Dreizehiger Aalmolch (Amphiuma tridactylum)

[647] Die Mitglieder der zweiten oder dritten Sippe hat man Aalmolche (Amphiuma) genannt, weil bei ihnen der Leib dem eines Aales wirklich nicht unähnlich, d.h. sehr lang gestreckt ist und die vier sehr kurzen Beinchen kaum den Namen solcher verdienen, obgleich die Füße noch in Zehen getheilt sind. Die verkümmerten Augen werden von der allgemeinen Leibeshaut überzogen; letztere verdünnt sich über den Augen jedoch so, daß man diese wahrnehmen kann. Außer den Zähnen in den Kinnladen finden sich solche in zwei Längsreihen geordnet am Gaumen. Man unterscheidet zwei Arten, den zweizehigen und den dreizehigen Aalmolch (Amphiuma didactylum, A. means und Amphiuma tridactylum), weil man annimmt, daß die Anzahl der Zehen beständig sei und gefunden hat, daß die eine Art neunundneunzig, die andere einhundertundzwölf Wirbel besitzt. Beide erreichen fast einen Meter Länge und sind oben dunkelgrau mit einem Schimmer ins Grünliche, unten heller gefärbt, ganz nach Art der Aale.

[647] Ueber die Lebensweise wissen wir ungefähr folgen des. Die Aalmolche bewohnen die Sümpfe und anderweitige stehende Gewässer New Orleans', Georgias und Südkarolinas, schwimmen unter schlängelnder Bewegung nach Art der Aale ziemlich munter umher, wühlen sich aber oft auch in den Schlamm ein, während des Winters zuweilen metertief, indem sie hier nach Art der Regenwürmer sich einbohren. Gefangene Stücke, welche durch Zufall aus ihrem Gefäße geworfen wurden, lebten mehrere Tage ohne Schaden auf dem Trockenen, hielten daher auch den Versand nach Europa aus. Die Nahrung besteht in allerlei Kleingethier.


Dreizehiger Aalmolch (Amphiuma tridactylum). 1/2 natürl. Größe.
Dreizehiger Aalmolch (Amphiuma tridactylum). 1/2 natürl. Größe.

Von den Negern sollen die Aalmolche Congoschlan gen genannt, als giftig angesehen und sehr gefürchtet werden.

Die Kiemenfischlinge (Phanerobranchiata), welche die zweite Unterfamilie bilden, haben auf jeder Seite des Halses drei Kiemen, von denen man annimmt, daß sie während des ganzen Lebens erhalten bleiben. Der Leib dieser Thiere ist langgestreckt und wird gestützt durch vier oder zwei schwächliche Beine; der Schwanz trägt oben und unten einen Hautsaum. Wie bei den Aalmolchen überdeckt die Haut auch die Augen, und die Nasenlöcher durchbohrenden knöchernen Gaumen nicht. Die Luftröhre ist häutig; die Lungen bestehen aus zwei langen Säcken, auf deren innerer Seite die Blutgefäße ein Netz mit lockeren Maschen bilden.

Es sind gegenwärtig ungefähr zweihundert Jahre her, daß Valvasor von dem merkwürdigen Geschöpfe berichtete, welches wir heutigentages, Okens Vorgange folgend, Olm nennen. Die Krainer hatten dem Verfasser der »Ehre des Herzogthums Krain« von Lindwürmern erzählt, welche zu Zeiten aus der Tiefe der Erde hervorkommen und Unheil anrichten. Valvasor untersuchte die Sache und fand, daß der vermeintliche Lindwurm »ein kleines, spannenlanges und einer Eidechse ähnliches Ungeziefer sei, davon es sonst hin und wieder mehr gibt«. Später, im Jahre 1786, [648] erfahren wir durch Steinberg, daß bei der im Jahre 1751 stattgefundenen Ueberschwemmung der Fischer Sicherl im Unzflusse einmal fünf unbekannte Fische gefangen habe, welche eine Spanne lang und schneeweiß waren, aber vier Füße hatten. Nach Steinberg wurde Scopoli durch die Landleute von Sittich in Krain auf den Olm hingewiesen, und durch ihn erhielt der naturkundige Domherr von Gurk, Siegmund von Hochenwarth, ein Stück, welches Laurenti in Wien der gelehrten Welt zur Kenntnis brachte und Proteus anguineus benannte. Wahrscheinlich aus derselben Quelle bezog auch Schreibers das Stück, welches er im Jahre 1800 ausführlicher beschrieb.


Olm (Proteus anguineus). 2/3 natürl. Größe.
Olm (Proteus anguineus). 2/3 natürl. Größe.

Seit dieser Zeit ist die Aufmerksamkeit aller Naturforscher auf jede neue Entdeckung bezüglich dieses wunderbaren Thieres äußerst gespannt. Man hat jetzt gegen dreißig verschiedene Fundstellen kennen gelernt und, nach Annahme des Grafen von Hochenwarth, weit über viertausend Olme, theils lebend, theils in Weingeist in nahe und weite Ferne abgesendet, sie überall auf das sorgfältigste untersucht, sie aber trotzdem noch keineswegs kennen gelernt.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Siebenter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Erster Band: Kriechthiere und Lurche. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 647-649.
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