Französische Papierwespe (Polistes gallica)

[244] Eine zweite, über alle Welttheile verbreitete Gattung geselliger Wespen heißt Polistes. Der Hinterleib ist hier im Umrisse lanzettförmig, das erste Glied verengt sich zwar allmählich nach vorn, verlängert sich aber nicht stielartig, und indem der Hinterrücken schräg abfällt, entsteht zwischen ihm und dem Hinterleibe eine bedeutende Kluft. Das Kopfschild ist vorn winkelig vorgezogen, am oberen Rande fast gerade abgestutzt und ein Fühler vom anderen ziemlich entfernt. Die in Länge und Breite nahezu gleichen Kinnbacken sind an der Kaufläche von vier Zähnen bewehrt, deren drei gleiche hinterste gleiche Abstände von einander haben, während der Spitzenzahn, welcher dem Nachbar sehr nahe steht, sich durch Kürze und Stumpfheit vor den anderen auszeichnet. Die männlichen Fühler endlich biegen ihre Spitzen hakenförmig nach außen. Die Nester gehören zu den einfachsten und bestehen aus einer, selten zwei Waben, welche unbedeckt bleiben. Die französische Papierwespe (Polistes gallica) ist nicht nur in Frankreich, sondern auch in Deutschland sehr weit verbreitet; hier wie es scheint in der Abart (Polistes diadema), wo nicht die Fühlerspitzen durchaus gelb, sondern höchstens an der Unterseite rothgelb gefärbt sind. Der ganze Körper ist reichlich, aber veränderlich auf schwarzem Grunde gelb gezeichnet. Vor allem sind sämmtliche Hinderränder der Hinterleibsringe ringsum mit gelben Einfassungen geziert, welche auf dem Rücken nach vorn wie ausgefressen erscheinen, am Bauche der mittleren Auskehlung entbehren.

Im ersten Frühjahre erscheint das befruchtete und überwinterte Weibchen und baut an dem Zweige eines Busches oder unter einem Mauervorsprunge, wie unsere Abbildung (S. 239, Fig. 2) angibt, an einem kurzen Säulchen einige wenige Zellen, welche mit der Zeit eine hüllenlose Rosette bilden. Der Sommer muß sehr günstig sein, wenn die kleine Gesellschaft sich derartig vermehrt, daß eine zweite Bruttafel nöthig wird, welche der ersten durch ein Mittelsäulchen angeheftet ist. Lepeletier beobachtete derartige Nester öfters bei Paris und schätzt die Bürger eines solchen Staates zu der späteren Jahreszeit, in welcher Männchen und Weibchen vorhanden sind, auf sechzig bis einhundertundzwanzig Stück, letztere auf zwanzig bis dreißig. In einzelnen Zellen hat er auch Honigvorräthe angetroffen, welche seiner Ansicht nach für die Erziehung der weiblichen Larven bestimmt sind.

[244] Am 16. August 1873 fand ich in Gmunden das Nest der Abart mit seinen Bewohnern und zahlreichen gedeckelten Zellen unter der Pfoste eines Fensters zu ebener Erde, wo es infolge eines abgebrochenen Steintheiles eine kleine Höhlung ausfüllte. Die Wespen saßen in größter Ruhe auf dem Neste, erhoben sich sämmtlich höher auf den Beinen, als ich mich ihnen näherte, und setzten ihre Flügel in sanft schwingende und schwirrende Bewegung, ließen es aber geschehen, daß ich das schnell abgelöste Nest sammt ihnen in eine untergehaltene Schachtel fallen ließ und diese schloß, ohne daß nur eine weggeflogen wäre. Dieser Umstand und die Lage des Nestes – das Fenster gehörte der Vorderseite des mit einer Bierbrauerei verbundenen Gasthauses an, und eine belebte Fahrstraße führte an demselben entlang – sprechen für die geringe Scheu und den weniger wilden Charakter dieser Wespen. Nachdem dieselben durch Eingießen von Schwefeläther betäubt worden und vom Neste abgefallen waren, wickelte ich dieses in Papier und legte es in eine Pappschachtel neben einigen Reisebedarf, da die Zeit meines dortigen Aufenthaltes bald abgelaufen war. Später sah ich, im Dampfwagen sitzend, an der vor mir hochliegenden Reisetasche einige Polistes umherspazieren. Alle Puppen im Neste waren nach und nach ausgekrochen, und die Wespen hatten das Weite gesucht, auch schwache Spuren ihres Triebes zum Bauen zurückgelassen: denn mehrere Zellen inmitten der Wabe zeigten weiße Ränder, zu welchen das Einpackepapier den Stoff geliefert hatte.

Weit interessanter sind die Beobachtungen, welche von Siebold an derselben Abart angestellt hat. Er hing nämlich an kleine Bretchen die bei München nicht seltenen Nester an der Süd- und Ostseite von Breterwänden oder Gebäuden seiner Umgebung auf, um sie jederzeit untersuchen zu können. Nachdem er nun beobachtet hatte, daß die jungen Gesellschaften gegen den Sommer hin neben der Stammmutter nur Arbeiter, aber noch keine Männchen enthielten, fing er von einigen Nestern die Mutterwespe weg, entfernte aus den Zellen sämmtliche Eier und die sehr jungen Larven, so daß nur die mehr erwachsenen den Arbeitern gelassen wurden. Nachdem jene einige Tage von diesen verpflegt worden waren, fanden sich in den geleerten Zellen neue Eier, welche nach von Siebolds Ansicht nur von den jungfräulichen Arbeitern gelegt sein konnten, da dieselben niemals fremde Wespen auf dem Neste dulden. Aus diesen Eiern entwickelten sich Männchen, wodurch für den Beobachter der vollständige Beweis geliefert war, daß bei Polistes gallica die Männchen durch Parthenogenesis aus unbefruchteten Eiern entstehen, wie bei der Honigbiene dies schon länger bekannt ist.

Die Gattung Vespa begreift heimische Arten von so übereinstimmenden Formen und Farbenzeichnungen, daß es bisweilen schwer wird, sie mit Sicherheit von einander zu unterscheiden, zumal bei manchen die Männchen von ihren Weibchen in letzterer Hinsicht abweichen, und dadurch die Schwierigkeiten in Feststellung einer Art noch erhöhen. Die meisten heimischen sind schwarz und gelb, und in der Vertheilung dieser Farben sehr übereinstimmend. Gewöhnlich haben die Hinterränder der Leibesglieder gelbe Ränder, welche sich in der Mitte nach vorn auskehlen und bei dem Weibchen mit zwei schwarzen Punkten gezeichnet sind; bei den Arbeitern entwickeln sich diese Binden etwas schwächer und nehmen mehr die Gestalt von Zacken an, da die schwarzen Punkte nicht immer ringsum gelb eingefaßt sind. Die Gestalt des Hinterleibes ist bei Vespa spindelförmig, er stutzt sich an der Wurzel senkrecht ab und hängt dem gleichfalls steil abfallenden Hinterrücken an, daher der Zwischenraum zwischen beiden eng und tief. Das Kopfschild randet sich oben und unten flach bogenförmig aus und nähert sich dort den Fühlerwurzeln sehr. Die Kinnbacken sind vorn merklich breiter als hinten und schräg abgestutzt, mit Zähnen an der unteren Hälfte ihrer Kaufläche versehen, die an Größe von vorn nach hinten zunehmen. Die Fühler des Männchens, in der Geisel merklich länger, krümmen sich nicht an deren Spitze nach außen. Die Wespen bewohnen Europa in wenigen Arten, die gemäßigten und kälteren Gegenden Amerikas weit zahlreicher, kommen in China, Java und Ostindien vor; aus Afrika und Neuholland sind mir keine bekannt. Die Waben ihrer Nester werden von einer blätterigen Hülle umgeben.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 244-245.
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