Kiefernspinner (Gastropacha pini)

[387] Der Kiefernspinner (Gastropacha pini) gehört überall, wo Kiefern wachsen, nicht zu den Seltenheiten, seine schöne Raupe zu den vom Forstmanne gefürchtetsten. Sie findet sich halb erwachsen oder noch kleiner im Winterlager unter Moos und zwar im Bereiche des Schirmes sechzig- bis achtzigjähriger Bestände. In einer Höhlung, uhrfederartig zusammengerollt, liegt sie hier feucht, wird auch steif, wenn der Frost die Erde durchdringt. Weicht der Frost, so bekommt sie wieder Geschmeidigkeit und bäumt je nach der Witterung früher oder später, bestimmt dann, wenn im Reviere der Wärmemesser auf +8° R. steht, wieder auf. Ist sie gegen Ende April oben in den Nadeln angelangt, so kommt sie meist nicht wieder herunter, es sei denn kurz vor der Verwandlung. In Braun und Weißgrau bestehen ihre beiden Hauptfarben, welche in verschiedenen Schattirungen und Anordnungen mit einander wechseln und stellenweise filzige Behaarung mit dem herrlichsten Perlmutterglanze tragen. Die Einschnitte des zweiten und dritten Ringes bilden sogenannte Spiegel, je einen stahlblauen Sammetfleck, welcher erst dann recht sichtbar wird, sobald die Raupe die Stellung in unserer Abbildung annimmt; hierzu kann man sie leicht veranlassen, wenn man sie berührt oder irgendwie reizt, dann schlägt sie überdies mit dem Vorderkörper nach den Seiten hin und her. Zur Verpuppung spinnt sie ein geschlossenes Gehäuse, nicht immer zwischen den abgefressenen Nadeln, sondern auch unten am Stamme zwischen Rindenschuppen. Häufig kommt sie aber auch gar nicht dazu, sondern bietet den traurigen Anblick von Figur h (S. 388). Hunderte von Schlupfwespenlärvchen schmarotzten in ihrem Leibe und kamen zuletzt daraus hervor, um sich auf der allein von ihr noch übrigen Haut in schneeweiße Püppchen zu verwandeln. Namentlich die kranken Raupen scheinen in ihrer Angst von den Bäumen herabzusteigen; denn ich habe in Revieren, wo sie nur einzeln vorkamen, dergleichen gespickte Bälge in auffälligen Mengen bis in Mannshöhe und tiefer an den Stämmen kleben sehen. Die gesunde Puppe im Gespinste hat das Aussehen von Figur d (S. 388) und braucht etwa drei Wochen zu ihrer Entwickelung, so daß um die Mitte des Juli der Schmetterling fliegt. Er zeigt sich in der Färbung ebenso veränderlich wie die Raupe, hat indeß für gewöhnlich das Aussehen, welches uns hier vorgeführt ist; Grau und Braun in verschiedenen Mischungen kommen auch ihm zu. Ein weißes Mondfleckchen auf dem Vorderflügel und eine unregelmäßige schmälere oder breitere rothbraune Querbinde dahinter machen ihn leicht kenntlich.


Kiefernspinner (Gastropacha pini). a Männlicher, b weiblicher Schmetterling, c Raupe, d Puppe, e deren Gehäuse, f Eier, g aufgebrochene Puppe mit der Larve des Anomalon circumflexum, h todte Raupe mit den Gespinsten des Microgaster nemorum und dieser selbst. Alles natürliche Größe.
Kiefernspinner (Gastropacha pini). a Männlicher, b weiblicher Schmetterling, c Raupe, d Puppe, e deren Gehäuse, f Eier, g aufgebrochene Puppe mit der Larve des Anomalon circumflexum, h todte Raupe mit den Gespinsten des Microgaster nemorum und dieser selbst. Alles natürliche Größe.

Das größere Weibchen ist sehr träger Natur, aber auch das Männchen fliegt nicht leicht bei Tage. Daß die Schmetterlinge bisweilen weitere Züge unternehmen, lehrte mich vor Zeiten der sonderbare Umstand, daß ich eine Gesellschaft von ungefähr acht Stück beiderlei Geschlechts an einer Glocke auf dem Kirchthurme sitzend antraf, in einer Gegend, in welcher stundenweit keine [387] Kiefern wuchsen. Auch Ratzeburg gedenkt einzelner Fälle, welche auf solche Wanderungen hinweisen. Das befruchtete Weibchen legt alsbald nach der Paarung, welche meist am Abende seines Geburtstages erfolgt, hundert bis zweihundert Eier an den Stamm (f), an die Nadeln oder auch an einen Zweig in größeren oder kleineren Partien bei einander. Dieselben sind lauchgrün, [388] kurz vor dem Ausschlüpfen im August grau. Daß auch sie unter den Schmarotzern ihre Liebhaber finden, haben wir bereits früher erfahren und in einem Teleas den einen davon kennen gelernt, welcher bis zu zwölf Stück aus einem Eie erzogen worden ist. Das junge Räupchen begibt sich sofort auf die Nadeln, beschabt dieselben zuerst, kann sie aber bald mit Stumpf und Stiel verdauen. Man hat nach sorgfältig angestellten Beobachtungen ausgerechnet, daß eine regelrecht sich entwickelnde Raupe durchschnittlich tausend Nadeln braucht, um die Verpuppungsreife zu erlangen, und daß eine halbwüchsige in fünf Minuten mit einer fertig wird, wenn sie sich nicht unterbricht. Daraus geht hervor, daß Massen von ihnen etwas leisten können. Nachrichten über Schäden durch den Fraß dieser Raupe hat man seit dem Jahre 1776. Nur eine einzige Mittheilung aus jüngster Zeit, welche mir von einem Forstbeamten zugegangen ist, mag den Beweis liefern, in welchen ungeheueren Massen dieser Spinner auftreten kann. In dem Reviere Möllbitz bei Wurzen wurden im Jahre 1869 ein Centner neunundvierzig Pfund Eier, vierundsechzig Dresdener Scheffel weibliche Schmetterlinge und hundertvierundzwanzig Scheffel Raupen gesammelt, ohne den Feind bewältigen zu können. Obschon seit jenen älteren Zeiten die Forstverwaltung ein aufmerksames Auge auf denselben hat und besonders neuerdings durch Theerringe die im Frühjahre aufbäumenden Raupen in ungezählten Mengen abfängt und vernichtet, so würde doch wenig damit gedient sein, wenn nicht die Natur selbst in den mancherlei Schlupfwespen seinen allzugroßen Vermehrungen Schranken setzte, einen Pilz (Botrytis Bassiana) im Körperinneren wuchern ließe, welcher ihnen den sicheren Tod bringt; ja, selbst Frösche hat man auf den Bäumen angetroffen, auf welchen die Raupen in verheerenden Mengen saßen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 387-389.
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