[423] 899. Hexenrache.

A. In der Ortschaft Saulnes in Frankreich, etwa drei Viertelstunden von Rodingen entfernt, wohnte nach alter Leute Aussage,[423] ein altes, häßliches Weib, das sich mit Zauberei abgab und in der ganzen Gegend als eine greuliche Hexe verschrieen war.

Ein junger Mann aus Saulnes, der die Nacht auf der Kirmes zu Rodingen zugebracht hatte, kehrte frühmorgens nach Hause zurück. Auf dem Berg zwischen Rodingen und Saulnes begegnete er der alten Hexe, die ihm zurief: »Tu viens du rabat!« – »Et toi du sabbat!« reimte der Bursche. (Du kommst von der Treibjagd! – Und du vom Hexentanz!) – »Très bien,« entgegnete die Alte, »pense à ce mot!« – In der darauffolgenden Nacht, als der Jüngling schlief, kam die Alte mit einigen ihrer Gefährtinnen in dessen Zimmer und sie zogen ihn zur Strafe durch die Ritzen der Zimmerdecke. So mußte der Arme ein unbesonnenes Wort mit kläglichem Tode büßen.


Lehrer P. Hummer


B. Vorzeiten lebte zu Manternach eine alte, gekrümmte und runzelichte Frau, welche die Leute und den hellen Tag scheute und deshalb im Rufe stand, eine Hexe und vom bösen Geiste besessen zu sein. Einst hatte diese Frau ihren Meicher (länglicher Obstkorb) draußen stehen gelassen und zwei mutwillige Burschen machten ihre Notdurft darein. Als in der folgenden Nacht der eine der Burschen auf dem Heuschober schlief, fühlte er sich plötzlich, ohne daß er jemand sah, von einer starken Hand ergriffen und ward hinab in die Tenne geworfen. Nachdem man den vor Schmerz wimmernden Burschen ins Bett getragen hatte, vernahm man dreimal an der Klinke der Kammertür ein Geräusch, ohne daß jemand an der Tür zu sehen war. Am andern Morgen sagte der Bursche: »Die alte Hexe war es, die diesen Spaß mit mir trieb; der Teufel soll sie holen!«


Lehrer Oswald zu Manternach


C. Zu Reckingen begegnete ein Müllerknecht dem Sohne des Wirtes, welcher ihn in seines Vaters Haus mitnahm, um mit ihm ein Glas Branntwein zu trinken. »Hast du das alte Weib gesehen, das drinnen beim Feuer sitzt?« fragte des Wirtes Sohn seinen Kameraden. – »Nun ja,« antwortete dieser, »die alte Frau habe ich gesehen.« – »Sie hat einen mit Distelköpfen gefüllten Sack in unsern Backofen gesteckt,« fuhr der andere fort. »Wenn du den Sack vor die Tür wirfst, so geb ich noch einen Schoppen Branntwein.« – »Halt Wort,« sagte der Müllerknecht, »den Sack werde ich schon gleich vor die Tür werfen.« Nach diesen Worten stand er auf, nahm den Sack aus dem Backofen und warf ihn vor die Tür. Er kam dann wieder, packte die Frau unsanft beim Arm und führte sie ebenfalls hinaus mit den Worten: »Muhme, Euer Sack ist vor der Tür.«

Als der Müllerknecht nachher wieder in die Mühle kam, zündete er Feuer an und legte Kartoffeln hinein, um sie zu braten. Da kam die Frau, welche er im Wirtshaus vor die Tür gesetzt hatte, zu einer Hintertür herein und sagte zuvorkommend: »Da hast du ein gutes Feuer, lieber Junge,[424] darf ich meine Füße daran wärmen?« – »Das dürft Ihr,« antwortete der Müllerknecht. Als sie eine Weile beim Feuer gesessen, sah sie die Kartoffeln und sagte: »Da hast du auch Kartoffeln, lieber Junge; wirst du mir erlauben, einige zu nehmen?« – »Warum nicht?« antwortete der Müllerknecht, »greift nur zu.« Die Frau nahm eine nach der andern in die Hand, zerdrückte sie ein wenig mit den Fingern, dann sagte sie: »Sie sind mir noch zu roh.« Darauf entfernte sie sich. Als der Müllerknecht nun einige Kartoffeln aß, wurde er schwindlig, er fiel ohnmächtig zu Boden und mußte sich erbrechen. Nach einer Stunde kam er wieder zu Sinnen, ergriff eine Flinte und suchte die alte Hexe auf. Da sah er sie im Wiesental Distelköpfe pflücken. Er lief hinunter, um sie zu erschießen; als er aber die Flinte anlegte, war die Hexe verschwunden.

Quelle:
Gredt, Nikolaus: Sagenschatz des Luxemburger Landes 1. Neudruck Esch-Alzette: Kremer-Muller & Cie, 1963, S. 423-425.
Lizenz:
Kategorien: