Rautenfleckige Köcherfliege (Limnophilus rhombicus)

[498] Während bei allen bisher betrachteten Gitterflüglern Gleichartigkeit der vier Flugwerkzeuge, vor allem keine Faltung der hinteren, und hornige Kinnbacken zum Charakter gehören, treten bei [498] der nun zu erwähnenden Familie der Frühlingsfliegen, Wassermotten, Schmetterlingshaften, Köcherfliegen, Pelzflügler, Faltflügler usw. (Phryganeodea) wesentliche Aenderungen gerade in diesen Beziehungen ein. Von den behaarten oder beschuppten, nichts weniger als gegitterten Flügeln falten sich die bedeutend breiteren Hinterflügel fächerartig, um von den meist bunt gefärbten Vorderflügeln bedeckt werden zu können, welche in der Ruhe wie ein Dach dem Leibe aufliegen und denselben hinten überragen. Die Mundtheile verkümmern, besonders bleiben die Kinnbacken häutig, Unterkiefer und Unterlippe verwachsen, und an jenem lassen sich keine Laden unterscheiden; die Taster an ihnen sind zwei- bis fünfgliederig, an den Lippen beständig dreigliederig.


Rautenfleckige Köcherjungfer (Limnophilus rhombicus). a, b Fliege, c Larve außerhalb des d Gehäuses, e Puppe. Außer c alles schwach vergrößert.
Rautenfleckige Köcherjungfer (Limnophilus rhombicus). a, b Fliege, c Larve außerhalb des d Gehäuses, e Puppe. Außer c alles schwach vergrößert.

Je nach der Anzahl der Schienensporen an allen Beinen, welche in verschiedener Zahl und Vertheilung an den verschiedenen Paaren auftreten, hat man die ursprüngliche Linné'sche Gattung Phryganea und einige nach ihr aufgestellte andere Gattungen neuerdings in einige dreißig zerlegt, auf welche hier nicht näher eingegangen werden kann. Dafür möge die rautenfleckige Köcherfliege (Limnophilus rhombicus) die ganze Familie veranschaulichen. Sie macht sich an den zwei Fensterflecken auf jedem der gelbbraunen Vorderflügel leicht kenntlich, ihre artenreiche Gattung aber an folgenden Merkmalen: bei dem Männchen setzen drei, bei dem Weibchen fünf Glieder die Kiefertaster zusammen, die Nebenaugen sind deutlich, die Borstenfühler so lang wie die schwachbehaarten, an der Spitze scharf abgestutzten Vorderflügel, die Vorderschienen mit einem, die mittleren mit drei und die hintersten mit vier Sporen bewehrt.

In der Lebens- und Entwickelungsweise, soweit letztere bekannt ist, stimmen alle Frühlingsfliegen der Hauptsache nach überein. Im Mai und Juni treiben sich die meisten an fließenden und stehenden Gewässern umher und belebenderen Ufer, ohne sich dem Naturfreunde gerade sehr bemerklich zu machen, es sei denn, daß er ihnen besondere Aufmerksamkeit widmet und ihnen mit Vorliebe nachspürt; denn ihre Beweglichkeit beginnt erst mit einbrechender Dunkelheit. Bei Tage sitzen sie an Wasserpflanzen, Planken, äußerlich an Baumstämmen oder versteckt öfter in großen Gesellschaften hinter abgelösten Rindenstücken derselben. Werden sie gestört, irgendwie von außen her beunruhigt, so entziehen sie sich in raschem, fahrigem, aber kurzem Fluge der Nachstellung, setzen sich an gleichen Stellen von neuem fest oder fallen in das Gras nieder; will man sie hier angreifen, so wissen sie sich durch halb rutschende, halb hüpfende Bewegungen, welche sie ohne Anwendung der Flügel, nur mittels der langen, in der Mittellinie der Brust zusammenstoßenden Hüften ausführen, tiefer in das Gras zu verbergen oder auf glattem Boden der Gefangennahme zu entwischen. Andere suchen an den Blättern unter lebhafteren Bewegungen im Sonnenscheine nach Feuchtigkeit, welche sie aufsaugen. Sie alle erscheinen aber mehr träge und schwerfällig in ihrem Gebaren und ziemlich theilnahmlos der Außenwelt gegenüber. Der Name »Frühlingsfliegen«[499] paßt auf die meisten, einzelne kommen jedoch erst im Herbste und dann nicht selten auf Eichengebüsch, Kiefern und anderen Hölzern an weit vom Wasser entfernten Waldstellen zum Vorscheine. Flogen sie des Nachts dorthin, oder begnügen sich ihre Larven mit bloßer Feuchtigkeit? Ich wage keine bestimmte Antwort auf diese Doppelfrage zu geben, glaube mich aber für die zweite entscheiden zu müssen. Die Larven der meisten Köcherfliegen leben nämlich im Wasser und zwar in selbstgefertigten Gehäusen. Diese »Wasserraupen«, wie sie Rösel nennt, erinnern lebhaft an die Sackträger unter den Schmetterlingen, wie manche der vollkommenen Kerfe an die Motten, und es erscheinen darum die Bezeichnungen »Köcherfliegen, Wassermotten« und einige andere dahin zielende vollkommen gerechtfertigt; in gewissen Gegenden Deutschlands kennt man die Larven auch unter den Namen: Kärder, Sprocke, Sprockwürmer, Hülsenwürmer. Die oben abgebildete baut ihr Futteral aus sehr verschiedenen Stoffen, bald aus seinen, quergelegten Grashälmchen, bald aus dickeren Halmen, wie es die Abbildung (Fig. d) vorführt, bald aus längeren, der Länge nach geordneten Halmen, endlich auch aus Spänen von Holz oder Rinde, die durch einander gemengt und vollkommen ungeordnet sind. Als Einwohner aller dieser Gehäuse stellt sich die grünliche, vorn, soweit die sechs Beine reichen, dunkle Larve (Fig. c) dar, welche, gleich allen anderen, hinten mit zwei Hornhaken zum Festhalten ihres Häuschens versehen ist. Sie hält sich in der Nähe von Schilf auf und zwar nahe der Oberfläche des Wassers. Ende April oder erst im Mai spinnt sie sich an Wassergewächsen an, verschließt die Wohnung und wird zu einer gestreckten, sehr beweglichen Puppe (Fig. e), aus welcher nach vierzehn Tagen die Fliege zum Vorscheine kommt.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 498-500.
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