Ueber: Das musikalische Conservatorium zu Prag.

[167] (Dresden 24. Nov. 1817.)


Gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts blühte wohl von allen dem heiligen römischen Reiche einverleibten Ländern, in keinem die Tonkunst so schön, und wurde so sorgsam gepflegt, als in Böhmen. So war es damals – in hundert Klöstern fand man eben so viele Pflanzschulen der Musik; alle Großen hielten Kapellen in ihren Pallästen; das Ausland verschrieb seine ausübenden Musiker meistens aus Böhmen, Mozart schrieb am liebsten für das Prager Orchester, und für das Prager Publikum, welches sich mit Recht rühmen kann, das erste gewesen zu sein, welches den Geist des unsterblichen Sängers zu fühlen und zu würdigen verstand. In Böhmen war Gluck[167] geboren, Benda, Dussek, Wranitzky, Gyrowetz und so viele andere, denen im Pantheon der Tonkunst keine untergeordneten Plätze gebühren – das ganze Land schien musikalisch zu sein, und in jeder heitern Sommernacht verhallten in allen Straßen Serenaden und Notturnen. Diese schöne Zeit ging vorüber, die ausgezeichneten Künstler wurden seltner und die ausübenden Instrumentisten lauer; aber wenn gleich Böhmen seinem Rufe nicht mehr entsprach, so war doch der Verfall unserer Kunst noch nicht so entschieden, daß uns nicht noch viele einzelne, ausgezeichnete Musiker geblieben wären, und es bedurfte nur einer Verbindung und Anregung, un eine neue Blüthenzeit der Tonkunst in Böhmen herbeizuführen.

Der Gedanke, daß ein Volk, welches von der Natur mit Hang und Anlage für die Musik so reich ausgestattet ist, das so viele Helden der Tonkunst unter seinen Söhnen zählte, welches auch selbst noch in der Abnahme, Musiker in seiner Mitte be saß, die in andern Verhältnissen Vieles leisten könnten – der Gedanke, daß dieses Volk, diese Vorzüge mehr oder weniger verlieren sollte, schien einigen kunstliebenden Großen des Reichs so verletzend, daß sie einen Verein zu dem schönen Zwecke bildeten, die sinkende Kunst zu unterstützen. Dieser schöne Verein zur Beförderung der Tonkunst in Böhmen, der im März 1810 entstand, gründete noch in demselben Jahre das Conservatorium der Musik zu Prag. An der Spitze der Theilnehmer zu diesem schönen Zwecke steht der Gouverneur von Böhmen, Graf von Kollowrat, als Protector, und mit patriotischem Vergnügen liest der Böhme die Namen der edelsten Stämme des Königreichs, des Fürst Erzbischoff, der Fürsten von Auersperg, Clary, Colloredo-Mansfeld, Dietrichstein, Kinsky, Lobkowitz, Rohan, Schwarzenberg, Sinzendorf, Taxis, Thun, Trautmannsdorf und Windischgrätz; der Grafen von Althan, Bucquoi, Canal, Cavriani, Clam-Gallas und Clam-Martinitz, Colloredo, Czernin, Desfoues, Dohalsky, Firmian, Harrach, Hartig, Kinsky, Klebelsberg, Kolowrat, Lazanský, Ledebour, Millesimo, Nostitz, Pachta, Rey, Salm, Schlick, Schönborn, Stadion, Stampach, Sternberg, Swerts, Szagary, Thun, Waldstein, Windischgrätz,[168] Wratislaw, Wrbna und Wrtby; der Herrn Aebte von Strahof und Ossegg, und der Freiherrn von Hildgrandt, Kotz und Zesner. Zu Vorstehern des Bundes sind erwählt: Graf Johann von Nostitz, als Präsident, und als Beisitzer die Grafen Clam-Gallas, Klebelsberg, Nostitz (Friedrich), Pachta, Schönborn und Wrtby.

Dieses Institut, welches durch den herrlichsten Fortgang dem Zwecke der Gründer vollkommen entspricht, wird durch subscribirte Beiträge der genannten Vereinsmitglieder erhalten. Jedes Mitglied hat das Recht, Schüler mit einigen musikalischen Vorkenntnissen zur Annahme vorzuschlagen, und die Gesellschaft wählt nach Stimmenmehrheit; jeder Schüler muß den Unterricht durch sechs Jahre fortsetzen, von denen er drei in der ersten und drei in der zweiten Klasse zubringt. Die Direktoren halten ihre Sitzungen, so oft es die Umstände erheischen und nehmen alle verhandelten Gegenstände zu Protokoll, welches nach aller Unterzeichnung versiegelt wird. Jedes Jahr einmal, in den Wintermonaten ladet die Direktion alle in Prag anwesenden Mitglieder zu einer Hauptversammlung ein, um denselben über den Fortgang, die Verwaltung des Instituts und den Stand der Kasse Auskunft zu geben. Der Hauptgegenstand des Instituts ist die Instrumentalmusik, da sein Zweck ist, tüchtige Musiker zu bilden, und es werden alle zu einem vollkommenen Orchester erforderlichen Instrumente, von eigens hierzu angestellten Lehrern, in abgesonderten Lehrzimmern, täglich durch zwei Stunden gelehrt. Außerdem werden die sämmtlichen Zöglinge im Gesange, insofern er ein allgemeines Erforderniß musikalischer Bildung ist, täglich eine Stunde lang unterrichtet (seit einigen Monaten ist auch damit eine eigene Unterrichtsklasse für sechs Sängerinnen verbunden); auch wird die Theorie der Musik in ihrem ganzen Umfange gelehrt.

Das System, nach welchem hier Jünglinge zu Künstlern gebildet werden, beruht auf einer wohlberechneten Stufenfolge vom Leichteren zum Schwereren und auf der ungetrennten Verbindung der theoretischen Kenntnisse mit den praktischen Fertigkeiten. Von beiden müssen die Zöglinge in den öffentlichen Prüfungen (nach[169] Ostern und vor den Herbstferien) Proben ablegen; jeder Einzelne muß die schwere Aufgabe lösen, sein Instrument ohne Begleitung hören zu lassen, bis sich endlich alle diese jugendlichen Kunstzöglinge vereinigen, um durch eine vollständige Symphonie Zufriedenheit und Bewunderung der Kenner und Zuhörer hervorzubringen.

Die Leitung des ganzen Unterrichts steht unter dem Direktor des Instituts, dem im In- und Auslande rühmlichst bekannten Kapellmeister Friedrich Dionis Weber, dessen rastlosen Bemühungen das Conservatorium die hohe Stufe der Vollkommenheit verdankt, deren es sich schon im siebenten Jahre seiner Dauer erfreut; dieser trägt zugleich die Theorie der Musik vor. Außer diesen musikalischen Zweigen werden die Zöglinge auch in den nothwendigsten literarischen Gegenständen, als in der deutschen und italienischen Sprache, Mathematik, Geographie, Naturgeschichte, Geschichte, deutschen und italienischen Prosodie und Metrik, Aesthetik und Mythologie, wie auch der Religionslehre unterrichtet.

Alle drei Jahre werden 39 Schüler aufgenommen, so daß die ganze Anzahl aus 78 Schülern besteht; diese sind, rücksichtlich der Lehrgegenstände, in zwei Klassen eingetheilt; jede Klasse hat für die Violine und Viola dreizehn Schüler, für das Violoncell drei, Contrebaß drei, und für jedes Blasinstrument vier. Jeder Schüler darf sich nur einem Instrument widmen, ausgenommen jene der Saiteninstrumente erlernen zugleich, wenn sich ihr Körperbau dazu eignet, auch die Trompete und Posaune. Nach dem dritten Jahre tritt die niedere Klasse in die höhere und zugleich in die Orchester-Uebungen ein, welche sich in dem Verhältnisse mehren, als die abgesonderten Unterrichtsstunden sich vermindern; dort werden sie im Vortrage großer Instrumental- und Solostücke unter der Leitung des Direktors geübt.

Zur Richtschnur und Aufrechthaltung der innern Ordnung sind eigne Disciplinar-Regeln vorgeschrieben.

Nach geendigtem sechsjährigen Curs treten die Schüler aus, und jene, welche bei der, dem Austritt vorhergehenden, strengen Prüfung aus allen Lehrgegenständen wohl bestehen, erhalten von der[170] Direktion zu ihrer weitern Empfehlung und Ausweis, ein Zeugniß. Durch die oben erwähnte Klasse für den Gesang und den Umstand, daß schon mehrere im vorigen Jahre absolvirten Zöglinge in das Theater-Orchester aufgenommen, steht dies Institut in einer Art von Verbindung und Wechselwirkung mit der Bühne, die für die Zukunft beiden Theilen sehr vortheilhaft werden muß.

In der Fastenzeit giebt das Conservatorium der Musik gewöhnlich drei musikalische Akademieen, welche große Feste für die Liebhaber der Instrumentalmusik im höhern Sinne des Wortes, sind.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 3, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 167-171.
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