbindung der Erfahrungen im Gedächtnisse) hervorbringen, ohngefähr wie wir den Tamino und die Schlange im Geiste sehen, wenn wir die Musik hören, welche diese Opernerscheinung stets begleitet. Hier also muß sie, nach meinem Dafürhalten, ihre Macht bezähmen, um die Wirkung der bildlichen Anschauung nicht zu stören, welche die Absicht dieser drei Verse ist. Dies thut unfehlbar eine solche Eintheilung des chromischen Notengewichtes, welche den ursprünglichen Sinn der Rede unkenntlich macht. Was mit dem Reiz des Tones dieser Noten zu wirken ist, muß, sollte ich meinen, auch dann gewirkt werden können, wenn ich und ihm, gegen die vorangehenden Wörtchen will, bei und treu gehalten, die kürzeren Noten bekommen.

Ueberhaupt scheint es wenig gekannt zu sein, und wenig bedacht zu werden, daß alle musikalischen Verhältnisse der Noten, der Töne, und der Tonarten geometrische Verhältnisse, (wie die sogenannten Brüche 1/2, 1/4, 1/8, 1/16 u.s.f.) die Verhältnisse der Silben, Betonungen und Modulationen in der Rede der arithmetische sind, d.h. Differenzen, wie a/ax, ax+y u.s.f. Daher kommt es, daß die Musik den prosodischen Gang der Verse, wie er in guter, sinngemäßer Recitation hervortritt, nicht genau begleiten kann; denn sie hat zur Begleitung der Sylbenquantität nur Brüche, deren Exponent die 2 ist (eine 1/3, 1/5 Note z.B. giebt es nicht), während der Redende die Zeitverhältnisse der Silben viel seiner unnmerklicher abstufen kann. Aber umkehren darf sie diese Zeitverhältnisse darum keinesweges, und was in der Rede wie 1 zu 1+x sich verählt, darf in der Musik nicht wie 1 zu 1/x sich verhalten.

Das Recht der Wiederholungen, im Allgemeinen scheint mir tief in der Natur des Gesanges, zumal eines Wiegenliedes, gegründet, und hier dünkt mir die Wiederholung bei: »Mutter singt,« auch in der Rede am Platze, weil dieselbe eben in Gesang übergeht. Sonst aber halte ich dieses Hülfsmittel der Musik großen Mißbrauchs fähig. Es ist eines von denen, wodurch die Göttlichkeit[160] der Kunst um den Ruhm einer handwerksthümlichen Zunftmeisterschaft schnöde verhandelt zu werden pflegt.


Weber's Antwort auf vorstehende Bemerkungen.


(Dresden 12. Sept 1819.)


Nach meiner Ansicht ist es die erste und heiligste Pflicht des Gesanges, mit der möglichsten Treue wahr in der Deklamation zu sein.

Obwohl es Fälle (vorzüglich in ausgeführtern Musikstücken, in Liedern seltner) giebt, wo vielleicht der ganzen innern Wahrheit der Melodie das vollkommen richtige Gewicht einzelner Silben geopfert werden dürfte, welches aber hier nicht zu erörtern ist.

Meistens geräth aber der Componist dadurch in Verlegenheit, daß nicht immer der Dichter den Rede-Accent der prosodischen Quantität der Silben gleichstellt. Dieser Zwiespalt des Versbaues und der Deklamation tritt doppelt scharf durch die Musik hervor, deren Rhythmen-Glieder an ein weit bestimmteres Bewegen in der Zeit gebunden sind, als selbst der gewissenhafteste Deklamator, wollte er nicht bis zum Lächerlichen steif werden, zu bezeichnen im Stande ist. Dafür hat aber auch die Musik als Hülfsmittel und Ausweg noch in weit höherm Grade, als die Rede, das bedeutende Gewicht der höhern oder tiefern Betonung, und oft muß das Taktgewicht dem folgenden höhern Ton-Gewicht wenigstens die gleiche Kraft und Wirkung, und daher Gleichstellung zugestehen. Weiter ist es aber auch zunächst das eigentliche Geschäft der Melodie, das innere Leben, welches das Wort ausspricht, wiederzugeben, und hell hervortreten zu lassen, wobei nicht selten die große Gefahr erscheint, bei ängstlich gesuchter Korrektheit den Blüthenstaub der innern Wahrheit der Melodie in Steifheit und Trockenheit zu verwandeln. Zu entscheiden, wo es nun einem oder dem andern, der Musik oder der Dichtkunst, zukomme, den Vorherrschenden zu spielen, ist die große Klippe, an der schon so mancher scheiterte.[161]

In nächster Beziehung alles eben Gesagten auf die von Herrn M. bezeichneten Stellen einer Melodie, so schien mir die Liebe der Brunhilde zu ihrem Sohne das eigentlich tiefste Motiv ihres ganzen Wahnsinns und des daraus entspringenden Liedes. Sie und Er, und immer wieder ihre Liebe zu ihm. Daher mein Herausheben und Verstärken durch Ton und Gewicht aller darauf Bezug habenden Worte; daß Sie sein Leichenstein sein will, daß Sie immer bei ihm, treu ihm sein will, schien mir die Hauptsache; deshalb derselbe Ton und Gewicht auf:


Müllner und Weber über das von Letzterem componirte Lied

Daß meine Ansicht nicht die richtige war, lehrte mich die Erklärung des Dichters, obwohl ich, aufrichtig gestanden, mich nicht ganz überzeugen kann, daß das, was ich allenfalls hier dem Rechte der prosodischen Quantität der Silben genommen habe, nicht von der andern Seite dem Ganzen zu Gute kam. Doch bescheide ich mich, und erlaube mir nur, noch einige Beispiele von Abänderung der Melodie nach des Dichters Sinne Ihnen hier vorzulegen, und dann zu erfahren, ob er nicht selbst diese als fast wehe thuend erkennt, weil oft ein in Rede ganz richtig schärfer betontes Wort augenblicklich zur Härte wird, sobald die Musik in demselben Grade folgen will.[162]


Müllner und Weber über das von Letzterem componirte Lied

Diese Beispiele lassen sich noch sehr vervielfältigen, welches hier zu weit führen würde.

Der Meinung, daß erst bei »Mutter« die Rede mehr in Gesang übergehen solle, stimme ich vollkommen bei; besonders erfreulich aber ist es mir, daß der berühmte Dichter nichts gegen die Wiederhohlungen am Schlusse eingewendet hat, weil ich dieses so oft bis zum Ekel gemißhandelte und an sich so ganz herrliche Vorrecht der Musik sehr hochstelle und achte, worüber zu seiner Zeit in meinem Künstlerleben Mehreres.

Habe ich übrigens bei dieser von Herrn Müllner gewünschten Antwort einer Andeutungsmelodie fast so viel Rechte eingeräumt als einem wirklichen Liede, so liegt die Entschuldigung dafür in der Natur der Musik, und in dem Wunsche, daß der Dichter des Yngurd wenigstens die Sorgfalt sehe, mit der ich jeder Aufforderung von ihm so gern Genüge leisten möchte.

Auch der Sinn einer Melodie kann durch Betonung und Bewegung nicht nur verändert, sondern sogar so gänzlich vernichtet werden, daß der Hörer durchaus nicht im Stande ist, den Sinn, den der Tondichter hineinlegen wollte, zu errathen; da hingegen bei schlechter Recitation eines Verses der aufmerksame Hörer doch allenfalls das Mißgreifen des Redners augenblicklich fühlen und bei sich berichtigen kann.

Die Tonzeichen sind mathematisch genommen richtiger das ihrer Wesenheit Zukommende bezeichnend, als die geschriebene Rede, vorzüglich auch in der rhythmischen Bewegung ihrer Taktglieder. Aber verfehlter Rhythmus (oder Bewegung) des ganzen Pulsschlags eines Stückes kann im Gefühle alles obige an und für sich richtig Beobachtete wieder vernichten.

Eben weil (ganz richtig nach Müllners Ansicht) die Musik nur Gefühle erweckt, ist ihr die Bewegung wichtiger und heiliger, als der Poesie. Die rhythmische Bewegung, im größern oder engern Sinne (Tempo und Takt), giebt den Charakter, die Melodie und Harmonie, die Farben und Gestaltung desselben.

Will die Musik mehr sein als Sprache der Leidenschaften, so[163] thut sie mehr als sie soll, und dann ganz natürlich etwas Schlechtes. Exempla sunt odiosa. Aendert oder vernichtet sie, mit der Rede verbunden, den Sinn des Dichters, so hat sie gefehlt. Da ich nun das treu ihm und bei ihm nicht nach dem Sinne des Dichters gegeben habe, so kann ich nicht mehr thun, als wiederholen, daß ich mich gern bescheide, meine, nach seiner Erklärung unrichtige, Ansicht nicht aufdringen zu wollen, sondern das weitere Urtheilen den Lesern zu überlassen.

Uebrigens habe ich gar nicht mit dem Reize des Tones dieser Noten wirken wollen, wie die der Melodie beigefügte Anmerkung wohl deutlich genug aus spricht. Auch habe ich ja in diesem Aufsatze Beispiele zur Auswahl Herrn Müllner vorgelegt, mit denselben Tönen, und ganz die Längen und Gewichte nach seinem Willen. Doch scheint ihm dieses auch nicht recht gefallen zu wollen.

Ich setze, zur möglichsten Verdeutlichung, die Stellen, Herrn Müllners Willen wo möglich noch näher gebracht, im Zusammenhange nochmals hierher.


Nach Herrn Müllners Ansicht.


Müllner und Weber über das von Letzterem componirte Lied

Nach meiner.


Müllner und Weber über das von Letzterem componirte Lied

Jedem seine Kunst mit Ernst studirenden Künstler (und von diesem, nicht von dem Haufen kann ja wohl hier nur die Rede sein) werden die auf die Tonkunst Bezug habenden mathematischen, geometrischen etc. Verhältnisse mehr oder weniger bekannt und vertraut sein. Es ist ganz unrichtig, daß die musikalischen Verhältnisse der Noten, Töne und Tonarten nur die sogenannten Brüche 1/2, 1/4, 1/8, 1/16 u.s.f. geben. Es ist ganz falsch, daß die Musik zur Bezeichnung der Silbenquantität[164] nur Brüche, deren Exponent die zwei ist, denn eine 1/3, 1/5 Note gäbe es nicht, hat. Zur Widerlegung nur folgende wenige kurze Beweise.

In Bezug auf Noten: (Takttheile wird Herr Müllner wohl meinen) In der Einheit des 3/8 Takts, die Achtel-Note, und in dieser wieder die Sechszehntel-Triole u.s.w., der 5/4 Takt, fünfgliedrige Melodie-Figuren ungerechnet. Nun noch die unzählbare Menge der durch Syncopen zu erzeugenden Taktglieder-Verhältnisse unter sich.

In Bezug auf Töne. Die Erzeugung des Tones durch die Theilung der Saite giebt z.B. den einfachsten Dreiklang c.g.e. vermöge der Zahlen 11/3, 1/5.

In Bezug auf Tonarten oder Klanggeschlechter, so entwickeln sich diese aus der Bildung der Tonleiter und den einzeln zu erzeugenden Tönen. In der ihnen zukommenden Reinheit geben sie Verhältnisse, wie z.B. von Müllner und Weber über das von Letzterem componirte Lied oder Müllner und Weber über das von Letzterem componirte Lied.

Daß der Redende die Zeit-Verhältnisse der Silben, und auch deren Betonung viel seiner und un merklicher abstufen kann, ist – wohlverstanden, die Formen angenommen, die gegenwärtig für die Tonkunst festgestellt sind – ganz auch meine Ueberzeugung. Ziehen wir aber das unharmonische Klanggeschlecht, oder die Art, wie die Alten ihre Gedichte aller Wahrscheinlichkeit gemäß sangen, in unsern Bereich; so möchte auch hier nicht viel dem Einen oder dem Andern Vorherrschendes zu geben sein.

Was das Recht der Wiederholung betrifft, so ist es ein altes Wort, daß das beste und am schärfsten schneidende Messer in der Hand des Unmündigen verderblich ist, deshalb bleibt es aber doch ein gutes Messer, mit dem sich gar Herrliches schneiden und bilden läßt.[165]

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 3, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 158-166.
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