4. Sippe: Ibaliinen, mit der einzigen Art: Messerförmige Schmarotzer-Gallwespe (Ibalia cultellator)

[301] Während die bisher besprochenen Arten und noch viele andere ihnen nahestehende Gallen bewohnen, solche selbst erzeugend, oder als Einmieter sich wenigstens von ihren Wucherungen ernährend, sind die noch übrigen Schmarotzer-Gallwespen, d.h. sie stehen nur in Hinsicht ihres Körperbaues den Gallwespen nahe genug, um mit ihnen verbunden werden zu können, haben aber mit den Gallen nichts gemein und entwickeln sich vollkommen in der Weise, wie die Schlupfwespen in den Körpern anderer Insekten. So beispielsweise die vierzig kleinen Arten der Gattung Allotria in Blattläusen. Hinsichtlich der Gestalt stimmen sie mit voriger Gruppe überein: der kurze, fast runde Körper, der sitzende oder kaum gestielte, im ersten Gliede eigentlich allein vertretene Hinterleib und die zweite Flügelform kommen hier wie dort vor; die polirte Oberfläche des kleinen Körpers aber und die dünnen, meist diesen an Länge übertreffenden Fühlerchen unterscheiden sie leicht. Bei vielen von ihnen schließt sich die Randzelle nicht vollkommen nach hinten, und bei ein paar Arten erscheinen die Flügel sogar nur stummelhaft, so daß man die Gattung gewiß schon längst in mehrere aufgelöst haben würde, wenn nicht die Entwickelungsgeschichte bei allen so übereinstimmte.

Die Figitiden bilden einen anderen Formkreis, ausgezeichnet durch den gestreckteren Körper, der beim Weibchen durch die kurz vorstehende Legröhre spitz ausläuft, niemals durch eine abstehende Bauchschuppe klafft. Die Randzelle der Vorderflügel ist kurz, dreieckig, höchstens noch einmal so lang wie breit. Die Rückenschuppe des zweiten Hinterleibsgliedes erreicht nicht die halbe Länge des ganzen Hinterleibes, endlich trägt das Männchen vierzehngliederige, das Weibchen dreizehngliederige Fühler. Die artenreichste Gattung Figites (Psilogaster Hartigs) charakterisirt der kurze, ringartige Hinterleibsstiel, welchen an der Unterseite ein von vorn nach hinten wagerecht eindringender Ausschnitt in einen oberen Hauptkörper und in einen unteren, stumpf zahnartigen [301] Ansatz theilt; die Oberfläche jenes führt Längsriefen. Die beiden ersten Glieder des eiförmigen, nur schwach zusammengedrückten Hinterleibes gleichen einander so ziemlich auf dem Rücken an Länge, das erste verschmälert sich aber allmählich an der Körperseite nach vorn, ohne an seiner Wurzel behaart zu sein, wie bei anderen Gattungen. Die Fühler sind fadenförmig beim Männchen, vorn schwach geschwollen und schnurförmig beim Weibchen. Außerdem deckt ein sehr sparsames Haarkleid die Augen. Der glänzend schwarze, nur an den Vorderbeinen von den Knieen abwärts rothe Figites scutellaris (Fig. 6, S. 299) ist am Kopfe, den Brustseiten und am Schildchen runzelig, am Vorderrande des zweiten Hinterleibsringes gerieft; das hinten gestutzte, gerandete Schildchen ist an seiner Wurzel durch zwei tiefe, fast quadratische Grübchen ausgezeichnet. Diese Art scheint über ganz Europa verbreitet zu sein und schmarotzt bei der Fliegengattung Sarcophaga, wie überhaupt alle Sippengenossen, so weit man dieselben bisher erzogen hat, von Fliegenlarven leben.

Die messerförmige Schmarotzer-Gallwespe (Ibalia cultellator, Fig. 7, S. 299) weicht zu sehr von der vorigen Sippe ab, um ihr zugezählt werden zu können, bildet vielmehr durch den höchst eigenthümlichen Bau eine wenig zu der ganzen Familie passende Form. Der sitzende Hinterleib ist von den Seiten so stark zusammengedrückt, daß er sich beinahe wie eine Messerklinge an dem walzigen, langgestreckten Mittelleibe, dem Stiele dazu, ausnimmt; seine Glieder haben unter sich gleiche oder beim Weibchen das fünfte geringere Länge. Der oben stark gerunzelte Brustkasten trägt ein fast quadratisches, vor den Hinterecken und in der Mitte des aufgebogenen Hinterrandes sanft ausgerandetes Schildchen und zwei durchgehende und beiderseits eine nach vorn abgekürzte Längsfurche auf dem Mittelrücken. Der nach hinten bogig endende Vorderbrustring verlängert sich nach vorn in einen kurzen Hals, auf welchem der ebenfalls stark gerunzelte, breite Kopf aufsitzt. Dreizehn Glieder bilden die weiblichen, funfzehn die männlichen Fühler, deren drittes hier an der Außenseite wie angefressen erscheint. Die getrübten Flügel haben kräftige schwarze Adern, gehören der ersten Form an, wegen der Dicke des Geäders verschwindet aber die mittlere Unterrandzelle fast ganz. Die Beine sind sehr kräftig, besonders die hintersten, deren erstes Fußglied mehr als zweidrittel der Schiene an Länge erreicht. Die reichlich 11 Millimeter lange Wespe kleidet sich schwarz, an den vorderen Beinen von den Schienen an und am polirten Hinterleibe braunroth. Sie schmarotzt in den Larven der gemeinen Holzwespe, die wir später noch kennen lernen werden. In einem Jahre, welches in unserer benachbarten Haide die genannte Holzwespe in ungewöhnlichen Mengen erzeugt hatte, wimmelte es im Herbste am Stamme einer Kiefer förmlich von diesen mir damals noch unbekannten Schmarotzergallwespen, namentlich deren Männchen. Seitdem ist sie mir in jenem Walde nie wieder zu Gesichte gekommen, sondern nur vereinzelt auf Waldblumen während des Sommers in der Schweiz und in jüngster Zeit einmal an der Außenwand, ein zweites Mal im Stubenfenster eines neu erbauten Hauses, so daß also der Schmarotzer gleich dem Wirte mit den Bauhölzern in die Gebäude verschleppt wird.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 301-302.
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