Faß (Dolium galea)

[288] Die Sippe der Faßschnecken (Dolium) ist in mehrerer Beziehung interessant. Das Gehäuse ist dünnschalig, bauchig, oft beinahe kugelig, die Mündung davon weit, unten ausgeschnitten, nicht in einen Kanal verlängert; die Außenlippe meist verdickt und in der ganzen Länge gekerbt. Das Thier hat einen länglich eiförmigen, großen und dicken Fuß, der vorn etwas geöhrt ist und von dem Thier durch die Aufnahme einer großen Quantität Wasser stark aufgebläht werden kann. Der Kopf ist flach und breit und zwischen den Fühlern beinahe geradlinig. Diese sind lang und [288] tragen die Augen außen auf ihrem verdickten Grunde. Die Athemröhre ist dick, ziemlich lang und wird über die Schale zurückgeschlagen getragen. Auch der Rüssel ist sehr groß und dick. Alle Arten, mit Ausnahme einer einzigen, bewohnen die südlichen Meere. Diese eine aus dem Mittelmeere, das Faß (Dolium galea), ist die größte Schnecke dieses Gebietes. Sie gab Veranlassung zu einer sehr merkwürdigen Entdeckung. Als Professor Troschel in Messina mit zoologischen Forschungen beschäftigt war, brachte man ihm ein lebendes großes Exemplar der Faßschnecke, welches, gereizt, seinen einen halben Fuß langen Rüssel ausstülpte und alsbald aus der Mundöffnung einen Strahl einer wasserklaren Flüssigkeit einen Fuß weit hervorspritzte. Zu seinem höchsten Erstaunen nahm Troschel wahr, daß der Kalkstein des Fußbodens mit der Flüssigkeit aufbrauste, daß der vermeintliche Speichel also eine scharfe Säure war. Es hat sich ergeben, daß in der Flüssigkeit 3 bis 4 Procent freie Schwefelsäure und 3/10 Procent freie Salzsäure enthalten sind, und daß diese Säuren aus einer neben der eigentlichen Speicheldrüse liegenden besonderen Drüsenabtheilung stammen. Diese Säuren dienen jedoch nicht etwa bei der Verdauung zur Auflösung des mit der Nahrung aufgenommenen Kalkes; auch ist es nach vielen von Panceri in Neapel angestellten Versuchen unwahrscheinlich, daß sie ein Vertheidigungsmittel sind. Vielmehr scheint die Drüsenflüssigkeit ein bloßes, zur Ausscheidung aus dem Körper bestimmtes Produkt zu sein. Der genannte neapolitanische Zoolog hat gezeigt, daß noch eine Reihe anderer Schnecken der Gattungen Cassis, Cassidaria und Tritonium dasselbe Schwefelsäureorgan besitzen. Die Sache ist physiologisch höchst interessant, aber noch keineswegs hinlänglich aufgeklärt.

Der bekannte österreichische Konsul und Sprachforscher, Dr. G. von Hahn, hat in sehr ingeniöser Weise wahrscheinlich zu machen gesucht, daß unsere Faß- oder Tonnenschnecke das Vorbild für die spiraligen Ornamente der ionischen Säule gewesen sei. »Ebenso gut«, sagt er, »wie heutzutage neapolitanische Fischer aus dem Muschel- und Schneckenwerk ihres Strandes schöne Festons zu verfertigen und damit an hohen Festtagen ihre Kirchen zu schmücken verstehen, dürften wohl auch schon im Alterthume die Küstenbewohner zu den zierlichen Erzeugnissen ihres Strandes gegriffen haben, wenn es die an diesem gelegenen Heiligthümer ihrer Götter zu schmücken galt. Unter dem Muschelwerke des Mittelmeeres zeichnet sich aber die ihm eigenthümliche Tonnenschnecke nicht nur durch ihre Größe aus, denn sie erreicht mitunter die Größe eines Menschenkopfes, sondern auch durch die große Schönheit ihres Gewindes und dessen Rippen.« Die Hauptresultate der interessanten Vergleichung der Kunstform mit dem Naturprodukte sind, daß das Gewinde der Tonnenschnecke sowohl in der Zahl seiner Umgänge als in der Konstruktion seiner Spirale der sogenannten Volute des ionischen Kapitäls entspricht, daß mit der inneren Seite des Außenrandes des Gehäuses sich die über den Kanal des ionischen Knaufes laufenden Verbindungskurven beider Voluten wenigstens annähernd herstellen lassen, daß die konvexen Rippen der Außenseite des Gehäuses sich auf der inneren Seite in Kannelüren verwandeln, welche große Aehnlichkeit mit den Kannelüren des ionischen Säulenschaftes haben, und daß sogar ihre Anzahl annähernd der Anzahl der ionischen Säulen entspricht.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 288-289.
Lizenz:
Kategorien: