Indische Walzenspinne (Solpuga vorax)

[632] Die Walzenspinne bewohnt Erdrisse in thonigem Boden, schilfreiche Gegenden, wie bereits erwähnt wurde, oder sitzt unter Steinen und hält sich bei Tage verborgen, es sei denn, daß sie sich in einem dunklen Keller einquartierte, geht dagegen in der Nacht auf Raub aus, während welcher sie in den großen Skolopendern und einem schwarzen Raubkäfer ihr ebenbürtigen Feinden begegnet. Die fußartigen Kiefer befinden sich in stets tastender Bewegung. Berühren sie einen Gegenstand, so soll ein phosphorescirender Lichtschein von ihnen ausgehen. Wie der Elefant seinen Rüssel [632] hoch emporhebt, wenn er mit ihm einen Gegenstand berührte, dessen er nicht sicher ist: so wirft die Walzenspinne ihre Taster in die Höhe; hat sie aber eine Beute ermittelt, so stürzt sie mit einem Sprunge auf dieselbe los und bohrt ihre Scheren in dieselbe ein. Man hat verschiedene Versuche angestellt, welche die Wildheit der Walzenspinnen beweisen. Eine war im Körper 52 Millimeter lang und griff jedes ihr vorgeworfene Insekt an; einer ohne den Schwanz 78 Millimeter messenden Eidechse sprang sie auf den Rücken, hieb ihre Zangen in den Nacken ein und fraß, nur die wenigen Knochen zurücklassend, den Leib auf. Eine noch blinde, sehr junge Moschusratte wurde von ihr getödtet und in kurzer Zeit vollständig vertilgt. Weiter ließ man sie gegen eine einhundertundfünf bis einhundertundeinunddreißig Millimeter spannende Fledermaus los, und obgleich sich diese sehr lebhaft bewegte, so sprang die Solpuga auf sie und biß sich so fest in den Hals ein, daß sie trotz allen Flatterns der Fledermaus nicht abgeschüttelt werden konnte. Einen einhundertundfünf Millimeter langen Skorpion faßte sie an der Wurzel des Schwanzes, biß diesen ab und verzehrte beide Theile, doch war dieser Sieg nur ein zufälliger; denn einen zweiten Skorpion, mit dem man sie später zusammenbrachte, griff sie von vorn an, wurde aber von dessen Scheren erfaßt, mit dem Giftstachel verwundet, und nun war es um sie geschehen: sie zuckte ein paar Mal krampfhaft zusammen und war ein Kind des Todes. Auch Kapitän Hutton theilt über eine indische Art, für die er den Namen Galeodes vorax vorschlägt, möglichenfalls dieselbe, welche Herbst G. fatalis nennt, interessante Beobachtungen mit, die hinsichtlich der Kühnheit und Gefräßigkeit das eben Mitgetheilte nur bestätigen. Die gewöhnliche Nahrung besteht aus Insekten aller Art, welche nicht nur ausgesogen, sondern vollständig zerkaut werden. Auch einander verschonen die Walzenspinnen nicht, kämpfen auf Leben und Tod, wobei der Sieger die Besiegte auffrißt. Dagegen hütet nach Spinnengewohnheit die Mutter ihre Jungen mit der größten Sorgfalt. Hutton hielt ein Weibchen gefangen, welches sich sofort einen Gang in die Erde grub und über funfzig weiße Eier legte, die es regungslos bewachte. Nach vierzehn Tagen kamen die Jungen daraus hervor, welche drei Wochen hindurch bis zur ersten Häutung ohne Bewegung blieben, dann umherliefen, zusehends wuchsen, ohne daß bemerkt werden konnte, wovon sie sich ernährten.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 632-633.
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