[Keine Einteilung in Familien vorhanden]

[570] Eine zweite große Abtheilung der Wurzelfüßer wird als Radiolarien (Radiolaria) den Polythalamien und ihrem nächsten Anhange entgegengestellt. Der innere Weichkörper derselben besteht aus einer von einer festen Haut umschlossenen Kapsel, enthaltend Sarkode, Bläschen, Fetttropfen, Kerne; und auch die außerhalb der Kapsel befindliche Körperschicht enthält eine geringere oder größere Anzahl gelblicher Zellen, zwischen und über denen die Sarkode sich verbreitet, um über die eigentliche Oberfläche ihre veränderlichen Fortsätze auszustrecken. Das außerhalb der Kapsel befindliche Protoplasma steht durch äußerst feine Poren der Kapselhaut mit dem Binnenprotoplasma [570] im Zusammenhang. Die Fortpflanzung geht von den Kernen in der Kapsel aus. Es bilden sich Schwärmer, welche durch Platzen der Kapsel frei werden. Nur wenige Sippen dieser durch ihre Centralkapsel charakterisirten Radiolarien sind ohne Harttheile. Alle übrigen sondern Kieseltheile ab, einige in Form isolirter Nadeln und Sterne, die meisten als ein zusammenhängendes Skelett in koncentrischer, strahliger oder kugeliger Anordnung. Die Mannigfaltigkeit dieser Kieselskelette ist eine wahrhaft überraschende und die Sauberkeit und Zierlichkeit dieser Bildungen übersteigt jede Vorstellung. Wir besitzen ein großes Foliowerk von Haeckel, worin nur diejenigen Ra diolarien beschrieben sind, welche der Genannte binnen wenigen Monaten im Hafen und in der Meerenge von Messina sammelte und beobachtete. Sie gehören zu der großen Menge zarter durchsichtiger Wesen, welche frei schwimmen und schweben, zu guten Stunden millionenweise sich an der Oberfläche halten, und deren Erscheinen viel von Strömungen und Winden abhängt. Nur einzelne sind als blasse, durchscheinende Körperchen auffallend, die meisten entdeckt man erst, wenn man im Arbeitszimmer den mit dem feinen Netze von der Meeresoberfläche geschöpften Auftrieb sorgfältig untersucht. Die Weichtheile der Thierchen, insbesondere ihre Sarkodemasse, sind aber so zart und empfindlich, daß das bloße Durchfließen des Wassers durch das Netz sie tödtet.

Auch die Meere der jüngeren Urzeit waren von den Radiolarien bevölkert. Zahlreiche Formen ihrer Gehäuse finden sich neben den Polythalamien in den sicilischen Kreidemergeln; in größter Masse sind ihre Ueberreste aber in einer über tausend Fuß mächtigen Ablagerung auf Barbados von Ehrenberg nachgewiesen.

Ueber das Vorkommen der Radiolarien an anderen Orten der heutigen Meere, außer bei Messina, hatten wir bisher nur vereinzelte Angaben. Und wiederum hat die Challenger-Expedition ein neues weites Licht darüber verbreitet. Im Anschlusse an den Bericht über die Foraminiferen sagt Wyville Thomson: »Die Radiolarien verhalten sich in ihrem Vorkommen etwas anders als die Foraminiferen. Wenn nämlich das Netz in einer Tiefe von tausend Faden das Meer durchstreicht, wächst die Zahl der Radiolarien, und die Individuen der Arten, welche auch an der Oberfläche leben, sind größer. Auch stellen sich viele Formen erst bei dieser Tiefe ein, welche oben ganz fehlen. Wir nehmen daher wohl mit Recht an, daß die Radiolarien in allen Tiefen leben, auch in den größten, die mitunter sich auf fünf (englische Meilen) belaufen. Man versteht nun, daß die auf diese Art lebenden Wesen beträchtlich zu den Schichtenbildungen am Meeresgrunde beitragen. Wir fanden sogar eine Ablagerung, welche Murray als ›Radiolarien-Schlamm‹ bezeichnete, da sie fast ganz aus Resten derselben bestand. Die Schalen der Foraminiferen, welche nur in der Nähe der Oberfläche leben, scheinen, wie man sich aus der früheren Darstellung erinnern wird, ganz aufgelöst zu werden, ehe sie die großen Tiefen erreichen; der rothe Schlick, mag er nun von wo immer herkommen, lagert sich wie gewöhnlich ab; nun sind die Gehäuse der durch alle Tiefen hindurch lebenden Radiolarien so zahlreich, daß alle übrigen Bestandtheile des Bodens von ihnen bedeckt werden. Aber diese Radiolarienschicht kommt nur in den äußersten Tiefen des Oceans vor, bildet also keine zusammen hängenden Lager«.

Bei der außerordentlichen Wichtigkeit des Tiefseelebens und der Ablagerungen in den Meeresgründen sind gerade hier auch einige Mittheilungen über die Meerestemperatur, bei welcher jenes verborgene Leben fortglimmt, am Platze. Thomson faßt die Beobachtungen zusammen: »Die Temperatur in der Tiefe von zweitausendfünfhundert Faden ist sehr niedrig. Ueber der ganzen Tiefe des Pacifischen und des Atlantischen Oceans und denjenigen Theilen der Südsee, wo wir Beobachtungen anstellten, erhebt sich die Temperatur gewöhnlich etwas über den Gefrierpunkt. In den Mulden sinkt sie an einigen Stellen vielleicht ganz bis in die Nähe des Gefrierpunktes, und an vielleicht zwei Stellen des Atlantischen und Stillen Meeres finden wir das Wasser bis etwas unter den Nullpunkt erkältet. Oberhalb der Erhebungen, von welchen sich die Mulden absenken, ist die Temperatur etwas höher; die allgemeine Regel ist aber, daß auf dem Grunde des Stillen und Atlantischen Oceans sie nicht über zwei bis drei Grad steigt, also etwas oberhalb des Gefrierpunktes [571] steht. Untersucht man die Wärmeverhältnisse eines großen Meeres, wie etwa des Atlantischen von der Oberfläche an bis zum Grunde, so nimmt man ein allmähliches Fallen wahr. An der Oberfläche hängt die Höhe der Wärme von der Jahreszeit, der Breite, von der Stärke der das Wasser unmittelbar treffenden Sonnenhitze ab. Die Wärme nimmt daher oft sehr schnell bis zu einer gewissen, nicht großen Tiefe ab und fällt dann ziemlich verhältnismäßig und gleichförmig bis zur Tiefe von fünfhundert Faden, wo etwa fünfundvierzig Grad gewöhnlich sind. Von da an fällt die Temperatur sehr langsam bis nahe zum Gefrierpunkt. Am Grunde des Meeres herrscht also eine sehr gleichmäßige, aber auch sehr niedrige Temperatur«, und von dieser Gleichmäßigkeit hängt natürlich auch die Einförmigkeit des Tiefseelebens ab.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 570-572.
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