Gemeiner Seehase (Aplysia depilans)

[309] In den Zaubergeschichten der römischen Kaiserzeit kommt wiederholt der Seehase vor (Lepus marinus). Apulejus hatte eine reiche Wittwe geheirathet, und der Verdacht und Beweis, daß hierbei Zauberei im Spiele, fiel deshalb auf ihn, weil er einen Fischer bezahlt hatte, damit er ihm jene Thiere verschaffe. So viele Tage, als der aus dem Meere genommene Seehase noch lebte, quälte sich das Opfer, dem die Ausscheidung des Thieres beigebracht war. Noch heute nennen die Fischer dieses übel beleumundete Thier den Seehasen, an einigen Küstenstrecken Englands auch Seekuh. Der Kopf dieser äußerlich ganz nackten Schnecke rechtfertigt diese Benennung. Er trägt vier Fühler, zwei platte dreieckige, welche fast horizontal vorgestreckt werden und den Weg und die Nahrung betasten, und zwei aufrecht stehende, welche täuschend einem Paare löffelförmiger Hasenohren ähnlich sehen. Vor den letzteren liegen die Angen. Auf der Mitte des Rückens befindet sich das Mantelschild, in welchem eine schwach gewölbte, entweder ganz hornige oder auch kalkige Schale enthalten und welches hinten in eine kurze Röhre sich fortsetzt.


Seehase (Aplysia depilans). Natürliche Größe.
Seehase (Aplysia depilans). Natürliche Größe.

Durch diese gelangt das Wasser zu der Kieme. Die äußeren Enden derselben ragen gewöhnlich rechts unter dem Schildrande hervor. Sie aber und der größte Theil des Rückens können durch zwei flügelartige Hautfortsätze bedeckt werden, mit welchen das Thier gewöhnlich, wenn sie aufrecht stehen, undulirende Bewegungen ausführt. Die Angabe, daß die Seehasen mit Hülfe dieser Lappen auch schwimmen könnten, ist wohl unrichtig; dazu sind die Thiere viel zu plump und die Lappen zu wenig ausgedehnt. Wenn man die Seehasen, ohne sie zu stören, über die Steine und Tange hingleiten sieht, so erscheint ihr Körper voll und prall. So wie man aber ein Exemplar anfaßt und in ein Gefäß setzt, so verliert es nicht nur das den Körper schwellende Wasser, sondern zugleich eine dunkelviolette Flüssigkeit, welche sich gleichmäßig im Wasser vertheilt und in solcher Menge aus den Mantelrändern ausgeschieden wird, daß das Thier sich darin den Blicken entzieht. Bei der großen Verbreitung und Beliebtheit, welche seit einigen Jahren sich die Anilinfarben erworben, dürfte es von Interesse sein, anzuhören, was ein Chemiker, Ziegler, über die Beziehungen der Ausscheidung der Seehasen zu diesen Farbstoffen sagt. Er nennt die Stoffe ein flüssiges Anilinroth und Anilinviolett von hohem Koncentrationsgrade, und dieser Anilinfarbstoff sei für die Thiere eine zweifache Vertheidigungswaffe, insofern sie durch das Ausspritzen desselben das Wasser trüben und dadurch sich vor ihren Feinden zu verbergen im Stande sind; dann aber, weil diese Farbe die giftigen Eigenschaften des Anilins besitzt und einen dem Mollusk eigenthümlichen, widrigen Geruch entwickelt. Der berühmte französische Konchyliolog Férrussac hat schon im Jahre 1828 darauf aufmerksam gemacht, wie rasch sich der gedachte Farbstoff zersetzt, sobald er von dem Thiere [310] ausgespritzt worden ist, und er bemerkt, daß sich diese Zersetzung verzögern und selbst gänzlich verhindern läßt, wenn man der Flüssigkeit etwas Schwefelsäure zusetzt. Da der Seehase an den portugiesischen Küsten in solchen Mengen vorkommt, daß, wenn die Thiere durch einen Sturm an das Gestade geworfen werden, durch ihre Fäulnis die Luft so verpestet wird, daß die Umwohner die Entstehung epidemischer Krankheiten befürchten, so würde es, meint der genannte Chemiker, leicht sein, den Farbstoff im großen Maßstabe zu gewinnen; denn es gibt Exemplare der Seehasen, welche bis zu zwei Gramm reiner, trockener Farbe geben. Die chemischen Reaktionen der Abscheidung der Seehasen ließen die Annahme als berechtigt erscheinen, daß diese thierischen Farben wirkliche Anilinfarbstoffe seien, gleich denen, welche man künstlich aus Benzol erzeugt. Von Aplysia depilans, dem großen, einen halben Fuß lang werdenden Seehasen der europäischen südlichen Küsten, habe ich viele Exemplare in Händen gehabt, niemals aber ein Brennen an den mit ihm in Berührung gekommenen Hautstellen, noch den excessiven ekelerregenden Geruch gespürt, der dem Seehasen zum Vorwurfe gemacht wird. Er ist offenbar besser als sein Ruf und verdient sicherlich nicht seinen Namen depilans, der »haarscherende«, indem sogar die Haupthaare des ihn Berührenden ausfallen sollen. Einige tropische Arten scheinen allerdings zu nesseln.

Nicht bloß die äußere Gestalt und die Nahrung der Aplysien verlockt zum Vergleiche mit pflanzenfressenden Säugethieren, auch ihr aus mehreren Abtheilungen bestehender Magen erinnert lebhaft daran. Die Speiseröhre öffnet sich in einen weiten häutigen Pansen, aus welchem die Nahrung in den zweiten Magen gelangt. Hier wird die Verdauung unterstützt durch eine weitere Zerkleinerung des Gefressenen, indem die muskulösen Wandungen mit vielen kleinen knorpeligen, pyramidalischen Körperchen bewaffnet sind, welche offenbar als Magenzähne, wie die ähnlichen Organe bei den Krebsen, wirken. Auch in der dritten kleineren Abtheilung wirkt in ähnlicher Weise ein Hakenbesatz der Wände. Der vierte Magen endlich hat die Gestalt eines Blinddarmes. Bei dem Bedürfnis nach massenhafter, meist aus gröberen Tangen bestehender Nahrung, findet man den Seehasen auch fast unausgesetzt auf der Weide. Unsere Aplysia depilans hält sich oft so hoch am Strande auf, daß sie bei der Ebbe in kleinen, sie kaum benetzenden Pfützen zurückbleibt; sie steigt aber auch in mehrere Faden Tiefe.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 309-311.
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