Mittlere Wespe (Vespa media) - Waldwespe (Vespa silvestris)

[248] Die mittlere Wespe (Vespa media), bei uns ebenso gemein, wie die beiden vorangehenden Arten, und in der gelben Färbung des Hinterleibes getrübter, mehr braungelb, weniger rein wie alle übrigen; die Waldwespe (Vespa silvestris Scop. oder V. holsatica F.) und einige andere seltenere und etwas unklare Arten haben zwischen den beiden eben genannten Kopftheilen einen merklichen Zwischenraum und heften ihre Nester in das Laub von Bäumen und Sträuchern, mindestens über der Erde irgendwo fest. Dieselben bestehen aus einer papierähnlichen Masse, welche die Wespen aus der abgeschabten Oberfläche verwitterten Holzes mit Vermischung ihres Speichels herstellen. Jedenfalls hat der Ulmer Papierfabrikant, welcher über seinen Erzeugnissen auf der Wiener Weltausstellung 1873 ein Wespennest aufgehängt hatte, damit andeuten wollen, daß die Fabrikanten die Welt längst schon mit so schlechtem, wie dem heutigen Papiere beglückt haben würden, wenn sie sich früher an den Wespen ein Vorbild genommen hätten. Die Nester werden genau nach demselben Plane erbaut, wie die der Hornisse, und die frei aufgehängten haben vor den unterirdischen oder in hohlen Bäumen angebrachten den Vortheil voraus, daß sie keine Rücksicht auf die beengende Umgebung zu nehmen brauchen und ihre natürliche Form zur Geltung bringen können. Sie haben die Form eines Eies oder einer Citrone, an der Seite des unteren Mantelendes das Flugloch und im Inneren je nach ihrer Größe mehrere Stockwerke von Waben, deren mittelste natürlich die äußersten an Umfang übertreffen.

[248] Die Waldwespe lebt in sehr schwachen Gesellschaften beisammen und baut daher nur kleine Nester. Ich fand ein solches, noch unvollendetes, von jungfräulichem Aussehen, dessen Stammmutter entschieden zu Grunde gegangen sein mußte. Weißgrau von Farbe, hing es in der Größe einer stattlichen Wallnuß unter einem Winkel von ungefähr 45 Grad an einem Weidenzweiglein. An seinem Grunde war es von einer napfförmigen Außenhülle wie von einer Manschette umgeben, entschieden die noch unfertige zweite Umhüllung des Doppelmantels, welchen jedes vollendete Nest dieser Art umgibt. Das Spitzenende der inneren Umhüllung war in einer Rundung von elf Millimeter Durchmesser als Flugloch offen gelassen und gestattete einen Blick in das Innere. Am Grunde der Höhle saß eine Rosette von zwölf sechsseitigen, nach hinten verengten Zellen, deren mittlere länger und vollkommener waren als die seitlichen. Der Mantel von Vespa media und anderen setzt sich aus muschelförmig gewölbten Stückchen zusammen, welche sich ähnlich den Dachziegeln decken und nur an ihren Wurzeln und Seitenrändern zusammenhängen, in der Fläche voneinander klaffen und blasenähnliche Hohlräume bilden. Ich besitze einige Nester der genannten Art, welche die Länge einer unserer Druckseiten ziemlich erreichen und die Breite etwas übertreffen, so daß eine Abbildung in natürlicher Größe hier nicht gegeben werden könnte.

Die Frechheit, zügellose Wildheit der Wespen kennt ein jeder zur Genüge, auch wenn er nicht, wie es mir einst in meiner Kindheit widerfuhr, von einem ganzen Schwarme überfallen und unbarmherzig zerstochen worden ist, weil er harmlos und völlig unkundig des Nestes den Fußpfad wandelte, neben welchem dessen Eingang lag. Vor einigen Jahren machten ein Hirtenhund und seine Gesellschaft eine gleiche Erfahrung. Auf einem Gute weideten Kühe. Die betreffende Stelle war von zahlreichen Maulwurfshügeln durchsetzt. Auf einem dieser sitzt der Hund, ein treuer Wächter seiner Herde. Mit einem Male vollführt derselbe ein entsetzliches Geheul und stürzt sich verzweiflungsvoll in das nahe vorbeifließende Wasser. Der Kuhhirt, zunächst nicht ahnend, was geschehen, eilt seinem treuen Thiere zu Hülfe, lockt es herbei und findet es mit Wespen gespickt. Noch damit beschäftigt, die durch das Wasserbad etwas abgekühlten Bestien von ihm zu entfernen, bemerkt er im Eifer nicht, daß auch er auf einem Vulkane steht. Die gereizten Thiere kriechen an seinen Beinen, innerhalb deren Bekleidung, in die Höhe, und auch er muß schließlich im Wasser einige Linderung für die ihm beigebrachten Stiche suchen. Immer größer wird die Verwirrung. Jene Maulwurfshügel sind von zahlreichen Schwärmen bewohnt, welche man bisher nicht beachtet hatte. Auch die weidenden Kühe waren einigen in den Weg gekommen, und auch sie wurden von den in wilde Aufregung versetzten Wespen angegriffen. Das Brüllen aller und sich in das Wasser stürzen war die Folge, und der Kampf ein allgemeiner. Es kostete große Mühe und die Mitwirkung vieler Kräfte, um allmählich die Ordnung wieder herzustellen. Versuche, jene Nester zu zerstören und die Stelle für das weidende Vieh zugänglich zu machen, blieben erfolglos. Die Wespen waren in jenem Jahre zu zahlreich und blieben Herren der Lage und der Oertlichkeit. Wenn eine mit ihrem lauten und drohenden Tsu! Tsu! Tsu! zum Fenster herein kommt, erregt sie Furcht und Schrecken. Eine Fliege, eine Spinne, ein Stückchen Fleisch oder irgend welche Süßigkeit sucht sie hier und achtet nicht der Verfolgungen, denen sie ausgesetzt ist, da dem rechtmäßigen Bewohner der Besuch nicht galt. Unter demselben Gesumme entfernt sie sich wieder, wenn sie das Gesuchte nicht fand; ein Fleischladen in der Nachbarschaft, die Körbe voll Obst, hinter denen die sonnegebräunte Hökerin mit Argusaugen Wache hält, der zur Schau gestellte Pflaumenkuchen im Bäckerladen: das sind ihre Tummelplätze, wo sie Fliegen, Fleisch und Süßigkeiten zu reicher Auswahl findet, wenn sie die ländlichen Gefilde zur Abwechselung einmal mit dem Leben in der Stadt vertauscht hat. »Die hat den Cognac gerochen«, sagte auf dem Züricher See ein Mitreisender, der eben aus seiner Feldflasche einen Schluck gethan hatte und sich nun einer zudringlichen Wespe kaum erwehren konnte. Ihre Wildheit, ihre Eile, wer sollte sie der Wespe nicht verzeihen, wenn er bedenkt, daß in der kurzen Frist von kaum sechs Monaten eine Zwingburg von solcher Ausdehnung gebaut, ein Staat gegründet und erzogen werden, alles das geschehen soll, was dem darauf folgenden Jahre ein Gleiches sichert?[249] Für diese Dinge will die Zeit ausgekauft sein, werden Thaten, Entschlossenheit gefordert; das aber erscheint dem Bedächtigeren, lange erst Ueberlegenden als – Wildheit, Ueberstürzung!

Wie bei den Hornissen wird die Brut erzogen, und kaum ist die junge Bürgerin der Gemeinde zugeführt, so unterzieht sie sich der Arbeiten ihrer älteren Schwestern. Bauen, Jagen, Morden, Füttern und Erfrischung der eigenen, so angespannten Kräfte füllen die kurze Lebenszeit aus. Im Herbste erscheinen neben den Jungfrauen Männchen und Weibchen, damit das Geschlecht nicht aussterbe; denn die Stammmutter hat sich nun abgenutzt. Wenn durch Paarung der Grund künftiger Geschlechter gelegt ist, währenddem im Staate alles seinen gewohnten Gang weiter ging, und schlimmere Zeiten endlich eine allmähliche Erschlaffung eintreten lassen, blitzt die alte Thatkraft noch einmal auf, in einem Werke, welches die gewohnte Grausamkeit gegen andere dem eigenen Geschlechte zuwendet. Die Larven und Puppen, welche noch im Neste sind, bisher so sorgsam gepflegt, werden nun unbarmherzig herausgerissen und dem Verderben preis gegeben. Eine allgemeine Aufgeregtheit löst die Bande der Ordnung. Bis auf die befruchteten Weibchen, welche sichere Verstecke aufsuchen, stirbt eine nach der anderen hin, und immer zahlreichere Leichen decken die Gefilde, frei auf kahler Erde liegend, oder im Grünen begraben, wenn die Kräfte noch ausreichten, um sich selbst eine solche Grabstätte zu erschleichen. So knicken endlich die ersten Nachtfröste die vormals so unbändige, keinen Widerstand anerkennende Kraft der – Wespen; öde und leer stehen die Stätten, welche noch Zeugnis ablegen von ihren friedlichen Thaten.

Den Alten waren Hornissen und Wespen ihrem wilden Charakter nach bekannt, und denselben Sinn wie unser heutiges Sprichwort, »in ein Wespennest stören«, hatte entschieden auch der bei Plautus vorkommende Ausdruck »crabrones irritare«. Hinsichtlich der Lebensweise begegnen wir noch manchen unklaren Vorstellungen. Der Wahrheit am nächsten kommend und zugleich am vollständigsten sind die Mittheilungen, welche wir bei Aristoteles (9, 28) lesen: »Es gibt zwei Arten von Wespen (sphex). Die eine Art umfaßt die selteneren wilden; diese leben im Gebirge, bauen ihre Nester nicht in die Erde, sondern in Eichen, sind größer, gestreckter, dunkelfarbiger und muthiger als die anderen, übrigens alle bunt und jede mit einem Stachel bewaffnet. Ihr Stachel ist auch verhältnismäßig länger und ihr Stich schmerzhafter. Sie leben auch den Winter über in hohlen Eichen, aus denen man sie selbst in dieser Jahreszeit fliegen sieht, wenn man daran pocht. Es gibt bei ihnen, wie bei den zahmeren, Mutterwespen und Arbeitswespen. – Auch bei den zahmen Wespen kommen zwei Sorten vor: Königinnen (hegemon), die man Mutterwespen (metra) nennt, und Arbeitswespen (ergates). Die ersteren sind weit größer und sanfter; die letzteren werden kein Jahr alt, sondern sterben alle, sobald der Winter eintritt, was man daraus schließen kann, daß sie, sobald die Kälte beginnt, ganz dumm werden und um die Zeit der Sonnenwende gar nicht mehr zu sehen sind. Die Mutterwespen dagegen überwintern in der Erde und werden oft beim Graben und Pflügen gefunden, nie aber Arbeitswespen. Die Fortpflanzung der Wespen geschieht auf folgende Weise: Sobald die Mutterwespen bei dem Herannahen des Sommers einen Platz mit guter Aussicht gewählt haben, bilden sie sogleich ein Wespennest (sphecon), das aber nur klein ist und etwa vier Zellen hat. In diesen entstehen nun Arbeitswespen, welche bald heranwachsen und größere Scheiben bauen, worin wieder Junge gezogen und dann wieder neue Scheiben angelegt werden, so daß gegen Ende des Herbstes die Wespennester am größten sind. Allein nun erzeugt die Mutterwespe keine Arbeitswespen mehr, sondern nur Mutterwespen. Diese bilden sich oben im Wespenneste als größere Maden in vier oder etwas mehr aneinander hängenden Zellen, fast wie die Könige in den Bienenstöcken. Sobald erst Arbeitswespen im Baue sind, so arbeiten die Mutterwespen gar nicht mehr auswärts, sondern lassen sich von den ersteren das Futter zutragen: dies sieht man daran, daß jetzt die Mutterwespen gar nicht herumfliegen, sondern ruhig zu Hause bleiben. Ob die vorjährigen Mutterwespen, wenn neue ihresgleichen ausgekrochen sind, von den jungen Wespen getödtet werden, oder ob sie noch länger leben können, ist noch nicht beobachtet. Die Mutterwespe ist übrigens breit, schwer, dicker und größer als eine Arbeitswespe und wegen[250] ihrer Schwere im Fluge unbeholfener, kann daher nicht weit fliegen und bleibt immer im Neste, in dessen Inneren sie bildet und baut. Eine solche Mutter findet man in den meisten Wespennestern; allein man ist noch nicht darüber einig, ob sie Stacheln haben oder nicht. Indessen scheint es, als hätten sie, wie der Bienenkönig, zwar Stacheln, ohne sie jedoch hervorzustrecken und zu stechen. Unter den Arbeitswespen gibt es stachellose, gleich den Bienendrohnen, andere aber haben einen Stachel. Die Stachellosen sind kleiner und feiger, die Bestachelten aber größer und muthig. Diese nennen manche Leute Männchen, die Stachellosen dagegen Weibchen. Viele Wespen, die eigentlich einen Stachel haben, scheinen ihn gegen den Winter hin zu verlieren; doch kennt man noch niemand, der dies als Augenzeuge bestätigen kann. Die Wespen erzeugen sich namentlich in trockenen Jahren und in steinigen Gegenden. Ihre Scheiben bauen sie aus einem Gemisch von allerlei Dingen und aus Erde«. – An einer anderen Stelle (5, 20) heißt es: »aus rinden- und spinnwebenartigem Stoffe« – »und jede geht von einem Anfangspunkte wie von einer Wurzel aus. Ihre Nahrung nehmen die Wespen von einigen Blumen und Früchten, meist aber leben sie von Thieren. Die Wespenbrut scheint nicht durch Geburt zu entstehen; denn sie ist gleich bedeutend groß«. – An einer anderen Stelle spricht Aristoteles von Eiern, Maden, Puppen, aus denen die vollkommenen Wespen entstehen. – »Nimmt man eine Wespe bei den Füßen, und läßt sie mit den Flügeln summen, so fliegen die Stachellosen, nicht aber die anderen herbei, woraus manche Leute den Schluß ziehen, daß jene Männchen, diese aber Weibchen seien. Des Winters fängt man zuweilen in Höhlen Wespen mit und andere ohne Stachel. Manche Wespen machen kleine Nester mit wenigen Zellen, andere große mit vielen. Von den Mutterwespen findet man viele zur Zeit der Sonnenwende an Ulmen, wo sie kleberige und harzige Stoffe sammeln. Einst zeigte sich eine große Menge von Mutterwespen, nachdem es das Jahr vorher viele Wespen und viel Regen gegeben hatte. Die Wespen jagen an steilen Abhängen und Erdspalten und alle diese scheinen Stacheln zu haben.«

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 248-251.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Die Nächste und andere Erzählungen 1899-1900

Die Nächste und andere Erzählungen 1899-1900

Sechs Erzählungen von Arthur Schnitzler - Die Nächste - Um eine Stunde - Leutnant Gustl - Der blinde Geronimo und sein Bruder - Andreas Thameyers letzter Brief - Wohltaten Still und Rein gegeben

84 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon