Hornisse (Vespa crabro)

[245] Die Hornisse (Vespa crabro) läßt sich durch ihre bedeutende Größe und durch die an der vorderen Körperhälfte vorherrschende rothe Farbe ohne Mühe von den übrigen Arten unterscheiden. Sie kommt in ganz Europa und nördlich bis Lappland vor.

Das überwinterte Weibchen beginnt anfangs Mai den Nestbau an einem Balken, in einem leeren Bienenkorbe alter Bauart, in einem hohlen Baumstamme und an anderen einsamen und von Menschen gemiedenen Oertlichkeiten, und zwar mit einem Stücke Kugelfläche der künftigen Hülle, deren Innenseite an einem kräftigen Säulchen die erste Wabe mit nach unten offenen, sechsseitigen Zellen angefügt wird. Der Baustoff besteht aus der grünen Rinde verschiedener Bäume, besonders junger Eschen, welche bisweilen ringsum abgeschält und hierdurch wesentlich beschädigt werden. Mit Zuthat von Speichel wird er zu einer gleichmäßigen Masse tüchtig zusammengearbeitet und in Form und Größe einer Wicke zwischen Kinnbacken und Vorderbrust eingetragen. Zu Hause angekommen, hält die Hornisse ihr Baumaterial zwischen den vordersten Knien, faßt es mit den Zangen, legt es gegen die Stelle, an welcher weiter gebaut werden soll, und dreht es fortwährend gegen sich, indem sie ein Stückchen nach dem anderen abbeißt, ansetzt, fest drückt und glättet.


Weibchen der Hornisse (Vespa crabro), a in der Rücken-, b in der Seitenansicht, c ein Wabenstück mit gedeckelten und leeren Zellen, d Larve, e Puppe (d und e etwas vergrößert).
Weibchen der Hornisse (Vespa crabro), a in der Rücken-, b in der Seitenansicht, c ein Wabenstück mit gedeckelten und leeren Zellen, d Larve, e Puppe (d und e etwas vergrößert).

Dies alles geschieht aber mit solcher Geschwindigkeit, daß man meinen sollte, sie wickele ein Band von einem Knaule ab und lege es zu dem bereits Vorhandenen. Gleichmäßig mit Vermehrung der Zellen wächst die sie umgebende Hülle durch schraubenartig fortschreitenden Ansatz, welcher zuletzt eine blätterige, von flachen Blasenräumen durchsetzte, ziemlich bröckelige Schale bildet. Ist eine kleine Anzahl von Zellen fertig, so beginnt das Eierlegen. Wie die königliche Honigbiene, so steckt die besorgte Hornissenmutter erst den Kopf in jede Zelle, betastet sie inwendig mit ihren Fühlern, dreht sich um, schiebt den Hinterleib hinein, und wenn sie nach acht bis zehn Minuten wieder hervorgekommen ist, kann man hinten am Boden das Ei kleben sehen. Fünf Tage später kriecht die Larve aus und findet einen Vorrath von Futter. Ich erhielt ein sehr lehrreiches Stück eines Hornissennestes mit vertrockneten Larven in offenen und versponnenen Zellen sowie in letzteren auch entwickelte Junge. Im Grunde der ersteren lag eine schwarze, zu Pulver zerreibliche Masse, zweifelsohne der eingetrocknete Futterbrei, welcher aus klar gekauten Kerfleibern, Bienen usw. besteht, auch mit Honig vermischt wird, wenn solcher zu haben ist. [246] Von oben fällt die Hornisse wie die Wespe über die ausersehene Beute her, wirft sie zu Boden beißt ihr Beine und Flügel ab, setzt sich dann mit ihr auf den Zweig eines benachbarten Baumes, kaut den Theil, welchen sie eintragen will, gründlich durch und trägt ihn nach vollendeter Arbeit zwischen den Freßzangen nach Hause. Hier angelangt, setzt sie sich auf die Wabe, nimmt das Futter, wie den Baustoff zwischen die vordersten Kniee, knetet es nochmals durch, beißt Stückchen los und legt sie den schon größeren Larven auf den Mund, der Reihe nach jeder ein Stückchen, bis sie alles vertheilt hat. Diese Art, die erwachsenen Larven zu füttern, gibt der Pfarrer P.W.F. Müller an, welcher in seinem Bienenstande einst Gelegenheit hatte, ein solches Nest entstehen zu sehen; so lange die Larven noch klein waren, konnte er die Art der Versorgung nicht beobachten; er selbst reichte ihnen auf einem Stäbchen dicken Honig, welchen sie mit derselben Gier verzehrten, wie das von der Mutter gereichte Futter. Wenn die Made am neunten Tage ihres Alters erwachsen ist, füllt sie nicht nur die Zelle ganz aus, sondern ragt sogar ein Stückchen aus ihr hervor, darum hat der Deckel, mit welchem sie selbst ihre Klause zuspinnt, eine vollkommen halbkugelige Gestalt. Daß er aus einem Gespinst und nicht aus der Zellenmasse besteht, habe ich an meinem Neststückchen sehr deutlich wahrgenommen. Jetzt erst, nachdem die Zelle geschlossen ist, darf die Made wagen, hinten von ihr loszulassen, ohne herauszufallen, und muß loslassen, damit sie ein glasartiges Gewebe um sich spinnen kann. Ist dieses auch fertig, so streift sie ihre Haut ab und wird zu einer Puppe. Nach abermals vierzehn Tagen kommt die junge Hornissenarbeiterin herausspaziert, welche mithin alles in allem vier Wochen zu ihrer Ausbildung bedarf. Sobald sie den ersten Schreck über das vollkommen Ungewohnte ihrer Lage überwunden, putzt sie sich Fühler und Beine, kriecht dann zurück in ihre Wiege, um sie vollkommen zu säubern und zur Aufnahme eines zweiten Eies vorzubereiten. Welch Muster von Ordnungssinn und Sauberkeit, nicht angelernt, sondern angeboren. Findet sie schon Schwestern vor, so nimmt sie der ersten besten, welche mit Futter ankommt, ein Stückchen ab, verfüttert es, und nachdem sie zwei Tage in dieser Weise sich häuslichen Geschäften gewidmet hat, fliegt sie mit den Schwestern aus, geht auf die Jagd, bringt Baumaterial und vergißt nicht, auch für ihre eigene Erhaltung Sorge zu tragen. Bald reicht die erste Bruttafel nicht mehr aus, man führt ein Säulchen auf, fängt die zweite in einem Zwischenraume von etwa einer Zellenlänge an, vermehrt nach Bedürfnis die Pfeiler, welche keine bestimmte Stelle einnehmen, aber um so zahlreicher werden, je größer der Wabenboden ist. Je nach der Witterung, ob dem Bauen und dem Jagen auf Futter günstig oder nicht, wächst das Nest schnell oder langsam. Ein mir vorliegendes, in seinem untern Hüllentheile zerbrochenes und noch unvollendetes enthält fünf Waben und mißt in der Höhe 31,4 Centimeter, im Durchmesser des Mantels an der fünften Wabe 47 Centimeter, ein Bau, welcher entschieden aus einem höchst günstigen Hornissenjahre herrühren muß. Ein vollendetes, freihängendes Nest hat nahezu Kugelgestalt, behält unten und seitlich im Mantel eine Oeffnung zum Aus- und Einfliegen und wird an dieser Stelle mit Schildwachen versehen, welche bei Annäherung einer Gefahr sich zurückziehen, um die Einwohner zu benachrichtigen, welche mit Wuth auf den Angreifer stürzen und Gebrauch von ihrer giftigen Waffe machen.

Von der zweiten Hälfte des September an, besonders aber im Anfange des Oktober, werden nun auch Männchen und fruchtbare Weibchen geboren. Ob hier in Bezug auf die Eier die gleichen Verhältnisse stattfinden wie bei der zahmen Honigbiene, ist wohl noch nicht untersucht worden, ebensowenig ermittelt, welche Verhältnisse auf die Entwickelung eines fruchtbaren Weibchens einwirken; anders gerichtete königliche Zellen habe ich in keinem Hornissenneste entdecken können, wohl aber einzelne in den Reihen, welche sich durch bedeutendere Länge und größeren Umfang auszeichnen. Mit dem Herannahen der rauhen Jahreszeit, nachdem sich die Pärchen zusammengefunden haben, wird, wie Reaumur erzählt, die noch vorhandene Brut von den bisher so sorgsamen Pflegerinnen selbst herausgerissen und dem Verderben preis gegeben, indem sich diese in wilde Furien gegen die eigenen Pfleglinge verwandeln. Sollte dieses Verfahren bei Hornissen und Wespen Regel sein, was ich unentschieden lassen möchte, so würde es für einen weiteren scharfen Gegensatz [247] sprechen, welcher im friedlicheren Charakter der Vegetarianer, wie der Hummeln und Honigbienen, und dem wilderen der fleischfressenden Faltenwespen besteht. Bis auf die befruchteten Weibchen, welche in den gewöhnlichen Verstecken Schutz vor dem Winter suchen und finden, gehen die Arbeiter und Männchen nach und nach zu Grunde, und die Herrschaft dieser sonst gefürchteten Thiere ist zu Ende. Daß sie sich bei der nöthigen Vorsicht und richtigen Behandlung auch zähmen lassen, geht aus den interessanten Mittheilungen des oben erwähnten Pfarrers hervor, welcher den Bienenkorb, worin der Bau angelegt war, von seinem Platze wegtragen, ihn beliebig aufdecken durfte, auch seinen Kindern und Freunden den Genuß an dem wunderbaren Treiben dieser Thiere verschaffen konnte, ohne je von den sonst wilden und unbändigen Bestien belästigt zu werden. Der Staat, von dem er erzählt, nahm übrigens ein trauriges Ende: die Mutter-Hornisse, welche fort und fort aus- und einflog, kam eines Tages nicht wieder, der Eifer der Arbeiter ließ merklich nach, und allmählich stand der ganze Bau verwaist da.

Alles übrige Gethier aus der Gattung Vespa, welches unsere heimischen Gefilde den Sommer und Herbst über belebt und sich beim Einheimsen des Erntesegens in den Obstgärten und Weinbergen mehr betheiligt, als dem Besitzer lieb ist, gilt dem ungeübten Auge unterscheidungslos als Wespe. Der schärfer prüfende Systematiker kennt aber mehrere Arten, deren Namen die wirklich vorhandenen an Zahl weit übertreffen und darthun, daß die Ansichten getheilt und Irrthümer nicht ausgeschlossen sind. Da ermüdende Beschreibungen nothwendig sein würden, um die so ähnlichen Arten alle mit Sicherheit festzustellen, mögen hier einige Bemerkungen über Unterschiede in der Lebensweise in den Vordergrund treten.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 245-248.
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