Mauereidechse (Lacerta muralis)

[171] Den Ländern des Mittelmeerbeckens verdanken wir wahrscheinlich auch die ebenso zierliche als behende Mauereidechse (Lacerta muralis, Seps, Zootoca und Podarcis muralis, Lacerta vulgaris, velox, bifasciata, caliscertula, tiliguerta, olivacea, sericea, puccina, faraglionensis, filfolensis, archipelagica und Lilfordi). Sie erreicht eine Länge von achtzehn bis zwanzig Centimeter und zeichnet sich vor ihren deutschen Verwandten durch die Schlankheit ihres Leibes, den langen, schmalschnauzigen Kopf und den mehr als die Hälfte der Gesammtlänge beanspruchenden, sehr spitzigen Schwanz in so merklicher Weise aus, daß sie kaum mit einer von jenen verwechselt werden kann. Die drei Zügelschilder liegen in einer Reihe; aus der Mitte der Schläfenschuppen hebt sich ein größerer Schild ab; die Schuppen des Rückens und der Seiten sind klein und rundlich, weshalb der Rücken wie gekörnelt erscheint; die fast viereckigen Bauchschilder bilden sechs Längsreihen; das Halsband ist ungezähnelt. Gaumenzähne fehlen in der Regel; im Zwischenkiefer stehen sechs bis sieben, im Oberkiefer jederseits siebzehn bis achtzehn, im Unterkiefer zwanzig bis dreiundzwanzig Zähne. Ueber die Färbung läßt sich kaum etwas allgemein gültiges sagen. Nach Leydig ist die Grundfarbe des Rückens braun oder grau, bei guter Beleuchtung, namentlich im Sonnenlichte, mit entschieden bronzegrünem Schiller; davon hebt sich ein dunklerer, schon am Kopfe beginnender Seitenstreifen und die fleckige oder wolkige Zeichnung ab; an der Uebergangsstelle von der Seite zum Bauche tritt eine Längsreihe blauer Flecken hervor; der Bauch ist heller oder dunkler, von Milchweiß durch Gelb bis zu Kupferroth gefärbt, meist einfarbig, oft gewölkt oder gefleckt.

Unter den zahllosen Abarten, deren umfassende Beschreibung unnöthig, weil bedeutungslos ist, verdient die zuerst von Erhard auf den Kykladen, später von Eimer und Bodriaga auf den Faraglioneblöcken bei Capri aufgefundene, aber auch auf der kleineren Insel Filfola bei Malta und dem Felseneilande Ayre bei Minorca vorkommende, prachtvoll azurblaue, fast oder gänzlich fleckenlose hervorgehoben zu werden.

[171] In allen Ländern rings um das Mittelmeer ist die Mauereidechse wenn nicht häufiger als jede andere Art ihrer Familie, so doch ungemein zahlreich und überall verbreitet. Man kennt sie aus ganz Nordafrika, Südeuropa und Nordwestasien. Auf vielen kleineren Inseln des Mittelmeeres ist sie die einzige hier vorkommende Art. Vom Süden Europas aus scheint sie allgemach nach der Mitte unseres Erdtheils, und somit auch nach Deutschland, gewandert zu sein und sich festgesetzt zu haben. Doch ist sie hier noch keineswegs so allgemein verbreitet wie in Frankreich und Belgien, sondern findet sich, soviel bis jetzt festgestellt werden konnte, bloß im Gebiete des Rheins, insbesondere in Baden, im Elsaß, in der Pfalz, in Würtemberg, Hessen und im Rheingau, nach Norden hin bis zur Lahn, sowie andererseits im Donauthale, tritt aber auch innerhalb der Grenzen des von ihr besiedelten Gebietes nicht überall auf und läßt sich, wie fehlgeschlagene Versuche darzuthun scheinen, da, wo sie fehlt, nicht ohne weiteres einbürgern. Im Gebirge steigt sie, laut Gredler und Leydig, bis zu mehr als funfzehnhundert Meter unbedingter Höhe empor.

In überraschender, geradezu unvergleichlicher Menge lebt die Mauereidechse im südlichen Europa. Hier begegnet man ihr buchstäblich überall, auf den ödesten Felseninseln, welche nur selten von Menschen betreten werden, wie inmitten großer und volkreicher Städte, am Meeresgestade wie im Inneren des Landes, in der Tiefe wie in mäßiger Höhe. »Selbst auf Lavablöcken«, sagt Leydig, »welche noch nicht so weit zersetzt sind, um ein rechtes Pflanzen- und Thierleben gedeihen zu lassen, hat die Mauereidechse schon Platz genommen. Besucher des Vesuvs, welche auch für solche Dinge ein Auge haben, berichten ausdrücklich, daß nahe dem Krater noch einige Kerbthiere schwirren und Eidechsen über Lava und Schwefel hinwegschlüpfen.« In ergötzlicher Weise äußert sich Keyßler, ein Reisender des vorigen Jahrhunderts, dessen Worte Leydig ebenfalls anzieht. »Eine andere Ungelegenheit, welche dieses Land Neapolis mit anderen italienischen Gegenden gemein hat, verursacht die Menge der Eydexen, deren eine grüne Art in großer Menge allenthalben anzutreffen ist. Im Frühlinge findet man dieselben hundertweis auf den platten Dächern liegen, um sich daselbst in der Sonne zu wärmen. Sie kriechen die Mauern auf und ab, daher kein Zimmer, dessen Thüren oder Fenster offen stehen, vor ihnen sicher ist. Es ist mir selbst widerfahren, daß, als ich in dem dritten Stockwerke eines steinernen Hauses einstmals meine durch Regen naß gewordenen Handschuhe an das Fenster und in die Sonne gelegt hatte, wenige Minuten hernach ein solcher Gast schon in einen derselben gekrochen war, welchen ich nicht eher bemerkte, als bis ich die Hand in den Handschuh gesteckt hatte.« Im Rhein- und Moselthale fand Noll die Mauereidechse niemals auf oder an den Höhen, sondern auf der Sohle des Thales, in den Löchern der nicht mit Mörtel geschichteten Weinbergs- und Ufermauern, und zwar immer nur an solchen Stellen, welche der Mittagssonne ausgesetzt sind. Die Behauptung der Alten, daß Eidechsen die Nachbarschaft des Menschen lieben, muß derjenige, welcher sie kennen gelernt hat, für begründet erklären; denn darin stimmen auch alle neueren Beobachter überein, daß sie in der Nähe der Ortschaften und Behausungen an Anzahl zunehmen.

Anziehend schildert Gredler ihr Auftreten im südlichen Tirol. Kein Thier dürfte sich dem Auge des Nordländers, welcher im Sommer oder Herbste den Brenner übersteigt, eher und auffälliger darbieten, als die Mauereidechse, welche scharenweise alle sonnigen Stellen, Pfosten und Bäume, altes Gemäuer, Zäune, Schlagbäume, Hausmauern, ja selbst Kirchthürme bis zur Spitze hinauf belagert. Der Einheimische jedes Standes ist an die »unvermeidlichen flinken Thierchen, welche Fliegen gleich hier kreuz und quer über Gemüse huschen, dort über Früchten, welche zur Dörre ausgelegt, leidenschaftlich sich balgen und allenthalben ihr prüfendes Spitzschnäuzchen dareinha ben«, mit anerkennenswerther Gleichmüthigkeit gewöhnt. Solche Gutmüthigkeit seitens der Menschen erweckte gegenseitiges Vertrauen, so daß selbst im Freien lebende Eidechsen dargebotenes Gewürm, zappelnde Fliegen und dergleichen von der Hand nehmen: Gredler hatte eine Mauereidechse so an sich gewöhnt, daß sie, nachdem sie einige Male abgefüttert worden war, zur Mittagszeit regelmäßig auf einem Gartenpfahle sich einstellte und das Köpfchen so lange nach [172] ihm drehte, bis sie »ihren Theil abbekommen hatte«. Ganz anders benehmen sich die klugen Geschöpfe da, wo sie Verfolgungen zu erleiden haben, so, laut Eimer, auf Capri, wogegen sie auf den nur selten von Menschen betretenen Faraglioneblöcken ganz in ähnlicher Weise furchtlos sind wie in Tirol.

In ihren Bewegungen, ihrem Thun und Treiben, Wesen und Gebaren ähnelt die Mauereidechse wohl am meisten ihrer smaragdfarbigen Verwandten. Durch ihre Schnelligkeit, Behendigkeit, Gewandtheit übertrifft sie die Zaun- wie die Waldeidechse bei weitem. Jede ihrer Bewegungen geschieht in jäher Weise, ohne jedoch der Anmuth zu entbehren. Blitzschnell rennt sie in gerader Richtung über weite Strecken, und kaum noch nimmt man dann die schlängelnden Biegungen wahr, welche ihr Leib auch hierbei beschreibt; ihre hervorragendste Fertigkeit entwickelt sie aber doch beim Beklettern senkrechter Wände. Hier genügt die geringste Unebenheit, um ihren langen, schlanken, weit ausgreifenden Zehen Halt zu gewähren, und so ist sie im Stande, mit einem Geko zu wetteifern. Mit dieser Gewandtheit steht die Regsamkeit ihres Wesens im Einklange. Sie ist, infolge ihrer Häufigkeit und des dadurch theilweise bedingten geselligen Vorkommens, vielleicht auch mit aus Futterneid, die zanksüchtigste und streitlustigste unter unseren deutschen Arten und hat fast ununterbrochen Handel mit anderen ihres Geschlechtes, ändert ihr Wesen auch im Käfige nicht. Von ihrem für Kriechthiere auffallenden Verstande, der richtigen Beurtheilung des Menschen und obwaltender Verhältnisse überhaupt, gibt sie bei jeder Gelegenheit Beweise: berechtigtes Vertrauen wie gerechtfertigtes Mißtrauen witzigen sie eher und mehr als jede andere Art, weil keine so innig wie sie mit dem Menschen verkehrt. Gleichwohl läßt auch sie sich in fast unbegreiflicher Weise bethören. Eimer erfuhr, nachdem er sich auf Capri lange bemüht, die hier zwar ebenfalls ungemein häufigen, aber auch überaus menschenscheuen und vorsichtigen Mauereidechsen zu fangen, daß die dortigen Knaben ein fast unfehlbares Mittel anwenden, um sich der flinken und gewandten Thiere in beliebiger Menge zu bemächtigen. Die Knaben nehmen einen langen Grashalm und bilden aus dem dünnen Ende desselben eine Schlinge, spucken auf diese und stellen so ein dünnes Häutchen von Speichel her, welches sich im Rahmen jener ausspannt. Sobald sie eine Eidechse sehen, legen oder hocken sie sich auf den Boden, nähern sich in dieser Stellung langsam dem Thierchen und halten ihm mit lang ausgestrecktem Arme plötzlich die Schlinge vor den Kopf. Die Eidechse bleibt wie gebannt stehen und sieht verwundert den seltsamen Gegenstand, vergißt vor Neugier ihre Furcht und läßt sich durch langsames Wegziehen des Halmes sogar von der Stelle locken, bis ihr plötzlich die Schlinge über den Kopf gezogen wird. Eimer war anfangs der Meinung, daß entweder das bunte Schillerndes Speichelhäutchens oder der Umstand, daß es in letzterem sich spiegele, das Thier anziehe, erfuhr jedoch später, daß auch eine Schlinge ohne Speichelhäutchen zur Bethörung ausreicht. Glänzende Erfolge krönten seine Jagden, als er sich auf seinen ferneren Ausflügen, nach gewonnener Entdeckung dieser Thatsache, der Hülfe sachkundiger Knaben bediente.

Im Süden ihres Verbreitungsgebietes hält die Mauereidechse keinen Winterschlaf; im südlichen Tirol zieht sie sich erst im December zurück, und erscheint bereits Mitte Februar, an besonders sonnigen Orten ausnahmsweise dann und wann selbst mitten im Winter wieder; im Südwesten unseres Vaterlandes treibt sie sich wenigstens bis gegen die Mitte des November noch im Freien umher und zeigt sich an den ersten sonnigen Tagen des Frühlings wiederum außerhalb ihres Versteckplatzes. Sobald die Sonne wärmer strahlt, erhält sie ihre volle Munterkeit und Beweglichkeit zurück, und wenn sie erst im Vollbesitze ihrer Kräfte sich befindet, auch ihre Necklust und Kampfsucht. Im Winter soll sie, laut Gredler, Fleisch-und Schmeißfliegen, welche gleich ihr die Versteckplätze verlassen haben, so lange verschmähen, als »sie nicht Wasser erreicht«, d.h. also wohl getrunken hat, später, im Vorfrühlinge, »wenn der Hunger groß und die Nahrung spärlich, häufig um ihre Schwänze raufen, welche sie alsdann noch zappelnd gemüthlich verschlingt«; die richtige Deutung der an und für sich unzweifelhaft verläßlichen Beobachtung wird wahrscheinlich sein, daß sich bei ihr schon in sehr früher Jahreszeit, wenn nicht der Paarungstrieb, so doch die männliche [173] Kraft und Rauflust regen, infolge deren gedachte Kämpfe beginnen und die erwähnten kannibalischen Mahlzeiten stattfinden. Allerhand fliegendes und kriechendes Kleingethier, Kerfe, Spinnen, Würmer und wahrscheinlich ebenso junge, schwächliche Glieder ihrer Art oder Sippe bilden auch ihre Nahrung.

Die Zeit der Paarung und des Eierlegens wie die näheren Umstände der Fortpflanzung überhaupt sind mir unbekannt. Leydig erklärt es für gänzlich irrig, wenn hin und wieder, wie früher von Gloger, gesagt wird, daß sie ausgetragene Eier oder lebende Junge zur Welt bringe; Gredler dagegen theilt einen Fall mit, in welchem unter dem Leibe einer Mauereidechse, welche mitten auf dem Wege liegen blieb, als jemand über sie hinwegschritt und dadurch Aufmerksamkeit erregte, ein dem Anscheine nach eben geborenes Junge gefunden wurde, und spricht sich dahin aus, daß die Regel des Eierlegens wie des Lebendiggebärens bei Kriechthieren Ausnahmen erleiden können. Genaue Beobachtungen über die Fortpflanzung unserer Art liegen meines Wissens nicht vor.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Siebenter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Erster Band: Kriechthiere und Lurche. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 171-174.
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