1. Sippe: Brachyderinen

[130] Mit Uebergehung lang gestreckter, den vorigen nahe verwandter Käferchen, welche auf Blumen leben und zur Familie der Oedemeriden vereinigt wurden, kommen wir nun zu denen, welche wenigstens scheinbar nur vier Glieder an allen Füßen haben und darum vierzehige Käfer (Tetramera) heißen. Die Neueren wollen sie Coleoptera crypto-pentamera genannt wissen, weil allerdings bei vielen das vorletzte Glied sich zwar versteckt, aber nachweisen läßt, und daher in Wirklichkeit fünf Glieder vorhanden sind. Die Rüsselkäfer (Curculionina) werden unsere Aufmerksamkeit zunächst in Anspruch nehmen. Wie der Name besagt, verlängert sich bei ihnen der Kopf vorn rüsselartig und trägt an der Spitze dieser Verlängerung die Freßwerkzeuge, welche bis auf die fehlende Oberlippe in allen Theilen vorhanden sind und sich durch die sehr kurzen Taster, dreigliederige der Unterlippe und viergliederige der Kiefer, auszeichnen. Die Kinnladen haben in der Regel nur einen Lappen und werden ganz oder größtentheils durch das Kinn bedeckt in der ersten Legion Lacordaire's, welche sich wieder in sechs Sippen theilt, oder sie liegen vollkommen offen in der zweiten, die übrigen sechsundsiebzig Sippen umfassenden Legion. Von den Kinnbacken läßt sich nur anführen, daß sie kurz sind, denn ihre Form ändert sehr ab. Die acht- bis zwölfgliederigen Fühler entspringen in einer Grube oder Furche (Fühlerfurche) des Rüssels, sind in den meisten Fällen gebrochen und keulenförmig. Rücken und Weichen des Halsschildes verschmelzen miteinander; die Vorderhüften berühren sich oder bleiben getrennt wie die anderen Hüften und bewegen sich in nur geschlossenen Pfannen. Die Füße, deren drittes Glied zweilappig zu sein pflegt, haben meist eine schwammige Sohle und vier deutliche Glieder, öfter ein verstecktes fünftes. Der Hinterleib, umschlossen von den Flügeldecken, setzt sich aus fünf, sehr selten aus sechs Bauchringen zusammen, von denen der dritte und vierte meist kürzer als die übrigen sind. Der Rüssel als wesentlicher Charakter dieser Familie, fast allen denkbaren Aenderungen unterworfen, schwankt am meisten in der Länge. In vielen Fällen, wo er fast gleiche Dicke mit dem Kopfe behält, würde man ihn der Kürze wegen kaum für einen solchen erklären können und zweifelhaft sein, ob man einen Rüsselkäfer vor sich habe, wenn nicht alle sonstigen, dieser Familie eigenen [130] Merkmale zusammenkämen. Dem gegenüber stehen Fälle, in welchen er bei fadenförmiger Dünnheit die Körperlänge erreicht oder übertrifft. Der dicke, kurze und mehr oder weniger verlängerte, dünne Rüssel ändert das Ansehen der Käfer so wesentlich, daß die beiden Hauptgruppen: Kurzrüßler und Langrüßler, bisher bei der Eintheilung einander entgegengesetzt wurden. Ob eckig oder gerundet, vorn verdickt oder verdünnt, gerade oder gebogen, jedoch immer nach unten, einlegbar in eine Grube zwischen den Hüften, oder nicht, das sind Dinge, die näher berücksichtigt sein wollen, um die ungefähr dreihundertundfunfzig Gattungen zu unterscheiden. Aber nicht bloß der Rüssel, auch die Fühler, die Beine, die ganze Gestalt der Thiere durchlaufen die mannigfachsten, innerhalb der gegebenen Grenzen nur möglichen Bildungen; so kommt z.B. in Hinsicht auf letztere die Kugelform neben der Linie vor.

Die sämmtlichen Rüsselkäfer, mit geringen Ausnahmen nur von mittlerer Größe, leben von Pflanzen, und weil oft bestimmte Arten von jenen auf bestimmte Arten von diesen angewiesen sind, so hängt die Verbreitung jener auf das genaueste mit der Pflanzenwelt zusammen. Es gibt keinen Theil eines Gewächses von der äußersten Wurzelspitze bis zu der reifen Frucht, welcher vor den Angriffen ihrer Larven gesichert wäre.

Diese gleichen am meisten denen der Diebkäfer unter den Holzbohrern, haben einen runden, nach unten gerichteten Kopf, einen schwach eingekrümmten, faltigen, fußlosen, mehr oder weniger behaarten Körper, der sich nach hinten etwas verengt. Die Mundtheile bestehen außer dem viereckigen Kopfschilde aus kurzen, kräftigen Kinnbacken, einem dicken, fleischigen Kinne, an dessen Vorderende die zweigliederigen Taster aus gemeinsamer Wurzel entspringen, und aus fest mit der Zunge verwachsener, bewimperter Innenlade des Unterkiefers. Die Fühler sind nur warzenförmig, die Augen nicht oder in geringer Anzahl vorhanden.

Die Familie der Rüsselkäfer übertrifft alle anderen an Reichthum der Arten, indem das neueste Verzeichnis davon zehntausendeinhundertdreiundvierzig aufzählt; hinsichtlich der Verbreitung über die Erde überwiegen dieselben alle anderen in dem Maße als sie sich dem Gleicher nähern und bevorzugen Amerika gegen die Alte Welt; vorzüglich ist der Süden des genannten Erdtheiles auch für diese Kerfe eine unerschöpfliche Fundgrube und weist neben anderen heißen Ländern Arten auf, welche durch den Schmelz, die Pracht ihrer Farben und deren Zusammenstellung über alle Beschreibung erhaben sind, und mit dem kostbarsten Schmucke, den eine Künstlerhand aus den edelsten Metallen anfertigt, um die Siegespalme streiten können. Wie lückenhaft daher unsere weiteren Ausführungen auch hier ausfallen müssen, geht aus den eben gegebenen Andeutungen zur Genüge hervor.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 130-131.
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