Ueber: »Raoul Blaubart«,

[146] Oper von Gretry.


(13. Mai 1817.)


Sonntag den 18. Mai zum ersten Male: Raoul Blaubart, Oper in 3 Akten, nach dem Französischen des Sedaine, von Dr. Schmieder, Musik von André Ernest Modest Gretry.

Die Gastvorstellungen der trefflichen Meisterin des Gesanges, Madame Grünbaum, schenken uns diese interessante Oper, als ihren Schlußstein für jetzt; und somit möchten sie wohl den Zweck der[146] Künstlerin, sich in den verschiedensten Gattungen der Gesangsarten zu zeigen – erreicht haben.

Die reine Natursprache eines sich die eigene Bahn brechenden Genius, der, durch die Glut seiner Phantasie zuweilen in dem Labyrinthe des Regelrechten sich verwirrend, nur wieder auf ganz eigenthümliche Weise, die seinen Irrthümern meist einen hohen, seltsamen Reiz verleiht, die Schranken überspringt, hat den Werken Gretry's ein so eindringliches Interesse zu verschaffen gewußt, daß man von ihm eine eigene Kunst-Epoche in Frankreich berechnen kann; indem seine Melodie-Formen und Behandlung der dramatischen Musikstücke eine Art von feststehender Typus für alle Uebrigen wurden, die die Gunst des Publikums besitzen wollten.

1741 in Lüttich geboren, in Rom 1759 Musik studirend, erkannte er, einer Aeußerung in seinen Mémoires, ou Essais sur la Musique (Paris 1797) zu Folge, nur den Componist Casali daselbst für seinen wahren Lehrer an, und sprach dabei seine ganze spätere Ansicht und Arbeitsweise durch die Bemerkung aus, daß dieser Alles auf den Effekt hingeleitet habe.

Dieß ist das Bezeichnendste und in der damaligen Zeitepoche, den 60er Jahren, neu Hervortretendste in der Gretry'schen Musik; nämlich, das Streben, der Wahrheit des Wortausdruckes und der die Charaktere treffend bezeichnender Melodieen auf's Vollkommenste zu genügen, worin ihn seine Zeitgenossen Pergolese gleichstellten, der aber bei weitem korrekter und mehr Herr aller Mittel war, als Gretry, welcher sich auf keinerlei Weise in Erreichung dieses Zieles durch Beschränkung irgend einer Art hindern ließ, und daher oft in der Verlegenheit, seine Ideen den Grundsätzen des harmonischen Baues anzuschmiegen, die seltsamsten Auswege erfand, deren wahrhaft kindlich naive Querstände doch immer lebendig das Suchen nach innerer Wahrheit genial aussprachen.

Vielleicht ist Gretry der einzige der in Frankreich erblühten Componisten, der bedeutend lyrischen, ja sogar oft romantischen Sinn hatte. Die mitunter wirklich rührende Unschuld seiner Melodieen, deren Rhythmen sich immer nach dem Bedürfnisse des Augenblicks[147] und nicht nach festgestellten Formen richteten und erzeugten, sind vergeblich zu erreichen versucht worden. Ueberstrahlt haben seine Werke alle die seiner Zeitgenossen, Monsigny, Dallayrac, Martini etc., welche auch jene von ihm eröffnete Bahn betraten, die für die komische und lyrische Oper, nur etwas dem Zeitgeiste genähert, noch jetzt von Berton, Le Sueur, Boieldieu etc. verfolgt wird und deren Musikgattung selbst durch die musikalische Revolution des riesenhaften Gluck, der der großen Oper eine neue Welt eröffnete, keine bedeutende Veränderung in ihrem innern Wesen erlitten hat.

Gretry hat gegen 70 dramatische Werke geschrieben. In allen Theilen Deutschlands sind davon die meisten unzählige Male gegeben. Ich nenne nur : le Tableau parlant, les deux Avares, Zemire et Azor, la Rosière de Salenci. le jugement de Midas, Richard Coeur de Lion etc. Am wenigsten kennt man seinePierre le Grand, Guillaume Tell, Amphitryon etc.

Der Stoff des Fürst Blaubart ist aus dem uralten Mährchen gleiches Namens entlehnt, und hat sich, nebst Richard Löwenherz und Zemire und Azor, am meisten beliebt erhalten, ja, ist am wiederholtesten von den Theaterdirektionen her vorgesucht und erneuert auf die Bühne gebracht worden.

Bei einer ähnlichen Veranlassung in Wien hat man es dem Bedürfnisse des Zeitgeschmackes gemäß und für nöthig erachtet, die würzigere, reichere Instrumentation, die jenen eigen, auch diesem Werke zu erhöhter Wirkung desselben beizugeben.

Diese Bearbeitung hat der verstorbene Kapellmeister Fischer mit großer Liebe und Einsicht übernommen, und wenn es gleich dem Kunstkenner unstreitig werther sein würde, die Oper ganz in ihrer Originalgestalt zu hören, so ist es doch von der andern Seite nicht zu leugnen, daß sie durch diese Bearbeitung dem Sinne unserer jetzt lebenden Musikwelt näher gebracht worden, ohne der Eigenthümlichkeit ihrer Ideen beraubt worden zu sein. Shakespeare's, Calderon's und Anderer Werke leiden unter demselben Drucke. – –

Daß wir es so geben, beruht auf mehreren Gründen, vorzüglich aber auch auf der Ueberzeugung, den Manen Gretry's dadurch[148] nicht unwürdig zu begegnen, ja, es der Fassungs- und daher Würdigungs-Gabe des dermaligen musikalischen Publikums vertrauter und liebevoller gemacht zu sehen.

Auch als politischer Schriftsteller hat sich Gretry 1801 (de la Vérité, 3 Vol.) gezeigt. Seine musikalischen Abhandlungen aber beweisen die gänzliche Unwissenheit in der musikalischen Literatur, und wie sehr er Alles aus eigenem Gefühle geworden und gefunden, indem er Dinge, die in Deutschland fast jeder Chorknabe seit Jahrzehnten kennt, für ganz neu gemachte Entdeckungen ansieht.

Doch das gehört in das große Register der französischen Gelehrsamkeit.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 3, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 146-149.
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