Paludina impura

[259] Auch die kleinere lebendig gebärende Sumpfschnecke (Paludina achatina) hat im Eihalter schon vollständig entwickelte Junge. Sie liebt mehr das fließende Wasser und kommt in der Elbe, Spree, dem Rhein und der Donau vor. Wir geben umstehend eine der Querreihen aus der Reibeplatte in starker Vergrößerung. Kleine Unterschiede machen sich bei den anderen Arten bemerklich, theils in der Form der einzelnen Zähnchen und Plättchen, theils in der gegenseitigen Stellung. Die dritte der in Mitteleuropa gemeinen Arten ist die unreine Sumpfschnecke (Paludina impura), so genannt, weil ihr an sich durchscheinend glattes und glänzendes, hellgelbliches Gehäuse meist mit einem nach der Beschaffenheit des Wassers wechselnden Ueberzuge bedeckt ist.

Hier nun ist der Ort, auf Dr. Simroths Beobachtungen über die Wasserlungenschnecken und Sumpfschnecken (s. Seite 247) zurückzukommen und sie nach seinen eigenen jetzt veröffentlichten [259] Mittheilungen weiter zu führen. Er hatte den Apparat der Luftathmung gewissermaßen vor unseren Augen zum Kiemenorgane der Sumpfschnecke werden lassen, durchaus entgegen der allgemein angenommenen Ansicht, daß unsere Lungenschnecken die Nachkommen von Kiemenschnecken seien und keine der jetzigen Kiemenschnecken jene zur genealogischen Voraussetzung habe. Wir hörten von Simroth, daß der Trichter des Lungeneinganges sich bei der Paludine in einen langen Spalt erweitert habe.


Zähnchen-Querreihe aus der Reibeplatte der Achat-Sumpfschnecke. Stark vergrößert.
Zähnchen-Querreihe aus der Reibeplatte der Achat-Sumpfschnecke. Stark vergrößert.

Mit dieser Erweiterung, belehrt er uns ferner, ist auch jenes Sinnesorgan, welches Lacaze-Duthiers entdeckte, indem es bei der zurückgehenden Luftathmung seine Bestimmung verlor und rudimentär wurde, entsprechend weiter gerückt und hat eine auffällige Verschiebung des ganzen Nervensystems zur Folge gehabt, welche wohl nur so erklärt werden kann. Zu diesen Hinweisen auf eine nahe Verwandtschaft kommen zahlreiche andere. Der Mund, der bei den echten Landschnecken nur einen starken Kiefer quer über den Eingang ausspannt, läßt diesen bei den Wasserpulmonaten mehr zurücktreten, fügt aber dafür zwei kleinere seitliche hinzu, wie sie bei den Vorderkiemern sich meistens gleichfalls finden. Sie setzen die horizontale Mundspalte mehr in eine vertikale um, und Planorbis zeigt schon ganz deutlich den Uebergang zur Schnauze der Paludina. Von den beiden Hautlappen, welche bei den Wasserlungenschnecken die Mundöffnung überdecken, hat jüngst Ray-Lancaster bewiesen, daß sie auf eine embryonale Wimperschnur, die als sogenanntes Velum oder Segel den Kopf der jungen Schnecke einsäumt, zurückzuführen sind. Dieses Segel fehlt den echten Lungenschnecken, ist dagegen besonders entwickelt bei den Embryonen der Vorderkiemer (s. unten bei Vermetus), bei welchen es indeß später spurlos verschwindet, außer bei der Sumpfschnecke. Bei dieser entsprechen ihm zweifelsohne ein Paar ähnliche Hautlappen, wie bei Limnaea und Planorbis und mehr seitlich von der Schnauze. Ebenso stellen sich Wasserlungenschnecken und Vorderkiemer gemeinschaftlich durch das Fehlen der embryonalen Schwanzblase (s. oben S. 232) den damit versehenen Landschnecken gegenüber.

Indem Simroth auch in der Beschaffenheit der Fortpflanzungsorgane und der Art der Begattung die vermittelnde Stellung der Wasserlungenschnecken nachweist, gibt er das Problem der Erwägung anheim, ob nicht, woran noch niemand gedacht, wenigstens ein Theil der Vorderkiemer ihre Abstammung ähnlichen Wasserlungenschnecken verdanken, wie unsere heutigen sind. So sinnreich diese Annahme auf der einen Seite, widerspricht sie doch andererseits so ziemlich allen Erfahrungen, welche man bezüglich des Verhältnisses der Land- und Süßwasserthiere zu den Seebewohnern gemacht hat. Auch kommen nunmehr die reichen Beobachtungen in Frage, welche Ihering über das Nervensystem und andere Organe der Weichthiere gemacht hat. Es ist durch ihn festgestellt, daß die Wasserlungenschnecken einen anderen Ursprung haben müssen als die Landschnecken, und es ist ihm gelungen, gerade aus der verschiedenen Beschaffenheit der Athmungshöhlen den Beweis herzuleiten.

Da so zahlreiche Naturfreunde ihre Mußestunden als Konchyliologen ausfüllen, haben wir diese gewiß anregenden Beobachtungen und Folgerungen mittheilen zu sollen geglaubt und lenken nun wieder ein in die bloße Schilderung.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 259-260.
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