Ueber: Madame Grünbaum als Sängerin.

[151] (2. Juli 1817.)


Sie wollen meine Meinung über Mad. Grünbaum wissen, hier ist sie über das diese Sängerin Bezeichnendste. Stimme ist das Naturgeschenk, das ich gleich abrechne, weil dessen Vorzüglich- oder Mittelmäßigkeit sich verständlich genug für Jedermann ausspricht, und so herrlich es auch ist, doch noch nicht allein den Sänger macht; so wenig als eine schöne Figur den guten Tänzer. Das von der Natur gegebene Metall aber, es sei nun spröde, geschmeidig oder weich, so sich unterthan zu machen, daß es in alle zur Ausübung nothwendige Formen willig und scheinbar zwanglos sich schmiege, ist das, was den wahren Künstler beweist, und Viele mit den Worten: »vollkommene Schule«, ausdrücken wollen.

Welche ungeheuere Forderungen macht man an eine gute deutsche Sängerin! Sie soll vor allem den Zauber der italienischen Geschmeidigkeit und Zierlichkeit haben. Sodann die höchste deklamatorische[151] französische Leichtig- und Leidenschaftlichkeit, und natürlich am Ende auch die deutsche einfache, tief fühlende und Wahrheit fordernde Gesangsweise. Wie bequem hat es eine Sängerin in Italien! Ihr ganzes Leben hindurch bewegt sie sich in einer und derselben Sphäre. Ihrer Stimme, ihren Fähigkeiten muß Alles vom Componisten angepaßt, – die Schwächen derselben verdeckt, die Schönheiten und Naturgaben hervorgehoben werden. Kommt etwas Anderes, Unbequemes vor – enthalte es auch die höchste Kunstschönheit – mit dem ganz einfachen Grunde: non è scritto per me, wird es bei Seite gelegt und das nächste beste Gurgelrechte an dessen Stelle gesetzt.

Mad. Grünbaum ist Herr und Meisterin ihrer Stimme. Jeder Ton steht ihr mit seiner längsten Dauer, Schwellung und Reinheit allein und in jeglicher Verbindung, zu Gebote. Ihre Passagen sind deutlich, geperlt, nicht ein über die Töne Rutschen, Herunterpoltern oder Hinaufhusten. Jeder einzelnen Klangstufe in denselben wiederfährt ihr Recht; denn man könnte z.B. in ihren Läufen durch die halben Töne, hinauf oder herab, ihr kühn auf jeder beliebigen Stelle ein Halt! zurufen, und den letzten Ton immer noch so rein und gediegen finden, wie ihn nur der Instrumentist gewöhnlich geben kann.

Nächstdem ehrt sie, laut und weitschallend sei es gesagt, das Kunstwerk, in dem sie Theil des Ganzen ist, und sieht es nicht als ein allerunterthänigst zusammengetragenes Tonnest an, in dem Alles nur um ihretwillen da wäre. Daher singt sie jede Gattung mit dem ihr zugehörenden Charakter (wie einfach sang sie die Romanze im Lotterieloose, verschmähend um der Sache willen den lauten Beifallruf, den gewiß zu erringen, ihr durch ein paar kühne Passagen so leicht gewesen wäre!), schließt sich in Ensemblestücken mit der Präcision eines Instrumentalisten an das Ganze an, und zerreißt und mißhandelt nicht Alles, was man Taktverhältniß und musikalische Einschnitte heißt, wo so oft das Orchester schon seine musikalische Rede geschlossen hat, und dann der Sänger, mit aller möglichen Bequemlichkeit und empörenden Verachtung alles rhythmisch musikalischen Gefühles und Gesetzes, gelegentlich einen halben Takt später schließt, um eine wohlgefällige Tirade anzubringen, während[152] das Orchester schon wieder etwas Anderes sagt. Daß sie sich dergleichen nie zu Schulden kommen läßt, beweist auch, daß sie Musikerin im eigentlichen Sinne des Wortes ist. Dieß bewährt sie auch bei ihren Verzierungen und Kadenzen, die nie ganz willkürlich in's Blaue hinaus wirbelnde Raketen sind, sondern sich selbst in ihrer Freiheit doch in gewissen takt- und harmoniegemäßen Einschnitten bewegen, die ihre Vollendung bezeichnen, und es dem Hörer leicht machen, sie zu begreifen und zu verfolgen. Die Ruhe, mit der sie dieses macht, und die Herrschaft über alle Grade von Schwäche und Stärke in Höhe und Tiefen der Passagen, bezeugt ihre Meisterschaft; und von dieser geht das Wohlgefallen des Hörers aus, der, ungetrübt von Angst für das Gelingen, rein die Kunstfertigkeit genießt.

Daß sie rein intonirt, einen guten Triller besitzt, richtig und daher unbemerkt Athem holt, große Kantilenen eben so mit dem gehörigen Portamento zu geben weiß, als flüchtige Passagen mit Leichtigkeit – versteht sich von selbst, als Eigenschaften, ohne die man nicht Anspruch auf den Namen einer bedeutenden oder großen Sängerin machen darf.

Wenn übrigens auch bei Madame Grünbaum noch manches zu wünschen übrig bleiben sollte, so hängt das mit dem alten Spruche: »Es ist nichts vollkommen unter der Sonnen,« zusammen. Daß aber die Sonne nicht viel so vollkommene Sängerinnen, wie Mad. Grünbaum ist, bescheint – will ich recht gern, meiner Ueberzeugung gemäß, bescheinigen.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 3, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 151-153.
Lizenz:
Kategorien: