Gemeine Wasserspinne (Argyroneta aquatica)

[664] Kein einziges Glied der ganzen Sippe bietet durch seine Lebensweise so viele interessante Eigenthümlichkeiten, wie die gemeine Wasserspinne (Argyroneta aquatica), ein in seiner äußeren Erscheinung nichts weniger als ausgezeichnetes Thier. Weil bei ihr noch eine mehrzähnige Borklaue an den Füßen vorhanden und der hochgewölbte Vordertheil, der schon vorher in ungenauer Ausdrucksweise als Kopf bezeichnet wurde, von dem übrigen Rücken durch eine Querfurche getrennt ist, hat man sie auch wohl mit den Trichterspinnen vereinigt; in Ansehung der übrigen Merkmale paßt sie aber besser hierher.


Gemeine Wasserspinne (Argyroneta aquatica), etwas vergrößert, und ein unten offenes Nest derselben. Oben die Augenstellung, von hinten her gesehen.
Gemeine Wasserspinne (Argyroneta aquatica), etwas vergrößert, und ein unten offenes Nest derselben. Oben die Augenstellung, von hinten her gesehen.

Gegen die bei den meisten übrigen Spinnen geltende Regel übertrifft das kräftigere, 15 Millimeter messende Männchen das reichlich 12 Millimeter lange Weibchen. Von den acht unter sich gleichgroßen Augen stehen die vier vorderen in einem flachen, nach vorn gerichteten, die übrigen in einem nach hinten gewölbten Bogen, welche sich beide, außer in der Richtung, noch dadurch unterscheiden, daß im vorderen die einzelnen Augen nur etwa um die halbe Länge ihres Durchmessers, im hinteren dagegen reichlich um den ganzen Durchmesser von einander abstehen, während die Mittelaugen auf einer polsterartigen Erhöhung, die Seitenaugen auf einem schiefen Hügelchen ruhen. Die beiden, dem kleinen Kolben voraufgehenden walzigen Glieder der männlichen Taster erreichen mehr als doppelte Länge im Vergleiche zu ihrer Breite. Bei beiden Geschlechtern zieht der fast nackte, roströthliche Vorderleib an den Seiten und hinten in Braun, um die Stirn in Schwarzbraun und ist vorn durch drei schwarze Längslinien, auf dem Rücken durch gleichfarbige Strahlen gezeichnet. Den olivenbraunen Hinterleib überzieht ein zarter Reif weißgrauer Sammethaare, auf dem zwei Reihen eingedrückter Punkte in die Augen fallen. Dergleichen finden sich nicht selten auch bei anderen Spinnen und markiren die Anheftungsstellen für eben so viele mitten durch den Leib bis nach dem Bauche gehende Muskelfäden. Die Beine endlich sind mit Ausschluß der lichteren Schenkel und Hüften olivenbraun.

Die eben beschriebene Spinne lebt fast beständig im Wasser und athmet durch Lungensäcke und Luftröhren zugleich, durch diese im Vorderleibe, wie es scheint, durch jene in der hinteren Körperhälfte. Die Luftröhren entspringen aus kurzen, hinter den Lungen gelegenen Stämmen pinselförmig und verzweigen sich nicht weiter. Im äußeren Ansehen leicht mit anderen Spinnenarten (Clubiona atrox, Drassus brunneus, sericeus und anderen) zu verwechseln, unterscheidet sich die Wasserspinne durch ihre Lebensweise doch wesentlich von diesen allen. Sie wählt stehende oder nur sanft [664] dahinfließende Gewässer, welche reich an Milben und kleinen Insekten, an Meerlinsen und verschiedenen anderen Wasserpflanzen sind, zu ihrem Aufenthaltsorte, schwimmt hier umher, baut hier ihr Nest und begattet sich auch daselbst. Sie kann indeß auf kürzere Zeit außerhalb ihres Elementes leben; denn Geoffroy sah, wie eine und die andere bei Verfolgung des Raubes herauskam, den ergriffenen aber mit sich hinabnahm, und Walkenaer beobachtete bei einer Gelegenheit eine Häutung über dem Wasser. Die schwimmende Spinne bietet einen überraschenden Anblick, indem eine dünne Lustschicht ihren Hinterleib umgibt, welche wie eine Quecksilberblase (daher die »Silberumflossene«) erglänzt und die Gegenwart der ihrer Kleinheit wegen sonst zu übersehenden jungen Thierchen verräth. Diese Luftschicht wird nicht bloß von dem Sammetüberzuge, welcher das Naßwerden der Haut verhindert, festgehalten, sondern überdies noch durch eine Art von Firnis vom umgebenden Wasser getrennt. Bemerkt man Wasserspinnen ohne dieses silberne Luftkleid, so kann man darauf rechnen, daß sie krank sind.

Wenn unsere kleine Taucherin ein Nest bauen will, so kommt sie an die Oberfläche des Wassers und reckt, auf dem Kopfe stehend, oder den Bauch nach oben gerichtet, die Spitze ihres Hinterleibes aus jenem hervor und in die Luft, breitet die Spinnwarzen auseinander und huscht schnell wieder in das Wasser. Auf diese Weise nimmt sie unabhängig von dem Silberkleide des Hinterleibes eine kleinere oder größere, der Leibesspitze anhängende Luftblase mit sich hinab. Mit ihr schwimmt sie an den Pflanzenstengel, welchen sie sich vorher als passendes Plätzchen für ihre Wohnung auserkoren hatte, und heftet dort die Blase an. Dies kann natürlich nur mittels des Spinnstoffes geschehen, welcher aus den Warzen als eine Art von Firnis hervordringt, mit den Hinterfüßen geordnet wird und die Luft der Blase vom Wasser abschließt, weil diese sonst ohne Weiteres wieder nach oben perlen würde. Hierauf wiederholt sie ihr erstes Verfahren, holt sich eine zweite Luftblase, welche unten am Stengel durch die zweckmäßige Vergrößerung des sie haltenden Fadennetzes mit der ersten vereinigt wird, und fährt fort, bis allmählich die kleine Taucherglocke mit ihrer Oeffnung nach unten etwa in der Größe einer Wallnuß fertig ist. Verschiedene Fäden müssen natürlich während des Wachsthumes derselben ihr den nöthigen Halt geben und andere, um den Eingang nach allen Richtungen ausgezogene, dienen als Fallstricke für die heranschwimmende Beute. Wollten die Spinnen nur auf diese warten, so müßten sie wohl manchmal hungern, daher schwimmen sie auch danach aus und halten sich weniger an eine bestimmte Gewohnheit, als ihre in der Lust Netze auswerfenden Brüder. Haben sie ein Schlachtopfer erfaßt, so kriechen sie damit am ersten besten Stengel in die Höhe und verspeisen es in der Luft, oder thun ein gleiches in ihrer Taucherglocke, auch hängen sie es hier als Vorrath an einem Faden auf, wenn der Hunger vorläufig gestillt ist. In der Gefangenschaft befestigen die Spinnen ihre Glocke auch an die Wände des Gefäßes, ja de Troisvilles beobachtete mehrmals, daß, wenn man ihnen keine Pflanzen mit in ihr Gefängnis gab, sie kreuzweise Fäden durch das Wasser zogen und mitten daran ihr Nest befestigten. Dasselbe sieht unter allen Umständen aber nicht wie ein Gewebe, sondern wie eine weiße, dichte und überfirnißte Masse aus.

Zur Zeit der Paarung, welche im Frühjahre und September erfolgt, erscheint das Luftkleid weniger regelmäßig, entweder bleibt ein rautenförmiger Rückenfleck frei davon, oder an einzelnen Stellen, wie an Brust, Bauch und Hinterleibsspitze, häuft sich die Luft mehr an. Das Männchen baut dann in der Nähe des Weibchens ebenfalls eine Glocke von etwas geringerer Größe und verbindet dieselbe durch einen verdeckten Gang mit der des Weibchens. Lignac beobachtete, aber nur im Frühlinge, bisweilen drei mit einander verbundene Nester, die sich ebenso schnell wieder trennen können, wie sie sich vereinigten, wenn die Spinnen in Streit gerathen; denn in dieser Zeit sind sie sehr erregt, und es entwickeln sich Kämpfe um das Eindringen in das eine oder andere Nest. Hat sich aber erst ein Pärchen geeinigt, so hält es sich auch in Frieden und Freundschaft zusammen. Das Weibchen legt seine Eier in eine Luftblase, welche es dann weiter umspinnt, und heftet dieses etwas abgeplattet kugelige Nestchen an eine Wasserpflanze, dasselbe nicht aus den [665] Augen lassend, oder hängt es in seiner Glocke auf. Letzteres beobachtete de Troisvilles am 15. April; am 3. Juni schlüpften die jungen Spinnen aus, welche emporstiegen, um Luft zu schöpfen. Mehrere bereiteten sich kleine Glocken an einer Pflanze, welche sie in ihrem Behälter vorfanden, gingen aber nichtsdestoweniger in ihrer Geburtsstätte aus und ein. Einige von ihnen fielen über die Leiche einer Libellenlarve her und zausten daran, wie Hunde an einem Stücke Fleisch. Am fünften Tag wechselten sie ihre Haut, und die Bälge schwammen in Menge auf dem Wasser umher.

Aber auch zum Winteraufenthalte dienen die Glocken. Degeer fing im September eine männliche Spinne ein und erhielt sie vier Monate lang in einem mit Wasser gefüllten Gefäße. Sie baute sich eine sehr dünne Glocke von der Größe eines halben Taubeneies, welche sie durch unregelmäßige Fäden an die Wand des Gefäßes befestigte. Mitten in dieser lufterfüllten Taucherglocke saß die Spinne, den Kopf nach oben gerichtet und die Beine an den Körper angezogen. Am 15. December fand sich die untere Oeffnung verschlossen und die Spinne unbeweglich in ihrer Luftblase. Durch Drücken zerriß dieselbe und die Luft perlte daraus hervor. Hierauf verließ die Spinne ihre zerstörte Wohnung. Degeer reichte ihr eine Wasserassel, die sie sogleich ergriff und aussog. Nachdem sie drei Monate gefastet hatte, zeigte sie sich noch lebenslustig und vorzugsweise zum Schmausen bereit. Im Freien überwintert die Wasserspinne sehr gern in einem leeren Schneckenhause, dessen Mündung sie durch ein künstliches Gewebe verschließt. Unsere Art scheint mehr dem mittleren und nördlichen Europa anzugehören und ist schon im nördlichen Frankreich selten; im Süden kommt sie nicht vor.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 664-666.
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