1. Sippe: Staphylininen

[54] Die mehr als viertausend bis jetzt bekannten auf der ganzen Erdoberfläche verbreiteten Arten der sogenannten Kurzflügler, Moderkäfer (Staphylinidae oder Brachelytra) unterscheiden sich durch das in ihrem Namen ausgesprochene Merkmal von anderen Käfern nicht schwer, bieten aber im übrigen die größte Mannigfaltigkeit in Körpertracht, Lebensweise und Bildung einzelner, für andere Familien sonst sehr charakteristischer Theile. Obschon der Mehrzahl unter ihnen fünfgliederige Füße zukommen, so fehlt es doch nicht an Arten mit nur vier oder gar nur drei Gliedern. Die meist elf-, aber auch zehngliederigen Fühler stimmen zwar alle in der gestreckten Form überein und sind in der Regel fadenförmig, es kommen indessen auch an der Spitze verdickte, infolge des langen Grundgliedes gebrochene und weitere Abänderungen aller Art in diesen bestimmten Grenzen vor. Obschon der Körper linienförmig und im allgemeinen langgestreckt genannt werden muß, so finden sich doch Gestalten, bei denen am rechteckigen vorderen Theile der Hinterleib wie ein walziger Schwanz ansitzt, Gestalten von spindelförmigem Umrisse, andere, die an die langhalsigen Laufkäfer mahnen, neben vollkommen walzigen vollkommen plattgedrückte. Eine fast zeichnungslose, düstere oder schmutziggelbe Färbung verleiht den meisten heimischen neben der geringen Größe ein unscheinbares Ansehen, während gewisse ausländische Arten ein lebhafter Metallglanz etwas mehr auszeichnet.

Die meisten leben am Erdboden, und zwar gesellig unter faulenden Stoffen, viele im Miste, an Aas, in holzigen Schwämmen und schnell vergänglichen Pilzen, unter Baumrinde, Steinen oder an sandigen Stellen in Gemeinschaft vieler Laufkäfer, mit denen zusammen sie dann bei plötzlichen Ueberschwemmungen das Loos der Schiffbrüchigen theilen und in Lagen versetzt werden, die wir bei der allgemeinen Schilderung früher andeuteten und durch ein Bild (S. 29) zu veranschaulichen suchten. Gewisse Arten bewohnen Ameisenkolonien und leben ausschließlich in diesen (z.B. Lomechusa), einige wenige finden keinen Wohlgefallen an den feuchten, Moder und Verwesung aushauchenden Aufenthaltsorten und scheinen einen ästhetischeren Sinn zu beweisen, indem sie sich auf Blumen umhertreiben und deren Saft lecken. Im Sonnenscheine werden die meisten sehr lebendig und fliegen gern umher, die größeren Arten auch an schönen Sommerabenden. Ihre Nahrung besteht aus verwesenden Stoffen des Pflanzen- und Thierreiches sowie aus lebenden Thieren. Einzelne Gattungen und Arten bieten das bei Käfern höchst seltene Auftreten von einem oder zwei Nebenaugen auf dem Scheitel, und noch merkwürdiger ist die neuerdings von Schiödte gemachte Beobachtung vom Lebendiggebären einiger Südamerikaner der Gattungen Spirachtha und Coro toca.

Die Larven der Staphylinen gleichen darum den vollkommenen Insekten mehr als andere, weil diese infolge ihrer kurzen, zu übersehenden Flügeldecken und des gestreckten Körperbaues selbst etwas Larvenähnliches an sich haben. Bei den wenigen, die man kennt, sind vier- bis fünfgliederige Fühler, ein bis sechs Punktaugen jederseits, kurze fünfgliederige, in eine Kralle auslaufende Beine und zwei gegliederte Griffel am Hinterleibsende, dessen After als Nachschieber heraustreten kann, als Kennzeichen zu vermerken. Die der größeren Arten gehen anderen Larven nach und lassen sich mit Fleisch füttern, wenn man sie erziehen will. Die Verpuppung erfolgt an dem Aufenthaltsorte der Larve in einer Erdhöhle, und die Puppe bedarf nur wenige Wochen der Ruhe, um dem Käfer sein Dasein zu schenken.

Nach dem Gesagten ist es nicht möglich, sowohl nur annähernd einen Ueberblick über die Familie zu geben, als auch ein allgemeines Interesse für Vertreter der zahlreichen Sippen vorauszusetzen; wir begnügen uns daher mit wenigen, durch buntere Farben, besondere Größe auffällige [54] oder durch ihre allgemeine Verbreitung allerwärts anzutreffende Arten, welche unsere Abbildung vorführt.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 54-55.
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