Sippe: Leuchtthierchen (Noctiluca)

[573] Entweder im unmittelbaren Anhange zu den Wurzelfüßern oder wenigstens nahe bei ihnen findet jetzt gewöhnlich ein Thierchen seinen systematischen Platz, das von vielen leuchtenden Meeresbewohnern für sich allein den speciellen Namen Leuchtthierchen (Noctiluca) erhalten. Es ist eine Rhizopode, aber eine nach innen gekehrte, das heißt eine solche, wo die veränderlichen Fortsätze sich im Inneren des äußerlich glatten, nierenförmigen Körpers verzweigen. Von einer Einbuchtung des Körpers aus erstreckt sich ein bewegliches geiselförmiges Organ hervor, womit das Wesen rudert. An dieser Stelle ist auch eine Mündung, durch welche die Nahrungsstoffe in das innere veränderliche Sarkodenetz aufgenommen werden. Ich habe an einem anderen Orte auf die vollkommene Uebereinstimmung dieses veränderlichen Netzes mit dem Ernährungsapparat eines der merkwürdigsten echten Infusorien (Trachelius ovum) hingewiesen. Gleich hinter der Eingangsöffnung findet sich eine größere Anhäufung von Sarkode, von welcher aus sich Fortsätze, welche vielfach sich verzweigen und verbinden, durch den ganzen Zellenraum sich erstrecken, um endlich mit den immer feiner werdenden Zweigelchen an der Körperwandung sich anzuheften. In dieses Netz, welches in Form und Verhalten von dem Protoplasmanetz einer Pflanzenzelle nicht zu unterscheiden, wird die Nahrung aufgenommen, sie muß mit der sie umfließenden Masse wandern und wird von jener verdaut.

Es gibt mehrere Formen oder Arten der Noctiluceen in den Meeren der gemäßigten und heißen Zonen. Sie erscheinen meist in ungeheueren Mengen, so daß sie mitunter auf weite Strecken eine bei Tage röthlich aussehende Oberflächenschicht bilden. Bei Nacht leuchten sie phosphorisch und zwar unter denselben Erscheinungen, wie andere Leuchtthiere. Erregung des Wassers und Reibung ihrer Körper steigert die Leuchtkraft.

Schon jene echten Wurzelfüßer, von denen oben die Rede gewesen, wie einst die Schwämme, werden von einer Anzahl bedeutender Naturforscher unserer Tage nicht mehr für echte Thiere gehalten. Die Reizbarkeit der Sarkode genügt ihnen nicht, um diesen Wesen eine wenn auch noch so winzige Seele zuzuschreiben, durch deren Thätigkeit die Rhizopoden sich über die mechanische Reizbarkeit der Mimosen erhöben. Wäre es uns gestattet, die Lebens- und Entwickelungsgeschichte der Organismengruppe der Schleimpilze (Myxomycetes) vorzuführen, deren wenigstens vorwiegend pflanzliche Natur bisher wenig angefochten wurde, so würden wir dabei Protoplasma-Zuständen begegnen, in denen sich alle jene Erscheinungen der veränderlichen Fortsätze der Wurzelfüßer wiederholen.

[573] Zu solchen Wesen von verblassenden Kennzeichen und zweifelhaftem Charakter führt sowohl das folgerichtige Nachdenken über die Thatsachen, aus welchen sich die die heutige Zoologie und Botanik beherrschende Abstammungslehre erhoben hat, als auch die von Meinungen völlig unabhängige direkte Beobachtung. In allen, den Radiolarien und Polythalamien sich anschließenden Wurzelfüßern kommt ein Organismus, das ist ein aus verschiedenen Theilen oder Organen zusammengesetzter Körper, wenn auch noch so einfach, dadurch zu Stande, daß in der Sarkodemasse Bläschen und besondere Kerne enthalten sind. Es muß aber, so paradox es klingt, Organismen ohne Organe gegeben haben, und es gibt deren auch in Menge. Für diese »Organismen ohne Organe, welche in vollkommen ausgebildetem Zustande einen frei beweglichen, nackten, vollkommen strukturlosen und homogenen Sarkodekörper bilden«, hat ihr Monographist Haeckel den Namen der Moneren vorgeschlagen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 573-574.
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