Ueber: »Johann von Paris«,

[142] Oper von Boieldieu.


(1. Mai 1817).


Sonnabend den 3. Mai zum ersten Male: Johann von Paris, Oper in zwei Aufzügen, nach dem Französischen des St. Just, mit Musik von Boieldieu.

Die Gattung, welcher diese Oper angehört, hat sich seit einem Jahrzehnt und darüber in Frankreich gebildet, und von da auch über Deutschland verbreitet. Man hat sie mit der Benennung von Conversations-Opern zu bezeichnen gesucht, da sie meist ohne Rücksicht auf ihre historischen Beziehungen – durch welche sie uns zuweilen sehr fern gerückt werden, – doch nur das eigentliche Geselligkeits-Leben der jetzigen, oder vielmehr zunächst der französischen, Welt enthalten.

Sie sind die musikalischen Schwestern der französischen Lustspiele, und geben uns, wie diese, das an jener Nation Liebenswürdigste. Heitere Laune, spielender, fröhlicher Witz, auf angenehme Weise durch einige hübsche Situationen herbeigeführt, sind diesen Opern eigenthümlich, und durch den Geschmack der Nation so zur Hauptsache erhoben, daß man (wie bei ihren Lustspielen) eine sehr große Zahl derselben nennen könnte, die sich in Hinsicht der Art der Erfindung, in Zuschnitt, Behandlung und Charakterzeichnung beinahe völlig gleichen, und nur durch die mehr oder minder glückliche Behandlung des einmal beliebten Materials von einander unterscheiden und anziehend werden können.[142]

Sie treten, im Gegensatze des dem deutschen und italienischen Gemüthe eigenen tiefern leidenschaftlichen Gefühls, als Repräsentanten des Verstandes und Witzes auf. Namentlich, und hauptsächlich in musikalischer Hinsicht. So wie der deutschen innigen Phantasie ein einzeln gegebener Gedanke genügt, sie aufzuregen, um in herrlichen Massen ein Tongemälde auszuführen, – der glühenden italienischen oft das einzelne Wort Liebe, Hoffnung etc. dasselbe erzeugt, (was dann auch allenfalls wieder, dieser Worte entkleidet, doch noch als sprechendes Seelenbild allein durch sich bestehen würde, wie die höhere Instrumental-Musik z.B.) – so ist es der französischen Musik eigen, nur meist durch das Wort allein Werth zu haben, da sie, ihrer Natur und Nationalität nach, witzig ist.

Den ausgezeichneten Meistern der Kunst bleibt es vorbehalten, diese Gattungen von einzelnen National-Charaktern zu erschaffen, einander zu nähern, zu verschmelzen, und so der Welt angehörig zu ma chen. Unter diesen Wenigen möchte Boieldieu wohl fast den ersten Rang unter den jetzt in Frankreich lebenden Componisten behaupten; wenn gleich der Beifall des Publikums ihm Isouard an die Seite setzt. Beiden sind herrliche Talente verliehen, aber Boieldieu wird durch seinen fließenden, schön geführten Gesang, durch die planmäßige Haltung der einzelnen Stücke, wie des Ganzen, durch die treffliche, sorgsame Instrumentirung, und die Korrektheit, die, den Meister bezeichnend, allein Anspruch auf Dauer und klassisches Leben in der Kunstwelt giebt – immer weit allen seinen Mitbewerbern vorgehen.

Wenn er darin Mehul gleich zu achten ist, so zieht ihn andern Theils seine Neigung mehr zu heiteren italienischen Formen, und er stellt das Musikalisch-Melodische höher, ohne der Wahrheit des Wortausdruckes deshalb etwas zu vergeben.

Dieser charakteristische Zug seiner Kunstschöpfungen ist ein doppelt großer Beweis seines selbstständigen Talents, da er, als Verehrer Cherubini's, den größten Theil seiner Studien bei diesem Meister gemacht haben soll.[143]

Die ersten Grundlagen erhielt er von Broche, dem Organisten der Domkirche seiner Vaterstadt Rouen, wo er um das Jahr 1770 geboren wurde.

In den 90er Jahren kam er nach Paris, erhielt die Stelle als Lehrer des Pianofortes am Conservatorium der Musik, und zog bald die Aufmerksamkeit des Publikums durch mehrere gelungene theatralische Werke und eine Anzahl vielgesungener und beliebt gewordener Romanzen auf sich.

Von 10 bis 12 Opern, die in diese Epoche fallen, haben sich in Deutschland am meisten verbreitet – Ma Tante Aurore und Le Calife de Bagdad. 1813 wurde er in Petersburg zum Kaiserlichen Kapellmeister ernannt, ist aber seitdem wieder nach Paris zurückgekehrt.

Das bedeutendste Aufsehen machte sein Johann von Paris, der überall Verehrer fand, und dessen Erscheinen auf unserer Bühne wir der trefflichen Künstlerin, Madame Grünbaum, gebornen Müller, ersten Sängerin des Ständischen Theaters zu Prag, die die Prinzessin von Navarra als Gastrolle geben wird, zu verdanken haben.

Neuerdings gefielen von Boieldieu : Le nouveau seigneur de Village und neuestens sein : Fête de Village voisin. Eine große Oper: Isaure de France, und eine komische : Le Chaperon rouge, von ihm, werden jetzt auf der Pariser Bühne erwartet.

Als Instrumental-Componisten kennt man ihn durch verschiedene Sonaten, Concerte etc. für Pianoforte und Harfe, die aber seinem Verdienste eben keinen namhaften Zuwachs zu verschaffen im Stande sind, das sich um so erfreulicher für das Dramatische entfaltet hat.[144]

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 3, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 142-145.
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