3. Sippe: Pterotrachea

[302] Die dritte Hauptform der Kielfüßer ist diejenige der ganz nackten Pterotrachea. Der Unterschied von Carinaria beruht im wesentlichen darauf, daß der Eingeweidekern, hier von Gestalt eines Weizenkerns, nicht in einem besonderen Bruchsacke enthalten und von einer Schale bedeckt ist. Der lange cylindrische Körper setzt sich vorn in einen dünnen, meist knieförmig umgebogenen Rüssel fort, indeß er nach hinten in einen zugespitzten Schwanz ausläuft. An der Unterseite ist er mit einer beilförmigen Flosse versehen und trägt auf der Oberseite, meist dem hinteren Leibesende genähert, den spindelförmigen, zur Hälfte frei hervorragenden Eingeweidekern. Im normalen Zustande haben unsere Thiere noch einen fadenförmigen, zusammenziehbaren Schwanzanhang, an welchem in regelmäßigen Abständen knotenförmige, durch braune oder dunkelrothe Färbung ausgezeichnete Anschwellungen sitzen. Man kann dieses Organ mit den Barteln der Fische vergleichen und vermuthen, das es zum Anlocken der Beute dient; von großer Wichtigkeit kann es aber nicht sein, indem viele Exemplare dasselbe verlieren und dennoch sich ausgezeichnet zu befinden scheinen.

An Gefräßigkeit thun es die Pterotracheen den anderen womöglich noch zuvor. Wie alle fahren sie mit dem Rüssel hin und her, um Nahrung zu suchen, wobei die Zunge aus- und eingerollt wird und sie ihre Seitenzähne wie Zangen vor der Mundöffnung ausspreizen und zusammenschlagen. Durch diese Greifbewegungen der Zungenzähne werden Beutethiere gefangen und festgehalten und allmählich in den Schlund hineingezogen. Keferstein sah, daß die Pterotracheen ihre Beute lange auf diese Weise mit sich herumtrugen, und meint, diese Gewohnheit habe zu der irrigen Angabe Veranlassung gegeben, daß diese Thiere ihre Gefangenen aussaugten.

[302] Die Fortpflanzungsverhältnisse der Pterotracheen schließen sich aufs engste denen der anderen Kielfüßer an. Will man die Bemerkung Gegenbaurs gelten lassen, daß sie deswegen die am höchsten entwickelten Kielfüßer seien, weil sie wegen Mangels jeglicher Schale sich als die freieste Form herausstellten, so kann man diese durch viele Beispiele des Thierreiches gestützte Behauptung auch damit erhärten, daß der Unterschied der Geschlechter bei ihnen am weitesten gediehen sei. Den Weibchen geht nämlich der Saugnapf ganz ab, und die Männchen besitzen außerdem einen sehr ausgebildeten Kopulationsapparat. Die Eischnüre der Pterotracheen sind denen der Carinarien sehr ähnlich; sie sind verschieden lang, bald drehrund, bald etwas abgeplattet, aus einer gleichförmigen, an der Oberfläche verhärteten Glassubstanz gebildet und schließen die Dotter in einzeiliger Reihe ein. Das Eierlegen scheint das ganze Jahr hindurch stattzufinden, nach sicheren Beobachtungen wenigstens vom September bis März.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 302-303.
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