4. Sippe: Schienensammler (Podilegiden)

[222] Die Schienensammler (Podilegidae) stimmen bei vielen hier mit Stillschweigen zu übergehenden, zum Theil sehr stattlichen ausländischen Arten in der Bildung ihrer Hinterbeine mit unseren Hummeln überein und tragen im weiblichen Geschlechte ein Körbchen, bei vielen heimischen fehlt dasselbe, die Hinterschiene ist vielmehr sammt der Ferse mit dichten Sammelhaaren besetzt; letztere innenseitig zu der früher besprochenen Bürste geworden. Die Kinnbacken sind gerade, auf der Oberfläche mit unregelmäßigen Punkteindrücken und auf der Innenseite mit nur einem Zahne versehen. Die fast walzige Zunge überragt im Ruhestande eben nur den Kopf, ausgestreckt den ganzen Körper, und ist nach Art der echten Bienen gebildet; ihre Lippentaster sind daher »zweigestaltig«.

Die bürstentragenden Schienensammler bauen, wie die anderen nicht schmarotzenden einsamen Kunstbienen, aus verschiedenen Stoffen Zellen, nur nicht aus Wachs, füllen dieselben mit hinreichendem Futter, einem Gemische von Honigseim und Blütenstaub, legen ihr Ei darauf und verschließen die Zelle. Nachdem in ihr die Made ihre Verwandlung durchgemacht hat, nagt sich, vielleicht zehn, elf Monate später, als die Mutter das Ei legte, die vollkommene Biene daraus hervor und findet keine liebevolle Pflegerin, wie die Hausbienen und Hummeln; sie theilt das Loos der meisten Thiere, sich selbständig mit dem ihnen eingepflanzten Naturtriebe durchs kurze Leben durchzuhelfen. Die Männchen werden zuerst geboren, und wir treffen sie auf den Blumen an, wo sie ihr Dasein fristen und – ein Weibchen suchen. Auch dieses verläßt seine Geburtsstätte, wünscht sich zu ernähren, und die Bekanntschaft ist leicht gemacht. Es wird oft von mehr als einem Anbeter umschwärmt und verfolgt. Die gegenseitige Zuneigung äußert sich bei den verschiedenen Arten verschieden, aber immer büßt das bevorzugte Männchen seine Eroberung mit baldigem Tode. Das befruchtete Weibchen bedarf noch längerer Zeit, um Fürsorge für die Nachkommen zu treffen. Ist die Honigernte ergiebig, der Sommer anhaltend schön, so wird die Arbeit gefördert, und es kann den Grund zu einer reichen Nachkommenschaft legen, wird es dagegen durch anhaltende rauhe Witterung häufig im Baue zurückgehalten, so geht dieser nur langsam von statten, die Zeit kann nicht ausgenutzt werden, und eine geringe Anzahl von Eiern ist gelegt, wenn der Tod die müde Pilgerin für immer zur Ruhe bringt.

Dieser und jener Schmarotzer benutzt die Abwesenheit der eifrigen Mutter und legt sein Kukuksei in die gefüllte Zelle, das eher auskriecht als der rechtmäßige Inhaber, wenn die Schmarotzerlarve sich vom Honige nährt, später, wenn sie der Bienenmade selbst nachstellt. Mancher [222] Aderflügler aus der Familie selbst gehört zu den Verräthern, ein und die andere Goldwespe, Schlupfwespe, Fliegen aus den Gattungen Bombylius und Anthrax und die Immenkäfer mit ihren Verwandten (Trichodes, Silais).

Die Schnauzen- oder Pelzbienen (Anthophora) breiten sich in vielen Arten über ganz Europa und das nördliche Afrika aus, fehlen aber auch in Südamerika und Asien nicht gänzlich. Am Vorderflügel findet man die gleiche Zellenmenge, wie bei den vorhergehenden Gattungen; eine vorn gerundete, mit kleinem Anhange versehene Randzelle, die nicht viel weiter nach hinten reicht, als die letzte der geschlossenen drei, unter sich fast ganz gleich großen Unterrandzellen. Die Fußklauen sind zweitheilig, die Schienendornen an den Hinterbeinen in der Zweizahl vorhanden; die gebrochenen Fühler in beiden Geschlechtern gleich und nur mäßig lang, die Nebenaugen in ein Dreieck gestellt. Die Bienen erinnern nicht nur durch ihren gedrungenen Körperbau, sondern auch durch Dichtigkeit und Farbe der Behaarung an die Hummeln, ein prüfender Blick auf die Hinterbeine läßt indeß wenigstens bei den Weibchen keinen Augenblick einen Zweifel darüber, ob man es mit der einen oder der anderen Gattung zu thun habe. Der Geschlechtsunterschied besteht im Mangel der Bürste beim Männchen, welches dagegen manchmal an den Füßen der Mittelbeine abweichend behaart und in der Regel an den unteren Gesichtstheilen elfenbeinweiß gefärbt ist, während dieser Theil beim Weibchen schwarz bleibt, wie die obere Hälfte. Das sehr kleine zugespitzte Endglied fassen beim Weibchen dicht gedrängte, kurze Borsten ein, so daß die Spitze mehr oder weniger ausgerandet erscheint. Leider sind die Unterschiede der beiden Geschlechter ein und derselben Art so bedeutend, daß, wie schon bei den Hummeln bemerkt wurde, nicht das Ansehen, sondern die Beobachtung in der freien Natur nur die zueinander gehörigen richtig zusammenzustellen lehrt.

Die Schnauzenbienen bauen in der Erde, in Mauerspalten, Baumlöchern, Lehmwänden Röhren, die sie durch Zwischenwände in Zellen theilen, erscheinen schon sehr früh im Jahre und fliegen ungemein schnell mit etwas pfeifendem Gesumme von Blume zu Blume. Man kann im April oder Mai zur wärmsten Zeit des Tages eine Anzahl Männchen hinter einander in gerader Linie auf und ab fliegen sehen an einer Mauer, einem sandigen Abhange, wo viele Nester sind, aus denen die Weibchen eben auskriechen. Fühlt eins derselben nach dem Männchen Verlangen, so stellt es sich in das Flugloch, ein Männchen stürzt auf dasselbe zu, packt es, und beide verschwinden mit einander in der Luft. Meist mag das befruchtete Weibchen seine Geburtsstätte als Brutplatz aussuchen und sich daselbst häuslich einrichten; denn man findet in alten Lehmwänden viele Jahre hinter einander die Nester derselben Arten, wenn sie sonst nicht gestört, oder durch lästige Schmarotzer, die sich dergleichen günstige Plätze gleichfalls merken, mit der Zeit vertrieben werden.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 222-223.
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