Brillensalamander (Salamandrina perspicillata)

[632] Die einzige Art der Sippe ist der Brillensalamander (Salamandrina perspicillata, Salamandra und Seiranota perspicillata), die »Tarantolina« der Italiener. Ein mattes Schwarz, von welchem sich die gelbröthliche Brillenzeichnung über den Augen deutlich abhebt, ist die Färbung der Oberseite; die schwarze Kehle zeigt einen weißen Fleck, der lichte Unterleib viele unregelmäßige schwarze Flecke und Tüpfel; die innere Seite der Beine und die Unterseite des Schwanzes sind schön dunkelroth. An Größe steht das Thierchen unserem deutschen Salamander weit nach; seine Länge beträgt nur acht Centimeter, wovon die des Schwanzes mehr als die Hälfte wegnimmt.

Die italienische Halbinsel und die umliegenden Eilande, nach Gray auch Dalmatien, bilden die Heimat dieses reizenden Salamanders. Er bewohnt bergige, kühle, schattige Orte, scheint jedoch nicht hoch im Gebirge vorzukommen, sondern Hügelgelände vorzuziehen, überhaupt rauhe Gegenden zu meiden. Bis zum Jahre 1863 waren nur höchst dürftige Beobachtungen über die Lebensweise des niedlichen Geschöpfes veröffentlicht worden, und auch die in diesem Jahre erschienene kleine Schrift Ramorino's, damaligen Studenten der Naturwissenschaften, jetzigen Professors zu Buenos Ayres, blieb in weiteren Kreisen unbeachtet. Erst Lessona, ein trefflicher italienischer Forscher, welcher im Vereine mit Salvadori die beste bis jetzt erschienene Uebersetzung des »Thierlebens« verfaßt hat, veröffentlichte im Jahre 1868 eine Lebensbeschreibung des Thieres, welche kaum noch etwas zu wünschen übrig läßt, gleichwohl aber später von ihm noch wesentlich vervollständigt worden ist.

Der Brillensalamander ist in der Umgegend von Genua gemein, auf den Bergen, welche die schöne Stadt amphitheatralisch umgeben, äußerst häufig. Von den genannten Bergen eilen kleine Flüßchen zur Tiefe hinab dem Meere zu, wie alle Gebirgswässer nach Gewitterregen zu rauschenden Flüssen sich umwandelnd, später aber fast gänzlich vertrocknend und nur noch in ihrem Bette hier und da einzelne Tümpel bewahrend, in deren klarem Wasser viele Pflanzen und dem entsprechend auch Kerbthierlarven sich finden. Die Berge ringsum sind nicht bewaldet, nicht einmal bebuscht. In nächster Nähe gedachter Rinnsale halten sich die Brillensalamander auf und verbergen sich entweder unter Steinen oder leben in feuchtem Schlamme. An Regentagen zeigen sie sich, zumal im Frühjahre und im Herbste, außerhalb ihrer Verstecke, während des Sommers nur nach Gewitterregen, wel che in der Umgegend von Genua in gedachter Jahreszeit selten fallen. Viel häufiger sieht man sie an schönen und stillen Wintertagen, selbst im Januar. Ameisen und kleine Spinnen bilden ihre Hauptnahrung. In den ersten schönen Frühlingstagen, also im März, begeben sie sich in das Wasser, um hier ihre Eier abzulegen, und man bemerkt dann die Weibchen hier und da in den erwähnten Tümpeln. Diejenigen unter ihnen, welche zuerst ankommen, wählen sich die besten Plätze, nämlich diejenigen Felsenwände, welche dem Einfalle des Wassers entgegengesetzt [632] sind und den an ihnen angeklebten Eiern auch nach einem Regengusse die Sicherheit gewähren, nicht weggeschwemmt zu werden. Sind die besseren Plätze einmal besetzt, so müssen sich die später ankommenden Weibchen mit denen begnügen, welche übrig bleiben und setzen ihre Eier ab, wo sie können, auf im Wasser liegende Aeste oder Zweige, dürre am Boden befindliche Blätter usw. Sehr häufig werden solche Eier in großer Anzahl weggeschwemmt und im Meere begraben, und ebenso, obschon viel seltener, geschieht es, daß sie durch Vertrocknen der Tümpel zu Grunde gehen. Nach Lessona's Beobachtungen begeben sich nur die Weibchen in das Wasser; wenigstens hat weder genannter Forscher noch einer seiner Gehülfen jemals ein Männchen hier gesehen.


Brillensalamander (Salamandrina perspicillata). Natürliche Größe.
Brillensalamander (Salamandrina perspicillata). Natürliche Größe.

Die Begattung muß also auf dem Lande erfolgt und eine innerliche, d.h. vollständige sein. Die gelegten Eier sind von einer ähnlichen Masse umgeben wie die der Frösche und erleiden auch ohne erhebliche Unterschiede dieselben Veränderungen, Furchungen, mit einem Worte dieselbe Entwickelung. Bei einer Wärme von funfzehn Grad zeigt sich nach achtundvierzig Stunden die erste Mittelfurche, vierundzwanzig Stunden später die Rückenwulst, und fortan geht die Entwickelung den gewöhnlichen Gang. Nach Verlauf von zwanzig oder zweiundzwanzig Tagen befreit sich die Larve, welche bereits am zehnten oder zwölften Tage sich zu bewegen begann, aus ihrer schleimigen Hülle und fällt gleichsam erschöpft auf den Boden des Gewässers hinab, um hier, ohne irgend welche Lust zur Bewegung zu bekunden, ungefähr zwei Tage zu ruhen. Berührt man sie, so schwimmt sie mit Hülfe ihres Schwanzes außerordentlich schnell durch das Wasser, hält aber bald wieder an und fällt von neuem in die Tiefe hinunter. Am dritten Tage nach ihrer Befreiung sieht man sie auf dem Bauche liegen und bemerkt, daß sie sich mit Hülfe der zwei als Saugscheiben wirkenden Anhängsel befestigt hat. Am achtzehnten Tage ihres Lebens sind bereits die Zehen gebildet und gegen den funfzigsten oder zweiundfunfzigsten Tag hin ist die Entwickelung beendet. Im allgemeinen sind die Larven des Brillensalamanders viel träger und seßhafter als die der Frösche. Lange Zeit liegen sie am Grunde des Wassers auf einem Steine und erheben sich nur dann und wann, um eine Beute wegzunehmen. Nach Ansicht Lessona's unterliegt es keinem Zweifel, daß sie sich ausschließlich von kleinen Thieren nähren, also so zu sagen fleischfressende Geschöpfe sind. Lessona hat selbst gesehen, wie sie Kerbthierlarven verschlangen, aber auch auf anderem Wege erfahren, daß sie ohne thierische Nahrung zu Grunde gehen. Ein Herr Lorenzo Camerano nämlich kam, nachdem er fast alle von ihm gefangen gehaltenen Salamanderlarven verloren hatte, auf den Gedanken, den übrig gebliebenen etwa vierzig Tage alten Fleisch anzubieten, schnitt dasselbe in außerordentlich [633] feine Streifen, befestigte diese an Drähte und bewegte sie im Wasser, um ihnen den Anschein einer lebenden Beute zu gewähren: die Larven verschlangen die Bissen mit Begierde und wurden nunmehr funfzehn Tage lang regelmäßig mit rohem Fleische gefüttert, vollendeten auch ungefähr am fünfundfunfzigsten Tage ihres Lebens ihre Verwandlung. Fünf Tage vorher waren die Kiemen fast gänzlich eingeschrumpft und die Larven erschienen jetzt wiederholt an der Oberfläche des Wassers, um Luft zu schöpfen, hatten dies aber auch schon früher mehrfach gethan.

Im Juni findet man an geeigneten Orten bereits überall junge, diesjährige Brillensalamander, und vielleicht schon im nächsten Jahre haben sie ihre volle Größe erreicht. Sie laufen außerordentlich langsam und schwimmen mit stark seitlichen Schlangenbewegungen, aber doch nicht kräftig genug, als daß sie nach Regengüssen nicht oft fortgeschwemmt werden sollten. Nachdem die Laichzeit vorüber ist, häuten sie sich. Ihre Haut schwitzt einen Schleim aus, wie die des Erdsalamanders, aber nicht in so bedeutender Menge. Auch sieht die schleimige Flüssigkeit nicht milchig, sondern rosenfarben aus.

Die wunderbare Ersatzfähigkeit verstümmelter oder abgeschnittener Glieder hat der Brillensalamander mit anderen seiner Familie gemein. Auch seine Lebenszähigkeit ist so groß wie bei irgend einem anderen Molche. Lessona hat Brillensalamander mit aufgeschnittenem Bauche und nachschleppenden Eingeweiden noch umherlaufen sehen. Ein gestorbener Brillensalamander fault nicht, sondern trocknet regelmäßig zu einer Mumie ein.


*


In der Nähe der Stadt Mejiko, so erzählt der alte Hernandez, gibt es eine Art Seefische mit weicher Haut und vier Füßen, wie sie die Eidechsen haben, eine Spanne lang und einen Zoll dick, Axolotl oder Wasserspiel genannt. Der Kopf ist niedergedrückt und groß; die Zehen sind wie bei den Fröschen. Die Färbung ist schwarz und braun gefleckt. Das Thier hat seinen Namen von der ungewöhnlichen und spaßhaften Gestalt erhalten. Sein Fleisch gleicht dem der Aale, ist gesund und schmackhaft und wird gebraten, geschmort und gesotten gegessen, von den Spaniern gewöhnlich mit Essig, Pfeffer und Nägelein, von den Mejikanern bloß mit spanischem Pfeffer zubereitet. An einer anderen Stelle spricht derselbe Berichterstatter von Kaulquappen, welche die Indianer mit Wohlbehagen genießen und sogar manchmal auf die Märkte bringen.

Lange Zeit achtete niemand dieser Angaben, bis das von dem in seiner Art trefflichen Beobachter recht gut beschriebene Thier nach England kam und nun der wissenschaftlichen Welt bekannt wurde. Eine genauere Beschreibung lieferte Cuvier nach zwei von Alexander von Humboldt aus Mejiko mitgebrachten Stücken. Diese hatten die Größe eines Erdsalamanders und die Gestalt einer Molchlarve, wurden von Humboldt und Cuvier auch als solche angesehen. Ihr Leib war gedrungen, der Kopf platt und verhältnismäßig breiter als bei den bekannten Wassermolchen, der Schwanz zusammengedrückt und auf der Oberseite mit einem schwachen Kamme versehen, welcher über den Rücken sich fortsetzte. Die Vorderbeine hatten vier, die hinteren fünf Zehen. Die Färbung war ein ziemlich gleichmäßiges Dunkelbraungrün; die Zeichnung bestand aus schwarzen Flecken und weißen Tüpfeln.

Nach diesen beiden Stücken gelangten viele andere nach Europa, und alle glichen den beschriebenen. Deshalb sah man sich veranlaßt, zu glauben, daß diese Larvengestalt die bleibende der Thiere sein möchte und wurde darin unterstützt durch andere Schwanzlurche, von denen man ebenfalls nur Larvenformen kannte. So ließ sich denn selbst Cuvier bestimmen, den Axolotl zu den Kiemenlurchen zu setzen, that dies jedoch nicht, ohne ausdrücklich seine Zweifel hervorzuheben und entschuldigte sich mit den Worten: »Ich sehe mich genöthigt, den Axolotl unter die Geschlechter mit bleibenden Kiemen zu setzen, weil so viele Zeugen versichern, daß er letztere nicht verliert.«

So stand es um die Kunde des Thieres im Jahre 1865. Einer oder der andere Forscher verfuhr wie Cuvier; aber obgleich Baird sagte, daß das Gepräge einer Larve dem Axolotl viel zu [634] deutlich aufgedrückt sei, um an dem Larvenzustande desselben zweifeln zu können, und daß das Nichtauffinden des ausgebildeten Thieres noch keineswegs ein Beweis sei gegen sein Vorhandensein, gab es doch auch andere, welche jeden Zweifel ausschlossen und mit aller Bestimmtheit behaupteten, die eingehendsten Untersuchungen hätten bewiesen, der Axolotl verwandele sich nicht. Für letztere Meinung sprach auch die, obschon äußerst dürftige Kunde, welche wir inzwischen über das Freileben der Thiere erhalten hatten. Nach allen Angaben, auch den neuesten Mittheilungen Saussures, hat man den Axolotl in Mejiko niemals im verwandelten Zustande gesehen, ebenso wenig einen einzigen verwandelten Molch in der Nähe der Seen gefunden, wogegen der Axolotl so gemein ist, daß man ihn als Nahrungsmittel zu tausenden auf den Markt bringt.

Da erhielt der Akklimatisationsgarten zu Paris sechs lebende Axolotl, fünf Männchen und ein Weibchen und gab sie an die reichhaltige Sammlung lebender Kriechthiere und Lurche ab, welche sich im Pflanzengarten zu Paris befindet. Ein Jahr lang hatten die Thiere, welche man in geeigneten Becken untergebracht hatte, in Gefangenschaft gelebt, gefressen und sich nach Art anderer Molchlarven benommen, als plötzlich am achtzehnten Februar 1865 große Aufregung unter ihnen bemerklich wurde. Es zeigte sich bei Männchen und Weibchen eine beträchtliche Anschwellung der Afterränder, und erstere gaben, während sie das Weibchen eifrig verfolgten, ihren Samen ins Wasser ab. Bereits am folgenden Tage begann das Weibchen Eier zu legen, und zwar ganz in derselben Weise, wie es Tritonen thun; im Laufe des folgenden Tages hatte es sein Geschäft bereits vollendet. Sechs Wochen später wiederholten sich dieselben Vorgänge. Dumeril ließ beide Male die Pflanzen, an welche die Eier angeklebt worden waren, herausnehmen und in gesonderte Becken versetzen. Es ergab sich, daß fast alle Eier befruchtet waren. Achtundzwanzig bis dreißig Tage später begann das Ausschlüpfen der Larven. Zunächst entwickelten sich die Kiemen; einige Tage später platzte die Mundspalte, und die Thierchen begannen mit Begierde die im Wasser umherschwimmenden Kerfe wegzuschnappen. Von nun an ging die Weiterbildung ihren regelmäßigen Gang. Anfangs September hatten die jungen Thiere beinahe die Größe ihrer Erzeuger erlangt.

Mitte September zeigte sich an einem Jungen eine höchst auffallende Veränderung. Die Kiemenquasten, der Kamm auf Rücken und Schwanz schrumpften ein; die Gestalt des Kopfes veränderte sich etwas, und auf der dunklen Grundfarbe der Haut traten kleine gelblichweiße Flecke in großer Anzahl hervor. Am achtundzwanzigsten September beobachtete man gleiche Veränderungen an einem anderen Jungen, am siebenten Oktober dieselben an einem dritten, am zehnten Oktober an einem vierten. Alle vier wandelten sich in derselben Weise zu vollkommenen Thieren um, wie andere Schwanzlurche auch: es wurden Molche aus ihnen, und die Richtigkeit der Ansicht Humboldts und Cuviers war erwiesen.

Einer der ersten Versuche, welche Dumeril anstellte, bezweckte, zu erfahren, ob man durch gewaltsamen Eingriff die Entwickelung beschleunigen könne. Er schnitt deshalb mehreren Axolotl zuerst einzelne Kiemen der einen, später auch die der anderen Seite ab, erfuhr, daß diese Gebilde sich ersetzten, wiederholte an denselben Thieren den Versuch und gelangte zu dem Ergebnisse, daß der Ersatz der Kiemen bei einem und demselben Stücke fünf- bis sechsmal stattfinden kann, ohne die Larve zu gefährden. Einzelne der Versuchsthiere verwandelten sich schließlich allerdings auch; schwerlich aber ist man berechtigt, anzunehmen, daß dies infolge der Verstümmelung ihrer Kiemen geschehen sei.

Was Dumeril nur unvollständig oder nicht zu erzielen vermochte, gelang einer durch ihre sorgsamen Beobachtungen an Kerbthieren wohl bekannten und von allen Fachmännern gerühmten Dame, Fräulein von Chauvin in Freiburg im Breisgau. Weismann war auf den Gedanken gekommen, ob es nicht möglich sei, die Axolotllarven sammt und sonders oder doch größtentheils zur Verwandlung zu zwingen, wenn man sie in Lebensverhältnisse bringe, welche ihnen den Gebrauch der Kiemen erschweren, den der Lungen aber erleichtern, sie also nöthige, von einer[635] gewissen Altersstufe an halb auf dem Lande zu leben.


Axolotllarve. Natürliche Größe.
Axolotllarve. Natürliche Größe.

Der genannte Gelehrte hatte auch hierauf bezügliche Versuche angestellt, aber keine Erfolge gewonnen, weil, wie er bald einsah, höchst sorgfältige, durch Monate hindurch fortgesetzte Pflege und Beobachtung der Thiere dazu erforderlich war. Fräulein von Chauvin nahm seine Versuche wieder auf und begann dieselben mit fünf ungefähr acht Tage alten Axolotllarven, welche von zwölf ihr zugekommenen allein am Leben geblieben waren. Bei der außerordentlichen Zartheit dieser Thiere, schreibt die Dame, übt die Beschaffenheit und Wärme des Wassers, die Art und Menge des gereichten Futters namentlich in der ersten Zeit den größten Einfluß aus, so daß man nicht vorsichtig genug in deren Behandlung sein kann. Die Thierchen wurden bei geregelter Wasserwärme in einem Glase von etwa dreißig Centimeter Durchmesser gehalten und ihnen als Nahrung zuerst Daphnien, später auch größere Wasserthiere in reichlicher Menge dargeboten. Dabei gediehen alle fünf Larven vortrefflich. Schon Ende Juni zeigten sich bei den kräftigsten die Anfänge der Vorderbeine; am neunten Juli kamen auch die Hinterbeine zum Vorscheine. Anfangs November fiel der Pflegerin auf, daß ein Axolotl beständig an der Oberfläche des Wassers sich aufhielt und dies brachte sie auf die Vermuthung, daß nunmehr der richtige Zeitpunkt eingetreten sei, ihn auf die Umwandlung vorzubereiten. Zu diesem Ende wurde er am ersten November in ein bedeutend größeres Glasgefäß mit flachem Boden gebracht, welches derartig gestellt und mit Wasser gefüllt war, daß er nur an einer Stelle ganz unter Wasser tauchen konnte, während er bei dem häufigen Herumkriechen auf dem Boden des Gefäßes mehr oder weniger mit der Luft in Berührung kam. An den folgenden Tagen wurde das Wasser allmählich noch mehr vermindert, und in dieser Zeit zeigten sich die ersten Veränderungen an dem Thiere. Die Kiemen fingen an einzuschrumpfen; gleichzeitig bestrebte sich die Larve, seichte Stellen [636] zu erreichen. Am vierten November begab sie sich ganz und gar aufs Land und verkroch sich in feuchtem Moose, welches auf der höchsten Stelle des Bodens auf einer Sandschicht angebracht worden war. Zu dieser Zeit erfolgte die erste Häutung. Innerhalb der vier Tage vom ersten bis vierten November ging eine auffallende Veränderung im äußeren vor sich. Die Kiemenquasten schrumpften fast ganz zusammen, der Kamm auf dem Rücken verschwand vollständig, und der bis dahin breite Schwanz nahm eine rundere Gestalt an. Die graubraune Körperfarbe verwandelte sich nach und nach in eine schwärzliche; vereinzelte, anfangs undeutliche weiße Flecke traten hervor und gewannen mit der Zeit an Lebhaftigkeit. Als am vierten November der Axolotl aus dem Wasser kroch, waren die Kiemenspalten noch geöffnet, schlossen sich aber allmählich und konnten bereits nach etwa acht Tagen nicht mehr wahrgenommen werden, weil die Haut inzwischen sie überwachsen hatte.


Axolotl (Amblystoma mexicanum). Natürliche Größe.
Axolotl (Amblystoma mexicanum). Natürliche Größe.

Von den übrigen Larven zeigten sich schon Ende November noch drei ebenso kräftig entwickelt wie die ersten, und die Dame glaubte darin einen Hinweis zu erkennen, daß auch für jene der richtige Zeitpunkt für Beschleunigung des Entwickelungsherganges eingetreten sei; sie wurden deshalb derselben Behandlung unterworfen. Einer von ihnen verwandelte sich auch in der That gleichzeitig und genau so wie der erste: er hatte noch vollkommene Kiemenquasten als er in das flache Wasser gesetzt wurde; schon vier Tage später aber waren dieselben fast vollständig zusammengeschrumpft. Das Thier ging nun aufs Land, und im Verlaufe von etwa zehn Tagen erfolgte die Ueberwachsung der Kiemenspalten und die vollständige Annahme der Salamanderform. Während dieser letzten Zeit nahm das Thier Nahrung zwar auf, aber nur, wenn man es dazu nöthigte. Bei zwei anderen ging die Entwickelung langsamer von statten. Die beiden suchten nicht so häufig die seichten Stellen auf und setzten sich im allgemeinen auch nicht so lange der Luft aus, so daß die größere Hälfte des Januar verstrich, bis sie ganz aufs Land gingen. Nichts desto weniger dauerte das Eintrocknen der Kiemenquasten nicht längere Zeit als bei den ersten beiden. Ebenso erfolgte auch die erste Häutung, sobald sie aufs Land krochen. Der letzte Axolotl, welcher von Anfang an schwächlicher aussah, als die anderen und auch im Wachsthume auffallend zurückblieb, [637] zeigte noch viel beträchtlichere Abweichung bei der Verwandlung als die beiden letzterwähnten. Er gebrauchte vierzehn Tage anstatt vier, um die Verwandlung so weit zu vollenden, daß er das Wasser verlassen konnte. Bei seiner Zartheit und schwächlichen Natur war er selbstverständlich für alle äußeren Einflüsse viel empfindlicher als die anderen. Wurde er der Luft zu lange ausgesetzt, so nahm er eine hellere Färbung an und gab außerdem einen eigenthümlichen Geruch von sich, ähnlich dem, welchen Salamander verbreiten, wenn sie geängstigt oder gefährdet werden. Wurde er, wenn solche Erscheinungen eintraten, wieder in tieferes Wasser zurückgebracht, so tauchte er sofort unter und erholte sich dann allmählich wieder. Die Kiemen aber entfalteten sich dann immer von neuem. Derselbe Versuch wurde wiederholt angestellt und war jedesmal von denselben Erfolgen begleitet, woraus geschlossen werden darf, daß durch die Ausübung eines zu heftigen Zwanges mit Absicht auf die Beschleunigung des Umwandlungsherganges ein Stillstand und bei fortgesetztem Zwange sogar der Tod eintreten kann.

Aus den Beobachtungen schließt Fräulein von Chauvin folgendes: Axolotllarven vollenden zum größten Theile, wenn nicht alle, ihre Verwandlung, wenn sie gesund aus dem Ei schlüpfen und richtig gefüttert werden, und zweitens, wenn man Einrichtungen trifft, welche sie vom Athmen unter dem Wasser zum Athmen über dem Wasser nöthigen.

Weismann zieht aus vorstehenden Beobachtungen verschiedene Schlüsse. Er hält zunächst den Axolotl nicht für eine Fortschritts-, sondern für eine Rückschlagsform und glaubt, daß diejenigen Thiere, welche heute die Seen von Mejiko bevölkern, in früheren Zeiten bereits ausgebildete Molche waren, bei Veränderung in ihren Lebensbedingungen aber wieder auf die frühere Stufe der Fischlinge oder Fischmolche zurückgesunken sind. Dieser Rückschlag ist nach seiner Meinung dadurch veranlaßt worden, daß dem Axolotl die Möglichkeit, ans Land zu gehen, entzogen und er zum Verharren im Wasser gezwungen wurde. In den Seen Mejikos sind der Salzgehalt, sowie das zeitweise Trockenliegen eines Theiles der Gewässer Bedingungen hierfür. Der entblößte Seeboden ist dann eine wüstenhafte Fläche ohne Nahrung und ohne Schlupfwinkel, ohne Pflanzenwelt, bedeckt mit einer Salzkruste, welche die Ernährung der Thiere auf dem Lande geradezu unmöglich machen würde. Durch Humboldt wissen wir, daß der Spiegel des Sees von Mejiko in verhältnismäßig neuer Zeit um ein bedeutendes höher lag als heute, und ferner ist bekannt, daß das Hochland mit Wald bedeckt war, während dieser jetzt ausgerottet ist. »Darf man nun annehmen«, sagt Weismann, »daß etwa zur Diluvialzeit die Bergwälder sich bis zum Rande des damals noch tiefen, steiler abfallenden und bedeutend salzärmeren Sees erstreckten, so sind damit nicht nur wesentlich von den heutigen verschiedene Lebensbedingungen aufgewiesen, sondern auch solche, wie sie für die Ausbildung einer Salamandrinenform ganz besonders günstig waren. Somit dürfen wir wohl mit einiger Sicherheit annehmen, daß auch am Beginne der Diluvialzeit die Wälder von Mejiko in der Umgegend der Seen mit Quer zahnmolchen bevölkert waren, daß diese später aber, als die Seen mehr und mehr austrockneten und die Luft mehr und mehr an Feuchtigkeit verlor, auch immer schwieriger auf dem Lande leben konnten. Sie würden zuletzt völlig ausgestorben sein, wenn ihnen nicht durch Rückschlag auf die Fischmolchform das Wasser von neuem zugänglich geworden wäre«.

Ich erwähne diese Schlußfolgerungen nur, um einen neuen Beweis für die beklagenswerthe Thatsache anzuführen, daß ein nicht geringer Theil der heutigen Naturforscher, welcher in Darwins Fußtapfen zu wandeln glaubt, nicht nur alles erklären will, sondern auch alles erklären zu können wähnt. Die Annahmen Weismanns sind zwar möglicherweise berechtigt, aber in keiner Weise begründet. Was wir gegenwärtig wissen, ist, daß Axolotl im Larvenzustande geschlechtsreife Eier legen, also sich fortpflanzen und demungeachtet im Larvenzustande verharren können, und ebenso, daß einzelne Larven sich zu Molchen entwickeln. Was außerdem noch gesagt werden mag, darf vielleicht als geistreiche Folgerung gelten, fördert unsere Kenntnis des betreffenden Thieres aber nicht um einen einzigen Schritt. Wenig will es besagen, daß man in Mejiko noch keine verwandelte Axolotl gefunden hat; denn eine genauere Durchforschung des noch so dürftig bekannten Landes kann, [638] wenn nicht in diesem einen, so in einem anderen von Axolotl bewohnten, günstiger gelegenen See das Gegentheil ergeben.

Infolge der außerordentlichen Vermehrung der Axolotl, welche allein im Pariser Pflanzengarten binnen zwei Jahren und neun Monaten nicht weniger als dreitausendunddreihundert Eier legten, ist die Larve des Molches seitdem in viele Hände gelangt. Auch ich habe zeitweilig Axolotl besessen, währenddem aber, weil übermäßig beschäftigt, niemals etwas über sie niederschreiben können, und will deshalb über ihr Betragen in Gefangenschaft und ihre Pflege noch einige Bemerkungen Röhrigs einschalten, weil ich glaube, ihnen in jeder Beziehung beistimmen zu dürfen. Bei Tage kriechen die Axolotllarven gewöhnlich träge am Boden hin; kommt ihnen aber etwas fremdartiges in den Weg, so fliehen sie mit Ungestüm so, daß sie gewöhnlich heftig an Steine und Glaswand des Wasserbeckens anstoßen. Nachts hängen sie sich an irgend einer Pflanze in der Nähe des Wasserspiegels fest, wahrscheinlich um leichter Luft einholen zu können. Denn außerdem, daß sie mittels der Kiemen im Wasser athmen, kommen sie auch häufig über der Oberfläche hervor, nehmen mit so großer Heftigkeit Luft ein, daß man zuweilen ein förmliches Geräusch vernimmt, und drehen sich hierauf wiederum wie unsere Molche, blitzschnell mit dem Kopfe nach unten. Als Beute betrachten sie alles Gethier, welches sie bewältigen und verschlingen können, sind auch ebenso gefräßig wie unsere Molche, nicht aber im Stande, so große Bissen zu verschlucken, wie beispielsweise der Kammmolch es vermag. Regenwürmer, kleine Krebsarten, namentlich Wasserflöhe, Ameisenpuppen, kleine Erdwürmer, schmächtige Kaulquappen, junge Fröschchen und dergleichen; als Ersatz derselben lange, wurmähnliche Streifen geschnittenen rohen Fleisches, bilden ihre Nahrung. Die dargereichte Speise wird erst ein wenig gekaut und dann verschluckt. Wenn die Laichzeit eintritt, welche sich bei uns zu Lande nicht nach der Jahreszeit zu richten scheint, setzt das Männchen seinen Samen in Kegeln ab, deren Fuß eine gallertartige Masse bildet, wogegen die Spitze die Samenfaden enthält. Nach einigen Tagen öffnet sich die Spitze des Kegels, die Samenfaden werden frei und vertheilen sich im Wasser, und das Weibchen legt nun seine Eier, welche im Wasser mit dem Samen in Berührung kommen. Je nach der Wärme durchbrechen die Keimlinge die Eihaut und leben dann nach Art älterer Larven, denen sie vom ersten Anfang an in Färbung und Aussehen gleichen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Siebenter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Erster Band: Kriechthiere und Lurche. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 632-639.
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