Sumpf-Napfschnecke (Ancylus lacustris)

[245] Wo die Limnäen sich aufhalten, kann man sicher auch auf die Tellerschnecken (Planorbis) rechnen, deren Gehäus in eine flache Scheibe aufgerollt ist, an welcher die Umgänge sowohl von oben wie von unten sichtbar sind. Das ziemlich schlanke Thier hat einen vorn ausgerundeten Kopflappen und zwei zusammenziehbare, am Grunde etwas verbreiterte, lange, borstenförmige Fühler. Der Fuß ist ziemlich kurz, vorn abgestutzt, hinten gerundet. Ueber ihr Vorkommen und ihre Lebensweise, ihre Bewegungen, die Art, wie sie an die Oberfläche kommen, ist etwa dasselbe zu sagen, wie von Limnaea. Sie lieben also weiches, stehendes Wasser mit Schlammgrund, und in welchem viele Pflanzen, namentlich auch die Wasserlinsen, sich befinden. Sie gehören vornehmlich der nördlichen Halbkugel und der gemäßigten Zone an. Die Entscheidung, ob sie rechts- oder linksgewunden, ist leicht zu treffen, indem der Außenrand der Mündung etwas mehr als der Innenrand vorgezogen ist. Bei einigen Arten ist das Gehäus gekielt, wie bei dem sehr gemeinen, mehr in flachen als in gebirgigen Gegenden vorkommenden Planorbis marginatus, und dem seltenen, doch weit verbreiteten P. carinatus, welcher mehr in stagnirenden Armen und Buchten langsam fließender Gewässer und in größeren Gräben und Teichen lebt. Das am meisten zusammengedrückte Gehäus besitzt P. vortex, wo es eine vollkommene, oben etwas ausgehöhlte, unten ganz platte Scheibe bildet. Die Eier aller Arten werden so abgelegt, wie die der Limnäen, aber nicht in länglichen, sondern in runden, flachen Laichen. Zu unseren Wasser-Lungenschnecken gehört auch die Lungen-Napfschnecke (Ancylus), deren wenige Arten eine napfförmige, nur[245] eine Andeutung eines Gewindes zeigende Schale besitzen. Die eine der beiden sehr gemeinen Arten lebt in stehenden, die andere in fließenden Gewässern, wo sie meist an Blättern und Steinen, mit der Schale fest angedrückt, eine sehr einförmige und faule Existenz haben. Unter den Land- und Süßwasserschnecken gibt es keine anderen mit dieser Gehäusform, wohl aber kommen ähnliche in Spanien, Amerika, Cuba und Neuseeland vor. Von manchen Zoologen wird Ancylus unter die mit Kiemen athmenden Schnecken versetzt. Ich kann zwar, trotz zahlreicher Beobachtungen, nicht behaupten, daß ich mit Sicherheit unter dem Mantelrande eine Lungenhöhle gesehen hätte, aber ganz gewiß keine Kiemen, auch spricht die Entwickelungsgeschichte für die Stellung zu den Lungenschnecken. Sie ist nämlich einfacher als die der Kiemenschnecken, obschon sie wiederum ihre eigenen Wege geht. Ich gebe die Abbildung des zum Ausschlüpfen aus dem Eie reifen Jungen der Sumpf-Napfschnecke (Ancylus lacustris). An der aus einzelnen feinen Kalkschienen zusammengesetzten Schale deutet eine auch später sich nicht weiter entwickelnde Biegung das Gewinde an. Der Mantelrand tritt rings um den Schalenrand heraus. Der Kopf mit den zwei, an ihrem Grunde die Augen tragenden Fühlern und mit Mundöffnung ist schon wohl abgegrenzt.


Embryo der Sumpf-Napfschnecke.
Embryo der Sumpf-Napfschnecke.

Die reifen Ancylen kann man sich in den meisten Gegenden leicht verschaffen, wenn man die in den Gewässern befindlichen Pflanzen oder in den Flüssen die Steine und Uferpfähle absucht.

Indem wir die wesentlichste Eigenthümlichkeit der Lungenschnecken, die Luftathmung, die Bedingung des Aufenthaltes der meisten auf dem Trockenen, nochmals ins Auge fassen, finden wir darin eine ähnliche Erscheinung, wie bei den dem Land- und Luftleben angepaßten Krebsen. Es kann keine Frage sein, daß alle Landthiere Wasserthiere zu ihren Vorfahren haben; darum erwecken die amphibiotischen Mitglieder der aus Wasser- und Landgeschöpfen gemischten Thiergruppen unsere besondere Aufmerksamkeit, da die besonderen Einrichtungen der amphibischen Gattungen auf den allmälig sich vollziehenden Uebergang aus dem einen in das andere Aufenthaltselement Licht zu werfen versprechen. Der Altmeister in der Zoologie, von Siebold, hat kürzlich seine anziehenden Beobachtungen über das Anpassungsvermögen der mit Lungen athmenden Süßwasser-Mollusken, also der Limnäaceen, mitgetheilt, wobei es sich jedoch, wie der Leser sogleich bemerkt, nicht um die Erklärung des Entstehens der Lungenschnecken aus den weiter unten von uns zu behandelnden Kiemenschnecken, sondern um eine, sozusagen rückwärtsgehende Anpassung des Luftathmungorgans an das Wasser handelt.

»Ich besuchte«, erzählt von Siebold, »von Reit aus den benachbarten, bei Seehaus gelegenen seichten und nicht sehr umfangreichen Ferchensee, welcher sich durch sein klares, meergrünes Wasser auszeichnet, und dessen Grund überall mit großen Geröllsteinen belegt ist. Auf diesen Steinen krochen unzählige Limnäen (Limnaea auricularis) umher, von denen aber kein einziges Individuum an die nahe Oberfläche des klaren Wassers zu gelangen suchte, um frische Luft in ihre Lungenhöhle aufzunehmen. Ich verweilte absichtlich längere Zeit an diesem See, war aber trotz der größten Beharrlichkeit und Aufmerksamkeit von meiner Seite und trotz der ungemeinen Klarheit des Wassers durchaus nicht im Stande, auch nur eine einzige dieser zahlreichen Lungenschnecken sich an die Wasseroberfläche begeben zu sehen, um hier Athem zu holen. Mir war dieses fortwährende Verweilen von Lungenschnecken unter Wasser um so mehr aufgefallen, da ich bei meinen früheren Besuchen stehender Gewässer der Ebenen von Berlin, Königsberg und Danzig das Auf- und Absteigen der mit Lungen athmenden Limnäen und Planorben in denselben, um Luft zu schöpfen, oft genug und auf das deutlichste habe beobachten können.« Aber fortgesetzte Untersuchungen bestätigten dem Münchener Zoologen, daß »im tiefen Bodensee, im seichten Ferchensee, an flachen Stellen des Königssees und in dem schnellfließenden Wasser eines Aquädukts bei Reit [246] im Winkel die der Gattung Limnaea und Planorbis angehörenden Lungenschnecken, wie es scheint, gänzlich verlernt hatten, ihre Lungen als solche zu gebrauchen, und aufgegeben, dieselben mit frischer Luft zu füllen«.

Diese schon an sich interessanten Beobachtungen von Siebolds über die Lebensweise unserer Wasser-Lungenschnecken, woran er seine lehrreichen Betrachtungen über das Anpassungsvermögen im Sinne der Umwandlungstheorie knüpft, bekommen nun aber ein ganz anderes Gesicht durch die von großem Erfolge gekrönten Untersuchungen, welche Simroth im Sommer 1874 in Straßburg anstellte. Ich verdanke der Feder des jungen Naturforschers die folgende Darstellung, welche allen nicht bloß auf die Kenntnisse, sondern auf das Verständnis unserer Umgebung ausgehenden Freunden der belebten Welt willkommen sein wird.

Von unseren Lungenschnecken zeichnen sich die, welche im Süßwasser ihren Aufenthalt genommen haben, zum Theil durch eine auffallende Umwandlung ihrer Athmungsorgane aus; alle aber bekunden durch ihren Körperbau und die Art ihrer Entwickelung eine nahe Verwandtschaft zu dem wichtigsten Vertreter der Vorderkiemer, welcher mit ihnen das Lebenselement theilt, zur Sumpfschnecke (Paludina, siehe unten).


Tellerschnecke (Planorbis corneus). Natürliche Größe.
Tellerschnecke (Planorbis corneus). Natürliche Größe.

Die Fähigkeit, bei ihren Fahrten tief unter den Wasserspiegel, trotz der Langsamkeit ihrer Bewegungen sich der Lungenathmung zu bedienen, verdanken sie der in der Lungenhöhle eingeschlossenen Luft, welche ihr specifisches Gewicht so herabsetzt, daß sie dadurch allein, der Anheftung mit der Sohle sich begebend, an die Oberfläche emporgehoben werden. Bei der Ankunft wird mit großer Sorgfalt von den Rändern des bis dahin fest verschlossenen Athemloches ein offener Trichter gebildet, der gerade mit der Fläche des Wassers zusammenfällt und so wohl der Luft, niemals aber dem Wasser Zutritt zu der Lungenhöhle gewährt. Um ein so genaues Oeffnen des Athemloches zu ermöglichen und die Schnecke genau über dessen Abstand vom Wasserspiegel zu unterrichten, dient, wie es scheint, ein von Lacaze-Duthiers entdecktes Sinnesorgan. Ein kleiner Nervenknoten umhüllt einen kurzen, wimpernden Hautkanal, der gerade in der Mantelecke vor dem Athemloche liegt.

[247] Sind so die Bedingungen erfüllt, welche die Lungenathmung auch so langsamen Thieren, wie diesen Schnecken, im Wasser gestatten, so gesellen sich doch bei der Tellerschnecke noch weitere hinzu, um das Wasserleben zu stützen und zu vervollkommnen. Jenes trichterförmige Athemloch entspricht hier nur der vorderen Hälfte der ganzen Lungenhöhlenöffnung. Die hintere bildet einen Eingang für sich, und beide werden abgeschlossen durch einen Wall, der den Boden der Athemhöhle in seiner ganzen Länge und so auch die Oeffnung halbirt. Er schließt hauptsächlich den Mastdarm ein. Diesem Wall, der oben rinnenförmig ausgehöhlt ist, läuft eine Verdickung der Athemhöhle parallel, die in die Räume hineinpaßt. Dadurch wird die Athemhöhle in zwei Räume geschieden, einen vorderen, mit dem trichterförmigen Eingange, den Lungen-, und einen hinteren, den Kiemenraum. In dem letzteren findet sich noch eine starke Längsfalte oder Leiste am oberen, hinteren Rande, die man sich nur in Blättchen zu denken hat, um daraus die Kammkiemen der Sumpfschnecke herzuleiten. Am Eingange des Kiemenraumes, an dessen vorderer Seite, ist endlich ein Hautanhang (vergleiche Abbildung S. 247) zu erwähnen, der, von dem trennenden Walle ausgehend, für gewöhnlich klein und unbedeutend erscheint, aber bei seinem Reichthume an Gefäßen durch einen eingetriebenen Blutstrom zu einem großen, löffelförmigen Gebilde ausgedehnt werden kann. Dann sieht er mit seiner hohlen Seite nach hinten und dient nicht nur selbst als Respirationsfläche, sondern leitet auch das Wasser in den Kiemenraum. Dadurch erhält denn die Schnecke eine wahre Doppelathmung und gebraucht dieselbe meist so: wenn sie an der Oberfläche sich befindet, öffnet sie ihr Lungenloch und läßt Luft in den Lungenraum eintreten. Will sie unter Wasser gehen, so verschließt sie diese Oeffnung, wobei ein Theil der Luft unter zischend pfeifendem Geräusche entweicht, ähnlich wie auch bei Limnaea. Landois hat neulich diesen Ton als Schneckenstimme beschrieben. Jetzt wird die Hauptmasse des Blutes in den Kiemenraum getrieben, denn der Hautanhang schwillt an und leitet die Wasserath mung ein.

Kommt die Schnecke wieder an die Oberfläche und athmet Luft, so sieht man den Anhang schlaff werden und zusammenfallen und schließt daraus, daß das Blut nun hauptsächlich die Gefäße der Lungendecke erfülle.

Diese auffallende Einrichtung berechtigt zu weiteren Vermuthungen, die Verwandtschaft der Tellerschnecke zur Sumpfschnecke betreffend. Nicht nur die schon angedeutete Beziehung zwischen der Kiemenleiste jener zur Kieme der Schlammschnecke, sondern man findet auch jenen Anhang bei letzterer wieder; hier aber kann er nicht mehr angeschwellt und vorgestreckt werden, sondern steht nur noch der Wasserleitung vor. Ebenso trifft man einen Abschnitt an, welcher dem Lungenraume entspricht, nur mit dem Unterschiede, daß seine Oeffnung nicht mehr einen engen Trichter bildet, sondern sich zu einer langen Spalte erweitert hat, wobei der Raum seine Fähigkeit, Luft zu athmen, einbüßte.

Man müßte aus dieser Darstellung entnehmen, daß die bisherigen Ansichten über die Abstammungsverhältnisse der in Frage kommenden Schnecken umzukehren wären. Doch es wird zweckmäßig sein, einstweilen nur bis hierher Simroths sowohl die Lebensweise wie die Verwandtschaft unserer Schnecken in einem ganz neuen Lichte erscheinen lassenden Mittheilungen entgegen zu nehmen, um erst weiter unten, bei Gelegenheit der Paludinen, darauf zurückzukommen.

Wir haben im Obigen bei weitem nicht alle Familien oder gar Gattungen der Lungenschnecken berücksichtigen können, knüpfen aber nun an die mitgetheilten Einzelheiten noch einige allgemeine Betrachtungen, die zum Theile nicht bloß die Schnecken, sondern die ganze Thierwelt angehen, zu welchen man aber durch diese Gruppe der Weichthiere ganz besonders angeregt wird. Sieht man ab von einigen Würmern, z.B. den Regenwürmern, so gibt es kaum eine andere Abtheilung der höher entwickelten Thierwelt, deren Mitglieder so eng an den Boden und die Lokalität gebunden wären, und dabei in so außerordentlicher Art und Mannigfaltigkeit vorkämen, als die Lungenschnecken. [248] Wegen der geringen Hülfsmittel, sich fortzubewegen, sind sie den geringsten Versuchungen, ihren Verbreitungsbezirk zu erweitern, ausgesetzt, und man darf daher hoffen, die ihrer Verbreitung zu Grunde liegenden allgemeinen Gesetze einfacher und klarer ausgedrückt zu sehen, als bei denjenigen Thieren, welche bei ähnlich hoher Organisation mit viel reicheren Mitteln, ihren Wohnsitz zu wechseln, ausgestattet sind. Wir finden von Keferstein die hier in Betracht kommenden Thatsachen äußerst umsichtig und vollständig gesammelt, nehmen aber in der Erklärung der Thatsachen den entgegengesetzten Standpunkt ein.

Den Einfluß des Klimas und Bodens auf die Verbreitung der Lungenschnecken haben wir schon oben berührt. Es wurde hervorgehoben, wie denselben besonders ein Kalkboden günstig sei; derselbe äußert seinen Einfluß weniger auf die Helix- und Limax-Arten, als auf Clausilia und Pupa. Die Fülle der Clausilien in Dalmatien mag dafür zeugen. Daß die Wärme, die mächtigste Freundin des Lebens, der Verbreitung nach den Höhen der Gebirge und nach den Polen ihre Ziele setzt, wird natürlich auch in der Abnahme der Lungenschnecken in diesen Richtungen ihre Beglaubigung finden. Am strengsten ist dies bei den Landpulmonaten ausgedrückt. Doch dies ist ein ganz allgemein geltendes Gesetz. Im höchsten Grade überraschend ist es aber, daß wir gerade auf den Inseln den größten Reichthum an Lungenschnecken finden, indem auf die Madeiragruppe einhundertvierunddreißig Arten kommen, auf Cuba dreihundert, Jamaica zweihundertundfunfzig, Sandwichinseln zweihundertundfunfzig, Philippinen über dreihundertundfunfzig. Aus der Vergleichung dieser Arten mit denen der benachbarten Festländer geht dann hervor, daß der gemeinsamen Arten höchst wenige oder keine, oder solche sind, welche wegen ihrer großen Verbreitung den Namen von Kosmopoliten verdienen, daß also das Meer für die heutige Verbreitungsweise der Lungenschnecken eine fast absolute Grenze ist, ganz besonders für die Isolirung auf Inseln und Inselgruppen. In ähnlicher Weise finden wir durch hohe Gebirgszüge eine Scheidung hervorgebracht. So sind in Nordamerika östlich vom Felsengebirge 309 Arten, westlich 94 Arten gefunden, nur zehn Arten kommen aber beiden Gebieten gemeinschaftlich zu, und fast genau so ist das Verhältnis zwischen den durch die Andes getrennten Gebieten von Südamerika.

Die großen, artenreichen Gattungen, wie Helix, Bulimus und andere, sind fast über die ganze Erde verbreitet, die kleinen, aus einer oder nur einigen Arten bestehenden Gattungen, die wir oben gar nicht genannt, finden wir in fast gleicher Vertheilung auf den Inseln und den Kontinenten, »und sehen also auch darin in Bezug auf ihre Ausdehnung eine große Bevorzugung der ersteren«. Jedoch auch einige große Gattungen haben ein bloß insuläres Vorkommen, wie z.B. die zweihundertundsieben Arten der zu den Heliciden gehörigen Achatinella ausschließlich auf den Sandwichinseln leben. »Es wird also immer mehr klar«, sagt Keferstein, »wie die Inseln in allen Verhältnissen der Pulmonatenfaunen den großen Faunengebieten der Kontinente gleichstehen und im Verhältnisse zu ihrer räumlichen Ausdehnung also sehr bevorzugt sind.« Am meisten sind von der Isolirung die Landschnecken betroffen, während die Limnäaceen sich häufiger durch mehrere Gebiete erstrecken. »Mit gewohntem Scharfsinne«, fährt Keferstein fort, »hat Darwin diese auffallende Verbreitung der Süßwasserpulmonaten und anderer Süßwasserbewohner erläutert. Während die Süßwasserpulmonaten wegen ihrer nach allen Seiten sicher abgeschlossenen Wohnsitze auf den ersten Blick viel weniger Aussicht auf eine weitere Verbreitung besitzen als die Landpulmonaten, zeigt Darwin, daß ihr an Wasserpflanzen befestigter Laich durch Wasservögel leicht weit fortgeführt zu werden gestattet, und daß selbst durch dieselben Mittel die junge Brut derselben einen fernen Transport aushält. Darwin sah, wie eine Ente sich aus dem Wasser erhob und an ihrem Füße Wasserlinsen mit sich führte, und beobachtete, wie eben ausgeschlüpfte Schneckchen sich zahlreich und sehr fest an einem ins Wasser gehängten Entenfuße befestigten. Lyell, der berühmte englische Geolog, sah ferner an einem Dytiscus jenen Ancylus fest ansitzen, der also durch den Käfer von einem Wasser ins andere getragen werden konnte, und Darwin stellte überdies durch Versuche fest, wie im Winterschlafe und durch den Deckel geschlossen die Pulmonate lange Tage den [249] Transport in Seewasser ertragen können. Alle diese Verhältnisse kommen ausschließlich oder doch besonders der Verbreitung der Süßwasserbewohner zu gute, und es darf uns nicht Wunder nehmen, daß wir diese im allgemeinen über größere und selbst unzusammenhängende Gebiete verbreitet finden.«

Indem nun Keferstein durch diese und ähnliche Umstände die oft so ausgedehnte Verbreitung der Thiere im allgemeinen und der Lungenschnecken insbesondere erklärt, findet er den letzten Grund des Daseins der einzelnen Arten in der Annahme oder Hypothese der Schöpfungsmittelpunkte. Diese Annahme, welche unter den heutigen Naturforschern, in Deutschland wenigstens, nicht zahlreiche Anhänger hat, läßt jede Art, wie sie ist, d.h. mit allen Merkmalen innerhalb einer gewissen Dehnsamkeit, aber im ganzen doch konstant einmal an einem bestimmten Orte geschaffen sein, verzichtet auf die klare, begreifliche, wissenschaftlich zu behandelnde Vorstellung, auf welche Weise diese Schöpfung vor sich gegangen sei, und nimmt ferner an, daß eine jede Art von ihrem ursprünglichen Entstehungsorte aus sich strahlenförmig ihren Verbreitungsbezirk im Laufe der Jahrtausende errungen. Diese Annahme geht zwar einen Schritt weiter, als der ehrwürdige Linné, der sich vorstellte, die ganze Erdoberfläche sei einst von einem ungeheueren Ocean bedeckt gewesen, mit Ausnahme von einer einzigen Insel, worauf hinlänglicher Raum für alle Thiere gewesen und die Pflanzen freudig sproßten. Ein hoher, bis in die Schneeregion reichender Berg, wie etwa der Ararat, würde in seinen übereinander liegenden Zonen den lebenden Wesen für ihre verschiedenen klimatischen Bedürfnisse genügt haben. Von dort seien die Pflanzen durch die Winde verstreut und durch die nach allen Richtungen auswandernden Thiere verschleppt, während mit dem allmählichen Zurücktreten des Meeres mehr und mehr Festland entblößt worden sei. Es ist, sage ich, mit der Annahme der Einzelschöpfung auf den verschiedensten Punkten der Erdoberfläche den handgreiflichen Unmöglichkeiten jener kindlichen Linné'schen Vorstellung einigermaßen begegnet. Noch bequemer ist es aber offenbar, sich mit Agassiz die unbegreifliche Schöpferkraft bei der Schaffung jeder einzelnen Art so ausgedehnt zu denken, daß dieselbe an vielen gleich geeigneten Orten in vielen Individuen zugleich entstand. Alles Kopfzerbrechen hat damit ein Ende, der Nachweis des ehemaligen Zusammenhanges jetzt getrennter Gewässer und Länder, welche gleiche Arten beherbergen, ein Nachweis, in dem seit einigen Jahrzehnten überraschende Fortschritte gemacht sind, ist dabei ganz überflüssig; es braucht daher keiner Erklärung, sondern des Glaubens.

Auf unsere Lungenschnecken angewendet, sagt die Hypothese der Schöpfungsmittelpunkte, daß, wenn z.B. von den einhundertvierunddreißig Arten der Madeiragruppe nur einundzwanzig Arten in Europa sich finden, jene übrig bleibenden einhundertunddreizehn Arten gerade so, wie sie sind, eigens in Madeira mit allen Unterschieden, welche sie jetzt zeigen, geschaffen wurden.

Nach unserem Standpunkte ist die Hypothese von der Erschaffung der heutigen Arten völlig ungenügend, weil die Erklärung, welche sie gibt, eine unbegreifliche, daher unwissenschaftliche ist. Wir legen das größte Gewicht, wie unter den Konchyliologen namentlich auch Roßmäßler schon vor mehr als drei Jahrzehnten gethan, auf die Erscheinungen der Akklimatisation und Anpassung. Und wenn die Schnecken der Canaren und von Madeira so auffällig verschieden sind von denjenigen des afrikanischen und des europäischen Kontinentes, so ist dies nichts weniger als ein Beweis verschiedener Schöpfungsakte, sondern nur dafür, daß der nordwestliche Theil von Afrika weit eher von den Canarischen Inseln und der Madeiragruppe getrennt war, als die Umprägung und Umwandlung früherer gemeinsamer Arten in die heutige Schneckenfauna begann, wie es uns natürlich unzweifelhaft ist, nicht als Glaubensartikel, sondern nach den Erscheinungen der Entwickelungsgeschichte und der Varietätenbildung, daß solche Stammformen existirten. Die Verbreitung der heutigen Lungenschnecken unter der Voraussetzung der Stabilität der Inselwelt und der Festländer ist völlig unbegreiflich. Das sieht natürlich jeder Naturforscher ein, mag er übrigens irgend welcher Hypothese über die Entstehung huldigen. Höchstens die Anhänger der Lehren von Agassiz haben so viele Schöpfungsakte, als man wünscht, bei der Hand, und wenn die Weinbergschnecke diesseit und jenseit des Kanals vorkommt, so bedarf es des längst geführten Beweises vom einstmaligen [250] Zusammenhange Britanniens mit dem Festlande gar nicht, sondern die Umstände, welche das erste Erscheinen des Thieres hier verursachten, werden auch drüben gewirkt haben.

Die Verbreitung der heutigen Thierwelt gewinnt aber ein ganz anderes Aussehen, wenn man die jüngeren geologischen Umgestaltungen der Erdoberfläche berücksichtigt. Dies ist in der neuesten Zeit mit großem Erfolge geschehen, wenn auch dieser Erfolg vorläufig in der Hauptsache nur darin besteht, daß die alte Weise des Aufzählens der Verbreitungsbezirke als das Wesentliche der Thiergeographie, allenfalls mit Hinzunahme jener Schöpfungshypothesen, als völlig ungenügend angesehen wird, und daß man auf die thatsächlichen Gründe dieser Verbreitung dadurch zu kommen sich bemüht, daß man an der Hand der Geologie die frühere Gestaltung der Erdoberfläche reproducirt und aus derselben und den später erfolgten Umänderungen und Trennungen die Art und Weise der jetzigen Verbreitung erklärt.

Um einen Begriff zu geben, wie die an sich scheinbar unfruchtbaren Untersuchungen und Beschreibungen der Schnecken und Schneckengehäuse umgekehrt zu den interessantesten geologischen Schlüssen führen, wollen wir uns noch mit den Untersuchungen von Bourguignat über die geographische Verbreitung der Land- und Flußschnecken in Algerien und den benachbarten Regionen bekannt machen. Man wird es uns nicht verübeln, wenn wir hier und da über das eigentliche Leben der Thiere hinausgehen und die Folgerungen daraus für andere Gebiete der Wissenschaft in unsere Darstellung ziehen. Der französische Schriftsteller spricht zwar von den Land- und Süßwasserweichthieren im allgemeinen, also auch von den Muscheln, die Bedeutung der nicht zu den Lungenschnecken gehörigen Arten für die zu beantwortenden Fragen ist aber sehr untergeordnet.

Was von der gegenwärtigen Vertheilung dieser Thiere für Algerien gilt, kann ohne weiteres auf Marokko und Tunis ausgedehnt werden. Wenn man nun die algerische Weichthierfauna im großen überblickt, so erkennt man, indem man die Thiere nach ihren Standorten zusammenfaßt, daß da, wo sich im Centrum der Regentschaft Algerien die Region der Hochebenen hinzieht, sich ganze Reihen von Mollusken mit schwerer, dicker Schale und eigenthümlich beschaffener Mündung befinden; daß zu beiden Seiten, parallel mit den Hochebenen, sich zwei Zonen von Weichthieren mit knotigem oder durchscheinendem Gehäuse, wiederum von charakteristischer Form, hinziehen, und daß endlich nicht nur am Rande des Mittelmeeres, sondern auch am Saume der großen Wüste im Süden der zweiten Kette des Atlas sich noch eine Reihe von Gestadeschnecken findet, die nämlichen Arten, deren Gehäuse man auch an den Ufern der ehemaligen Salzseen der Hochplateaus sammeln kann, die also dort lebten, als jene Seen noch mit Wasser gefüllt waren. Die Wüste selbst ist durch die fast gänzliche Abwesenheit jetzigen und einstigen Lebens charakterisirt. Man durchwandert also vom Mittelmeere an eine Zone der Küstenfauna, dann eine Berg-und eine Hochplateauzone, und im Hinabsteigen zur Wüste wiederum die Berg- und endlich die Küstenzone. Wie oben gesagt, zeichnet sich die Mehrzahl der Schnecken der Hochebenen durch ihre dicken, starken Schalen sowie durch einen starken Mundsaum und einige Höcker oder Zähne in der Mündung aus, und merkwürdigerweise sind die fossilen Schnecken, die an denselben Lokalitäten schon zur Tertiärzeit lebten, von derselben charakteristischen Beschaffenheit. Es geht daraus hervor, daß dieselben Bedingungen, welche den heutigen Plateauschnecken von Algerien ihr besonderes Gepräge geben, schon in jener vorweltlichen Periode ihren Einfluß geltend machten und ohne Unterbrechung fortgedauert haben.

Zu beiden Seiten der Hochebenen finden sich also zwei lange Zonen mit einer anderen Schneckenthierwelt, welche Bourguignat Bergfaunen nennt, weil sie durchaus den Reihen von Höhen und Erhebungen entspricht, welche sich von Marokko nach Tunis fast gleichlaufend mit den Hochebenen hinziehen. Die Ausdehnung und natürliche Beschaffenheit dieser Bergländer bringen es mit sich, daß ihre Thierwelt die reichste ist, gegen welche die Molluskenfauna der übrigen Zonen fast ganz zurücktritt. Indem Thäler und Höhen, Waldungen und Wiesen, Kalk-und Granitboden mit einander abwechseln, herrscht zwar eine große Mannigfaltigkeit unter diesen[251] Schnecken, und namentlich lassen sich die Thalbewohner den die Höhen liebenden Arten gegenüberstellen; wie sich aber jene natürlichen Verhältnisse auf beiden Seiten wiederholen, finden sich auch in beiden Parallelzonen dieselben charakteristischen Arten, vorherrschend Helix und Arten des fleischfressenden Zonites. Die in den Thälern oder am Fuße der Gebirge lebenden Arten haben in der Regel ein kalkiges Aussehen, eine weiße, mehr oder weniger gebänderte oder getüpfelte Schale, oder ein durchscheinendes, zerbrechliches, oft rauhes Gehäuse. Diejenigen aber der Höhen und der hochliegenden Wälder und Dickichte sind fast immer nur mittelgroß und haben eine dünne, durchscheinende, mitunter gekielte Schale, an deren Mündung ein besonderer Rand in der Regel nur in geringem Grade entwickelt ist.

Was die dritte Gruppe betrifft, so macht der französische Naturforscher darauf aufmerksam, daß er längs der Ufer des gesammten Mittelmeeres gewisse Schnecken, und zwar fast ausschließlich Lungenschnecken, fand, die eben keiner Fauna, keinem Lande besonders anzugehören scheinen. Sie kommen nur längs der Küsten und Riffe, nur in solchen Gegenden vor, wo der Einfluß des Meeres sich geltend macht, oder auch in solchen, welche einst Meeresufer gewesen sind. Findet man sie ausnahmsweise tiefer im Inneren, so sind sie sicher einem Thale oder Wasserlaufe gefolgt, in welchem das Meer noch seinen Einfluß ausübt; ihre Ausbreitung hat ihre Grenze, wo dieser Einfluß aufhört. Indem Bourguignat der Hypothese der Schöpfungsmittelpunkte huldigt, unterscheidet er von den kosmopolitischen Arten, nämlich von solchen, welche an der ganzen Mittelmeerküste sich verbreitet haben, diejenigen, welche ihr Schöpfungsgebiet nicht überschreiten, z.B. für unseren Fall die Helix lactea. Diese Schnecke, welche für das große spanische Centrum charakteristisch ist, findet sich fast im ganzen Umkreise dieses sogenannten Schöpfungscentrums, von Tunis, Algerien und Marokko an bis zu den östlichen Pyrenäen. In Algerien nun lebten diese beiden Sorten von Gestadeschnecken nicht nur an der ganzen Mittelmeerküste, sondern auch an der Nordgrenze der Sahara am Fuße der zweiten Atlaskette und sogar an den Rändern der Hochplateaus. Diese unleugbare zoologische Thatsache beweist, daß da, wo sich eine Reihe solcher Uferarten finden, einst Meeresgestade sein mußte. Obwohl noch andere Thatsachen auf den einstigen Zusammenhang Spaniens mit Nordafrika hinweisen, ist kein anderer Umstand so überzeugend, nämlich für diejenigen Naturforscher, welche die vielmalige Schöpfung einer und derselben Art an verschiedenen Orten ausschließen, als die oben dargestellte Verbreitung der Lungenschnecken.

Beim Beginne der gegenwärtigen Epoche unseres Erdtheiles, als die jetzt lebenden Arten, nach Bourguignats und Kefersteins Ansichten eben geschaffen waren, nach unserer Meinung sich schon zu ihrem noch heutigen Aussehen entwickelt hatten, war der Norden Afrikas eine zu Spanien gehörige Halbinsel; eine Meerenge von Gibraltar gab es nicht, und das Mittelmeer hing mit dem Ocean durch die große Wüste zusammen, damals ein weites Meer. Zu dieser Zeit waren auch die Hochebenen von Algerien von großen salzigen Binnenseen eingenommen, welche nach und nach ausgetrocknet sind und ihr jetziges Aussehen angenommen haben. Während des allmählichen Austrocknens ging auch die Akklimatisation jener Uferschnecken vor sich. Daß diese tiefen Veränderungen des Aufenthaltsortes keine bedeutenden Umwandlungen im Aeußeren der betreffenden Arten im Gefolge gehabt, während wir doch bei vielen Landschnecken sehr auffallende Varietätenbildungen nach der Verschiedenheit der Standorte treffen, ist merkwürdig. Es darf aber nicht übersehen werden, daß, wenn man die spanische Molluskenfauna mit der algerischen zusammenstellt, sich zwar eine fast vollständige Uebereinstimmung findet, wodurch diese algerische Thierwelt als ein bloßer Anhang der spanischen erscheint und Spanien als das »Schöpfungscentrum«, dessen Strahlen einst auch über die »Halbinsel« Algerien sich ausbreitete, daß aber, sagen wir, zahlreiche spanische Arten in Algerien nur durch sogenannte »analoge Arten« vertreten sind. Verbindet man mit diesem Ausdrucke keinen weiteren Gedanken, als Bourguignat, nämlich, daß gewisse spanische Arten zwar nicht selbst in Algerien vorkommen, wohl aber durch ihnen systematisch sehr nahe stehende Formen repräsentirt sind, so ist damit sehr wenig gesagt, weil bloß ein thatsächliches [252] Verhältnis umschrieben wird. Man erklärt aber die Thatsache, wenn man mit den Anhängern der Umwandlungslehre annehmen darf, daß eine der beiden analogen Formen eine wirkliche, durch klimatische Verhältnisse und Anpassung hervorgerufene, Abzweigung der anderen ist, oder daß beide direkt von einer dritten Form abstammen. Die Wissenschaft ist noch lange nicht in der Lage, diesen Beweis der Abstammung immer wirklich antreten und führen zu können; wenn aber die Forschung von diesem Gedanken sich beseelen läßt und an Stelle des Wunders das Begreifliche setzen zu können hofft, wird die Wissenschaft selbst dadurch erhoben und das Interesse an den Erfolgen der Wissenschaft im großen Kreise ihrer Freunde gefördert. Uebrigens will wohl auch Bourguignat die Sache nahezu so aufgefaßt wissen, indem er an einer anderen Stelle zugibt, daß eine Schnecke, welche von ihrem gebirgigen Ausgangspunkte in die Ebene hinabsteigt, im Laufe der Jahrhunderte solchen modificirenden Einflüssen unterworfen sein könne, daß die Neuerungen, welche sich an ihr bemerklich machen, nach und nach sich fixiren und das bilden, »was man thatsächlich eine (neue) Art nennt«.

Wir halten diese höhere Auffassung des Thierlebens für so ungemein wichtig und in unserer Aufgabe durch die gegenwärtigen Streitfragen der Zoologie für so geboten, daß wir für die darauf bezüglichen scheinbaren Abschweifungen von unserem nächsten Thema mehr als entschuldigt zu sein glauben.

Ohne der Verbreitung der Lungenschnecken über die ganze Erdoberfläche nachzugehen, wollen wir wenigstens im Anschlusse an das oben Angeführte den Charakter der großen, uns am meisten interessirenden europäisch-asiatischen Provinz nach Keferstein angeben. »Diese größte aller Pulmonatenprovinzen umfaßt ganz Europa, Afrika nördlich vom Atlas, Nordegypten, Kleinasien, Syrien, Persien, Asien nördlich vom Himalaya und die sich zur Mitte Chinas hinein erstreckenden Gebirge: sie nimmt also die ganze nördliche Alte Welt bis fast zu dreißig Graden nördlicher Breite ein. Durch kein Hindernis beschränkt hat sich eine typisch gleiche Pulmonatenfauna über dies ungeheuere Gebiet ausgebreitet, und wie der Ural fast für keine Thierordnung eine natürliche Grenze bildet, so vermochten auch die Alpen, der Balkan und der Kaukasus der Verbreitung der Pulmonaten keinen wesentlichen Widerstand zu leisten. Von Inseln gehören zu dieser Provinz, außer den im Mittelmeere belegenen, Großbritannien und Irland, die in einer früheren Zeit unserer Jetztschöpfung ohne Frage mit dem Kontinente zusammenhingen, und Island, während Grönland sich näher an Amerika anschließt, und Japan, so weit man es beurtheilen kann, eine selbständige Provinz bilden muß. Von den warmen Klimaten Algeriens erstreckt sich unsere Provinz also durch die Länder gemäßigter Temperatur bis zu den kältesten Gegenden Lapplands und Nordsibiriens, und es ist klar, daß durch die großen Klimaunterschiede eine große Verschiedenheit der Reichhaltigkeit der Pulmonatenfaunen bedingt sein muß. Finden wir aber auch in den Mittelmeerländern an achthundert Pulmonaten, in Deutschland nur zweihundert, in Norwegen nur funfzig, in Lappland endlich nur sechzehn und im äußersten Norden Sibiriens nur etwa fünf Arten, so erweisen sich doch bei genauer Betrachtung die Pulmonatenfaunen jener kälteren Länder nur als verarmte Faunen der wärmeren, und können deshalb ebensowenig einen Anspruch auf Selbständigkeit erheben, als die Faunen der salzarmen Ostsee im Verhältnisse zu denjenigen der Nordsee. Jene deutschen Pulmonaten trifft man nämlich auch fast alle in Italien, alle norwegischen und lappländischen auch in Deutschland, und wir sehen daher im Süden nur neue Arten hinzukommen, während die nordischen auch dort ausdauern, im Norden dagegen treffen wir fast nur Arten, die wir auch aus dem Süden schon kannten, ohne dabei aber zugleich specifisch nordische Arten zu finden.« – »Natürlich finden an den verschiedenen Stellen dieser ungeheueren Provinz große Unterschiede in der Reichhaltigkeit der Fauna und in geringerem Grade auch in der Zusammensetzung derselben statt, aber wesentlich tritt uns doch eine wunderbare Gleichförmigkeit entgegen, und wir erstaunen, unter den Pulmonaten des Amurgebietes Dreiviertel, unter denen Tibets noch die Hälfte auch in Europa verbreiteter Arten zu finden.«

[253] Aus Bourguignats ergänzenden minutiösen und deshalb höchst werthvollen Vergleichungen geht dann weiter hervor, daß für Europa die Alpenkette der Ausgangspunkt der Verbreitung gewesen. Wir haben uns nicht vorzustellen, wie man aus Kefersteins Worten entnehmen könnte, daß die europäischen Lungenschnecken alle als getrennte Arten im Süden der Alpen entstanden seien und dann ihre Reise über die Alpen angetreten hätten, sondern die Wanderung ging von den Alpen aus. Die ursprüngliche Verbreitung über das Alpengebiet selbst lassen wir auf sich beruhen. Jedenfalls liegt es in der klimatischen und geologischen Beschaffenheit der mitteleuropäischen Ebenen und nordeuropäischen Ländermassen, daß die Zahl der sich dorthin ausbreitenden Arten eine geringe blieb und sich durch Anpassung nicht vermehrte, wogegen die viel gefurchten Südabhänge der Alpen und die vielgegliederten sich anschließenden südlichen Länder jene Bedingungen zur Umwandlung und Vervielfältigung der Arten in hohem Maße darboten. Wenn trotzdem diese südeuropäischen Lungenschnecken noch lange nicht die verhältnismäßige Mannigfaltigkeit der Pulmonaten auf den Westafrika gegenüberliegenden Inselgruppen erreicht haben, so lassen sich dafür wissenschaftliche Gründe anführen, ohne daß man mit den Schöpfungshypothesen den Knoten zu durchhauen braucht. Deuten wir nur an, daß bei der äußerst geringen Konkurrenz aus anderen Thierklassen der Kampf um das Dasein von den Schnecken von Madeira, den Limnäaceen und anderen kaum gekämpft zu werden brauchte, während die südeuropäische Thierwelt jeden Schritt sich gegenseitig abgewinnen mußte, und daß dabei die Lungenschnecken eine sehr passive Rolle zu spielen verurtheilt waren.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 245-254.
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Liebelei. Schauspiel in drei Akten

Die beiden betuchten Wiener Studenten Theodor und Fritz hegen klare Absichten, als sie mit Mizi und Christine einen Abend bei Kerzenlicht und Klaviermusik inszenieren. »Der Augenblich ist die einzige Ewigkeit, die wir verstehen können, die einzige, die uns gehört.« Das 1895 uraufgeführte Schauspiel ist Schnitzlers erster und größter Bühnenerfolg.

50 Seiten, 3.80 Euro

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Große Erzählungen der Spätromantik

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Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

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