1. Sippe: Atlanta

[299] Ihnen schließt sich am nächsten die Familie der Atlanten, wesentlich aus der Gattung Atlanta bestehend, an, Thierchen von einigen Millimeter Durchmesser, welche man auf den ersten Anblick für Schnecken erklären wird. Dafür spricht das spiralige Gehäuse, auf dessen Rücken sich eine feine Platte als Kamm erhebt, und in dessen weite Mündung sich das Thier ganz zurückziehen kann. Darauf weist das Thier selbst, soweit es, um zu fressen und sich zu bewegen, aus der Schale hervortritt. Gerade aber an diesen Theilen zeigen sich auch sehr charakteristische Abweichungen. Der Kopf ist in eine Schnauze verlängert, an deren Ende die Mundöffnung. An dem oberen, scheitelartigen Theile dieses Kopfabschnittes zeigen sich in und an dem fast wasserklaren Thiere wichtige Theile des Nervensystems, nämlich die oberen Schlundganglien, welche sich mit dem Gehirne der höheren Thiere vergleichen lassen, und ferner die vornehmsten Sinneswerkzeuge, die Gehörbläschen, die hoch entwickelten Augen und vor diesen die Fühler. Erinnern wir uns nun, daß bei manchen Bauchfüßern der ersten Ordnungen die Sohle entweder durch Längs- oder durch Querfurchen getrennt ist und dadurch zu eigenthümlichen Bewegungsweisen geschickt wird, so wird uns gleich klar werden, daß es nur eines Schrittes weiter bedurft hat, um bei Atlanta und den übrigen Kielfüßern aus der Kriechsohle einen ganz anders gestalteten und anders arbeitetenden Körpertheil [299] zu machen. Wir sehen statt des breiten, meist unmittelbar mit dem Kopfe zusammenhängenden Fußes der anderen Schnecken einen vom Kopfe ganz abgebuchteten und in drei Abschnitte zerfallenden Theil. Der erste dieser Abschnitte ist seitlich zusammengedrückt und bildet das für die Schwimmbewegungen wichtigste Instrument, den Kiel. Er ist sehr beweglich, kann nach rechts und links geneigt werden, und mit seiner Hülfe rudert das Thier, etwa in der Weise, wie man oft ein Boot nur durch ein Ruder vom Hintertheile aus fortbewegt werden sieht. Gleich hinter dem Kiele befindet sich ein Saugnapf, mit dessen Hülfe unsere Thiere sich entweder am Grunde, in der Regel aber wohl nur an Gegenständen, welche im Meere frei schwimmen, namentlich Tangen, vor Anker legen können. Die dritte, hintere Abtheilung ist bei Atlanta ebenfalls sehr entwickelt, der Schwanz mit dem flachen hornigen Deckel auf dem Rücken, welcher wie bei anderen Schnecken die Schale schließen kann. Auf die nähere innere Beschaffenheit der Atlanta und ihrer Ordnungsgenossinnen gehen wir um so weniger ein, als die Uebereinstimmung mit den übrigen Schnecken eine sehr große ist. Diese Uebereinstimmung erstreckt sich auch auf die Entwickelung. Die Larve von Atlanta besitzt ein besonders entwickeltes Wimpersegel mit ausgeschweiften Lappen. Die Vorderkiemer gehen nun aus diesem gemeinsamen Larvenstadium in einen ihrem Aufenthalte angemessenen gröberen und mehr widerstandsfähigen Zustand über; die Kielfüßer dagegen, dem erdigen Elemente fernbleibend, sind zeitlebens scheinbar zarte, träumerische, poetische Naturen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 299-300.
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