Sportsfreuden

[142] Früh schon habe ich das Schwimmen gelernt – so früh, daß die fürsorgliche Mutter noch nichts von diesen Versuchen wissen durfte. Eines Tages wollte ich mir aber doch die offizielle Erlaubnis einholen. Auf meine Frage: »Mutter, darf ich schwimmen gehn?« erwiderte sie: »O nein! Erst mußt du das Schwimmen lernen, die Schwimmprobe ablegen[142] und mir dann die Bescheinigung vorlegen.« Jetzt war es an mir, sämtliche Register zu ziehen und mit allen Orgelpfeifen meiner Beredsamkeit die ängstliche Mutter von meiner Schwimmkunst zu überzeugen. Zwei Kronentaler für den Unterricht, wie hätte ich die zum Kaufen von Nägeln, Schrauben und Handwerkszeug für meine Werkstätte brauchen können!

Doch alle Orgelpfeifen waren nicht so stark wie die Willenskraft der Muttersorge. Ich mußte mich in mein Schicksal fügen und kam mir vor wie einer, der das Gehen lernen soll und doch schon galoppieren kann. Auf dem Wege zur Schwimmschule zog ich den alten Menschen aus und zog einen neuen Menschen an. Das heißt, ich nahm mir vor, zunächst die Rolle des Nichtschwimmers zu spielen, damit der Instruktor nicht umsonst zu seinen Kronentalern kommen sollte. »Kannst du schon ein bißchen schwimmen? Komm her, ich will dich an die Leine nehmen«, sagte der Instruktor. Als er meine ersten Versuche sah, meinte er: »Du kannst sogleich die Probe ablegen.« Das war es aber gerade, was ich nicht machen wollte. Am dritten Tage mußte ich schließlich doch die Probe ablegen. Nachdem ich eine halbe Stunde anhaltend geschwommen war und aus einer Tiefe von drei Metern Sand vom Grunde herausgeholt hatte, bekam ich die Bescheinigung ausgehändigt. Dann aber würgte ich langsam die zwei Kronentaler aus meiner Hosentasche heraus. –

Größer noch als die Sommerfreuden im Wasser waren für mich die Winterfreuden auf dem Wasser – auf dem spiegelglatten Eise. Leidenschaftlich gern fuhr ich Schlittschuh, von meinen Bubenjahren an bis ins hohe Greisenalter hinein. Noch als Siebzigjähriger zeichnete ich mathematische[143] Kurven auf die glatte Fläche blendender Leinwand mit einer Eleganz, daß die Jungen stillstanden und den bogenschlagenden Alten bewunderten. Erst als der Arzt in der Sorge um meine spröden Knochen mir das Kreisen auf dem Eise ernstlich untersagte, legte ich wehmütig die eisernen Schuhe für immer ab. Die geliebten Schlittschuhe! Mein ganzes Leben lang bin ich nur auf diesem einen Paar gefahren, und das hatte ich mir in meinen jungen Jahren selbst gemacht. Dieses technische Meisterwerk meiner Bubenhände zeigte eine eigene Konstruktion, die – wie alle meine späteren Maschinenkonstruktionen – die Sicherheit als höchstes Ziel im Auge hatte. Durch Einschrauben in den Absatz von unten her konnten die eisernen Schienen so fest mit dem Schuhwerk verbunden werden, daß ein Loslösen und Abgleiten ein Ding der Unmöglichkeit war.

Vom Schleifen auf dem Eise bis zum Schleifen auf dem Parkett ist nur ein kurzer Schritt. Tanzen, tanzen, das Wiegen und Wenden, das Drehen und Schleifen in taktvollem Rhythmus war für mich immer wie ein Lustwandeln unter den berauschenden Klängen schöner Musik. Wenn es ein Kriterium für die »Alten« ist, daß sie teilnahmslos abseits stehen, wenn die junge Welt den Freuden der Bewegung huldigt, dann bin ich, der Achtzigjährige, noch jung wie einer, der die Fuchsenmütze schwingt. Der Arzt hat mir den Eislauf verboten. Kein Arzt wird mir das Tanzen verbieten dürfen. Wo man tanzt, da werde ich mittanzen, solange mich die Beine tragen, solange mein Herz noch hüpft und fröhlich ist. Das Walzern ist so schön, daß ich es am liebsten mit Koschats Pfarrer halte: »Selbst der Pfarrer patscht in d'Händ!« –[144]

Daß ich Radlerfreuden schon genossen habe zu einer Zeit, wo die Menschheit die Tretmaschine noch mit Hohn und Spott ablehnte, habe ich schon erzählt.

Wenn ich zurückschaue auf alle meine Sportsfreuden und Sportsliebhabereien, so finde ich wunderlicherweise, daß sie alle miteinander auf einen Strahlungspunkt zulaufen. Und dieser Strahlungspunkt heißt: Fortbewegung. Ihren Gipfelpunkt aber erreichte die Freude an der Fortbewegung in der Erfindung des »Selbstbeweglichen« – des Automobils. Wie eine Sonne leuchtete dieses Problem in mein Leben hinein.

Quelle:
Benz, Carl Friedrich: Lebensfahrt eines deutschen Erfinders. Die Erfindung des Automobils, Erinnerungen eines Achtzigjährigen. Leipzig 1936, S. 142-145.
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