Geierschildkröte (Macroclemmys Temminckii)

[63] Mit Ausnahme der verwandten Geierschildkröte (Macroclemmys Temminckii), welche in den südlichen Theilen der Vereinigten Staaten nach Art der Schnappschildkröte lebt und sich unter anderem durch die doppelt übereinander gelagerten mittleren Randschuppen unterscheiden läßt, kann die letzgenannte Art mit keiner anderen Schildkröte verwechselt werden.

Schnapp- und Geierschildkröte leben in Flüssen und größeren Sümpfen der Vereinigten Staaten, in einzelnen Gegenden in erheblicher Anzahl, am liebsten in solchen Gewässern, welche tiefen Schlamm haben; denn sie verschmähen, wie Müller sagt, selbst die stinkendsten Pfützen nicht. Gemeiniglich liegen sie, laut Holbrook, im tiefen Wasser in der Mitte des Flußbettes oder Sumpfes, erscheinen aber zuweilen nahe der Oberfläche, stecken die Schnauzenspitze heraus und lassen sich mit dem Strome treiben, fliehen jedoch, besonders in stark bewohnten Gegenden, beim geringsten Geräusche, wogegen sie in den Gewässern des spärlicher bevölkerten Südens minder scheu sind. Nach Kay trifft man sie zuweilen auch weit entfernt von jedem Gewässer an, vielleicht, weil sie auf dem Lande nach Nahrung oder nach einem passenden Platze zur Ablage ihrer Eier suchen. Mit Recht fürchtet und haßt man sie; denn ihr Name Schnappschildkröte ist begründet. Sie beißen nach allem, was ihnen in den Weg kommt und lassen das einmal erfaßte so leicht nicht wieder los. »Kaum sitzt eine gefangene Schnappschildkröte im Boote«, erzählt Weinland, »so wirst sich das wüthende Thier auf seine mächtigen Hinterbeine zurück, aber nur, um im nächsten Augenblicke mit seiner furchtbaren Schnellkraft einen halben Meter vorwärts zu stürzen und grimmig in das dargebotene Ruder zu beißen.« Man hat alle Ursache, sie mit Vorsicht zu behandeln, weil sie mit ihrer Wuth entschiedene Bosheit paart, und einem Menschen, welcher sich in das von ihr bewohnte Wasser begibt, unter Umständen grimmig zu Leibe geht, mit ihrem kräftigen Gebisse auch sehr gefährliche Wunden beibringen kann. Wein land versichert, daß ein centimeterdickes Ruder von dem harten Raubvogelschnabel des Thieres wie von einer Kugel durchbohrt werden kann; andere Beobachter behaupten übereinstimmend, daß sie einen ziemlich starken Spazierstock ohne weiteres entzwei beißt. »Während das Auge der übrigen Schildkröten«, berichtet Müller, »eine gewisse dumme Gutmüthigkeit ausdrückt, leuchtet dieser die Tücke und Bosheit sozusagen aus den Augen heraus, und es gibt gewiß viele, welche, wenn sie dieser Art zum ersten Male begegnen sollten, ihr ausweichen würden. Obgleich nun wohl dieses Ansehen in der ganzen Gestalt des Thieres liegt, so haben doch der lange Kopf und Schwanz etwas widerwärtig schreckhaftes, und ich möchte wissen, was jene bei ihrem Anblicke sagen würden, welche sich schon vor einem Salamander oder vor einer Eidechse fürchten.«

Die Alligatorschildkröten sind beweglicher als die meisten ihrer Verwandten. Sie gehen auf dem Lande, welches sie zuweilen betreten, nicht langsamer als diese, schwimmen sehr schnell und entwickeln beim Verfolgen ihrer Beute erstaunliche Raschheit. Fische, Frösche und andere Wirbelthiere, welche im Wasser leben, bilden ihre Nahrung; sie greifen auch keineswegs bloß kleinere, sondern selbst sehr große Beute, beispielsweise Enten oder Gänse an. Man hört, laut Müller, sehr häufig Klagen der Bauern über den von ihr ausgeübten Raub, den sie an Hühnern und Enten begangen: sie ergreift diese, zieht sie an den Beinen ins Wasser, ertränkt sie und verspeist [63] sie dann mit aller Bequemlichkeit. Ein dem eben genannten Berichterstatter befreundeter Bauer hörte eine seiner Enten laut schreien, lief hinzu und sah, wie der Vogel trotz heftigen Sträubens und Schlagens mit den Flügeln halb unter Wasser gezogen war, griff zu, zog, und bemerkte zu seinem Erstaunen, daß eine Schildkröte daran hing, ihr Opfer auch nicht freigab, sondern sich ruhig mit herausziehen ließ. Fontaine, ein Geistlicher in Texas, theilte Agassiz nachstehendes über zwei Geierschildkröten mit, welche er längere Zeit beobachten konnte, weil er sie einige Jahre lang in seinem Fischteiche hielt. »Sie wurden sehr zahm«, sagt er, »da ich aber fand, daß sie meine Fische auffraßen, erlegte ich die eine und verwundete die andere mit einem Wurfspieße, konnte sie jedoch wegen ihrer Schlauheit nicht fangen. Ich fütterte meine Brassen und Elritzen mit Brod, welches auch die Geierschildkröte gierig verschlang. Eines Tages verweilte sie nach der Mahlzeit auf einem Felsen, welcher nur einen halben Meter unter Wasser lag. Ein Schwarm von Elritzen und Brassen schnappte nach den Brodkrumen umher, ohne daß sie ihre Gegenwart zu ahnen schienen; ihr Kopf und ihre Füße waren auch möglichst unter ihrem Panzer zurückgezogen, und ihr moosbedeckter Rücken konnte kaum von dem Felsen, auf dem sie im Hinterhalte lag, unterschieden werden. Einige große Brassen schwammen um sie herum und schnappten hin und wieder nach den Elritzen; kaum aber kam einer von ihnen, ein Fisch von etwa vierzig Centimeter Länge, innerhalb ihres Schnappbereiches, als sie plötzlich den Kopf hervorwarf und ihn festhielt, indem sie ihren Adlerschnabel tief in seine Seiten und seinen Bauch einhieb. Hierauf zog sie den Fisch unter sich, drückte ihn mit ihren Vorderfüßen gegen den Felsen und verzehrte ihn gierig, ganz so, wie ein Falke seine Beute verschlingt. Nun nahm ich einen starken Angelhaken, befestigte daran eine Elritze als Köder, und warf die Angel ihr zu, entschlossen, mich von dieser geschickten Fischfängerin zu befreien; sie faßte, und vermittels eines schnellen Ruckes mit meiner Hand stach ich die Angel in ihren Unterkiefer. Da ich sie zu schwer fand, um sie über den noch zwei Meter über dem Wasser emporragenden, senkrechten Felsen heraufzuziehen, führte ich sie an der Angelschnur an das andere Ufer des Teiches, wo das Ufer niedrig und das Wasser seicht war; doch hier legte sie sich, nachdem ich sie bis auf eine Entfernung von sechzig Centimeter dem Ufer nahe gebracht, plötzlich vor Anker, indem sie ihre Vorderfüße vorwärts streckte und stemmte, und trotz der größten Anstrengung konnte ich sie nicht näher heranziehen. Sie schien in einer furchtbaren Wuth zu sein, schnappte wiederholt nach der Leine, brach endlich den Angelhaken ab und zog sich in den tiefsten Theil des Teiches zurück. Niemals konnte ich sie fortan wieder dazu bringen, nach irgend etwas zu beißen; sie war überhaupt von nun an sehr scheu, da sie gemerkt, daß ich ihr nach dem Leben trachtete. Ich fand sie fernerhin im tiefen Wasser; auf den Felsen wagte sie sich nie wieder. Einst warf ich eine Harpune nach ihr, traf sie auch glücklich in den Hals; durch eine gewaltige Kraftanstrengung der Vorderfüße aber riß sie den Spieß los und rannte unter den Felsen. Später sah ich sie noch oft, jedoch immer nur während ihres Rückzuges nach dem Schlupfwinkel, welcher ganz unzugänglich war. Ich beabsichtigte nun, eine eiserne Falle mit Rindfleisch zu baizen und sie hinabzulassen, um endlich doch die Schlaue zu überlisten; mein baldiger Abgang von jenem Orte aber rettete ihr damals das Leben. Ich zweifle nicht, daß sie heute noch ihres Daseins sich freut; denn ich hatte eine Menge von Fischen in ihrem Teiche zurückgelassen.«

Die Schnappschildkröte war es, welche Agassiz seinen Untersuchungen über die Schildkröten zu Grunde legte, weil sie in der Nähe von Cambridge ziemlich häufig vorkommt, und besonders weil ihre, denen der Tauben an Größe ziemlich gleichkommenden, mit kalkartiger Schale umhüllten Eier, zwanzig bis dreißig an der Zahl, welche sie in der Nähe des Wassers in die Erde gräbt und mit Laub bedeckt, leicht gesammelt werden konnten. »Monatelang«, sagt Weinland, welcher an jenen Untersuchungen einen wesentlichen Antheil nahm, »schlüpften täglich solche Schildkrötchen aus den in Sand und Moos gelegten Eiern, und – merkwürdig: die erste Bewegung des aus der Schale hervorbrechenden Köpfchens war die des Schnappens und Beißens!« Genau dasselbe erfuhr früher der Prinz von Wied.

[64] Alt eingefangene Schnappschildkröten verweigern gewöhnlich, Nahrung zu sich zu nehmen, jüngere hingegen können ans Fressen gebracht werden. Eine, welche Müller gefangen hielt, fraß ein volles Jahr nichts. »Ich bot ihr alles mögliche an, jedoch vergebens. Im Anfange biß sie hinein, später aber mich in die Hände, da sie zu wissen schien, daß sie dadurch Schmerz verursache und an mir sich rächen könne. Oft hing ich ihr einen Streifen Fleisch auf die Nase, und sie spazierte damit in der Stube umher; es half nicht einmal etwas, wenn man ihr das Fleisch in den Mund steckte.« Eine Geierschildkröte von vierzig Kilogramm Gewicht, welche Weinland beobachtete, ließ die in ihren Wasserbehälter gesetzten Fische unberührt an ihrem Kopfe vorbeischwimmen oder auch Frösche neben sich umher hüpfen und biß, wenn man ihr Nahrung zwischen die Kiefer steckte, den Bissen entzwei, ohne zu schlucken. Ich habe bei Effeldt gesehen, daß es doch möglich ist, gefangenen Schnappschildkröten Nahrung beizubringen und mich später mit Erfolg derselben Gewaltmaßregeln bedient. Effeldt erhielt eine junge Schildkröte dieser Art, welche anfänglich alles Futter zurückwies und sich wie die Müller'sche geberdete. Ihr Trotz wurde dadurch gebrochen, daß man ihr die Nahrung gewaltsam einstopfte und im Schlunde hinabstieß. Nach und nach bequemte sie sich, selbst zu schlucken und schließlich das ihr vorgehaltene Futter artig wegzunehmen, ohne ihre Bosheit und Tücke fernerhin zu bethätigen. Freude aber erlebt man auch anfressenden Gefangenen dieser Art nicht. »So finster, wie sie aussieht«, sagt Fischer sehr richtig, »ist und lebt sie auch. Scheu verbirgt sie sich vor den Strahlen der aufgehenden Morgensonne und sucht die dunkelsten Verstecke auf, um bis zur einbrechenden Nacht zu warten und dann ihr Unwesen zu beginnen.« In ihrer Heimat muß sie, wie Fischer meint, allnächtlich weite Wanderungen unternehmen; denn seine Gefangene kroch eine Zeitlang in jeder Nacht aus ihrem Verstecke heraus und spazierte, ihren langen, spitzigen Schwanz nachschleifend, unaufhörlich durch alle Stuben. Dies trieb sie bis zum Morgen, um welche Zeit sie sich dann unter das Bett oder in eine dunkle Ecke verkroch. Auch meine gefangenen Schnappschildkrö ten suchten in dem großen Wasserbecken, welches ich ihnen angewiesen hatte, stets die dunkelsten Winkel auf und lagen hier übertags bewegungslos wie Steine auf dem Boden, meist viele Stunden hintereinander, ohne inzwischen einmal zum Athemholen empor zu kommen.

Leicht würde es sein, die Alligatorschildkröte bei uns einzubürgern, könnte solches uns irgendwie nutzen. Daß sie unser Klima ohne jegliche Beschwerde erträgt und dem Winter zu begegnen weiß, konnte bereits festgestellt werden. Einem Handelsgärtner entrann, wie Meyer mittheilt, im Jahre 1863 eine ihm von Nordamerika zugesandte Schnappschildkröte und konnte, der sorgfältigsten Nachforschungen ungeachtet, nicht wieder aufgefunden werden. Drei Jahre später entdeckten mit der Reinigung eines Kanals beschäftigte Arbeiter zu ihrer höchsten Verwunderung das von ihnen nie gesehene Thier, tief im Schlamme vergraben, nicht allein lebend, sondern auch äußerst munter und ebenso beißlustig. Was sie in ihrem schlammigen Zufluchtsorte gefressen haben mochte, blieb ein Räthsel; ernährt aber hatte sie sich, dem Anscheine nach, sehr gut, wie am besten ihr Verhalten darthat.

Das Fleisch alter Schnappschildkröten ist, des ihm anhaftenden starken Moschusgeruches halber, ungenießbar, das jüngerer Thiere gilt als ebenso nahrhaft wie wohlschmeckend. Noch weit mehr schätzt man die Eier. Kay versichert, dem Thiere für die von ihm herrührende Spende einer trefflichen Mahlzeit oft verpflichtet worden zu sein. Um diese Eier zu finden, untersucht man im Juni, während der Legezeit, mittels eines Stockes sandige Stellen, auf denen die Schnappschildkröte ihre Spur zurückgelassen hat, erkennt an dem lockeren Erdreich den in ihm verborgenen Schatz, gräbt nach und findet zuweilen in dem vielleicht von mehreren Weibchen herrührenden Neste sechzig bis siebzig der köstlichen Eier.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Siebenter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Erster Band: Kriechthiere und Lurche. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 63-65.
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