Ueber: »Das Waisenhaus«,

[149] Oper von Weigl.


(1. Juni 1817.)


Mittwoch den 4. Juni wird zum ersten Male auf unserer Bühne gegeben: Das Waisenhaus, Oper in 2 Akten, von Treitschke, Musik von Joseph Weigl.

Ein deutsches Original-Werk, 1808 für und in Wien geschrieben. Das Glück, das diese Oper und ihre nächste Schwester, die Schweizer-Familie, in Wien und dem größten Theile Deutschlands machte, brachte für kurze Zeit eine Anzahl Rührungs-, Leidens- und Schmerzens-Opern in Schwung, deren Sentimentalität–Leben aber, außer jenen beiden genannten, dem baldigen Tode nahte, und mit dem Bergsturze (Oper in zwei Akten von Weigl, 1812) diese Epoche beschloß.

Es ist immer anziehend, zu sehen, wie Künstler und Publikum sich gegenseitig bestimmen, bilden und leiten. Wie ein gelungenes Werk, das die Aufmerksamkeit der Welt auf sich zog, nicht nur Nachahmer und Nachäffer von allen Seiten entstehen macht, sondern wie[149] es auch den Schöpfer desselben bestimmt, auf dem einmal mit Erfolg betretenen Wege fortzuwandeln, und sich lieber den sicher den Effekt bewirkenden Mitteln zu vertrauen und sie beizubehalten, als durch neue Versuche den schön lockenden Beifall des Augenblicks und der Zeitgenossen auf's Spiel zu setzen. Daher kommt es wohl, daß selbst bei bedeutenden Meistern, z.B. Winter etc., immer nur eines ihrer Werke den Culminationspunkt macht.

Obwohl von jeher Joseph Weigl eine ungemeine Fülle weicher, schmeichelnd eindringender Ideen zu Gebote standen und alle seine Arbeiten belebten (tadellose Korrektheit versteht sich von selbst), so scheinen doch auch die obengenannten Opern eine eigene Kunst-Periode seiner Compositionen zu bezeichnen. Merklich unterscheiden sie sich in Styl und Haltung von den früher seinen Ruf begründenden Werken, von welchen ich nur La Principessa d'Amalfi, und hauptsächlich – neben einer Anzahl der melodiereichsten und üppig reizenden Balletmusiken – L'amor marinaro (Der Korsar aus Liebe) nenne. Dieser Gattung schließt sich noch seine Uniform an, doch schon weniger; und nur das Waisenhaus und die Schweizerfamilie haben ganz diese weichliche, fleißige und kenntniß reiche Sammtmalerei, die seine Arbeiten zu den Lieblingen des Publikums erhob.

Seine Art und Weise, zu schreiben, gehört recht eigentlich der Wiener Musikschule, – an durch die Gediegenheit und in allen Theilen sorgfältige Feile der Werke Mozart's und Haydn's begründet.

Hervorstechend ist bei Weigl die Neigung zu ungeraden Takt-Arten, die Stimmführung der Violine in den höhern Lagen, und das Streben, jedes Musikstück möglichst melodisch abgerundet zu geben, und mehr dadurch, als durch die höchste Richtigkeit und Wahrheit des Deklamatorischen, die scenische Forderung zu erfüllen. Vielleicht entwickelte sich dieß aus den vielen Ballet-Musiken, die er schrieb.

Dem Geiste der ernsten dramatischen Gattung scheint sich sein Talent nicht gern anzuschmiegen, und sein Hadrian trägt[150] keinesweges den Stempel der Größe, die dieser Stoff zu verlangen berechtigt ist, weshalb er auch keine sehr beachtete Aufnahme in der Musikwelt fand. Dagegen hat man Oratorien von ihm, die würdevoll und meisterhaft geschrieben sind.

Joseph Weigl, 1765 zu Wien geboren, machte seine ersten Studien nach Albrechtsberger und unter Salieri's Leitung, besuchte auch Italien und schrieb daselbst mit Glück. Doch brachte er den größern Theil seines Lebens in Wien zu, wo er als K.K. Kapellmeister und Operndirektor angestellt ist.

Für die Kammer hat er sehr wenig geschrieben. Aber noch verdient Erwähnung, daß er sich bei den Opern, die seine Theilnahme zu erregen wissen und deren Leitung er übernimmt, als ein trefflich Dirigirender auszeichnet.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 3, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 149-151.
Lizenz:
Kategorien: