Ueber: »Lodoiska«,

[153] Oper von Cherubini.


(13. Juli 1817.)


Donnerstag den 24. Juli erscheint auf dem Königl. Theater zum ersten Male: Lodoiska, große Oper in 3 Akten. Musik von Cherubini.[153]

Einer der wenigen Kunst-Heroen unserer Zeit, der, als klassischer Meister und Schöpfer neuer, eigener Bahnen, ewig in der Geschichte der Kunst hell erglänzen wird.

Die Tendenz seiner Geisteskraft gehört, gleich der Mozarts und Beethovens – obwohl jeder auf seine ihm rein eigenthümliche Weise – dem in unserer Zeit Vorherrschenden – dem Romantischen an.

Ernst, oft bis zum düstern Brüten – stets die schärfest-bezeichnendsten Mittel wählend, daher glühendes Colorit – gigantisch groß im Auffassen des Ganzen und der einzelnen Situationen – kurz und energisch – manchmal scheinbar abgerissen, die Ideen hingeworfen, die aber, in dem tiefgedachtesten innern Zusammenhange stehend, mit dem üppig gewürztesten harmonischen Reichthume geschmückt, recht das wahrhaft Bezeichnende dieses Tonschöpfers ausmachen, und die Tiefe seines Gemüthes – das, bei den großgedachten Conturen und Massen, die reichlichst ausgestattete Ausführung jedes scheinbaren Nebenzweiges sorgfältig berücksichtigt beurkunden – das ist seine Weise.

Aus Letzterem entspringt es oft, daß der, welcher nicht im Stande ist, das Ganze auch mächtig zu überblicken, häufig in Versuchung kommt, einen Theil für's Ganze zu nehmen, und so auf Abwege zu gerathen, die ihn die Absicht des Componisten nicht errathen – oder zerstückelt erscheinen lassen. Dieß geschieht vorzüglich der unglückseligen Klasse der selbstzufriedenen Halbkenner. Den unbefangenen Kunstfreund wird es ergreifen, selbst wenn ihm manche Mittel unerhört fremdartig gewählt vorkommen, und er hinterher den Kopf schüttelt, es fast sich selbst übelnehmend, daß ihn sein Gefühl so seltsam überrascht habe, gegen allen musikalischen Anstand, den er bisher in der gewöhnlichen Opern-Musik gelernt zu haben glaubt.

Ein Anflug von Schwermuth ist allen Arbeiten Cherubini's beigemischt, und seine humorreichsten und heitersten Melodieen werden immer etwas Rührendes in ihrem Innern tragen.

Bei seiner Art zu arbeiten läßt sich am allerwenigsten die ohnedieß so einseitig bezeichnende und das Kunstwerk so elend in zwei[154] Hälften theilen wollende Redensart: dieß oder jenes Musikstück sei besonders schön instrumentirt, anwenden. Ein wahrer Meister hat im Augenblicke des Empfindens auch alle ihm zu Gebote stehenden Mittel als Farben vor Augen. Er denkt sich so wenig als der Maler eine nackte Gestalt, die er erst später mit glänzenden Lappen und Steinchen aufputzen möchte. Ja! unter dem reichen Faltenwurfe entdecke man allerdings die innere Ursache desselben in der ihn erzeugenden Muskel etc.; aber das Ganze muß ganz gedacht sein, sonst bringt es auch nur Halbheit vor das Auge oder Ohr des Genießenden: ist ein angeputzter Gliedermann und keine lebende Gestalt.

Bei Cherubini geht dieses Verschmelzen aller Mittel zum Total-Effekt oft so weit, daß man ihm häufig, aber gewiß mit Unrecht, Mangel an Melodie vorgeworfen hat, und es ist nicht zu läugnen, daß er der Melodie des ganzen Musikstückes oft das gewöhnlich als eigentlich Melodie führend angenommene Mittel des Sängers untergeordnet hat.

Wenn dieß allerdings nicht in seinem ganzen Umfange zur Nachahmung zu empfehlen ist, so liegt auch wohl großentheils (namentlich in Arien, wo es am wenigsten zu billigen) Entschuldigung für ihn darin, daß er für französische Sänger, sive Schreier, schrieb, die den Ausdruck des Affektes mehr in der, durch die Orchester-Belebung höher potenzirten, Deklamation suchen, da hingegen der Italiener mehr durch sich und durch den eigenen Gefühlsausdruck wirken will; und der Deutsche (Mozart) abermals beides in sich zu vereinen sucht.

Obige Vermuthung findet ihre Gründe in den verschiedenen Werken Cherubini's. Diejenigen derselben, deren Charakter die höchste Leidenschaftlichkeit erfordert, sind ganz in diesem Style geschrieben, der auch seiner Natur am innigsten verwandt und lieb ist. Das erste dieser Gattung war Lodoiska (Paris, 1791); ihr folgte, am meisten hervorragend, Elisa, 1794. Medea, 1797. Andere Gefühlsart heischend und Aller Herzen gewinnend erschien 1800 les deux Journées, oder der allgemein hochgeliebte Wasserträger. In Faniska (1806, Wien) verschmolzen beide Gattungen[155] in Eins, nur scheint es mir manchmal, als habe Cherubini sich doch zuweilen etwas Zwang angethan, um auf den weichlich gewöhnten Wiener Geschmack einige Rücksicht zu nehmen.

Wahrscheinlich hätte sein Genius eine andere Richtung genommen (jedoch gewiß immer eine höchst eigenthümliche), wäre er in seinem Vaterlande Italien, wo er zu Florenz 1760 geboren ist, und bei Sarti seine bedeutendsten Studien machte, geblieben.

Merklich unterscheiden sich seine von 1780 mit Quinto Fabio begonnenen theatralischen Werke von diesen spätern – deren Epoche mit Lodoiska begann – obschon derselbe tiefe Ernst schon auf jenen ruhte.

Die Wirkung, die Mozarts und Haydns Werke auf sein Gemüth machten, bestimmte ihn, einen neuen Weg zu gehen, so wie das wahre Genie immer bei Bewunderung des Fremden nicht dessen Nachahmer wird, sondern nur dadurch den schönen Anstoß erhält, neue Bahnen zu finden.

Seine letzten Opern, Pygmalion und die Abenceragen, haben sich noch nicht in Deutschland verbreitet; die bereits genannten aber desto mehr.

Im Kammerstyle hat man mehrere Kantaten etc. von ihm; eine dreistimmige große Messe und eine vierstimmige soll vollendet sein.

Als einer der Inspektoren des Conservatoriums zu Paris, dankt die Kunst viel seinem Eifer und seiner ächt künstlerischen Strenge.

Er lebt still, eingezogen, im Kreise der Seinigen, ist so bescheigen als groß, und beurkundet auch als Mensch den wahren Künstler, der nur in Reinheit des Herzens und der daraus entspringenden innern Ruhe ganz sich dem innersten Heiligthume der Kunst nahen kann.[156]

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 3, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 153-157.
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