Häring (Clupea Harengus)

[307] Der Häring oder Hering (Clupea Harengus, latulus, alba, elongata, Pallasii und Leachii) erreicht, wie allbekannt, selten eine größere Länge als dreißig Centimeter, hat kleine, schmale Brust- und Bauchflossen, eine mittelständige Rückenflosse, weit nach hinten gerückte schmale Afterflosse, tief gegabelte Schwanzflosse, große, leicht abfallende Schuppen, sieht auf der Oberseite schön meergrün oder grünblau, auf der Unterseite und auf dem Bauche silberfarben aus und glänzt, je nach dem einfallenden Lichte, in verschiedenen Schattirungen; Rücken- und Schwanzflosse sind düster-, die übrigen lichtfarbig. In der Rückenflosse zählt man siebzehn bis neunzehn, in der Brustflosse funfzehn bis siebzehn, in der Bauchflosse neun, in der Afterflosse vierzehn bis sechzehn, in der Schwanzflosse achtzehn bis zwanzig Strahlen. Die Wirbelsäule besteht aus sechsundfunfzig Wirbeln.

Der nördliche Theil des Atlantischen Weltmeeres, einschließlich der Nord- und Ostsee, und ebenso das Eismeer sind die Heimat des Härings. Früher glaubte man allgemein, daß er von letzterem aus alljährlich eine Reise antrete, welche ihn in unsere Gewässer führe. Andersson stellte diese Annahme als Lehrsatz auf und schrieb dem Fische seine Reisestraße auf das genaueste vor, theilte der gelehrten und fischenden Welt mit, daß ein ungeheuerer Schwarm von dort aufbreche, sich dann theile, Island und Großbritannien umschwimme, hier durch Kattegat und Sund in die Ostsee eindringe, dort den Kanal oder die britischen Gewässer durchwandere, längs der holländischen und französischen Küste seinen Weg fortsetze usw. Schon Bloch gewann eine andere Anschauung, bezweifelte, daß die Häringe vom Frühjahre bis zum Herbste eine so ungeheuere Reise auszuführen im Stande seien, hob hervor, daß sie im hohen Norden weit seltener sind als in der Nord- und Ostsee, daß man sie in letzterer während des ganzen Jahres fange, und nahm an, der Fisch steige aus großen Tiefen zu den oberen Wasserschichten empor. Andere Forscher traten ihm bei; auch in England erkannte man endlich die Wahrheit, und gegenwärtig unterliegt es keinem Zweifel mehr, daß Bloch vollkommen richtig geurtheilt hat. »Auffallend ist es«, sagt Karl Vogt, [307] »in welch sonderbarer Weise die Naturgeschichte des Härings, dieses in der Nordsee so allgemein verbreiteten Fisches, von Fischern und Romanschreibern verbrämt und verfälscht worden ist. Das plötzliche Erscheinen von ungeheueren Häringsschwärmen an den nördlichen Küsten Europas und Amerikas, das Auftreten dieser Schwärme zu einer bestimmten Zeit im Jahre, das geheimnisvolle Verschwinden von einzelnen Stellen, wo sie früher in Menge sich aufhielten, hat zu Fabeln Veranlassung gegeben, welche trotz der gründlichsten Beleuchtung von Seiten der Naturforscher noch immer in volksthümlichen Schriften und Schulbüchern gang und gäbe sind.

Der Häring lebt weder vorzugsweise im Polarmeere, noch macht er weite Reisen. Er bewohnt die Tiefen derjenigen Meere, an deren Küsten er laicht, wird dort zu allen Zeiten vereinzelt gefangen, namentlich mit solchen Geräthschaften, welche in die größeren Tiefen reichen, und hebt sich aus diesen Tiefen nur zur Laichzeit empor, um der Küste zuzusteuern, an welcher er seine Eier absetzt. So fischt man unmittelbar an der Küste, z.B. im Molde-Fjord, den Häring das ganze Jahr hindurch, hat dort selbst den Hauptfang im Juli, zu welcher Zeit der Fisch außerordentlich fett ist, und weder Eier noch Milch in seinem Inneren entwickelt sich zeigen.


1 Finte (Alausa Finta), 2 Sprotte (Clupea Sprattus), 3 Häring (Clupea Harengus). 1/3 natürl. Größe.
1 Finte (Alausa Finta), 2 Sprotte (Clupea Sprattus), 3 Häring (Clupea Harengus). 1/3 natürl. Größe.

Betrachtet man eine Tiefenkarte der Nordsee, so überzeugt man sich leicht, daß Großbritannien auf einer geräumigen Hochebene liegt, welche nirgends mehr als zweihundert Meter Tiefe hat, und welche sich so weit erstreckt, daß Frankreich, Holland, Norddeutschland und Dänemark mit England zu einem einzigen Festlande verbunden wären, sobald der Spiegel der See um zweihundert Meter tiefer gelegt würde. Dieses Festland würde sich auf der östlichen Seite Englands bis in die Nähe von Norwegen erstrecken, von diesem Lande aber durch einen tiefen und engen Meeresarm getrennt sein, welcher sich um die Südspitze Norwegens in einiger Entfernung herumschlingt. Auf der westlichen Seite von England dagegen reichte die Hochebene nur etwa zehn Meilen über die Küste [308] Englands und der Bretagne hinaus, um sich dann steil in die Tiefen des Meeres hinabzusenken. Diese Tiefen sind der Wohnort des Härings, von hier aus begibt er sich, zur Laichzeit namentlich, auf die Hochebene, welche den Brutplatz seiner Eier darstellt, und drängt der Küste zu, wo das seichtere Wasser ihm mehr Gelegenheit zur Ablagerung derselben bietet. Aus dieser Bildung des Meeresbodens begreift es sich aber unmittelbar, weshalb die Ostküste Englands nur unbedeutenden Häringsfang hat, während er an der schottischen und irischen Küste, im Kanale und in Norwegen äußerst ergiebig ist.

Die Laichzeit, während welcher der bedeutendste Fang geschieht, fällt in die Wintermonate, scheint aber je nach der Witterung und anderen, ziemlich unbekannten Einflüssen oft um Wochen und Monate abzuändern. Die Fischer haben verschiedene Anzeichen, aus welchen sie das Herannahen der Häringsschwärme beurtheilen; doch sind dieselben so ungenau, daß die Holländer sagen, sie gäben mit Vergnügen eine Tonne Goldes für ein sicheres Merkzeichen der Zeit und des Ortes, wann und wo die Häringe erscheinen sollen. Auch sind die Jahre sehr verschieden. In einem Winter erscheinen an einem gewissen Orte ungeheuere Massen, während im nächsten Winter nur einzelne Fische in die Netze gerathen.

Der Beweis gegen die angenommenen großen Wanderungen der Häringe vom Polarmeere aus ist leicht zu führen und wohl unwiderleglich. Unter den Häringen unterscheidet man auch viele Rassen, wenngleich ein artlicher Unterschied nicht anerkannt werden kann. Der Häring der Ostsee ist der kleinste und schwächste, der holländische wie der englische Häring schon größer, während der Häring der Shetlandsinseln und der norwegischen Küste der größte und fetteste ist. Die Fischer an der Küste unterscheiden selbst, ebenso gut wie die Lachsfischer, in den Flußmündungen den landstehenden Häring, welcher in der Nähe der Küste sich aufhält und gewöhnlich zwar fetter, aber nicht von so feinem Geschmacke ist, von dem Seehäringe, welcher aus größeren Entfernungen an die Küste heranschwimmt. Wenn die Behauptung der wandernden Schwärme von einem gemeinschaftlichen Mittelpunkte im Eismeere aus ihre Richtigkeit hätte, wie wäre es dann möglich, daß die verschiedenen Schwärme sich so genau nach Größe, Gestalt und inneren Eigenschaften abtrennen würden, daß sie wie Regimenter und Bataillone eines Heeres an ihren Sammelplätzen zu bestimmter Zeit sich einstellen, ohne daß die alles bezwingende Liebe eine Vermischung der Schwärme bedingt hätte? Was aber vollends dem Fasse den Boden ausschlägt, ist einerseits die verhältnismäßige Seltenheit in den nördlichen Gegenden, andererseits der Zeitunterschied in der Erscheinung an den verschiedenen Orten. Um Grönland herum, wo doch der eine Hauptstrom nach Amerika vorüberziehen soll, ist der Häring so selten, daß viele Naturforscher ihn gar nicht unter den Fischen des Landes aufführen. An den Küsten von Island, an denen der ganze Zug sich spalten soll, ist der Häring zwar bekannt, aber niemals so häufig, daß eine besondere Fischerei auf ihn angestellt würde, und das gleiche ist der Fall in den Finnmarken Norwegens, wo so wenige Häringe gefangen werden, daß man sich nicht einmal die Mühe gibt, sie zu salzen, während in der südlichen Hälfte, zwischen Trondhjem und Kap Lindesnäs, namentlich aber in der Umgegend vom Stavanger und Molde-Fjorde, der Häringsfang fast die einzige Lebensquelle der Küstenbewohner bildet. Wie wäre eine solche Vertheilung möglich, wenn der Häring vom Norden käme, wie behauptet wird? Wie wäre es auch möglich, daß er an den südlichen Küsten bei Holland und Stavanger früher erscheint als an den schottischen und irischen Küsten, wie dies doch häufig beobachtet wurde, wenn er in der That aus Norden käme? Wie wäre es endlich möglich, daß man Häringe von allen Größen an den Küsten fängt zu allen Zeiten des Jahres, wenn sie nicht in der Nähe dieser Küste geboren würden, auswüchsen und stürben?

Man hat als Beweis für das Schwärmen der Häringe auch den Umstand aufgeführt, daß früher in der Ostsee und namentlich an der schwedischen Küste bei Gothenburg ein sehr schwungreicher Häringsfang geübt wurde, während dies jetzt so sehr sich verändert hat, daß die Fischer in die tiefste Armut versunken seien. Gerade dieser Umstand aber scheint uns ein Beweis für unsere Ansicht zu sein. Es wäre kein Grund abzusehen, warum die Schwärme nicht mehr die Ostsee besuchen [309] sollten; man müßte denn die Dampfschiffe, welche das Kattegat durchkreuzen, als die Ursache der Verscheuchung ansehen. Die Ostsee ist ein sehr beschränktes und oben sehr flaches Becken, und sie ist dergestalt ausgefischt worden, daß der Häring, für dessen Schonung und Nachzucht man auch nicht die geringste Sorge trug, in den engen Gewässern der Gothenburger Schären fast vertilgt oder doch wenigstens sehr vermindert wurde. Dem norwegischen Häringe aber fällt es gar nicht ein, um Kap Lindesnäs herum in das Becken der Ostsee einzudringen und die entstandene Lücke auszufüllen; wenn also die Schweden wieder Häringsfang haben wollen, so werden sie besser thun, das Fangen des Fisches für einige Zeit gänzlich zu verbieten und ihm Zeit zur Wiedererzeugung zu lassen, als im gläubigen Vertrauen auf das Wohlwollen irgend eines Häringskönigs des Schwarmes zu harren, den dieser wieder an ihre Küsten schicken soll.«

Ungeachtet dieses wichtigsten Fortschrittes ist die Lebenskunde des Härings noch immer in vieler Hinsicht dunkel und unklar. Sein Erscheinen in den oberen Wasserschichten und an der Küste hat, wie gesagt, wenig regelmäßiges, und nicht immer sind es Scharen fortpflanzungslustiger Fische, welche sich zeigen, sondern es kommen auch alljährlich große Heere sogenannter Jungfern- oder, wie die Holländer sagen, Matjes-Häringe aus ihrer heimatlichen Tiefe empor. Ueber das Leben in den tieferen Gründen wissen wir so gut wie nichts, und erst neuerdings hat festgestellt werden können, daß er, dem Wale vergleichbar, mehr oder weniger ausschließlich von kleinen, dem unbewaffneten Auge zum Theile unsichtbaren Krebsthierchen sich nährt, sie aber in kaum berechenbarer Menge verzehrt. Eine bestimmte Laichzeit hat er nicht. Mit Ausnahme des Juni und December fängt man in allen übrigen Monaten Stücke mit strotzenden Hoden und Eierstöcken. Die richtige Erklärung dieser Thatsache kann wohl nur darin gefunden werden, daß ältere und jüngere Fische nicht zu derselben Zeit laichen; doch können die Untersuchungen hierüber durchaus nicht als abgeschlossen gelten. Im allgemeinen mag richtig sein, daß die Hauptzeit der Fortpflanzung in die Wintermonate fällt, vom Januar an gerechnet, und bis zum März oder April fortwährt; eine zweite Laichzeit beginnt dann im Juli und währt bis gegen den December hin. Für die Küsten Großbritanniens geben die Fischereibeamten die Monate Februar und März als die hauptsächlichste Laichzeit im Frühlinge und die Monate August und September als die bevorzugte Laichzeit im Herbste an; für die Ostsee scheint annähernd dasselbe zu gelten. Aus guten Gründen nimmt man an, daß auch die Häringe auf denselben Stellen laichen, auf denen sie selbst geboren wurden. Verschiedene Ursachen, Witterungseinflüsse und Strömungsänderungen zum Beispiele, können bewirken, daß sie in einzelnen Jahren auf bestimmten Stellen gänzlich ausbleiben, und ebenso zeigen sie sich gegen Veränderungen ihrer Laichplätze höchst empfindlich, meiden solche Plätze insbesondere dann oft jahrelang gänzlich, wenn die sie bekleidenden Tange und sonstigen Wasserpflanzen zerstört, oder wenn hier allzu viele von ihnen weggefangen wurden. Hieraus erhellt, daß die Laichplätze wie die laichenden Fische zeitweilig unbedingter Schonung bedürfen.

Die Hauptmasse aller Häringe, welche in den oberen Schichten beobachtet und bezüglich gefangen wird, erscheint hier unzweifelhaft in der Absicht, zu laichen. Im allgemeinen walten hierbei dieselben Verhältnisse ob, wie bei den Renken und anderen Fischen der tiefen Gründe. Die fortpflanzungslustigen Thiere erheben sich in unschätzbaren Massen, treiben sich zwei oder drei Tage lang nahe der Oberfläche des Meeres umher, drängen sich im bunten Durcheinander zu dichten Haufen, namentlich wenn stürmische Witterung herrscht, eilen vorwärts und lassen währenddem Eier und Samen ins Wasser fallen. Zuweilen wird Laich und Milch in solcher Menge ergossen, daß das Meer sich trübt und die Netze mit einer Kruste oder Rinde sich überziehen, daß ein widriger Geruch entsteht und auf weithin sich verbreitet, daß buchstäblich die obere Schicht des Wassers so mit Samen geschwängert ist, um den größten Theil der Eier befruchten zu können.

Von den Häringszügen macht sich der Binnenländer schwerlich eine Vorstellung, weil ihm die Berichte der Augenzeugen übertrieben und unglaublich zu sein scheinen. Aber die Augenzeugen stimmen so vollständig überein, daß wir nicht wohl zweifeln können. »Sachkundige Fischer«, sagt [310] Schilling, »welche ich zum Fange begleitete, zeigten mir in der starken Dämmerung Züge von meilenweiter Länge und Breite nicht etwa auf der Meeresfläche, sondern am Widerscheine der durch sie erhellten Luft. Sie ziehen dann so gedrängt, daß Boote, welche dazwischen kommen, in Gefahr gerathen; mit Schaufeln kann man sie unmittelbar ins Fahrzeug werfen, und ein langes Ruder, welches in diese lebende Masse gestoßen wird, bleibt aufrecht stehen.« Aehnlich sprechen sich andere Beobachter aus; einzelne versichern sogar, die Boote würden durch die wimmelnden Fische, deren Zug jene kreuzen, in die Höhe gehoben. Schilling glaubt annehmen zu dürfen, daß die Häringe von kleinen Leitzügen geführt und diese von Wind, Strömung und Wetter bestimmt werden, ihre jedesmalige Richtung zu nehmen. Andere scheinen hieran nicht zu glauben, obwohl sie, wie Schilling, das unregelmäßige Erscheinen der Häringe betonen.

Je nach der Wärme des Wassers schlüpfen die Jungen früher oder später aus; im Mai vielleicht nach vierzehn bis achtzehn, im August nach sechs bis acht Tagen. Die durchsichtigen und daher kaum erkennbaren Jungen haben beim Verlassen des Eies eine Länge von etwa sieben Millimeter, zehren innerhalb acht bis zehn Tagen den Inhalt ihres Dottersackes auf, beginnen dann sich zu bewegen und erfüllen, zu Myriaden geschart, noch lange Zeit die Gewässer ihrer Geburtsstätte. Man beobachtet sie während des ganzen Jahres in der Nähe der Küste, je nach dem Alter in verschiedener Tiefe, die noch ganz kleinen Fische, laut Schilling, im Brackwasser der in sie ausmündenden Flüsse oder mit ihr zusammenhängenden Binnengewässer, die größeren im Wasser des äußeren Strandes, kann also ein bestimmtes Vorrücken nach der Tiefe zu unmittelbar nachweisen. Im ersten Monate ihres Lebens erreichen sie, laut Widegren, durchschnittlich eine Länge von funfzehn, im zweiten von fünfundzwanzig, im dritten von siebenunddreißig Millimeter; nach Ablauf eines Jahres sind sie ungefähr neun, noch ein Jahr später funfzehn bis achtzehn Centimeter lang geworden; im dritten Jahre werden sie, bei einer Länge von etwa zwanzig Centimeter, fortpflanzungsfähig.

Unzählbar wie die Heere der Häringe ist auch die Anzahl der Feinde, welche ihnen folgen. So lange sie in den oberen Wasserschichten sich umhertreiben, nähren sich alle hier lebenden Raubfische, alle Meervögel und fast sämmtliche Meersäugethiere ausschließlich von ihnen. Die Norweger erkennen ihre Ankunft durch die sich sammelnden Wale, und nicht wenige von den dortigen Fischern glauben, in letzteren die Herbeitreiber der Fische erkennen zu müssen, genau ebenso, wie sie von Häringskönigen und anderen die Züge begleitenden Raubfischen reden. Wie groß der Verlust ist, welchen die Räuber der See den Häringszügen beibringen, läßt sich selbstverständlich auch nicht einmal annähernd schätzen; wohl aber dürfen wir dreist behaupten, daß er in keinem Verhältnisse steht zu den Verheerungen, welche der Mensch unter jenen anrichtet.

Bis in das frühe Mittelalter zurück reicht die Kunde der Häringsfischerei. Altenglische Urkunden erwähnen ihrer, alte Gesetze regeln sie. Bis zur Zeit des Holländers Breukel oder Breukelsen, welcher zu Ende des vierzehnten Jahrhunderts lebte, befand sich die Fischerei, obschon sie nicht unbedeutend genannt werden konnte, noch in den Zeiten der Kindheit; von nun an aber, nachdem man gelernt oder wiederum erlernt hatte, den bisher mehr oder weniger dem Verderben preis gegebenen Seefisch zu salzen und dergestalt ins Innere der Binnenländer zu versenden, gewann sie rasch außerordentlichen Aufschwung. Zuerst waren es die Holländer, welche sie in großartiger Weise betrieben; später nahmen die Hanseaten und Norweger an ihr theil; aber erst seit etwa zweihundert Jahren begannen die Engländer, welche gegenwärtig alle übrigen Völkerschaften überflügelt haben, auch ihrerseits Schiffe auf den Häringsfang zu senden.

Zur Fischerei bedient man sich in Norwegen außer den gewöhnlichen besonderer Netze, Wate genannt, welche dazu dienen, Fjorde und Buchten abzusperren, nachdem die Häringe in sie eingedrungen sind, und erbeutet dann oft unglaubliche Massen mit einem Male. »Die Ausländer«, sagt Pontoppidan, »werden es kaum glauben können; allein ich, der ich dieses schreibe, habe ganz Bergen zum Zeugen, daß mit einem einzigen Auswurfnetze im Sundfjorde so viele Häringe sind [311] gefangen worden, daß sie hundert Jachten, einige sagen hundertundfunfzig, aber ich will lieber die geringste Zahl rechnen, jede Jacht zu hundert Tonnen gerechnet, angefüllt haben. In den Buchten bleiben die Häringe, welche man eingeschlossen hat, so lange stehen, bis man sie nach und nach bergen und einsalzen kann, worüber der Fisch doch zuletzt ganz ausgezehrt und verdorben wird. Oft bleibt der Häring wegen seiner Menge zwei bis drei Wochen eingeschlossen, da denn viele sich auszehren und viele umkommen, wodurch dann die Bucht mit Gestanke angefüllt wird, welcher verursacht, daß die Häringe dieselbe Gegend drei bis vier Jahre scheuen, da sie sich sonst am liebsten daselbst eingefunden hatten. Im Jahre 1748 trug es sich im Kirchspiele Svanöe zu, daß die Bauern eine unzählige Menge von Frühlingshäringen auf obige Art eingeschlossen hatten. Ein Bürger hier aus Bergen kaufte sie für hundert Reichsthaler und eine Tonne Branntwein, worauf er, wie man sagt, achtzig Jachten voller Häringe aufzog und noch viel mehr auf dem Grunde umkommen ließ.« Heutzutage betreibt man in Norwegen, und zwar vorzugsweise längs der ganzen Küste zwischen Trondhjem und Lindesnäs, den Fang regelmäßiger, stellt große Netze aus, in denen man eine bis anderthalb Millionen Stück erhält, wendet aber immer noch mit Vorliebe die Wate an und sperrt, laut Blom, zuweilen noch mehrere tausend Tonnen Fische ab, zu vierundzwanzigtausend Stück jede einzelne gerechnet. Gegenwärtig werden etwa anderthalb Millionen Tonnen jährlich ausgeführt, weil man endlich gelernt hat, die Häringe zweckmäßig zuzubereiten. Ueberhaupt zeigt es sich gerade beim Häringsfange, daß, mit Ausnahme der Deutschen, alle übrigen Völker gelernt und ihre Einrichtungen verbessert haben, während die Deutschen, streng genommen, eigentlich erst beginnen zu lernen. Fast ebenso bedeutend wie die Fischerei der Norweger ist noch heutigen Tages die der Holländer, obgleich sie schon seit vielen Jahren stetig abgenommen hat und noch abnimmt, wie in demselben Verhältnisse die Fischerei der Engländer zunimmt.

»Die Fischerei auf Häringe, Pilchards und Sprotten«, berichtet Bertram, »währt mit kurzer Unterbrechung fast das ganze Jahr hindurch; die eigentliche Fangzeit des erstgenannten Fisches aber geschieht während des Herbstes vom August bis zum Oktober. Dann ist das Meer an den schottischen, irischen und englischen Küsten bedeckt mit Booten, und jeder Meerbusen rund um die Küste hat seine kleine Flotte, jede Bucht ihre Fischerei, während sich auf den hauptsächlichsten Plätzen sehr bedeutende Flotten vereinigen. Die Sulzer besitzen in den jenen Plätzen benachbarten Städten weite Lagerräume und Höfe, welche angefüllt sind mit Tonnen, Salz und anderweitigem Zubehöre. An der Küste selbst schlagen andere, minder begüterte Sulzer ihre Werkstätte auf, und da, wo dies geschehen, sammelt sich bald eine mehr oder minder zahlreiche Flotte im Meere und ein Haufen des allergemischtesten Volkes auf dem Lande: Salzhändler, Faßdaubenverkäufer, Böttcher, Landmädchen, Hochlandsleute und andere, welche ihnen ihre Hände anbieten. Landstreichende Prediger, Wiedererwecker und anderweitige Seelenhirten finden sich ebenfalls ein, die Kraft ihrer Worte hier zu erproben; selten auch fehlt es ihnen an einigen hunderten mehr oder minder gläubigen Zuhörern. Wenn die wirkliche Fischzeit beginnt, bemächtigt sich eine Art von Wahnsinn aller Versammelten: alles spricht, alles denkt, alles arbeitet ausschließlich vom Häringe. Alte Leute erscheinen auf dem Platze, um die Vorbereitungen zu besichtigen, und erzählen mit neu auflebender Begeisterung, wie es der Alten Art, von zwanzig und mehr Jahre zurückliegenden Zeiten; die jüngeren besichtigen Boote, Segel und Netze; Frauen und Bräute, wenigstens Schätze, machen alte Netze aussehend wie neue, Katechu-Sieder bieten ihren braunen Saft, welcher die Netze und Segel erhalten soll, allmänniglich an usw. Längs der ganzen Küste sieht man überall dieselben Auftritte; alles vereinigt sich zu demselben Zwecke, alle in derselben Hoffnung auf eine glückliche Fischerei. Junge Herzen beten für den Erfolg der Boote ihrer Geliebten, weil dieser Erfolg ihnen des Herzens größtes Sehnen, den Ehering und die Haube, bringen soll; aus des Sulzers Augen leuchten gehobene Stimmung und große Hoffnung hervor; die Besitzer noch unbenutzter Boote scheinen glücklich zu sein; kleine Kinder selbst nehmen an der Erregung vollen Antheil: auch sie sprechen von nichts als vom Häringe. Es wird verglichen und gediftelt, geweißagt und gewettet, [312] geflucht und gebetet, gezweifelt und gehofft. ›Fische diesen Morgen!‹ ist der Gruß, welchen der Nachbar dem Nachbar spendet, ›Wenige, oder viele Fische!‹ der Dank, die Antwort. Die einheimische Bevölkerung der Küstenstädte vermehrt sich bald um tausende. Mit den seelenweckenden Predigern ziehen Landstreicher ein; auf dem Markte schlagen Kaufleute ihre Buden auf, und das Genäsel der Straßenprediger wird würdig begleitet von verstimmten Drehorgeln.

Ein geringer Theil von denen, welche mit hinaus auf die See fahren, um zu fischen, gehört der eigentlichen Fischerkaste an; die große Mehrzahl besteht aus ›geheuerten Händen‹, einer Mischung von Bauern, Handwerkern, Matrosen und Landstreichern: daher denn auch die vielen Unfälle, welche während jeder Fischerei sich ereignen. Zum Fange wendet man gegenwärtig vorzugsweise sogenannte Driftnetze an, jedes von vierzig Meter Länge und zehn Meter Tiefe. Größere Fischerboote führen zuweilen so viele dieser Netze, daß sie auf eine englische Meile das Wasser bestellen können. Gegen Abend werden die Netze eingesenkt, mit Gewichten in die Tiefe gezogen und durch Korkstücke, luftgefüllte Schläuche und leere Fässer oben gehalten, so daß sie je nach der Meerestiefe höher oder niedriger zu stehen kommen. Die Maschen sind genau so weit, daß ein junger Häring durchschlüpfen kann, während der erwachsene bei seinem Mühen, sich durchzudrängen, mit den Kiemendeckeln hängen bleibt und so gefangen wird. Mit Tagesgrauen beginnt man die Netze auszulösen und schafft dann die gefangenen Fische so eilig wie möglich an den Strand und bezüglich in den Arbeitsraum des Sulzers, weil der Häring um so besser wird, je eher er ins Salz kommt.«

Ein Berichterstatter schildert einen Besuch unter den Häringsfischern. Mit einigen Gefährten verließ er in einer ungewöhnlich dunklen und warmen, windstillen Nacht den Strand und ruderte in die See hinaus, der Fischereiflotte zu, von deren Vorhandensein man zuerst durch den Gesang der Fischer Kunde erhielt. Die Annäherung war einigermaßen schwierig, weil die Netze auf weithin sich ausbreiteten und das Boot durch das Wirrsal von Netzen und Leinen kaum durchzukommen vermochte; warnende Rufe der Fischer regelten den Lauf des Fahrzeuges, bis dieses endlich sich im Mittelpunkte der Flotte befand. Hier war bereits alles voller Leben und Thätigkeit, weil einzelne Netze schon mit Fischen sich angefüllt hatten, während andere nur einige von den Nachzüglern des Heeres gefangen zu haben schienen. Das Erscheinen der Fremden schien den Fischern viel Vergnügen zu gewähren. Man beeiferte sich allseitig, sie mit Häringen zu beschenken. Dies schien mit einiger Absichtlichkeit in so freigebiger Weise zu geschehen, daß das Boot bald überfüllt war, die Fremden buchstäblich zwischen Häringen sitzen und zuletzt flehentlich bitten mußten, weitere Gaben zu unterlassen.

In Deutschland betreibt gegenwärtig einzig und allein die Häringsfischereigesellschaft zu Emden den Fang nach Art der Engländer. Die Fischer der gedachten Gesellschaft erbeuten jährlich etwa sechstausend Tonnen im Werthe von je vierzig Mark, erzielen jedoch noch keineswegs zusagenden Gewinn, verzinsen mindestens die Anlagekosten noch nicht genügend, decken in manchen Jahren, infolge entstehender Verluste an Booten und Netzen, kaum die Verbrauchskosten, obgleich die Emdener Häringe, dank der sorgfältigen Behandlung, welche den Fischen zu theil wird, an Güte alle anderen übertreffen. Die in der Ostsee gefangenen Häringe werden größtentheils geräuchert, zum Theil auch frisch verzehrt oder eingemacht. An den Nordseeküsten bezahlt man das Kilogramm frischgefangener Häringe mit zwanzig bis dreißig, an den Ostseeküsten mit dreißig bis vierzig Pfennigen.

Man vergleicht die Häringsfischerei treffend mit einem Glücksspiele. In einem Jahre bringt sie reichen Gewinn, in einem anderen deckt sie die Unkosten nicht. Jahre nach einander erscheinen die Häringe in einer und derselben Bucht, an einer und derselben Stelle zu Milliarden; plötzlich bleiben sie aus, und die Fischer, welche auf sie stellten, kehren mit leeren Booten heim. Sehr viel mag das unverständige Gebaren der Leute hierzu beitragen; unterliegt es ja doch keinem Zweifel mehr, daß gewisse Meerestheile buchstäblich rein ausgefischt worden sind. In der Nähe größerer [313] Städte haben sich die Häringe zuerst verloren, in Buchten, welche den Fang besonders begünstigen, etwas später: ein deutlicher Beweis, daß die Fische nicht weit wandern und alljährlich mehr oder weniger dieselben Plätze aufsuchen, um zu laichen. Weiter draußen im Meere ist die Richtung, wie leicht erklärlich, eine mehr zufällige; das eine Heer zieht bald hier, bald einige Seemeilen von der vermerkten Stelle vorüber.

Ueber die Gesammtmenge von Häringen, welche an den europäischen Küsten gefangen werden, läßt sich schwer ein Urtheil fällen; wahrscheinlich aber greift man nicht zu hoch, wenn man annimmt, daß, ein Jahr in das andere gerechnet, alljährlich über zehntausend Millionen gefischt werden.

In Gefangenschaft läßt sich der Häring nur, wenn er noch sehr jung ist, einige Tage am Leben erhalten. Alt eingefangene und in engeren Gewahrsam gebrachte Häringe verlieren sofort den größten Theil ihrer Schuppen und sterben binnen wenigen Stunden.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Achter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Zweiter Band: Fische. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 307-314.
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