Blutrothe Raubameise (Formica sanguinea)

[263] Die blutrothe Raubameise (Formica sanguinea) ist der vorigen sehr ähnlich und früher öfters mit ihr verwechselt worden, unterscheidet sich aber durch ein ausgerandetes Kopfschild und im männlichen Geschlechte durch einen vier- bis fünfzähnigen Kaurand der Kinnbacken gegen einen ungezähnten bei dem Männchen der vorigen Art, außerdem wesentlich in der Lebensweise. Ihre Haufen sind von geringerer Größe, beherbergen andere und bedeutend weniger Käfergäste (gewöhnlich die beiden Kurzflügler Lomechusa strumosa und Dinarda dentata) und die Arbeiter von Formica fusca, cunicularia und seltener auch von Lasius alienus, welche alle im Larvenzustande von den Arbeitern des Nestes geraubt werden. In förmlichen Heerzügen begeben sie sich nach dem Neste einer der genannten Arten, dringen mit Ungestüm in den Bau ein, tödten alles, was sich ihnen zur Wehr setzt und tragen Larven und Puppen der Arbeiter davon. Dergleichen Schlachten sind von verschiedenen Forschern beobachtet worden. Die jenen entschlüpften Ameisen, nicht wissend, daß sie in fremde Dienste getreten sind, gehen gleich den Arbeitern der Formica sanguinea den gewöhnlichen Beschäftigungen nach, scheinen aber vorherrschend den häuslichen Bedürfnissen zu dienen. Zerstört man einen solchen Bau theilweise, so werden sie zunächst sichtbar, um den entstandenen Schaden wieder auszubessern, während die Herren nur unruhig umherlaufen. Selten zeigen sie sich mit jenen außerhalb des Nestes. Bei einer Wanderung der Formica sanguinea, welche Darwin beobachtete, hätten die Herren ihre Sklaven zwischen den Kinnbacken davongeschleppt, während von Hagens einen gleichen Umzug im August beobachtete, bei welchem theils die Herren ihre Sklaven, theils diese die Herren nach der anderen Kolonie trugen. Es kommt nämlich bisweilen vor, daß Ameisen ihr Nest freiwillig verlassen und umziehen, wenn irgend welche Umstände ihnen [263] den bisherigen Aufenthalt verleidet haben (Nässe, öftere Störung seitens des Menschen oder anderer Ameisen, wenn Dünger auf oder neben das Nest getragen worden ist usw.).

Während die Formica-Arten in der Erde nisten, wählen die Höcker-Drüsenameisen (Lasius) die verschiedenartigsten Baustellen.

Die Gattung läßt sich an folgenden Merkmalen der Arbeiter und Weibchen erkennen: Das vorn nicht ausgerandete Kopfschild ist trapezförmig und gewölbt, an den Hinterecken stark gerundet, wo die ziemlich kurzen Stirnleisten beginnen und die zwölfgliederigen Fühler eingelenkt sind; die Geisel derselben ist keulenförmig, jedes Glied vom zweiten an wenig größer als das vorangehende, und das letzte länger als das erste. Die Nebenaugen sind sehr undeutlich. Der Mittelleib ist vor dem buckeligen und ungezähnten Hinterrücken stark eingeschnürt, das Stielchen mit einer viereckigen, senkrechten oder beinahe senkrechten Schuppe versehen, auf welche der Hinterleib sich nicht auflegt. Der weibliche Flügel hat eine Rand-und eine oder keine Mittelzelle aufzuweisen. Die breiten Kinnbacken des Männchens sind am Kaurande schneidig und nur vorn einzähnig oder durchaus gezähnt, die unter sich fast gleichen Geiselglieder der dreizehngliederigen Fühler fadenförmig, das erste am dicksten. Die kleinen Genitalien werden von der Rückenseite dachartig bedeckt, ihre äußere Klappe bildet eine schmäler werdende, am Ende halbkreisförmig abgerundete Platte; die Afterklappe ist nicht ausgeschnitten.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 263-264.
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