Fruchtliebende Erdassel (Geophilus carpophilus)

[624] Die reichliche Schleimabsonderung nöthigte die Kranke zu fortwährendem Schnäuzen, wobei Blut und unangenehmer Geruch zum Vorscheine kamen. Thränen der Augen, Uebelkeit und Erbrechen waren nicht selten im Gefolge jener Anfälle. Einigemal waren die Schmerzen so heftig, daß die Kranke meinte, es würde ihr mit einem Hammer auf den Kopf geschlagen, oder das Gehirn durchbohrt; dann waren die Gesichtszüge entstellt, die Kinnladen zusammengezogen, die Adern der Schläfengegend in der heftigsten Bewegung und die Sinne des Gehörs und Gesichts so reizbar, daß das geringste Geräusch und das Licht unerträglich wurden. Ein andermal verfiel die Unglückliche in ein wahres Delirium, preßte den Kopf in die Hände, stürzte aus dem Hause und wußte nicht, wo sie Hülfe suchen sollte. Diese Anfälle wiederholten sich fünf-oder sechsmal, bei Tage oder in der Nacht, einer derselben hielt sogar mit geringen Unterbrechungen volle vierzehn Tage an. Methodisch ärztliche Behandlung war nicht angewendet worden. Endlich, nach einem Jahre der Leiden, hörten diese außergewöhnlichen Krankheitserscheinungen plötzlich auf durch Ausniesen eines Insektes, welches, auf den Boden gefallen, sich uhrfederartig mit großer Beweglichkeit aufrollte, in wenig Wasser gethan mehrere Tage fortlebte und erst starb, als man es in Weingeist setzte. Es war 5,8 Centimeter lang, gelb von Farbe und aus vierundsechzig fußtragenden Leibesringen zusammengesetzt. Sachverständige gaben es für Geophilus electricus aus, und eine beigefügte Abbildung läßt unentschieden, ob es diese nicht ganz klare Art, oder der sehr ähnliche Geophilus carpophilus, die fruchtliebende Erdassel, gewesen sei. Beide aber unterscheiden sich von der vorher beschriebenen langfühlerigen Erdassel durch schnurförmige Fühler, welche den Kopf um das Zwei- oder Dreifache an Länge übertreffen, und durch zahlreichere Körperringe. Koch gibt von seinem G. electricus vierundsiebzig Glieder an, Leach von dem G. carpophilus, welcher gern süße Früchte anfrißt, daß er elektrisches Licht verbreite.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 624-625.
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